Crossover Parsifal

Der »Kongress der deutschsprachigen Rechtssoziologie-vereinigungen« in Luzern ist vorüber. Es handelte sich um einen Versuch, die Rechtssoziologie nach dem Vorbild der Law & Society Association interdiszlipinär zu öffnen, ein Versuch, der von Michael Wrase (Rechtssoziologie und Law and Society – Die Deutsche Rechtssoziologie zwischen Krise und Neuaufbruch, ZfRSoz 27, 2006, 289) theoretisch vorbereitet worden war. Um Ausrichtung und Organisation der Tagung hat sich vor allem der »Berliner Arbeitskreis Rechtswirklichkeit« verdient gemacht (Christian Boulanger, Michelle Cottier, Josef Estermann, Michael Wrase).

Bis hin zur äußeren Gestaltung des Programmhefts folgte man in Luzern dem amerikanischen Vorbild. Auch wenn das sicher Zufall war, so trug doch auch der Konferenzort zum Law&Society-Feeling bei. Die Tagung fand in dem Gebäude des alten Grand-Hotel Union statt, dass der jungen Universität Luzern als Hörsaalgebäude dient. Die Tagung war gut organisiert und dank einiger Sponsoren mit Annehmlichkeiten ausgestattet, die die kleine und arme Gemeinschaft der Rechtssoziologen nur auf Medizinerkongressen vermutet.

Mit 204 aktiven Teilnehmern war die Tagung ein Erfolg. Nach dem bewährten Law&Society-Vorbild wurden in jeweils vier parallelen Sessionen im 90-Minuten Rhythmus jeweils drei bis fünf Referate gehalten. Die 15minütigen Pausen waren für den fliegenden Wechsel etwas zu knapp, so dass viel kostbare Vortragszeit für die Einrichtung der Laptops und Präsentationen verlorenging. Daraus ergab sich eine gewisse Hetze, und die Diskussion kam oft zu kurz. Wichtiger aber scheint mir, dass es gelungen ist, eine große Zahl von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern für die Teilnahme zu gewinnen, die man bisher in Tagungen und Publikationen, die mit Rechtssoziologie überschrieben waren, nicht angetroffen hat. Angesichts dieses Erfolgs relativieren sich die Vorbehalte, die ich in meinem Vortrag für die Session »Das Rechts zwischen den Disziplinen« zum Ausdruck gebracht habe. Das Manuskript mit dem Titel »Crossover Parsival«, das etwas ausführlicher ist, als es mündlich vorgetragen werden konnte, steht hier zum Download bereit: crossover-parsifal

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Symboltheorie für die Rechtssoziologie

Thesen:
1. Für die Rechtssoziologie braucht man einen engen Symbolbegriff. Der Pansymbolismus der Philosophen und teilweise auch der Soziologen hilft hier nicht weiter.

2. Die Beschäftigung mit den Symbolen leidet unter der kulturwissenschaftlich geprägten Neigung zur »paradigmatischen« Überinterpretation der Symbole.

3. Die gängigen Symbole für Recht und Staat sind verblasst und verbraucht.

4. In der Theorie halten die Juristen in der Tradition von Rudolf Smend die Symbole hoch. Die juristische Praxis hat Schwierigkeiten im Umgang mit den Symbolen, und zwar aus zwei Gründen:

a) Mit Symbolen lässt sich noch schlechter steuern als mit Worten.

b) Wenn Interessenkonflikte mit Symbolen ausgetragen werden, wird daraus, was Vilhelm Aubert als Wertkonflikt bezeichnete.

Das vollständige Manuskript, das die Grundlage für mein Referat auf dem Kongress der deutschsprachigen Rechtssoziologie-Vereinigungen in Luzern am 5. 9. 2008 bildet, kann hier heruntergeladen werden: symboltheorie-fur-die-rechtssoziologie1

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Ich bin ein Legal McLuhanite

Die Medientheorie, auf die ich mich stütze, hat ihren Ursprung in der sog. Toronto-Schule (Innis, McLuhan, Havelock, Goody, Ong, Watt). Nach dem 2. Weltkrieg wurde die Frage nach der gesellschaftlichen Funktion der Medien – damals vor allem der Presse und des Rundfunks – zu einem zentralen Thema der Sozialwissenschaften. Innis und McLuhan wiesen ihr eine neue Richtung, indem sie zwischen manifesten und latenten Funktionen der Medien unterschieden und dazu die konkreten Inhalte, die die Medien transportieren, von der Materialisierung und Organisation ihrer Speicherung und Übermittlung trennten.

Von dem Ökonomen Harold Innis[1] stammt die These, dem jeweils dominierenden Kommunikationsmedium sei ein »bias«, eine Voreinstellung zugunsten bestimmter gesellschaftlicher Interessen und Organisationsformen, inhärent. Innis stellte dabei auf das materielle Substrat der Kommunikation − Stein oder Tontafeln, Pergament, Papyrus und Papier und schließlich Elektrizität − ab. Maßgebliche Eigenschaften von Stein und Tontafeln sind räumliche Bindung und Dauerhaftigkeit, die die Zeitdimension und damit Tradition und Hierarchie begünstigen sollen. Das leicht transportable Papier dagegen ermöglicht die Ausdehnung der Herrschaft in den Raum, der Druck durch preiswerte Vervielfältigung eine soziale Breitenwirkung und die Elektrizität schließlich durch ihre Geschwindigkeit den sozialen Wandel. Nach Marshall McLuhan[2] zeigt sich die »message«[3] eines neuen Mediums nicht auf der Ebene der transportierten Inhalte, sondern in einer Veränderung von Wahrnehmung und Bewusstsein. So verändert sich auch das Recht mit dem Übergang von der Oralität zur Literalität, vom Manuskript zum Buchdruck, vom Schreiben zur Textverarbeitung und von der Bibliothek zur Datenbank und zum Internet.

An die Vorstellung vom Medienwandel als Auslöser sozialer Veränderungen knüpften auch Eric A. Havelock[4], Jack Goody[5] und Walter J. Ong[6] an. Aber sie stellten nicht auf die materiell-technischen Qualitäten des Mediums ab, sondern auf dessen Code-Struktur. Unter diesem Aspekt haben sie sich mit dem Über­gang von der Oralität zur Literalität befasst und gezeigt, wie die Schrift mit ihren spezifischen semiotischen Qualitäten kognitive Prozesse im Allgemeinen und speziell logisches Denken gefördert und damit kulturprägende Wirkungen entfaltet hat.

Die Schrift befreite das Gedächtnis und machte so eine kriti­sche Auseinander­set­zung mit den Inhalten möglich. Schrift gestattete, die auf­geschriebenen Ge­danken wie etwas Fremdes zu behandeln. Diese Objekti­vie­rung der Information führte zur Frage nach dem Subjekt und damit zu den Anfängen eines re­flek­tierten Selbst­be­wusst­seins. Erst danach konnten die Philosophen beginnen, Wahrheiten und Meinungen zu trennen. Erst mit Hilfe der Schrift ent­wickel­ten sie Taxo­no­mien zur Ordnung des Wissensstoffes. Was Goody und Watt[7] strukturelle Amnesie genannt haben, näm­lich die stän­dige Trans­formation des erinnerten Wissens in Abhän­gig­keit von den Not­wen­dig­keiten und Zufälligkeiten der Praxis, wurde mit Hilfe der Schrift durch ein Wis­sens­ma­nagement er­setzt.

Die Verschriftung, so Goody, löst das Wissen aus seinem lokalen und damit sozialen Kontext, indem sie es von der Präsenzkommunikation unabhängig macht. Sie transformiert simultane Sinneseindrücke in konsekutive Informationen. Sie fördert die Elaborierung und Systematisierung der Wissensbestände und damit tendenziell Verallgemeinerung und Abstraktion. Solche Verallgemeinerung ist wiederum Voraussetzung bürokratischer Herrschaft, weil sie die Auswahl des mitherrschenden Verwaltungsstabes nach Kompetenz an Stelle von Status oder Verwandtschaftsbeziehungen möglich macht.

Von Anfang an hatte Innis die soziale Bedeutung des Medienwandels an Veränderungen der Herrschafts- und damit der Rechtsstruktur demonstriert. Der medientheoretische Ansatz wurde in den USA von Collins/Skover und Katsh[8] aufgenommen und diente ihnen als Grundlage für eine Reihe prägnanter Hypothesen über die Veränderung des Rechts unter dem Einfluss der elektronischen Medien. Es zeigte sich jetzt, dass man die Rechtsgeschichte der Antike von Hammurabbi bis zu Justinian auch als Folge der fortschreitenden Verschriftlichung interpretieren kann. Im Mittelalter hat sich die Ablösung der Oralität durch Literalität noch einmal wiederholt, und erneut hat dieser Wandel im Recht seine Spuren hinterlassen. Der Buchdruck ist schließlich zur Grundlage dessen geworden, was noch immer als modernes Recht angesehen wird. Dabei geht es um die Umstellung des Rechts von Tradition auf Entscheidung, um die Art und Weise, wie das Recht mit Konflikten umgeht, um die Identität und Kohärenz der Juristenprofession und nicht zuletzt auch um die Abstraktionshöhe juristischen Denkens. An die Erklärung verschiedener Wesenszüge des modernen Rechts schließt sich eine Prognose von Veränderungen an, die von der elektronischen Datenverarbeitung zu erwarten sind.

Die wichtigsten Thesen von Collins/Skover und Katsh sind folgende: Der Übergang von der Oralität zur Literalität und weiter zum Druck hat die Art des Umgangs mit Konflikten und Präjudizien geprägt. Gerichtsverfahren, Vermittlung und Schlichtung sind ebenso wie Tadel, Nachrede oder Ausgrenzung Wege zur Konfliktregelung, die sich überschneiden und ergänzen können. Soweit es vor der Zeit des Buchdrucks überhaupt formelle Gerichte gab, standen sie doch im Schatten informeller Streitregelungsmethoden. Die Verbreitung des Buchdrucks stützte die Anwendung förmlich niedergelegten Rechts und bot damit eine Basis für offizielle Gerichte. Gedruckte Rechtsbücher beschädigten die Autorität bloß mündlich überlieferten Rechts, das für die informelle Konfliktregelung wesentlich war. Der Buchdruck ermöglichte die dauerhafte Zusammenstellung von Rechtswissen, was wiederum Juristen veranlasste, nach Prinzipien zu suchen, mit deren Hilfe sich das Rechtswissen systematisieren ließ. Richter, die sich an gedruckten Rechtsquellen orientierten, beschränkten damit die Auswahl der für ihre Entscheidung relevanten Informationen. Der soziale und moralische Kontext des Falles, der in oralen Gesellschaften und auch zur Zeit der Handschriftlichkeit höchst wichtig war, verlor an Bedeutung, soweit er nicht unter die Tatbestandsmerkmale fixierter Regeln passte. Die Sammlung von Regeln in gedruckten Rechtsbüchern drängte die nicht fixierten Sitten und Gebräuche und die Wissensbestände lokaler Gemeinschaften in den Hintergrund und entzog damit der informellen Streitregelung ihre Grundlage.

Die elektronischen Medien, so der Blick in die Zukunft, werden diese Entwicklung bis zu einem gewissen Grade wieder umkehren. Dass die Bilder auch in die Rechtskommunikation eindringen, erscheint unvermeidlich. Dort unterlaufen sie die uniformierende Kraft des Buchdrucks, die zu Abstraktion und strenger Regelorientierung geführt hat. Durch Digitalisierung wird das Rechtswissen wieder flüssig. Es wird leichter verfügbar, kann ganz unsystematisch abgerufen und relativ einfach neu gemischt werden. Gleichzeitig findet man in demselben Medium, anders als in der klassischen Bibliothek, auch nichtjuristische Informationen aller Art. In einer neuen Kultur des Umgangs mit Informationen wird es normal, separate Wissensbestände zusammen zu bringen. In der Folge werden Juristen, die gelernt haben, mit den elektronischen Medien umzugehen, die klassischen Rechtsquellen mit anderen Wissensangeboten kombinieren und so die Grenze zwischen juristischem und außerjuristischem Wissen durchlässig machen. Damit geraten auch die Gerichte unter Druck, sich nicht länger allein auf Regeln zu stützen, um relevante von irrelevanten Informationen zu trennen. Die Digitalisierung des Informationsangebots, so die Prognose, habe einen Bias in Richtung auf außergerichtliche Streitregelung, die mehr an Kontextinformation verarbeitet. Die elektronischen Medien, die unterschiedslos Informationen aus allen Wissens- und Lebensgebieten vereinigten, seien auf Interdisziplinarität angelegt und würden das Recht wieder stärker für Einflüsse aus dem sozialen Kontext öffnen. Bei dieser Entwicklung, so betont insbesondere Katsh, sollen Bilder eine tragende Rolle spielen, denn Bilder sind interpretationsfähiger und damit kontextoffener als Schrift. Die Flexibilisierung der Wissensbestände durch die elektronischen Medien werde die kulturelle Wertschätzung des Rechts, dem das gedruckte Rechtsbuch zu einer Aura der Stabilität und Verlässlichkeit verholfen hatte, unterminieren.

Richard J. Ross hat in seiner Rezensionsabhandlung zu den Arbeiten, mit denen Collins, Skover und Kaths die Grundgedanken der Toronto-Schule für den Rechtsbereich rezipiert hatten, davor gewarnt, nach einfachen Kausalbeziehungen zu suchen.[9] Dennoch muss es gestattet sein, Prognosen, die sich aus dem Gerüst der Medientheorie der Toronto-Schule ableiten lassen, für heuristische Zwecke zu benutzen. Sinnvoll bleibt auf jeden Fall der Versuch, den zeitlichen Zusammenhang zwischen Medienwandel und Veränderungen von rechtlichen Inhalten und Verfahren zu beschreiben.

Was ist also aus den medientheoretisch inspirierten Prognosen der Rechtsentwicklung geworden? Welche weiteren Prognosen bieten sich an? Mit der Rolle der Bilder bei der Konstruktion und Vermittlung juristischen Wissens haben wir uns in dem Projekt »Visuelle Rechtskommunikation« befasst.[10] Über die Entwicklung der alternativen Konfliktregelung ist bereits viel gearbeitet worden. Ich habe mich auch selbst immer wieder damit beschäftigt[11], ohne allerdings bisher eine Verbindung zum Medienwandel herzustellen. Zentrales Thema für die Rechtssoziologie müsste eigentlich der Zusammenhang zwischen Medienwandel und organisierter Herrschaft sein. Innis’ These von der räumlichen Ausdehnung von Herrschaft mit Hilfe des Papiers fordert geradezu die These heraus, dass weltumspannende elektronische Kommunikation globale Herrschaftsstrukturen nach sich zieht. Es gibt zahllose Arbeiten über Organisation und Bürokratie, über Recht und Globalisierung und neuerdings auch über E-Government. Doch auch insoweit fehlt, wenn ich richtig sehe, eine Darstellung, die die Entwicklung durchgehend auf den Medienwandel bezieht. Ich kann hier zunächst nur auf ein Buch aufmerksam machen, das, wie ich finde, bisher nicht genügend beachtet worden ist und dringend fortgeschrieben werden müsste. Es handelt sich um den 1996 bei Harvard University Press erschienenen Band »The Control Revolution« von James R. Beniger. Etwas größere Aufmerksamkeit hat der Einfluss von Datenverarbeitung und Internet auf die interne Entwicklung der Wissenschaft im Allgemeinen und speziell auch auf die Jurisprudenz gefunden. Mit dieser Fragestellung hatte ich mich in der ersten Hälfte der 90er Jahre selbst dem Themenkomplex »Recht und Medienwandel« genähert. Ergebnis war 1996 ein Vortrag vor der Vereinigung für Rechtssoziologie, den ich nie veröffentlich habe, der aber hier noch als PdF zur Verfügung steht. Zu der Frage, wie sich die Verfügbarkeit von Präjudizien in Datenbanken auswirkt, drängt sich so sehr auf, dass es dazu längst entsprechende Untersuchungen geben müsste. Nicht ganz so naheliegend, aber kaum weniger plausibel ist die These, dass die größere Verfügbarkeit disziplinfremden Wissens im Internet die Interdisziplinarität befördert. Ich kenne aber keine Untersuchung, die dieser These nachgeht.

Seit einigen Monaten betätige ich mich nun als Blogger. Da bleibt es gar nicht aus, dass man sich etwas allgemeiner über Wissenschaftsblogs informiert, über die eigene Rolle in diesem Feld nachdenkt und dann natürlich auch wieder verallgemeinernd über mögliche oder tatsächliche Veränderungen des Rechts in der Blogosphäre spekuliert. Die große Versuchung durch das Weblog: Erst schreiben, dann forschen. Eine Zeitlang will ich dieser Versuchung noch widerstehen.


[1] Harold Adams Innis, Empire and Communications, 1950, Neudruck Dundurn, Toronto 2007; ders., Kreuzwege der Kommunikation, hrsg. von Karlheinz Barck, aus dem Englischen von Friederike von Schwerin-High, Springer Verlag, Wien/New York 1997.

[2] Die Gutenberg-Galaxis. Das Ende des Buchzeitalters, Econ-Verlag, Düsseldorf 1968 (The Gutenberg Galaxy. The Making of the Typographic Man, 1962); ders., Die magischen Kanäle, Econ-Verlag, Düsseldorf 1968 (Understanding Media. The Extensions of Man, 1964).

[3] Von McLuhan gibt es auch ein Buch mit dem Titel »The Medium is Massage«. Das berühmte Zitat »the medium is the message« stammt aus der Gutenberg-Galaxis.

[4] Preface to Plato, Cambridge, MA, 1963; ders., Schriftlichkeit. Das griechische Alphabet als kulturelle Revolution, (Original: The Literate Revolution in Greece and its Cultural Consequences, 1982), VHC, Acta Humaniora, Weinheim 1990.

[5] Jack Goody, Literacy in Traditional Societies, Cambridge University Press, 1968; dt. Erstausgabe unter dem Titel „Literalität in traditionalen Gesell­schaften”, Suhrkamp, Frankfurt a. M. 1981; ders., Die Logik der Schrift und die Organisation von Gesellschaft, Suhrkamp, Frankfurt a. M. 1990.

[6] Orality and Literacy. The Technologizing of the Written Word, Methuen, London 1982.

[7] Jack Goody/Jan Watt, Jan/Kathleen Gough (Hrsg.), Entstehung und Folgen der Schrift­kultur, Suhrkamp, Frankfurt a. M. 1986.

[8] Ronald K. L Collins./David M. Skover, Paratexts, Stanford Law Review 44, 1992, S. 509-552; M. Ethan Katsh, The Electronic Media and the Transformation of Law, Oxford University Press, New York und Oxford 1989; ders., Law in a Digital World, Oxford-University Press, New York und Oxford 1995.

[9] Communications Revolutions and Legal Culture: An Elusive Relationship, Law & Social Inquiry 27, 2002, 637-684.

[10] Das Forschungsprojekt »Visuelle Rechtskommunikation« wurde in den Jahren 2000-2002 mit Förderung der Stiftung Volkswagen am Lehrstuhl für Rechtssoziologie und Rechtsphilosophie der Ruhr-Universität bearbeitet. Es gab zwei Anschlussprojekte, nämlich das von der Ruhr-Universität geförderte Projekt »Recht anschaulich«, das sich mit den Visualisierungsmöglichkeiten in der Juristenausbildung befasste, sowie das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderte Projekt »Kultivierungseffekte des Gerichts- und Anwaltsfilms«. Über die Projekte und die daraus entstandenen Veröffentlichungen gibt die Internetseite http://www.ruhr-uni-bochum.de/rsozlog/ Auskunft.

[11] Zuerst »Alternativen zum Recht?« (zusammen mit S. Röhl), Deutsche Richterzeitung 1979, S. 33-38; zuletzt »Die obligatorische Streitschlichtung in der Praxis« (mit Matthias Weiß), 2005.

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Wo bleibt die Rechtsdidaktik? (Teil II)

Eine juristische Fachdidaktik ist nicht deshalb erforderlich, weil die juristische Ausbildung besonders schlecht ist, sondern weil sie vermutlich besser sein könnte.

Im Posting vom 21. Juli 2008 habe ich das Fehlen einer spezifischen Rechtsdidaktik beklagt. Damit will ich nicht sagen, dass der aktuelle juristische Hochschulunterricht besonders schlecht wäre. Ich höre nicht selten Studenten begeistert von einer juristischen Vorlesung berichten. In Bochum gab und gibt es eine ganze Reihe von »Hörsaalkanonen«, die ein großes Studentenpublikum fesseln können. In anderen Fakultäten wird es ähnlich sein. Die Fakultäten unternehmen auch erhebliche Anstrengungen zur Verbesserung der Lehre. Überall gibt es Studiendekane oder Lehrbeauftragte. Spezielle Kurse zur Examensvorbereitung gehören fast überall zum Standard. Die Studiengebühren, die weitgehend zweckgebunden sind zur Verbesserung der Lehre, dürften die Situation weiter verbessern. Das Angebot an juristischer Studienliteratur ist dank der großen Studentenzahlen, die es für Verlage und Autoren lohnend machen, Lehr- und Lernbücher zu schreiben, sehr umfangreich und überwiegend von guter Qualität. Ich akzeptiere den Hinweis auf das bei Juristen so verbreitete Repetitorenwesen nicht als Argument gegen die Qualität der juristischen Ausbildung. Die Repetitoren haben nur deshalb Erfolg, weil das juristische Studium durch die Gestaltung des Staatexamens so kanonisiert ist (oder war?), dass man wissen kann, was man zum Examen zu wissen hat. Die Examenskandidaten sind nicht davon abhängig, dass sie in der Vorlesung eines bestimmten Dozenten gesessen oder seine Bücher gelesen haben. Die Unabhängigkeit des Examens von der Person einzelner Prüfer ist eine Errungenschaft, von der manche Fächer träumen. Es gibt wohl kein anderes Studium, das für den Staat so billig ist wie das juristische. Dafür müssen die Studenten an den Repetitor zahlen. Und dennoch: Es fehlt eine ausgearbeitete juristische Fachdidaktik.

Ohne den Anspruch, der Komplexität des Themas damit gerecht zu werden, will ich den ersten Beitrag um sieben Gesichtspunkte ergänzen:

1. Wenn ich eingangs festgestellt hatte, die Visualisierung sei zurzeit der einzige aktive Zugang zur Rechtsdidaktik, so übersehe ich natürlich nicht die enormen Aktivitäten auf dem Gebiet des E-Learning. Ich beobachte staunend, wie Bund und Länder den »virtuellen Hochschulraum« mit Millionenbeträgen fördern. Bislang ist das Ergebnis kläglich. Gerade in diesem Bereich fehlt eine juristische Fachdidaktik. Darauf hat Günter Reiner aufmerksam gemacht (Juristische Didaktik und E-Lernen: theoretische Konzeption und Anwendungsbeispiele, JurPC Web-Dok. 160/2007, Abs. 1 – 49 (http://www.jurpc.de/aufsatz/20070160.htm).

2. Fragen der Ausbildungsreform und der Fachdidaktik lassen sich nicht sauber trennen. Das Ziel der Juristenausbildung wird durch eine politische Entscheidung bestimmt, die freilich didaktisch informiert erfolgen sollte. Eine Fachdidaktik hat dieses Ziel umzusetzen. Dabei muss sie mit den wiederum politisch verantworteten institutionellen Zwängen der Ausbildung fertig werden. Sie kann umgekehrt auch Forderungen zur Regulierung, häufiger aber vermutlich zur Deregulierung der Juristenausbildung stellen.

3. Auch zwischen Hochschulpädagogik und Fachdidaktik gibt es keine scharfe Grenze. Mein Eindruck ist allerdings, dass die Hochschuldidaktik[1] die Notwendigkeit oder gar Möglichkeit einer Fachdidaktik vernachlässigt, wenn nicht gar verneint. Universitäre Fachdidaktik muss die allgemeine Hochschulpädagogik inkorporieren. Eine Fachdidaktik des Rechts muss aber darüber hinaus auf viele Fragen eine Antwort geben, die sich für die Rechtswissenschaft in besonderer Weise stellen, darunter die Fragen nach der Vermittlung von Systemvorstellungen und juristischer Methode, nach der Verbindung von Theorie und Praxis, von Soft Skills mit juristischen Inhalten, nach Interdisziplinarität und natürlich die Dauerfrage nach der richtigen Beschränkung von Studieninhalten und Prüfungsstoff.

4. Vielleicht hat das Fehlen der Rechtsdidaktik im universitären Bereich etwas damit zu tun, dass es in Deutschland keine fächerübergreifende Hochschullehrervereinigung gibt. Es gibt die Zivilrechtslehrer, die Strafrechtslehrer und die Staatsrechtslehrer. Sie alle kümmern sich um ihre Fächer, aber nicht um gemeinsame, fachunabhängige Themen.

5. Viele Dozenten befassen sich mit pädagogischen Fragen, ohne das an die große Glocke zu hängen. Es ist nicht einfach, die einschlägigen Arbeiten zu recherchieren, weil selten oder nie »Fachdidaktik des Rechts« oder »Rechtspädagogik« im Titel steht. Hier ein Beispiel: Bernhard Bergmans, Rechtsterminologieunterricht als Zugang zur Rechtsvergleichung. Das Beispiel des Deutschen, in französischer Sprache veröffentlicht in Revue de droit international comparé 1987, 89-110. Der Verf. hat mir das Manuskript der deutschen Übersetzung überlassen.

6. Die Fachhochschulebene hat sich bei den didaktischen Anstrengungen einen Vorsprung erarbeitet. Es hilft nicht weiter, sich dagegen abzusetzen, denn auch die Universität kommt nicht umhin, praktisch verwertbare Rechtskunde zu vermitteln. Will sie mehr leisten, nämlich die Wissenschaftlichkeit der universitären Rechtsausbildung sichern[2] oder gar wiederherstellen[3], so muss sie mindestens das Weniger bieten. Aber auch und gerade das »Mehr«, die Wissenschaftlichkeit, verlangt nach Didaktik.

7. Adressaten einer Rechtsdidaktik sind nicht nur Dozenten, sondern auch Studenten. Anleitungen zum Jurastudium für Studenten gibt es in größerer Zahl. Noch zahlreicher sind die Anleitungen zur Anfertigung von Klausuren und Hausarbeiten. Ich möchte heute auf ein Buch hinweisen, dass in akademischen Kreisen, wie ich finde, zu Unrecht keine Beachtung findet, nämlich das Buch »Lernprofi Jura« der Repetitoren Marco von Münchhausen und Ingo P. Poschel, München 2002.


[1] Einen Eindruck vermittelt die Internetseite des Hochschuldidaktik-Zentrums des Landes Baden-Württemberg, die auch ein Literaturverzeichnis bietet. Ich habe in den ausführlichen Programmen von 2004 bis 2008 vergeblich nach den Stichworten »Fachdidaktik«, »Rechtsdidaktik«, »Rechtswissenschaft« und »Jura« gesucht.

[2] Peter A. Windel, Zwischenbilanz zur Studienreform von 2003, in: Juristenausbildung mit Herz und Verstand. Festgabe für Heinrich Flege, 2008, 37-50, 39.

[3] Peter Gilles/Nikolaj Fischer, Juristenausbildung 2003, NJW 2003, 707-711, 711.

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Interdisziplinarität im Verfassungsgerichtsurteil zum Inzest

Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zum Geschwisterinzest kann als Demonstrationsobjekt für Interdisziplinarität bei der Rechtsarbeit dienen. Hörnle hat in NJW 2008, 2085 die Argumentationslinien des Gerichts sehr schön klargelegt. Es gibt vier Begründungsansätze: Schutz der Familie, Schutz sexueller Selbstbestimmung, eugenische Gesichtspunkte und die »kulturhistorischen Überzeugungen“. Jeder Ansatz geht von bestimmten Realitätsvorstellungen aus, zu denen andere Disziplinen etwas zu sagen haben. Es ist deshalb kein Zufall, dass dieses Urteil eine Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Humangenetik provoziert hat (die gekürzt auch auf der Umschlagseite XII von NJW 29/2008 abgedruckt ist).

Der eugenische Gesichtspunkt ist durch den Umgang der Nazis mit Erbkrankheiten und Euthanasie so schwer belastet, dass eine bloß funktionale Erörterung heute nicht möglich ist. Diese Tatsache sollte aber nicht dazu führen, dass die Verfolgung eugenischer Ziele mit Hilfe des Rechts tabuisiert wird.

Ein Standardargument geht dahin, die Fortpflanzungsfreiheit auch von Paaren, deren Kinder ein erhöhtes Risiko für rezessiv erbliche Krankheiten hätten, dürfe nicht eingeschränkt werden. Das ist fraglos ein außerordentlich heikles Thema. Man darf aber nicht die Augen davor verschließen, dass zwar der Geschwisterinzest eine seltene Ausnahme ist, dass aber heute aus Ärztekreisen berichtet wird, dass Ehen zwischen Vettern und Cousinen mit den entsprechenden Folgen in bestimmten Kreisen der Bevölkerung häufig sind. Und es lässt sich einfach nicht übersehen, dass zumindest in den USA erörtert wird, ob Eltern, die ein behindertes Kind zur Welt bringen, dessen Geburt sie hätten verhindern können, Schadensersatzansprüchen des Kindes ausgesetzt sind.

Kirsten Rabe Smolensky, Creating Disabled Children: Parental Tort Liability for Preimplantation Genetic Interventions (July 11, 2008). 60 Hastings Law Journal, Forthcoming 2008; verfügbar bei SSRN: http://ssrn.com/abstract=1166602; vgl. dazu Lawrence B. Solum in seinem Legal Theory Blog.

Eine solche Konsequenz ist aus meiner Sicht absurd. Doch mindestens die Frage, ob das behindert geborene Kind selbst Ansprüche gegen Dritte, insbesondere gegen Ärzte, geltend machen kann, ist sicher noch nicht abschließend beantwortet.

Kinder haben ein Recht auf »Geborenwerden in Unversehrtheit«. Die Tatsache, dass das Kind bereits geschädigt auf die Welt gekommen ist, das Rechtsgut »Gesundheit« in seiner Person also nie unversehrt bestanden hat, ist unerheblich. Daher sind auch vorgeburtliche Schädigungshandlungen, die sich erst in/mit der Geburt auswirken, erfasst (Autounfall der Mutter, BGH NJW 85, 1390; Syphilis-Infektion des Kindes wegen Infektion der Mutter während der Schwangerschaft durch Krankenhauspersonal, BGHZ 8, 243).

Liegen die Fälle, in denen einem Arzt Fehler bei der genetischen Beratung der Eltern oder bei der vorgeburtlichen Diagnostik zur Last fallen, so grundsätzlich anders? Fehlt es an einer vorgeburtlichen »Schädigungshandlung«? Zwar hat der Arzt die Behinderung des Kindes nicht durch ein positives Tun hervorgerufen. Er hat weder auf den Fötus noch die Mutter in irgendeiner Weise eingewirkt. Daher kommt allenfalls eine Rechtsgutverletzung durch Unterlassen in Betracht, wenn eine Rechtspflicht zum Handeln bestand. Eine solche Rechtspflicht ließe sich wohl aus dem Arztvertrag mit der Mutter ableiten, der nach § 328 II BGB als Vertrag zugunsten eines (künftigen) Dritten oder gar des nasciturus gelten kann. Unabhängig davon verlangt das Recht, unversehrt geboren zu werden (wenn es denn ein solches gibt), von dem konkret mit Beratung oder Untersuchung befassten Arzt als »Experten« ein Tätigwerden. Dennoch hat das mit einer schweren Behinderung geborene Kind nach Auffassung des BGH und herrschender Meinung keinen Anspruch auf Schadenersatz, wenn wegen mangelhafter ärztlicher Leistung ein eigentlich indizierter Schwangerschaftsabbruch unterblieben ist, denn – so die Begründung – es hat keinen »Anspruch auf Nichtexistenz« (BGHZ 86, 240, 250; BGHZ 89, 104; Müller, NJW 2003, 697/700). Das bedeutet: Ausgerechnet dann, wenn das Kind Hilfe besonders nötig hätte, nach dem Tode der Eltern, wird es rechtlos gestellt. Das ist mehr als bloß eine »Schwachstelle« (Müller S. 706) und die gängige Begründung ist reine Begriffsjurisprudenz. Im Hintergrund steht vermutlich die Befürchtung, dass ein Schadenersatzanspruch des Kindes gegen Dritte den Weg auch für Ansprüche gegen Eltern bereiten würde, in der Tat ein schwer vorstellbares Ergebnis. Müller appelliert an die »Verantwortung der Gesellschaft« und verweist auf das SGB. Ich meine, dass man vor diesem Hintergrund eugenische Ziele für die Rechtspolitik nicht von vornherein ausschließen kann. Auf die Mittel kommt es an. Deshalb kann man sich um das Eugenik-Thema nicht drücken.

Die Rechtswissenschaft hat hierzu unter anderen die Aufgabe, die juristischen und rechtspolitischen Stellungnahmen aus der Zeit vor 1933 aufzuarbeiten. Besonders verdienstvoll ist deshalb die »Einführung: Rechtstheorie und Staatsverbrechen«, von Wolfgang Naucke in: Karl Binding/Alfred Hoche, Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens, [1920], Nachdruck 2006. Ich möchte hier daran erinnern, dass es von Theodor Geiger eine ganze Reihe von Stellungnahmen zur Eugenik gab. Zwar hat sich Geiger darin als Kritiker der eugenischen Bewegung seiner Zeit gezeigt. Er hat jedoch den Grundgedanken einer eugenischen Erbpflege durchaus befürwortet. 2001 hat sich Thomas Meyer in seiner Geiger-Monographie gegen die bisher verbreitete Lesart gewendet, die Geiger als frühen Kritiker der Eugenik rühmt, und ihm vorgeworfen, er habe teilweise die Grenzen des moralisch Vertretbaren überschritten (Thomas Meyer, Die Soziologie Theodor Geigers, 2001, 112 ff.). Das muss vielleicht nicht das letzte Wort bleiben. Geigers Schriften zur Eugenik sind m. E. noch nicht hinreichend beachtet worden. Ihre Aufarbeitung könnte ein Dissertationsthema für eine mutige Juristin sein.

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So wurde ich ein Legal McLuhanite

Medienwandel und Rechtsentwicklung ist ein großes Thema der Rechtssoziologie. Seit Ende der 60er Jahre habe ich die stürmische Entwicklung der EDV aus unterschiedlichen Perspektiven miterlebt. Als junger Landgerichtsrat hatte ich in Kiel die praktische Studienzeit für Studenten zu organisieren. Zum festen Programm gehörten Besuche in den wichtigsten Rechenzentren, die es damals in Kiel gab, nämlich im Statistischen Landesamt, bei der Landesbrandkasse und bei der (später von Siemens übernommenen) Firma des genialen Ingenieurs Rudolf Hell, der seit Ende der 20er Jahre mehr oder weniger alle Verfahren der elektronischen Bildübertragung erfunden hatte. Während meiner relativ kurzen Tätigkeit als Chefsyndikus der Brandkasse-Provinzial in Kiel ab 1972 wurden mir alsbald auch die Aufgaben des Hauptabteilungsleiters Allgemeines mit der Zuständigkeit u. a. für Betriebsorganisation und EDV übertragen. Damals kämpften wir mit Problemen, die aus heutiger Sicht lächerlich erscheinen, etwa mit der Einführung einer einheitlichen Kundennummer oder der Umstellung von Magnetbändern auf Festplatten. Ich weiß noch, wie unwohl mir war, als ich die Verträge über die Anschaffung einer neuen Generation von IBM-Rechnern unterschreiben musste, ohne wirklich zu verstehen, worum es eigentlich ging. Getreu dem Peter-Prinzip wechselte ich 1975 in die Universität und stellte so einen gehörigen Abstand zur EDV her.

In der Ruhr-Universität gab es wohl schon ein Rechenzentrum. Aber damit hatten wir Juristen nichts zu tun. In den 80er Jahren bahnte sich dann aber über die Rechtssoziologie eine Zusammenarbeit mit der Abteilung Rechtstatsachenforschung/Justizstatistik im Bundesjustizministerium an. Referatsleiter war Dieter Strempel, der sich zuvor bei der Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung in Birlinghoven (GMD) in die Geheimnisse von Systemanalyse, EDV- und Planungstechnik hatte einweihen lassen und danach im Ministerium am Aufbau des Juristischen Informationssystems (JURIS) mitarbeitete. Strempel entwickelte nach und nach den Forschungsschwerpunkt »Strukturanalyse der Rechtspflege« (SAR) und setzte dabei vor allem auf das gleichzeitig in der GMD entwickelte Justiz-Statistik-Informationssystem. Ich kann mich lebhaft daran erinnern, wie wir 1984 auf der Tagung »Rechtsmittel im Zivilprozeß«[1] zum ersten Mal eine Online-Verbindung von Bochum zur GMD nach Birlinghoven herstellen wollten, und wie der mühsam beschaffte große Monitor dunkel blieb. Im selben Jahr kaufte ich (für annähernd 8000 DM) meinen ersten eigenen PC, den legendären Kaypro IV mit einem Zilog Prozessor, 64 KB RAM und zwei Diskettenlaufwerken von 160 KB und durchlebte von nun an die Höhen und Tiefen der Textverarbeitung. Ich weiß gar nicht mehr, wann wir auch in der Universität einen PC anschaffen konnten. Aber jedenfalls war meiner der erste in der Fakultät. Um diese Zeit war ich auch Direktor des Zentralen Rechtswissenschaftlichen Seminars (ZRS) geworden. Nun kam die EDV aus einer anderen Richtung auf mich zu. Jetzt ging es um Bibliotheksverwaltung und Datenbankzugang. An amerikanischen Law Schools hatte ich erlebt, wie phantastisch dort längst elektronische Kataloge und Datenbankzugänge funktionierten. Aber in Bochum kämpfte das Rechenzentrum der Universität noch über Jahre mit der Programmierung des OPAC, und die Zusammenführung von Beschaffung und Katalogisierung erwies sich als unerhört schwierig. Ich saß im Beirat des Rechenzentrums und war schon wieder an der Grenze meiner Kompetenz. Immerhin konnte ich Drittmittel einwerben, um sehr früh das ZRS mit PC für die Benutzer und einem Juris-Zugang auszurüsten. Die Juristische Fakultät war in Bochum wohl auch die erste unter den geisteswissenschaftlichen, die rundum vernetzt wurde. Vorübergehend hatte ich dann allerdings ein bißchen den Anschluss verloren. Ich hatte so viele EDV-begeisterte studentische Hilfskräfte, darunter beinahe mehr Frauen als Männer, die vor allem die Betreuung des JURIS-Terminals übernahmen, die Einführungskurse für ihre Kommilitonen abhielten und sich so an die Computer drängten, dass ich mich, jedenfalls in der Universität, gar nicht mehr selbst an den Bildschirm zu setzen brauchte. Darüber habe ich dann zunächst die Umstellung von MS/DOS auf Windows und dann auch den Einstieg ins Internet verpasst.

Seit Beginn der 90er Jahre bewegte uns vor allem die Frage, ob Datenbanken im Laufe der Zeit juristische Experten überflüssig machen könnten. Martina Wegge und Michael Hartmann, damals Mitarbeiter an meinem Lehrstuhl, konnte ich zu einer Untersuchung über »Rechtsprechungsdatenbank und professionelle Zuständigkeit. Der Einfluß juristischer Datenbanken auf die Tätigkeit von Versicherungsangestellten mit und ohne juristische Ausbildung«[2] veranlassen. »Recht und Medien« wurde auf mein Betreiben das Generalthema der Jahrestagung der Vereinigung für Rechtssoziologie 1996. Damals hielt ich einen Vortrag »Über den Einfluß der elektronischen Medien auf das Recht und das juristische Denken«. Der Vortrag (hier unverändert als PdF) ist nicht veröffentlicht worden, weil sich mein Interesse sehr schnell auf einen Ausschnitt aus diesem Thema konzentrierte, nämlich auf die Visuelle Rechtskommunikation. Verursacht wurde der Blickwechsel u. a.. dadurch, dass meine Mitarbeiter Stefan Machura und Stefan Ulbrich sehr erfolgreich eine Idee umsetzten, die ich aus St. Louis von meinem dortigen Kollegen Francis M. Nevins mitgebracht hatte, nämlich ein Seminar zum Thema »Recht und Film«. Ab 1999 haben wir dann gemeinsam drei aufeinander folgende Projekte durchgeführt:

  • »Visuelle Rechtskommunikation«, gefördert von der Stiftung Volkswagen
  • »Recht anschaulich«, gefördert durch das Rektorat der Ruhr-Universität im »Innovationswettbewerb in der Lehre« 2001
  • »Kultivierungseffekte des Justiz- und Anwaltsfilms«, gefördert von der DFG.

Die Medientheorie, auf die wir uns stützten, hat ihren Ursprung in der sog. Toronto-Schule (Innis, McLuhan, Havelock, Goody, Ong, Watt). Und so wurde ich zum „Legal McLuhanite“[3]

Das rechtssoziologische Potential dieser Theorie ist noch längst nicht ausgeschöpft. In einem späteren Beitrag werde ich deshalb zunächst diesen Theorieansatz skizzieren.


[1]Daraus entstand der Tagungsband Gilles/Röhl/Schuster, Rechtsmittel im Zivilprozeß, 1985.

[2] Universitätsverlag Brockmeyer, Bochum 1993

[3]Begriff von Richard J. Ross, Communications Revolutions and Legal Culture: An Elusive Relationship, Law & Social Inquiry 27, S. 2002, 637-684, 646. Es handelt sich um eine Rezensionsabhandlung zu drei bahnbrechenden US-amerikanischen Arbeiten: Ronald K. L Collins./David M. Skover, Paratexts, Stanford Law Review 44, 1992, S. 509-552, und M. Ethan Katsh, The Electronic Media and the Transformation of Law, Oxford University Press, New York und Oxford 1989, sowie ders., Law in a Digital World, Oxford-University Press, New York und Oxford 1995.

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Dissertationsthemen sind knapp

Die meisten juristischen Dissertationen sind vom Ergebnis her gesehen überflüssig wie ein Kropf – heute muss man vielleicht sagen, überflüssig wie ein Posting im Weblog. Sie verschwinden ungelesen in den Bibliotheken. Das ist nicht schlimm, denn jedenfalls für den Promovenden bringt die Dissertation eine wichtige Arbeitserfahrung und den ersehnten Titel. Schlimm ist es aber, wenn Promovenden wegen ungeeigneter Themen wertvolle Lebensjahre verlieren.

Ein Thema ist geeignet, wenn es relevant und im Einmannbetrieb in maximal zwei Jahren zu bearbeiten ist. Von diesen zwei Jahren sollte nur ein Jahr Vollzeittätigkeit erfordern. Für das zweite Jahr sollte, je zur Hälfte als Vorbereitung und Nachbereitung, eine Teilzeitbeschäftigung ausreichen.

Solange ich noch selbst Doktoranden annahm, habe ich ihnen immer gesagt, ihre erste und wichtigste Leistung sei die Entscheidung für ein relevantes und bearbeitbares Thema. Als Emeritus nehme ich zwar selbst grundsätzlich keine Doktoranden mehr an. Aber von Zeit zu Zeit, wenn mir etwas auffällt oder einfällt, will ich doch an dieser Stelle Themenvorschläge machen, die ich für geeignet halte. Heute begnüge ich mich damit, auf meine Webseite zum Gerichtsmanagement zu verweisen, wo unter »Desiderata« einige Themen genannt sind.

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Wo bleibt die Rechtsdidaktik?

Der einzige aktive Zugang zu einer juristischen Fachdidaktik scheint zur Zeit über die Visualisierung von juristischen Inhalten zu laufen. In unserem Buch »Recht anschaulich« (S. 16) bemerken wir daher das Fehlen einer Fachdidaktik für die juristische Ausbildung. Zwar gibt es eine unendliche Debatte über die Inhalte der Juristenausbildung. Die Fachdidaktik ist darüber jedoch völlig in Vergessenheit geraten. Es fehlt sowohl an monografischer wie an Aufsatzliteratur und erst recht an einer einschlägigen Fachzeitschrift.
Die erste Auflage des »Handbuchs Hochschullehre« aus dem Raabe-Verlag enthielt immerhin einen fachspezifischen Teil »Wirtschafts- und Rechtswissenschaften«. Darin war die Rechtsdidaktik nur mit einem Beitrag vertreten: Marko Baumert, »Bitte (in)formieren Sie sich!« − Teilnehmerzentrierung juristischer Arbeitsgemeinschaften mit Beispielen aus dem öffentlichen Recht, WAR 2.2. Ein weiterer einschlägiger Beitrag fand sich in dem Teil »Präsentation und Visualisierung«: Werner Unger, Paragraphen und Graphik. Eine Methode der Visualisierung juristischen Lehrstoffs (WRB 3.1). In der (noch unvollständigen) Neuauflage sind diese Beiträge bisher nicht wieder abgedruckt. (Ungers Beitrag steht jetzt in stark erweiterter Form im Web zur Verfügung; dazu mein Post in »Recht anschaulich«). Es gab und gibt immerhin eine Rechtspädagogik für den Rechtskundeunterricht, insbesondere in Schulen. Aber, wie gesagt, es fehlt die Fachdidaktik für den juristischen Hochschulunterricht.
Anders in den USA und in England: In den USA gibt es seit 1950 das Journal of Legal Education. Es wird von der Association of American Law Schools herausgegeben und von dem Verlag West Publishing Company and Foundation Press an alle Hochschullehrer verteilt. Während meiner Aufenthalte in Madison und St. Louis habe ich immer gerne darin gelesen. Ich hatte den Eindruck, dass es sich um eine inhaltsreiche Zeitschrift mit hohem Qualitätsstandard handelt. Neuere Hefte waren mir nicht mehr zugänglich.
In England erscheint drei Mal jährlich herausgegeben von der Association of Law Teachers (ALT) im Verlag Sweet & Maxwell. »The Law Teacher: The International Journal of Legal Education«. Ich kenne die Zeitschrift bisher nicht, werde aber versuchen, Zugang zu bekommen.
Schon die allgemeine Hochschulpädagogik, die natürlich auch für die juristische Ausbildung relevant ist, ist in Deutschland kümmerlich. Eine aktuelle und umfangreiche Diskussion gibt es nur für den Bereich des E-Learning. Einen gewissen Überblick gibt Hochschuldidaktik online, herausgegeben vom HDZ der Universität Dortmund. In seinem jüngsten Editorial vom Februar 2008 meint dazu Prof. Dr. Dr. h.c. Johannes Wildt, die »Qualitätsoffensive in der Lehre« der Hochschulrektorenkonferenz und die »Exzellenzinitiative in der Lehre« des Stifterverbandes versprächen einen neuen Schub für die Qualitätsentwicklung im Studium und Lehre. Inzwischen hat am 7. Juli 2008 auch noch der Wissenschaftsrat den Zustand der Hochschullehre kritisiert und Änderungen angemahnt. Aber diese Euphorie trifft in den traditionellen Kernfächern, nicht zuletzt bei den Juristen, auf eine tiefsitzende Skepsis. »Didaktisierung« ist zum Buhwort geworden. Man befürchtet die fortschreitende Verschulung des Rechtsunterrichts, wie sie längst durch die Aufnahme juristischer Module in andere Fächer und die Ausbildung von Diplom-Juristen an Fachhochschulen in Gang gekommen ist und durch eine Bachelorisierung des Jurastudiums unvermeidlich würde.
Ich selbst nehme hier eine Zwischenposition ein. Einerseits geht es nicht ohne ein Minimum an Hochschuldidaktik. Schon vor nun wohl über 20 Jahren habe ich in der Juristischen Fakultät der Ruhr-Universität einen Fakultätsbeschluss durchgesetzt, nach dem jeder Habilitand mit der Anmeldung zur Habilitation den Nachweis über die Teilnahme an einer von der Zentrale der Ruhr-Universität angebotenen hochschuldidaktischen Veranstaltung vorlegen sollte. Andererseits graust auch mir vor einer weiteren Verschulung der juristischen Ausbildung, die ich allerdings als mehr oder weniger unvermeidlich kommen sehe. Ich dieser Situation wäre eine juristische Fachdidaktik hilfreich, um den Wissenschaftsanspruch der Jurisprudenz auch in der Ausbildung aufrecht zu erhalten.
Auf einige neue Ansätze zu einer juristischen Fachdidaktik, die mir in den letzten Monaten aufgefallen waren, habe ich an dieser Stelle bereits in den Beiträgen vom 23. 4. 2008 und 28. 6. 2008 hingewiesen. Mit diesem Beitrag will ich jetzt den Versuch unternehmen, einen Kreis interessierter Kolleginnen und Kollegen zu sammeln in der Hoffnung, dass es gelingt, diesen Kreis durch organisatorische Vorkehrungen auf Dauer zu stellen und ihm zur Wirksamkeit zu verhelfen. Dafür mag das Journal of Legal Education als Vorbild dienen.

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Hörsaallyrik und Bahnhofsgraffiti

Kürzlich durfte ich in einem Hörsaal, in dem ich früher auf der anderen Seite stand, über zwei Stunden bilderlosen Vorträgen lauschen. Die unterbeschäftigen Augen hatten Muße, einige Zeilen zu entziffern, die in die Bank vor mir eingeritzt waren, die grauen Zellen, sie auswendig zu lernen:

Als ich dich traf, da war mir klar,
Du bist so wunder-, wunder — gut,
und meine Liebe ist akut,
jetzt und im Februar.

Der erste Kuss
war wie ein Schuss,
so sündig wie der Sündenfall,
der Wissenschaften letzter Knall,
Du bist mein Syndikus.

Stellt sich nur noch die Frage nach dem Urheberrecht. Darf ich diese Zeilen veröffentlichen? Wer könnte mich wie daran hindern?

Vor nunmehr schon einigen Jahren habe ich im Fußgängertunnel des Bahnhofs von Bochum-Dahlhausen einige Graffiti fotografiert in der Hoffnung, die Bilder irgendwann einmal einsetzen zu können.

An Ort und Stelle sind die Bilder längst verschwunden, und ich habe noch immer keine Verwendung dafür gefunden. Da will ich sie jedenfalls hier einmal vorzeigen. Dabei gibt es ein etwas ernsteres Urheberrechtsproblem. Ich kann den Urheber ja nicht einmal benennen. Vielleicht finde ich ihn auf diese Weise.

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Wie wirkt Recht?

Unter diesem Titel findet vom 4. – bis 6. September 2008 in Luzern eine Tagung der deutschsprachigen Rechtssoziologie-Vereinigungen statt. Das umfangreiche Programm lässt eine spannende Veranstaltung erwarten. Ich selbst beteilige mich an zwei Sessionen:

Das Recht zwischen den Disziplinen – Rechtsforschung als Bewegung?

Organisator und Moderator: Michael Wrase (Humboldt-Universität zu Berlin)

Ankündigung: Die institutionelle Verankerung der Rechtsforschung auf der Schnittstelle zwischen traditionellen und neuen Disziplinen erweist sich als schwierig. Das mitteleuropäische Wissenschaftssystem verlangt traditionell Disziplinarität, auch wenn die Grenzen andernorts brüchig werden. So zeigen nicht zuletzt die US-amerikanische Law and Society-Forschung sowie die socio-legal studies im Vereinigten Königreich, dass eine Kooperation von Sozial-, Kultur- und Rechtswissenschaften nicht nur dauerhaft möglich ist, sondern wissenschaftlich äußerst produktiv und innovativ sein kann – und auch tatsächlich in der Lage ist, ein gemeinsames, interdisziplinär belangvolles und nutzbares Wissen zu erzeugen. Der Workshop widmet sich der Frage, auf welchem Weg eine dauerhafte und gewinnbringende Zusammenarbeit über die Disziplingrenzen hinaus erreicht werden kann.

Erhard Blankenburg (Vrije Universiteit):
Justizforschung im internationalen Vergleich
Abstract: Mein Thema ist die Justizforschung. In England und den Niederlanden hat sich dort ein Kranz von Forschungsinsituten gebildet, von denen auch Aufträge an die Universitäten vergeben werden. Das können Rechtssoziologen sein, aber auch Ökonomen oder Politikinstitute. Der gesamte Umfang kann sich durchaus an den vielen Kriminologie-Forschungen messen. Die Nachfrage kommt von den Richtervereinigungen, der Justiz, der Rechtshilfe und von NGO’s. Warum haben die Deutschen nichts Vergleichbares entwickelt? Meine Antwort ist bei den Staatsexamen zu suchen, auch beim Föderalismus, also der Kompetenz der Länder für die Justizorganisation, und dem Fehlen von Effektivitäts- und Effizienzbemühungen bei der Justiz und der Rechtshilfe (Prozesskostenhilfe ist zwar teuer, aber doch keine legal aid). Eine Disziplin im Sinne von Lehrstühlen und Kanonisierung von Lehrinhalten ergibt die Justizforschung alleine allerdings nicht. Rechtssoziologen haben sich über alle möglichen Themen ausgelassen, oft mehr durch Essays als durch (empirische) Forschung. Das lässt sich allenfalls mit Hilfe von stets wechselnden Themen vernetzen, wie die Law and Society Association dies tut.

Inga Markovits (University of Texas at Austin, School of Law):
Soziologische Rechtsforschung zwischen den Stühlen: Amateure und Eklektiker
Abstract: Üblicherweise wird man einem Forscher, der ein rechtssoziologisches Projekt ins Auge fasst, empfehlen, nicht ohne wissenschaftliche Ausrüstung ins Feld zu ziehen. Dazu gehören vor allem drei wichtige Artikel: eine Theorie, eine Methode und eine Hypothese. Die Theorie ist der begriffliche Hintergrund, das Raster, auf dem die Ergebnisse der Arbeit eingeordnet werden können. Die Methode ist die Strategie, mit der ein Forscher seinen Untersuchungsgegenstand verfolgt und die bestimmt, was und wie herausgefunden, definiert, gemessen, abgewogen und in Beziehung zu setzen ist. Die Hypothese ist der Kompass, der dafür sorgt, dass das ganze Unternehmen nicht auf Abwege gerät, sondern auf das Ergebnis ausgerichtet bleibt, das nach der Theorie des Forschers zu erwarten ist. Ich möchte über Forschungsunternehmen sprechen, die sehr viel bescheidener ausgestattet sind und sich auf nicht viel mehr als auf die Neugier des Forschenden und auf die Fragen verlassen, die er an seinen Forschungsgegenstand stellen möchte. Das Vorgehen ist nicht ganz so amateurhaft, wie es klingt, weil man nicht viel Fragen an etwas stellen kann, mit dem man nicht schon vorher halbwegs vertraut ist. Auch ein Forscher außerhalb der Schul-Soziologie braucht also Familiarität mit dem Gebiet, das er untersuchen möchte, und es ist wahrscheinlich, dass er auch gewisse Erwartungen an das hegt, was er finden wird. Aber die Erwartungen sind durch Theorie und Hypothese unfixiert, wie die vage Hoffnung eines Reisenden auf gutes Wetter, sodass er seine Forschungsfragen einem Wetterwechsel leicht anpassen und neuen Anregungen folgen kann, mit denen er ursprünglich nicht gerechnet hatte. Das Wichtige an meinem Amateur-approach (und es ist offensichtlich, dass ich als Nicht-Soziologin hier pro domo spreche) ist, was man einen Dialog zwischen dem Forscher und seinen Daten nennen könnte. Der Untersuchende lässt sich durch seinen Gegenstand zu neuen Fragerichtungen inspirieren.

Klaus F. Röhl (Ruhr-Universität Bochum):
Crossover Parsival
Abstract: Die cultural studies der Anthropologie und Ethnologie haben sich mit postmoderner Philosophie verbündet und mehr oder weniger alle Gegenstandsfelder der Sozial- und Geisteswissenschaften erobert. »Kulturwissenschaft« ist zum Leitbegriff sowohl für die methodisch-inhaltliche Orientierung als auch für die politische Diskussion um Wissenschaftsförderung und Hochschulreform geworden. Eine eigenständige Rechtssoziologie findet darin keinen Platz mehr. Es hat sich jedoch eine merkwürdige Eigendynamik entwickelt. Während die cultural studies mit einem kritischen Impetus gestartet waren, stehen heute glamouröse Vorzeigeinstitute, Studiengangsplanung und Berufsorientierung akademischer Abschlüsse im Sinne der ökonomischen Verwertbarkeit kultureller Kenntnisse im Vordergrund. In dieser Situation sollte man sich auf die gute alte Rechtssoziologie besinnen.

Die Macht der Symbole

Organisator: Klaus F. Röhl (Ruhr-Universität Bochum)

Discutant/in: Hubert Rottleuthner (Freie Universität Berlin)

Ankündigung: Die Beschäftigung mit Symbolen hat in den sog. Kulturwissenschaften große Attraktivität gewonnen. In der Rechtssoziologie ist zwar oft von Symbolen die Rede. Das geschieht jedoch mehr oder weniger beiläufig und untechnisch. Jedenfalls verbirgt sich hinter solcher Rede keine ausgearbeitete Symboltheorie. Andererseits gibt es in der Rechtssoziologie einen Bedarf. Normen sind regelmäßig als Texte gefasst oder lassen sich jedenfalls sprachlich formulieren. Um solche Normen herum existiert jedoch ein Universum von Bedeutungen, die nicht nur an Texte, sondern auch an Orte oder Gegenstände, bestimmte Wortfolgen, Handlungen oder Bilder anknüpfen. Es besteht die Hoffnung, solche Bedeutungen mit dem Symbolbegriff einzufangen. Das soll in drei Referaten aus ganz unterschiedlichen Blickwinkeln geschehen.

Jochen Dreher (Universität Konstanz)
Zur Wirkungsweise von Kollektivsymbolik im Recht – Differenzkonstitution symbolischer Macht

Abstract: Das Recht als soziales Phänomen ist eingebettet in kollektive Vorstellungen und Wertungen, die – wie im Rahmen dieser Präsentation hervorgehoben werden soll – in sozialen Gruppierungen insbesondere symbolisch etabliert werden. Entscheidend für die Wirkungsweise von Symbolen, vor allem Kollektivsymbolen, ist die Tatsache, dass sie im Spannungsfeld von Individuum und Gesellschaft über eine ‚Brückenfunktion’ verfügen und in einer Bezugnahme auf ‚außeralltägliche Sinnwelten’ für die Einbindung individueller Akteure in Kollektivzusammenhänge zuständig sind. In diesem Sinn unterliegen auch Rechtsnormen kollektivsymbolischen Vorstellungen und sind so ein Abbild einer entsprechenden gesellschaftlichen Ordnung. Aus wissenssoziologischer Perspektive kann Recht schwerlich als objektive Gegebenheit untersucht werden, da Individuen dem Recht in einem symbolisch etablierten Kollektivzusammenhang Bedeutungen zuschreiben und so auch die Wirklichkeit des Rechts prozesshaft aktualisieren. Exemplarisch werden am Fallbeispiel der Volkswagen-Affäre aus rechtssoziologischer Sicht die Konstruktion unterschiedlicher Rechtsauffassungen sowie die Herausbildung von Differenzen symbolischer Macht untersucht.

Jens Newig (Universität Osnabrück, Lehrstuhl Stoffstrommanagement):
Machtaspekte von Symbolik in der Gesetzgebung
Abstract: Symbolik spielt für Gesetzgebung und deren Wirksamkeit in unterschiedlicher Weise eine Rolle. Der Beitrag untersucht zum einen, wie Symbole als Bilder (beispielsweise „Waldsterben“) gesellschaftliche Stimmungen bündeln, die relevant für die Gesetzgebung sind. Zum anderen wird symbolische Gesetzgebung, d.h. Gesetzgebung, in der das Gesetz selbst zum Symbol wird, diskutiert. Deren Entstehung lässt sich aus Macht- und Informationsasymmetrien zwischen organisierten Interessen, dem Gesetzgeber und der Wählerschaft erklären. Wird symbolische Gesetzgebung strategisch eingesetzt, kann sie zur Durchsetzung von Interessen durch Verschleierung von Sachverhalten dienen. Die Wirksamkeit von Gesetzgebung wird dabei in zwei Dimensionen, einer rechtsnormativ-sachlichen und einer symbolisch-politischen, analysiert. Zwei empirische Beispiele aus dem deutschen Umweltrecht erläutern die Überlegungen.

Klaus F. Röhl (Ruhr-Universität Bochum):
Symboltheorie für die Rechtssoziologie
Abstract: Das einleitende Referat soll klarstellen, dass es keinen Zweck hat, sich lange über den richtigen Symbolbegriff zu streiten und statt dessen Beispiele für Symbole nennen, die das Recht jenseits von Normtexten stützen, und für andere, die als rechtsfeindlich gelten und deshalb vom Recht bekämpft werden.

Zu dieser Thematik gibt es in anderen Sessionen noch weitere einschlägige Vorträge:

Simone Seifert (Juristische und Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg):
»Behandlungspflicht« von Sexualstraftätern – nur symbolische Gesetzgebung?

Michael Jasch (Johann W. Goethe-Universität Frankfurt a.M., Institut für Kriminalwissenschaften und Rechtsphilosophie ):
Das Strafrecht im Wohnzimmer: Symbolisches Recht

Und das sind noch längst nicht alle Beiträge, bei denen in der Ankündigung von »Symbol« oder »symbolisch« die Rede ist. Das Symbol ist anscheinend eine theoretische Allzweckwaffe. Ob sie mehr als Seifenblasen verschießt?

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