Qualitätsarbeit der Justiz IV

Der Plaghunter ist zum Bughunter geworden. Unter der Überschrift »Karlsruher Leseschwäche« nimmt Rieble (Myops 13/2011, 32-36) sich einen Beschluss der Kammerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 1. 12. 2010 (1BvR 1572/10, NJW 2011, 1661) vor. Mit dieser Entscheidung hatte das Bundesverfassungsgericht einen Beschluss des OLG Frankfurt vom 6. 5. 2010 (3 UF 350/08., FamRZ 2011, 489) aufgehoben, der aber gar nicht so ergangen war, wie das Bundesverfassungsgericht es zugrunde legte. Anscheinend hatten die Richter die Akten nicht gründlich gelesen. Genüsslich macht Rieble geltend, dass das Bundesverfassungsgericht mit zweierlei Maß messe, wenn es selbst gelegentlich daneben greife, für Fehlgriffe anderer Gerichte aber strenge Maßstäbe bereit halte.
Bei dieser Gelegenheit: Ich bin auf der Suche nach Gerichtsfehlern ein bißchen müde geworden, nachdem andere ein ganzes Forschungsprojekt daraus gemacht haben. Der Ertrag von WatchTheCourt ist aber bisher, wenn ich richtig sehe, mit ganzen drei Fällen kümmerlich.

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Qualitätsarbeit der Justiz III

Mein altes Thema, Fehler in Gerichtsurteilen, hat man nun an anderer Stelle aufgegriffen. In Berlin an der FU gibt es dazu ein Forschungsprojekt unter der Leitung von Martin Schwab. Das Projekt ist zunächst mit einem Blog an die Öffentlichkeit getreten, der den schönen Namen WatchTheCourt trägt. [1]In den 1970er und 80er Jahren gab es in den USA einige Court-Watching-Gruppen. Man hat auch versucht, daraus Lehrveranstaltungen zu machen und es gab auch einmal ein einschlägiges Paper auf einer … Continue reading

Anmerkungen

Anmerkungen
1 In den 1970er und 80er Jahren gab es in den USA einige Court-Watching-Gruppen. Man hat auch versucht, daraus Lehrveranstaltungen zu machen und es gab auch einmal ein einschlägiges Paper auf einer Law & Society Tagung.

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Das zweite Mediations-Paradox: Erfolgreich, schneller, billiger und besser, aber ungenutzt

Landauf, landab finden Tagungen und Symposien zur gerichtlichen Mediation statt. Die Akzeptanz in den Medien ist enorm. Den Protagonisten gelingt es, in erstaunlicher Weise, Prominenz aus Wissenschaft, Rechtspolitik und sogar »Gesellschaft« zu mobilisieren. Das sieht man auf einem Video über ein vom Contarini-Institut an der Fernuniversität Hagen veranstaltetes Mediationssymposium im Bayerischen Hof in München im Herbst 2008. Gemeinsam beschwören alle den Beginn einer neuen Streitkultur. Der interessierte Beobachter hat jedoch den Eindruck, dass vielen und schönen Worten nur wenige Taten folgen: Es fehlt eine nennenswerte Nachfrage.
Vor etwa 30 Jahren hatte die Rechtssoziologie die Defizite gerichtlicher Konfliktlösung beschrieben und Vorschläge zur alternativen Streitregelung aus den USA importiert. Damals ging es um Community Justice und Neighborhood Justice Centers. In der Folgezeit suchte man zunächst in der alten Bundesrepublik nach Resten außergerichtlicher Streitregelung etwa beim Schiedsmann, in den Güte- und Schlichtungsstellen für Verbraucher und in den Vergleichsbemühungen der Gerichte. Die Suche bekam nach der Wiedervereinigung noch einmal Auftrieb, weil man, in der Hoffnung, irgendetwas Brauchbares im Nachlass der DDR zu finden, die sog. Konfliktkommissionen ins Visier nahm. Doch es änderte sich wenig oder nichts.
Etwa ab 1990 entdeckte eine neue Juristengeneration (Breidenbach, Duve, Eidenmüller, Birner, Prause) noch einmal in den USA die »ADR« (Alternative Dispute Resolution), wie sie nun hieß. Orientierungspunkt war jetzt das Harvard Negotiation Project. Dafür hatten Fisher und Ury eine lehr- und lernbare Vermittlungstechnik entwickelt. Diese Technik wurde nun auch in Deutschland bekannt und verbreitet. Was bisher schlicht unter Vermittlung lief, bekam einen neuen Namen: Mediation. Eigentlich nur das englische Wort für Vermittlung, wirkte der Begriff in Deutschland wie eine Zauberformel. Unter diesem Zauberspruch sammelten sich Juristen und einige Angehörige anderer Professionen, die hofften, hier ein neues Berufsfeld etablieren zu können, auf dem sich ihre Neigung einer gesellschaftlich wertvollen Tätigkeit mit dem Broterwerb verbinden ließ. Sehr schnell wurden diese Idealisten von der Ausbildungsindustrie entdeckt. Die Mediatorenausbildung wurde Vorreiter all der Zusatzstudiengänge, mit denen sich heute die Hochschulen vermarkten. Es gibt in Deutschland zur Zeit angeblich [1]Nachtrag: Der Link, der bei der Abfassung des Artikels noch funktionierte, war im Oktober 2010 tot und die entsprechende Information von der Webseite des Contarini-Instituts an der Fernuni Hagen … Continue reading 6000 ausgebildete Mediatoren, aber vermutlich nicht einmal für jeden von ihnen jedes Jahr einen Fall.
Mehr oder weniger alle Autoren, die über ADR schreiben, sind davon überzeugt, dass sie es mit einer Erfolgsgeschichte zu tun haben. Sie stützen sich dabei auf zahlreiche Evaluationen einzelner ADR-Projekte, die fast ausnahmslos positiv ausfallen. Ich spreche von einem Naturgesetz der Vermittlung: Etwa zwei Drittel aller Streitigkeiten werden gütlich geregelt werden, wenn sich die Parteien sich in ein Vermittlungsverfahren begeben. Kaum weniger groß ist die Übereinstimmung, dass alternative Verfahren regelmäßig kürzer dauern als Gerichtsverfahren, dass sie geringere Kosten verursachen, dass sie von den Beteiligten als weniger belastend empfunden werden und dass auch die Umsetzung des Verfahrensergebnisses erfolgreicher ist als die Vollstreckung eines Gerichtsurteils. Die Theorie hinter der Mediation scheint also zu stimmen. Trotzdem fristen die alternativen Streitregelungsverfahren neben der Justiz nur das Dasein eines Mauerblümchens. Ihr Angebot wird vom Publikum nicht angenommen. Sie leben von den Fällen, die ihnen von der Justiz überwiesen werden. Gewisse Erfolge, wie sie anscheinend in den USA erreicht worden sind, beruhen auf massiver Steuerung, nämlich darauf, dass die Parteien gesetzlich in die gerichtsverbundene Mediation gezwungen werden.
Auch in Deutschland hat die Justiz seit 2002 mit Hilfe des damals neuen § 278 ZPO die Mediation für sich entdeckt Die gerichtsverbundene Mediation löst drei Probleme auf einen Schlag. Erstens: Sie überwindet mangelnde Akzeptanz der Mediation durch sanften Druck. Wer sich »uneinsichtig« zeigt, indem er seine Zustimmung verweigert, muss mindestens subjektiv damit rechnen, dass das Gericht ihm sein Wohlwollen entzieht und im streitigen Verfahren von den zahlreichen Sanktionsmöglichkeiten Gebrauch macht, die ihm zur Verfügung stehen. Zweitens: Sie verursacht keine zusätzlichen Kosten. Drittens: Falls sie scheitert, führt das begonnene Gerichtsverfahren doch irgendwie zu einem Ende des Konflikts. Da kann man Mediation ruhig ausprobieren und, wenn nicht genug heraus kommt, immer noch auf ein günstigeres Urteil hoffen. Es ist sozusagen die List der Vernunft, dass es dann doch meistens zu einem Kompromiss kommt, wenn man sich erst einmal auf das Mediationsverfahren eingelassen hat. Die gerichtsverbundene Mediation ist anscheinend sehr erfolgreich, soweit es darum geht, die Parteien an den Verhandlungstisch zu bringen und die Vermittlung zu einem guten Ende zu führen (Projektabschlussbericht Niedersachsen). Kein Wunder. Die Justiz trägt alle Kosten. Die Verbreitung der gerichtsverbundenen Mediation beschränkt sich bisher auf wenige Pilot- oder Projektgerichte. Massenwirksam ist sie noch nicht.
Das (erste) Mediationsparadox haben McEwen und Milburn [2]McEwen, Craig A.; Milburn, Thomas W.: Explaining a Paradox of Mediation. In: Negotiation Journal, 1993, S. 23–36. beschrieben: Man muss die Streithähne mehr oder weniger an den Verhandlungstisch nötigen, damit sie freiwillig zu einer Einigung gelangen. Man muss sie sozusagen zu ihrem Glück zwingen, denn obwohl sie am Anfang meist unwillig waren, sind sie am Ende doch ganz überwiegend sehr zufrieden. Das ist die in der Literatur vielfach bestätigte Erfahrung. Als zweites Mediationsparadox bezeichne ich den Gegensatz zwischen der publizierten Akzeptanz von konsensualer Streitschlichtung und den guten Erfolgsaussichten von Mediationsverfahren auf der einen und dem mangelnden Zulauf auf der anderen Seite.
Die Verfechter der Mediation – Gegner gibt es praktisch kaum – behaupten einen positiven Trend. Aber Zahlen nennen sie nicht. Die gemeldeten Erfolge zeigen sich am Einzelfall und sind damit qualitativ. Der gesellschaftliche Erfolg alternativer Verfahren lässt sich jedoch nicht ohne quantitative Aspekte beurteilen. Eine große, vom Bundesministerium der Justiz beim Max-Planck-Institut für ausländisches und Internationales Privatrecht in Hamburg in Auftrag gegebene Untersuchung über 20 Staaten trägt den Untertitel »Rechtstatsachen, Vergleich, Regelungen«. [3]Hopt, Klaus J.; Steffek, Felix (Hg.): Mediation. Rechtstatsachen, Rechtsvergleich, Regelungen, 2008. Aber die beigebrachten Rechtstatsachen sind kümmerlich. Statistiken über die Verwendung von Mediationsverfahren werden schlicht für irrelevant erklärt:

»… dass sich die Mediation nicht statistisch erfassen und bewerten lässt. Ihre Wirkung und Bedeutung für die Rechtspraxis ergibt und erklärt sich vielmehr erst im Zusammenspiel mit dem Rechtsumfeld und der Streitbewältigungskultur. in der sie eingebettet ist. Eine für diese Zusammenhänge unempfindsame Addition und Division der in den Länderberichten erfassten Daten brächte daher keinen Erkenntnisgewinn.« [4]Hopt/Steffek, S: 77

Massive Zahlen liegen nur für China und Japan vor. In China sollen 2004 von den Volksschlichtungskomitees 4.492.157 Fälle behandelt worden sein, während 4.492.157 Fälle an die Volksgerichte erster Instanz gelangten [5]Pißler in Hopt/Steffek S. 627-631. Ich verstehe weder Japanisch noch Chinesisch und vermag diese Zahlen daher nicht einzuschätzen.
In Deutschland gibt es immerhin eine halbamtliche Statistik für den Täter-Opfer-Ausgleich, die Vollständigkeit für sich in Anspruch nimmt [6]Kerner, Hans-Jürgen/Hartmann, Arthur, Täter-Opfer-Ausgleich in Deutschland. Auswertung der bundesweiten Täter-Opfer-Ausgleichs-Statistik für den Jahrgang 2005, mit Vergleich zu den Jahrgängen … Continue reading. Sie beginnt 1993 mit einem Fallaufkommen von 1238, erreicht 1999 einen Höhepunkt mit 5177 Fällen und liegt seit 2003 deutlich unter 3000. Wenn man daneben hält, dass jährlich etwa 800.000 Verurteilungen erfolgen, so sind die Zahlen wenig eindrucksvoll.
Auch für die USA fehlt an brauchbaren Globalzahlen. Prause spricht von der Messung des Unmessbaren [7]Prause, Matthias, The Oxymoron of Measuring the Immeasurable: Potential and Challenges of Determining Mediation Developments in the U.S., Harvard Negotiation Review 13, 2008, 132-165.. Er schlägt ein indirektes Messverfahren vor, nämlich einen Mediation Receptivity Index (MRI) nach Analogie des Corruption Perceptivity Index. Andere Autoren verweisen auf den aus der Statistik belegbaren Rückgang förmlicher Urteile, ein Phänomen, das als vanishing trial bzeichnet wird, und schließen daraus auf eine Zunahme von ADR.
Der MRI geht auf einen Vorschlag von Frank E. Sander zurück und ist von Prause operationalisiert worden. Die Ankündigung klingt verheißungsvoll:

»Mediation Receptivity describes the level of use and awareness of mediation as a means to resolve disputes in a particular environment and the level of supporting infrastructure.« (Prause S. 139).

In den Mediation Receptivity Index gehen als »objektive Indikatoren« keine Fallzahlen, sondern Angaben über die vorhandenen Einrichtungen, die Mediation anbieten, über die Mitgliederzahl der Organisationen, die sich um ADR kümmern, über akademische Publikationen zum Thema, über Vorkehrungen der Einzelstaaten zur Implementation des Uniform Mediation Act und über das Vorhandensein eines State ADR Office ein. Als subjektive Elemente kommen Einschätzungen von Experten hinzu. Auf diese Weise sollen die Staaten der USA nach ihrer Mediation Receptivity auf einer Skala von 1 bis 10 eingeordnet werden. Wollte man Deutschland in den MRI einreihen, so gäbe es vermutlich einen guten Platz. Die Zahl der Einrichtungen zur alternativen Streitregelung in den USA liegt heute wohl im vierstelligen Bereich. Aber das ist gar nicht so viel, wenn man die Größe des Landes berücksichtigt und bedenkt, dass es in Deutschland über 5000 kommunale Schlichtungsstellen und allein in Nordrhein-Westfalen 1.258 Schiedspersonen gibt. Landauf, landab treffen sich in Deutschland Mediations-Experten auf Tagungen und Symposien und verkünden ihre positive Einschätzung. Die Literaturproduktion ist erheblich, die Akzeptanz in den Medien groß. Doch all das ändert nichts daran: Alle loben die Mediation, aber niemand verzichtet deshalb auf eine Klage.
In den USA stützt sich der Konsens, dass ADR allgemein akzeptiert werde und auch quantitativ enorm gewachsen sei, auf ein Phänomen, das als »vanishing trial« bekannt ist. Gemeint ist die Tatsache, dass im Laufe der Jahre die Zahl der streitigen Urteile stark zurückgegangen ist. Marc Galanter, der dieses Phänomen näher untersucht hat, fasst es wie folgt zusammen:

»The portion of federal civil cases resolved by trial fell from 11.5 percent in 1962 to 1.8 percent in 2002, continuing a long historic decline. More startling was the 60 percent decline in the absolute number of trials since the mid 1980s. The makeup of trials shifted from a predominance of torts to a predominance of civil rights, but trials are declining in every case category. A similar decline in both the percentage and the absolute number of trials is found in federal criminal cases and in bankruptcy cases. The phenomenon is not confined to the federal courts; there are comparable declines of trials, both civil and criminal, in the state courts, where the great majority of trials occur. Plausible causes for this decline include a shift in ideology and practice among litigants, lawyers, and judges. …Within the courts, judges conduct trials at only a fraction of the rate that their predecessors did, but they are more heavily involved in the early stages of cases. Although virtually every other indicator of legal activity is rising, trials are declining not only in relation to cases in the courts but to the size of the population and the size of the economy.« [8]Galanter, Marc (2004) The Vanishing Trial: An Examination of Trials and Related Matters in Federal and State Courts 1, 459-570, 459 f..

Es liegt nahe, diesen Wandel der wachsenden Bedeutung von ADR zuzuschreiben. Aber der Zusammenhang ist nicht klar. Aber der Trend hält schon viel länger an, und aus der Statistik gibt es keinen Beleg [9]Stipanowich, Thomas J, ADR and the “Vanishing Trial”: The Growth and Impact of “Alternative Dispute Resolution”, Journal of Empirical Legal Studies 1, 2004, 843–912. . Die Zahlen, die genannt werden – 24.000 Verweisungen bei den Bundesgerichten, das entspricht etwa 10 % der Eingänge – sind noch nicht wirklich eindrucksvoll. In einzelnen Staaten – besonders in Florida, Kalifornien und Ohio – erreicht die ADR aber wohl eine Größenordnung von 20 % der Eingänge bei den Gerichten.
In Deutschland ist kein vergleichbarer Schwund des Anteils der streitig entschiedenen Gerichtsverfahren zu beobachten. Das gilt grundsätzlich sowohl für Zivilprozesse wie für Strafsachen. In Zivilprozesssachen hat es allerdings einen einmaligen Rückgang der Urteilsquote um 5 % (von etwa 30 auf 25 %) und einen entsprechenden Anstieg der Vergleichsquote gegeben, und zwar 2001/2002, anscheinend als Folge einer Änderung der Zivilprozessordnung. Immerhin. Eine Erklärung für die andere Entwicklung in Deutschland liegt sicher darin, dass hier die Hürden zum streitigen Urteil viel niedriger liegen als in den USA zum »trial«. Die gerichtsabhängige Mediation ist in Deutschland bisher erst bei einigen Pilotgerichten eingerichtet und allein deshalb noch nicht mengenwirksam.
Die gerichtsunabhängige Mediation hat nur Nischenplätze erobern können. Eine solche Nische bilden Familien- und Ehestreitigkeiten und wohl auch Erbstreitigkeiten. Doch auch dafür gibt es nur eine kleine Klientel, vergleichbar, aber viel kleiner noch, als die Gruppe derer, die in Naturkostläden einkaufen oder für die Versorgung mit Strom aus alternativen Quellen einen höheren Preis in Kauf nehmen. Zahlen habe ich nicht gefunden.
Die professionelle Mediation ist ein personal- und zeitaufwendiges Verfahren. Nur wenige Konflikte rechtfertigen diesen Aufwand. Deshalb konzentriert sich das freie Mediationsangebot auf zwei Felder, in denen es nicht nur Konflikte gibt, sondern auch Geld vorhanden ist, nämlich auf die Mediation bei umstrittenen umweltrelevanten Planungsvorhaben und auf die Wirtschaftsmediation. Für die Umweltmediation wird von der Mediationsindustrie viel Reklame gemacht. Es hat indessen nur wenige Verfahren gegeben, und die waren kaum erfolgreich. [10]Jansen, Dorothea, Mediationsverfahren in der Umweltpolitik. Politische Vierteljahresschrift 38, 1997, 274-297. Ein Positivbeispiel aus Österreich: Kessen/König Eisenbahntrasse Gasteiner Tal, … Continue reading Es fehlt nicht an Beteuerungen, dass die Wirtschaftsmediation immer mehr an Fahrt gewinne und höchst erfolgreich sei. Doch Genaues weiß man nicht. Es gibt eine Menge Literatur, die die Wirtschaftsmediation anpreist, aber nur vereinzelt Berichte über erfolgreich verlaufene Verfahren (z. B. Kraus 1999). In einer Studie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Price Waterhouse Coopers von 2005 [11]Im Internet anscheinend nicht mehr verfügbar. heißt es, dass das Interesse der Wirtschaft an Mediation stark gestiegen sei, betont wird jedoch zugleich der »offenkundige Widerspruch«, dass die Unternehmen zwar versuchten, Streitigkeiten zunächst durch Verhandlungen zu lösen, im Falle des Scheiterns aber meistens direkt den Weg zum Gericht wählten. [12]Eine qualitative Folgestudie aus dem Jahr 2007 versucht vergeblich, diese Inkongruenz zu erklären. Auch wenn man berücksichtigt, dass naturgemäß keine offiziellen Statistiken vorhanden sind und dass die einzelnen Verfahren unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden, müssten doch die Protagonisten konkretere Angaben über Art und Umfang der Verfahren machen können.
Eine befriedigende Erklärung für so viel Mediationsabstinenz sehe ich nicht. Am wenigsten taugt die übliche Begründung, das Publikum sei über die Vorzüge der Mediation nicht hinreichend aufgeklärt und verharre daher im Konfrontationsdenken, die sog. ignorance hypothesis. Dazu und über andere Erklärungen weiterführend McEwen/Milburn S. 25 ff.

Nachtrag vom 4. 3. 2015:
Anscheinend wird Rsozblog gelegentlich gelesen. Jedenfalls bin ich aus dem Niedersächsischen Justizministerium auf die Einträge zur Mediation angesprochen und gebeten worden, am dem nächsten Konfliktmanagementkongress in Hannover teilzunehmen. Es handelt sich immerhin um den 12. Kongress dieser Reihe. Das ist Anlass, die Internetseite mit einigen Daten über die Vorläufer mitzuteilen: http://www.km-kongress.de/.

Der (mir unbekannte) Verband Integrierte Mediation unterhält eine gut gemachte Internetseite. Ganz interessant die Seite »Mythen der Mediation«.

Anmerkungen

Anmerkungen
1 Nachtrag: Der Link, der bei der Abfassung des Artikels noch funktionierte, war im Oktober 2010 tot und die entsprechende Information von der Webseite des Contarini-Instituts an der Fernuni Hagen verschwunden. Die Zahl war wohl aus Prestigegründen erheblich übertrieben.
2 McEwen, Craig A.; Milburn, Thomas W.: Explaining a Paradox of Mediation. In: Negotiation Journal, 1993, S. 23–36.
3 Hopt, Klaus J.; Steffek, Felix (Hg.): Mediation. Rechtstatsachen, Rechtsvergleich, Regelungen, 2008.
4 Hopt/Steffek, S: 77
5 Pißler in Hopt/Steffek S. 627-631
6 Kerner, Hans-Jürgen/Hartmann, Arthur, Täter-Opfer-Ausgleich in Deutschland. Auswertung der bundesweiten Täter-Opfer-Ausgleichs-Statistik für den Jahrgang 2005, mit Vergleich zu den Jahrgängen 2003 und 2004, sowie einem Rückblick auf die Entwicklung seit 1993, Bundesministerium der Justiz, Berlin2008.
7 Prause, Matthias, The Oxymoron of Measuring the Immeasurable: Potential and Challenges of Determining Mediation Developments in the U.S., Harvard Negotiation Review 13, 2008, 132-165.
8 Galanter, Marc (2004) The Vanishing Trial: An Examination of Trials and Related Matters in Federal and State Courts 1, 459-570, 459 f.
9 Stipanowich, Thomas J, ADR and the “Vanishing Trial”: The Growth and Impact of “Alternative Dispute Resolution”, Journal of Empirical Legal Studies 1, 2004, 843–912.
10 Jansen, Dorothea, Mediationsverfahren in der Umweltpolitik. Politische Vierteljahresschrift 38, 1997, 274-297. Ein Positivbeispiel aus Österreich: Kessen/König Eisenbahntrasse Gasteiner Tal, Zeitschrift für Konfliktmanagement 2002, 128 f.
11 Im Internet anscheinend nicht mehr verfügbar.
12 Eine qualitative Folgestudie aus dem Jahr 2007 versucht vergeblich, diese Inkongruenz zu erklären.

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Qualitätsarbeit der Justiz II

Im Anschluss an den Beitrag vom 17. März 2009 zur Qualität richterlicher Entscheidungen ein Nachtrag: Als Beispiel 8 hatte ich einen Bericht des Magazins frontal21 des ZDF vom 24.02.2009 angeführt, nach dem Staatsanwalt und Haftrichter Fluchtgefahr angenommen hatten, weil das Haus des Beschuldigten in der Zwangsversteigerung sei, was tatsächlich nicht zutraf. Da es sich hierbei um einen Umstand handelt, der schnell und eindeutig zu klären ist, muss wohl von einem echten Justizfehler ausgegangen werden. Der Fall stützt leider die Befürchtung, dass der Richtervorbehalt, der gravierende Eingriffe in die Grundrechte überwachen soll, nicht so sorgfältig gehandhabt wird, wie man es erwarten darf. Diese Befürchtung ist vor einigen Jahren durch eine Untersuchung von Otto Backes und Christoph Gusy begründet worden:
Wer kontrolliert die Telefonüberwachung?
Eine empirische Untersuchung zum Richtervorbehalt bei der Telefonüberwachung
Peter Lang Frankfurt, 2003
Hier die Zusammenfassung:

»Polizei und Staatsanwaltschaft dürfen im Ermittlungsverfahren Methoden zur Gewinnung von Informationen über Tat und Täter einsetzen, die massiv in Rechte der Beschuldigten oder der mit ihnen in Verbindung gebrachten Personen eingreifen. Um diese frühzeitigen Eingriffe rechtsstaatlich abzusichern, ist ihre Anordnung grundsätzlich einem Richter vorbehalten. Die auf Aktenanalysen und Interviews beruhende empirische Studie geht der Frage nach, wie der gesetzlich vorgeschriebene Richtervorbehalt bei der Telefonüberwachung in der Praxis gehandhabt wird. Sie führt zu dem Befund, dass die Richter fast immer dem Überwachungsantrag stattgeben und der Richtervorbehalt eher selten auf einer, wie vom Verfassungsgericht gefordert, eigenständigen Entscheidung der Richter beruht.«

Eine Kurzfassung des Abschlussberichts steht im Internet zur Verfügung.

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Qualitätsarbeit der Justiz

Am 19. und 20 März findet in Dresden ein »Symposium Justizlehre« statt, das vom Staatsminister der Justiz und dem Sächsischen Oberverwaltungsgericht veranstaltet wird. Dort soll ich einen Vortrag über »Justiz und Justizverwaltung zwischen Ökonomisierungsdruck und richterlicher Unabhängigkeit« halten. Dafür spielt am Rande auch die Frage eine Rolle, ob Quantitätsdruck in Qualitätsverlust umschlägt. Sie lässt sich nur beantworten, indem man Qualität definiert und kontrolliert.

Was die Qualitätskontrolle der Justiz betrifft, gibt es eine jedenfalls auf den ersten Blick erstaunliche Entwicklung. Lange bestand die Auffassung, die Qualität der Justiz lasse sich außerhalb von Rechtsmittelverfahren in keiner Weise überprüfen. 1981 machte man einen ersten zaghaften Versuch mit einer Tagung der Evangelischen Akademie Bad Boll über »Innere und Äußere Kontrolle der Justiz«. 1993 habe ich in der Deutschen Richterzeitung (S. 301-310) ausführlich über Qualitätskontrolle der Justiz in den USA berichtet. Heute ist die Notwendigkeit einer Qualitätssicherung auch in der Justiz durchgehend akzeptiert. [1]Qualität in der Justiz – Beschluss der Bundesvertreterversammlung des DRB vom 15.11.2002 und des Bundesvorstandes vom 26.4.2007 [http://www.drb.de/cms/index.php?id=487] Inzwischen gibt es mehr oder weniger überall Projekte zum Qualitätsmanagement in den Gerichten. [2]Vgl. den Bericht »Qualitätszirkel der Oberlandesgerichte«, DRiZ 2008, S. 269-271 Allerdings zeigt die Wortwahl, dass es nicht um eine Qualitätskontrolle im engeren Sinne, sondern um prospektive Maßnahmen der Qualitätssicherung oder um ein Qualitätsmanagement im Sinne eines TQM geht.

Die Richterschaft akzeptiert zwar durchaus, dass es auch für ihre Entscheidungstätigkeit verschiedene Qualitätsgesichtspunkte gibt. Sie hält indessen eine für Kontrollzwecke hinreichende Definition für ausgeschlossen.

Die Qualität richterlicher und staatsanwaltschaftlicher Arbeit ist letztlich nicht messbar. Auch wenn Richter und Staatsanwälte sich an der Realisierung dieser Qualitätskriterien ›messen‹ lassen müssen, ist doch die Messbarkeit dieser Kriterien im Sinne einer mathematisch überprüfbaren Analyse zu verneinen. Zwar gibt es objektive Parameter wie Zeitaufwand, Rechtsmittelhäufigkeit, Aufhebungs-, Vergleichs- und Erledigungsquote, Verfahrenskosten u.a. Diese Teilaspekte haben aber keine zwingende Aussagekraft für die Beurteilung der Qualität der Rechtsanwendung. Die richterliche Spruchtätigkeit und die staatsanwaltschaftlichen Entscheidungen sind schöpferische Erkenntnisprozesse, die sich deshalb einer Messung letztlich entziehen. [3]Deutscher Richterbund a. a. O. unter I. 2).

Vor allem aber gilt: Für eine (justizinterne) Kontrolle, die auf konkrete Entscheidungen eingeht, kommen nur die gesetzlich vorgesehenen Rechtsmittel in Betracht. [4]Hans-Jürgen Papier, Die richterliche Unabhängigkeit und ihre Schranken, NJW 2001, 1089 -1094 [1094]. Es mag dahinstehen, ob es wirklich ausgeschlossen ist, positive Qualitätsmerkmale von Verfahren und Entscheidungen in einer Weise zu definieren, dass sie kontrollierbar werden. Aber jedenfalls kann man sich doch in vielen Fällen darauf einigen, dass eine bestimmte Handhabung des Verfahrens oder eine Entscheidung mangelhaft ist. Das habe ich bereits vor längerer Zeit einmal darzustellen versucht. [5]Fehler in Gerichtsentscheidungen, in: Helmuth Schulze-Fielitz/Carsten Schütz (Hrsg.) Justiz und Justizverwaltung zwischen Ökonomisierungsdruck und Unabhängigkeit, Duncker & Humblot, Berlin, … Continue reading

Jetzt habe ich mich erneut nach einigen Beispielen für Qualitätsmängel umgesehen. Sie sollen zeigen, dass man Qualitätsmängel ganz konkret benennen kann. Darüber hinaus dürfen die Beispiele nicht verallgemeinert werden, denn sie sind ganz unsystematisch zusammengetragen worden. Aber man sollte sie auch nicht bagatellisieren. Immerhin war es nicht schwer, binnen weniger Tage zehn Beispiele zusammen zu tragen.

Beispiel 1:
Komplizierter Bauprozess vor der Kammer des Landgerichts Irgendwo im Januar 2009. Die Partei, von der die Informationen stammen, berichtet, der Berichterstatter habe die Ausdrücke »Scheiß« und »Mist« gebraucht. Während sie mit ihrem Anwalt zur Beratung über einen Vergleichsvorschlag auf den Flur gewesen sei, sei der Gegenanwalt mit der Bemerkung, er habe dem Gericht etwas zu erzählen, allein mit den Richtern im Gerichtssaal zurückgeblieben; bei ihrer Rückkehr in den Gerichtssaal seien Gegenanwalt und Gericht in eine Unterhaltung vertieft gewesen. Um 15 Uhr betritt eine Reinmachefrau den Gerichtssaal. Sie erklärt dem Berichterstatter, er habe einen Termin. Auf Nachfrage wird sie deutlicher: »Ihre Frau erwartet Sie.« Die Sitzung wird prompt beendet. Auch für die Durchsicht des Protokolls blieb später wohl keine Zeit:

In dem Rechtsstreit pp. erschienen bei Aufruf der Sache:
1. Der Kläger und Rechtsanwalt A
2. der Beklagte und Rechtsanwalt B.
Die Sach- und Rechtslage wurde erörtert. Der Kläger wird darauf hingewiesen, dass die Mängelbeseitigungskosten bisher immer noch nicht substantiiert dargelegt sind. Insbesondere fehlt es an einem Vortrag darüber, wie die Arbeiten, die die Firma Hausbau ausgeführt hat, abzugrenzen sind von den Arbeiten weiterer am Bauvorhaben beteiligter Unternehmen einzugrenzen sind. Soweit die Firma Hausbau Grömitz in Auftrag gegebene Arbeiten nicht ausgeführt hat, wäre hierfür eine Vergütung zu zahlen gewesen soweit insoweit über Zahlungen des Klägers der Vergütung für nicht erbrachte Arbeiten hätten entgegengehalten werden können bisher auch nicht substantiiert inwieweit der Beklagte solche Überzahlungen kannte bzw. damit rechnen musste. Gutachten datiert erst vom 31.08.2005, aus dem sich solche Überzahlungen ergeben.

Der vorstehende Text ist – bis auf die veränderten Namen – Buchstabe für Buchstabe aus dem Protokoll herauskopiert. Nun hoffen die Beteiligten, dass das Urteil etwas sorgfältiger abgefasst ist – oder sie befürchten das Schlimmste.

Beispiel 2:
Erbschaftssache von dem Einzelrichter des Landgerichts. Anwalt und Partei müssen sich anhören: »Mit son’m Scheiß muss ich mich den ganzen Tag herumschlagen. Sonst entscheiden wir über Verkehrsunfälle, wo es um Leben und Tod geht.«
Im Anschluss an die Verhandlung macht der Richter einen schriftlichen Vergleichsvorschlag. Es sollen 10.000 EUR verteilt werden. Davon soll der Kläger ¼ und der Beklagte ¾ erhalten. Der Vorschlag lautet dann: Der Beklagte zahlt an den Kläger 2.000 EUR. Auf den Rechenfehler hingewiesen erklärt der Richter, es bleibe bei dem Vergleichsvorschlag.

Beispiel 3:
Amtsgericht in Ruhrgebiet. Ein Rechtsanwalt, der die Partei im Verfahren um den Versorgungsausgleich vertreten hatte, klagt sein Honorar für die Vertretung in einem Beschwerdeverfahren vor dem Oberlandesgericht ein. Die Beschwerde war von der Rentenversicherung eingelegt worden, weil das Familiengericht von falschen Daten ausgegangen war. Darauf hatte sich der klagende Anwalt für den beklagten Beschwerdebeteiligten gemeldet. Im Ergebnis wurde der Verteilungsbeschluss allerdings nur minimal um wenige Cent geändert. Der Beklagte wendet ein, das Honorar sei höher als der Beschwerdewert. Der klagende Anwalt macht geltend, um das zu erkennen, habe er sich die Beschwerde ansehen müssen, und damit sei der Honoraranspruch schon entstanden. In der Verhandlung über den Honoraranspruch gibt der Amtsrichter zu erkennen, dass er die Einwendung des Beklagten für unerheblich halte, und schlägt einen Vergleich vor. Der Kläger lehnt ab. Darauf wird die Klage abgewiesen mit der Begründung, hier müsse gelten (wörtlich) »Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem anderen zu«.

Beispiel 4:
Eine Privatklinik hat gegen einen Patienten nach einem Krankenhausaufenthalt eine Forderung von über 30.000 EUR. Der Patient – jetzt: der Schuldner – hat Versicherungsleistung und Beihilfe kassiert, aber nicht gezahlt. Die Klinik – jetzt: der Gläubiger – hat einen Vollstreckungsbescheid erwirkt und betreibt die Zwangsversteigerung eines Mietshauses. Am 4. 10. 2007 ist Versteigerungstermin und am Ende ergeht ein Zuschlagsbeschluss. Dagegen legt der Schuldner am 5. 11. Beschwerde ein, da er, obwohl anwesend, zu dem Verzicht auf Einzelausgebote nicht befragt worden sei. Zugleich beantragt er Protokollberichtigung, denn der Rechtspfleger habe ihn nicht im Protokoll aufgeführt, obwohl er anwesend gewesen sei und sich zu Beginn des Termins legitimiert habe. Am 30. 5. 2008 sendet das Landgericht, bei dem die Akten ruhen, diese zurück an das Amtsgericht zur Protokollberichtigung. Am 23. 6. berichtigt der Rechtspfleger das Protokoll dahin, dass der Schuldner erst zu einem Zeitpunkt nach Verkündung des Zuschlagsbeschlusses als anwesend festgestellt wurde. Am 13. 8. 2008 gibt das Landgericht dem Schuldner eine Frist zur Stellungnahme binnen vier Wochen. Eine Stellungnahme erfolgt nicht. Auf wiederholte Sachstandsanfragen erhält der Gläubigeranwalt schließlich am 28. 1. 2009 die Nachricht:

In pp. wird mitgeteilt, dass wegen Überlastung der Kammer und zahlreicher vorrangig zu bearbeitender Sachen bis auf weiteres nicht mit einer Entscheidung gerechnet werden kann.

Auf telefonische Nachfrage im Februar 2009 erhält der Anwalt vom Vorsitzenden die Auskunft, bei dem (großen) Gericht sei ein Richter abgezogen worden. Strafsachen hätten nun Vorrang. Ein Zeitpunkt für die Entscheidung sei nicht abzusehen. Der Anwalt möge sich doch an die Ministerin wenden. Aber dann ergeht am 4. März doch ein Beschluss, der auf einer halben Seite die Beschwerde zurückweist. [6]Ein kleiner Lichtblick ist das Urteil des BGH Urteil vom 11. Januar 2007 – III ZR 302/05. Darin wurden einem Grundstückseigentümer Ansprüche aus einem enteignungsgleichen Eingriff und … Continue reading

Beispiel 5:
Anwälte haften für den kleinsten Fehler, während die Gerichte, die ihre Haftungsblitze in alle Richtungen schleudern, selbst gegen jede Fehlerhaftung immun sind. Pikant sind die Fälle, in denen Anwalt und Gericht gleichermaßen Fehler unterlaufen sind.
Ein Hauseigentümer hatte die Mieter seiner Wohnungen auf Zahlung von Nebenkosten verklagt. Streitig war, ob diese zur anteiligen Zahlung von Versicherung und Grundsteuer verpflichtet waren. Das Amtsgericht gab der Klage statt mit der Begründung, die Mieter hätten durch jahrelange widerspruchslose Zahlung der Umlage einer entsprechenden Änderung des schriftlichen Mietvertrages zugestimmt. Nun ging der Kläger zum Anwalt. Der legte Berufung ein. Jetzt wurde die Klage abgewiesen, weil vorbehaltlose Zahlungen von Mietern, die auch auf Rechtsirrtum beruhen könnten, nicht zu einer Vertragsänderung führten.
Der Anwalt verlangt nunmehr vom Kläger sein Honorar. Dieser lehnt ab, weil der Anwalt das Landgericht nicht auf die Entscheidung des BGH vom 29. 5. 2000 [7]NJW-RR 2000, 14639. über die stillschweigenden Abschluss einer Vereinbarung über zu tragende Nebenkosten durch jahrelange Übung hingewiesen hatte. Der Gebührenstreit ging bis zum BGH und der entschied, dass das Versäumnis des Gerichts den Anwalt nicht entlaste. [8]U vom 18. 12. 2008 – IX ZR 179/07, NJW Spezial 2009 126.

Beispiel 6:
Ein Rechtsanwalt erhebt Scheidungsklage. Richtigerweise hätte er auf Feststellung des Nichtbestehens der Ehe klagen müssen, da die Ehe tatsächlich nichtig war. Obwohl der Sachverhalt vollständig und richtig mitgeteilt worden war, verkennt auch das Familiengericht die Rechtslage und scheidet die Ehe. [9]BGH U. v. 13. 3. 2003 – IX ZR 181/99, NJW-RR 2003, 850 – auch hier geht es um die Haftung des Anwalts.

Beispiel 7:
Nach BGHZ 174, 205: In diesem Fall hatte der Anwalt den Sachverhalt für eine Amtshaftungsklage schlüssig vorgetragen. Das Gericht hatte die Klage fälschlich abgewiesen. Zusätzlich hatte der Anwalt den Schaden zu niedrig berechnet. Der BGH ließ ihn in voller Höhe haften.

Beispiel 8:
24.02.2009: Das Magazin frontal21 des ZDF berichtet: Ein pensionierter Verfassungsschützer wird als mutmaßlicher Erpresser von einem Sondereinsatzkommando der Polizei verhaftet. Dann stellt sich heraus: Er ist Opfer einer Verwechslung.
Der Lidl-Konzern hatte einen Erpresserbrief erhalten. Der Brief kam aus dem Internetcafe einer Spielhalle. Die Polizei hatte deshalb den Spielhallenbetreiber um Hilfe gebeten. Tatsächlich kehrte der Erpresser zurück, und als er das Internetcafe verließ, wurde er von dem Betreiber beobachtet. Der verwechselte aber das Auto des Erpressers mit einem Auto, in dem ein völlig unbeteiligtes Ehepaar saß. Zwei Tage später stürmt ein Sondereinsatzkommando der Polizei deren Haus und beide werden verhaftet. Noch im Lauf der Vernehmung erfährt die Polizei, dass der wirkliche Erpresser sich erneut gemeldet hat und die Verhafteten werden natürlich entlassen.
Eine bedauerliche Verwechslung, lässt die Staatsanwaltschaft verlauten. So weit so gut. Das kann passieren. Was aber nicht passieren darf, ist die Begründung des Haftbefehls für die Fluchtgefahr. Sie lautet nach dem ZDF-Bericht: »Zwar verfügt der Beschuldigte noch über einen festen Wohnsitz. Dieser soll jedoch zwangsversteigert werden, so dass es an tragfähigen sozialen Bindungen fehlt.«
Bei dem Beschuldigten handelte es sich um einen pensionierten Oberamtsrat des Verfassungsschutzes, der seit Jahrzehnten verheiratet und mit seiner Frau schuldenfrei im eigenen Haus lebt. Das hätten weder Staatsanwalt noch Amtsrichter übersehen dürfen. Die Staatsanwaltschaft Heilbronn, die den Haftbefehl beantragte, findet jedoch, die Verhaftung sei »nicht zu beanstanden gewesen«.

Beispiel 9
Das Landgericht hatte entgegen der zwingenden Vorschrift des § 246 Abs. 3 S. 5 AktG versäumt, mehrere Anfechtungsklagen zu verbinden. Im Kostenfestsetzungsverfahren stellte sich die Streithelferin, deren Kosten die Beklagte zu erstatten hatte, auf den Standpunkt, dass jedes Beschlussanfechtungsverfahren eine eigene Angelegenheit im Sinne des RVG bilde, und machte für jedes Verfahren besondere Anwaltsgebühren geltend. Die Beklagte trat der mehrfachen Festsetzung der Kosten entgegen, weil die Verfahren zu verbinden gewesen wären, und legte schließlich gegen den die beantragten Kosten zusprechenden Kostenfestsetzungsbeschluss Rechtsmittel ein. OLG Zweibrücken entschied mit Beschluss vom 09.02.2009 – AZ 4 W 98/08-, dass der Rechtspfleger im Kostenfestsetzungsverfahren von getrennten Verfahren ausgehen müsse. Das gesetzwidrige Versäumnis des Landgerichts könne im Kostenfestsetzungsverfahren auch unter dem Gesichtspunkt der »Notwendigkeit« der Kosten nicht mehr korrigiert werden.
Beispiel 10:
Ein Autofahrer wird von einer Rotlichtampel geblitzt. Gegen den Bußgeldbescheid legt er Einspruch ein, den sein Verteidiger wie folgt begründet:

1. Es wird nicht in Abrede gestellt, dass der Betroffene der Fahrer des Wagens war, der auf den Bildern zu sehen ist.
2. Zwischen der ersten und der zweiten Aufnahme, die im Abstand von 1,1 Sekunden gemacht wurden, hat sich das Fahrzeug des Betroffenen höchstens um eine Fahrzeuglänge bewegt. Die Geschwindigkeit betrug also nur etwa 15 km/h. Das ist ungewöhnlich für einen Rotlichtverstoß.
3. Fahrer und Beifahrer haben den Kamerablitz wohl bemerkt. Der Beifahrer hat sofort gesagt: Das hat wohl einem anderen Fahrzeug gegolten. Wir sind noch eindeutig bei Gelb in die Kreuzung eingefahren.
4. Die Behörde hat zwar die Kopie einer Eichbescheinigung für eine Kamera vorgelegt. Es lässt sich jedoch nicht erkennen, dass die geeichte Kamera und die auf der Kreuzung identisch sind.

Die Behörde gibt die Sache kommentarlos über die StA an das Amtsgericht ab. Nun kommt die Anfrage des Amtsrichters an den Verteidiger:

In pp. haben Sie … Einspruch …eingelegt.
Diesen Einspruch haben sie nicht begründet oder zumindest nicht erklärt, ob Sie auch gegen die
Richtigkeit der Messung (Rotlicht)
die Identität des Fahrers anzweifeln
wenden.

Nun fragt sich der Betroffene: Wenn der Richter nicht einmal die Akten liest und auch keinen korrekten Satz schreiben kann, was darf man dann wohl noch von ihm erwarten? Da fällt es schon nicht mehr ins Gewicht, dass der Richter auch noch eine Vollmacht anfordert, obwohl der Betroffene bereits mit seinem Einspruchsschreiben an die Behörde seinem Verteidiger Vollmacht erteilt hatte.

Nachträge:

Thesen für das Wochenendseminar »Justiz in der Modernisierungsfalle?« am 29./30. Januar 2000 in Hamburg
Arbeitsgruppe 3 – Kann Qualität gemessen werden? Qualitätsinstrumente und Qualitätsmessung.

Dazu jetzt: Jordan M. Singer, Judicial Performance Evaluation in the States: The IAALS JPE 2.0 Pre-Convening White Paper (May 1, 2022). New England Law | Boston Research Paper No. 23-01,  SSRN 505778.

 

Anmerkungen

Anmerkungen
1 Qualität in der Justiz – Beschluss der Bundesvertreterversammlung des DRB vom 15.11.2002 und des Bundesvorstandes vom 26.4.2007 [http://www.drb.de/cms/index.php?id=487]
2 Vgl. den Bericht »Qualitätszirkel der Oberlandesgerichte«, DRiZ 2008, S. 269-271
3 Deutscher Richterbund a. a. O. unter I. 2).
4 Hans-Jürgen Papier, Die richterliche Unabhängigkeit und ihre Schranken, NJW 2001, 1089 -1094 [1094].
5 Fehler in Gerichtsentscheidungen, in: Helmuth Schulze-Fielitz/Carsten Schütz (Hrsg.) Justiz und Justizverwaltung zwischen Ökonomisierungsdruck und Unabhängigkeit, Duncker & Humblot, Berlin, 2002, S, 67-97.
6 Ein kleiner Lichtblick ist das Urteil des BGH Urteil vom 11. Januar 2007 – III ZR 302/05. Darin wurden einem Grundstückseigentümer Ansprüche aus einem enteignungsgleichen Eingriff und prinzipiell auch Amtshaftungsansprüche zugesprochen, weil er zu lange auf eine Grundbucheintragung warten musste. Im Leitsatz heißt es:

»Der Staat hat seine Gerichte so auszustatten, dass sie die anstehenden Verfahren ohne vermeidbare Verzögerung abschließen können (hier: übermäßige Dauer der Bearbeitung von Anträgen durch das Grundbuchamt wegen Überlastung). Die Erfüllung dieser Verpflichtung kann den Justizbehörden insgesamt als drittgerichtete Amtspflicht obliegen (teilweise Abweichung von BGHZ 111, 272).«

7 NJW-RR 2000, 14639.
8 U vom 18. 12. 2008 – IX ZR 179/07, NJW Spezial 2009 126.
9 BGH U. v. 13. 3. 2003 – IX ZR 181/99, NJW-RR 2003, 850 – auch hier geht es um die Haftung des Anwalts.

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»Anti-Court-Movement«

Unter dem Chief Justice Earl Warren war der US Supreme Court eine Speerspitze des Liberalismus. Inzwischen dominieren unter Rehnquist und nach dessen Tod seit 2005 unter John Roberts konservative Kräfte das Gericht, und sie kassieren Gesetze und Präjudizien, die nicht nach ihrem Geschmack sind. So jedenfalls sieht es eine wachsende Gruppe linksliberaler Rechtswissenschaftler in den USA, die deshalb auf unterschiedliche Weise die Macht des Verfassungsgerichts zurückdrängen wollen. Ihre Kritik richtet sich nicht speziell gegen die Entscheidung bestimmter einzelner Fälle, sondern sie machen geltend, dass Gericht zu viele Fälle an sich ziehe und zu wenig Entscheidungen der Politik überlasse. Anwälte und Gerichte behandelten Konflikte, die besser durch das Wahlvolk entschieden würden. In einer Rezensionsabhandlung in Law & Social Inquiry 33 (2008) 1071-1110 geht Josh Benson diesem »Anti-Court-Movement« nach. Dazu bespricht er Bücher von Larry D. Kramer (The People Themselves: Popular Constitutionalism and Judicial Review, 2004), Jeffrey Rosen (The Most Democratic Branch: How the Courts Serve America, 2006) Cass R. Sunstein (One Case at a Time: Judicial Minimalism and the Supreme Court, 1999) und Mark V. Tushnet (Taking the Constitution Away from the Courts, 1999). Diese Kritik, so Benson, habe in der politischen Öffentlichkeit eine enorme Wirkung. »Restraint« und »minimalism« seien zu neuen Leitideen geworden. Neben der ökonomischen Analyse des Rechts könnte das »Anti-Court-Movement« zum stärksten Impuls werden, der von der Wissenschaft in den letzten Jahrzehnten ausgegangen sei. In seinem lesenswerten Besprechungsaufsatz geht Benson den historischen Wurzeln und den aktuellen Ausprägungen dieser Gerichtskritik nach, nicht ohne auf die Dilemmata der liberalen Minimalisten hinzuweisen: Den judicial activism des Warren Court fanden sie gar nicht so schlecht. Und der Richter John Roberts, der sich 2005 bei seiner Anhörung im Parlament als Minimalist gab, scheint sich nun doch ganz anders entwickelt zu haben.
Benson endet:

In the 1930s, the first liberal Anti-Court Movement bloomed. Its history, though tumultuous, is at least familiar. The Anti-Court idea is one liberals habe embraced before, then turned against, then embraced again. As Mark Twain observed, the past does not repeat itself, but it rhymes.

Das schöne Twain Zitat ergibt den Titel von Bensons Essay.
Hier noch zwei Internetquellen zum Thema:
In einer ausführlichen Rezension des Buchs von Larry D. Kramer, The People Themselves, haben Larry Alexander und Lawrence B. Solum dem Konzept des Popular Constitutionalism Unklarheit und Widersprüchlichkeit vorgehalten: Popular? Constitutionalism?, Harvard Law Review 118 (2005) 1594-1640. Verfügbar bei SSRN: http://ssrn.com/abstract=692224.
Ob der »Roberts Court« tatsächlich als konservativ gelten muss, ist durchaus kontrovers. Dazu Jonathan H. Adler, Getting the Roberts Court Right: A Response to Chemerinsky (November 2008), verfügbar bei SSRN: http://ssrn.com/abstract=1307177. Aus dem Abstract:

Reviewing the Court’s decisions over the past three years, Dean Chemerinsky concludes that the Roberts Court is the “the most conservative Court since the mid-1930s.” This is a substantial overstatement. The Roberts Court appears moderately more “conservative” than its predecessors in some contexts, but is also quite “liberal” in others. Its decisions on enemy combatants, capital punishment, and standing, among other issues, could hardly be characterized as “conservative,” however this term is defined. Furthermore, any assessment of the Roberts Court at this point is necessarily tentative. The current roster of justices have sat together for less than three full terms, and the small size of the docket means any single term provides an unrepresentative picture of the Court’s jurisprudence. While the Roberts Court may eventually show itself to be a conservative court, there is no basis at present to claim the Court is the “most conservative” in over seventy years.

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Tamanaha über das problematische Erbe der Legal Realists

Brian Z. Tamanaha ist einer der aktivsten und interessantesten Autoren auf dem Gebiet der Rechtssoziologie und Rechtstheorie in den USA. Er versteht es immer wieder, lang eingefahrene Gedankengänge aus dem Gleis zu werfen. Im Social Science Research Network (SSRN) sind zurzeit fünf jüngere Arbeiten verfügbar. Die vollständigen bibliographischen Angaben kommen gleich ins Fundbüro. Hier nur die Titel und der Link:
A Concise Guide to the Rule of Law (2007)
The Dark Side of the Relationship between the Rule of Law and Liberalism, Januar (2008)
Law (Oxford International Encyclopedia of Legal History, 2008)
The Bogus Tale About the Legal Formalists (April 2008)
Understanding Legal Realism (Mai 2008)
The Distorting Slant of Quantitative Studies of Judging (November 2008).
In der letztgenannten Arbeit kritisiert Tamanaha die Politikwissenschaft, die sich bei ihren Untersuchungen über richterliches Entscheidungsverhalten von einem Mythos leiten lasse. Rechtssoziologie im 20. Jahrhundert wäre ohne die Legal Realists nicht denkbar. Aber sie haben ein problematisches Erbe hinterlassen, nämlich die Vorstellung, dass Juristen, Richter wie Wissenschaftler, tatsächlich selbst an das Lückenlosigkeitsdogma und das Subsumtionsdogma geglaubt hätten. Die Legal Realists haben aber nur explizit gemacht und auf die Spitze getrieben, was Juristen eigentlich immer schon wussten. Das hatte jedoch zur Folge, dass nunmehr die Vorstellung, Juristen hätten tatsächlich an die Möglichkeit einer mechanischen Jurisprudenz geglaubt, das 20. Jahrhundert beherrschte. Tamanaha spricht von einem »Bogus Tale about the Legal Formalists«. Darauf hat sich alsbald die Politikwissenschaft gestürzt, um nachzuweisen, dass im Gegenteil alles Recht politisch sei. In ihrer Fixierung auf einen Popanz habe sie dabei übersehen, dass die Wahrheit in der Mitte liege und dass eben doch juristische Entscheidungen mehr oder weniger durch Recht geleitet würden. Hier Tamanahas eigene Zusammenfassung:

One of the hottest areas of legal scholarship today involves quantitative studies of judging. This article will attempt to shift the current orientation of this work by making two basic points. The first point is that the field was born in a collection of false beliefs and misunderstandings about the formalists and the realists which has distorted how political scientists have modeled judging and how they have designed and interpreted their studies. Rather than conduct an open inquiry into the nature of judging, political scientists set out to debunk formalism by proving that judging is infused with politics, a mission that warped the development of the field.
The second point is that the results of their studies below the Supreme Court strongly confirm what judges have been saying for many decades – that their judicial decisions are substantially determined by the law. Political scientists have tended to repress this finding, however, by focusing on the wrong point: repeating time and again that their studies show that politics matters without also emphasizing that it matters very little. A balanced realism about judging accepts that – owing to the uncertainty of law and the inherent limitations of human decision makers – it is inevitable that there will be a certain (minimal) degree of political influence in judicial decision making, but this does not detract from the broader claim that judges can and usually do rule in accordance with the law.

Nachtrag vom 24. Mai 2010:
Die drei zuletzt genannten Manuskripte Tamanahas sind in sein in diesem Jahr bei Princeton University Press erschienenes Buch »Beyond the Formalist-Realist Divide« eingegangen. Auf die ersten beiden habe ich noch einmal in einem Posting vom 14. Mai 2010 Bezug genommen.

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Dissertationsthema: Rechtsfragen der Verwendung von audiovisuellen Medien bei Gericht

»More and more lawyers are using digital technologies, including PowerPoint, computer animations, trial presentation software such as Sanction II and Trial Director, and digital video, to create and display evidence and arguments.« So beginnt ein Aufsatz von Neil Feigenson, Digital Visual and Multimedia Software and the Reshaping of Legal Knowledge, in: Anne Wagner/William Pencak, Images in Law, Ashgate, Aldershot, 2006, S. 89-116. Darüber hatte bereits Stefan Ulbrich für unser Projekt »Visuelle Rechtskommunikation« unter dem Titel »Bilder in der forensischen Praxis« berichtet. Ich greife das Thema wieder auf, weil auf einer Tagung zur Rechtsvisualisierung, die kürzlich in München stattgefunden hat, die Niederländerin Susanne Hoogwater die Tätigkeit ihrer Firma Legal Visuals vorstellte, mit der sie in Denver und Utrecht aktiv ist. Dabei geht es um visuell gestützte Präsentationen für den Gerichtssaal, die aber auch im Vorfeld in Firmen und Anwaltsbüros Verwendung finden können. Zwar hatte ich den Eindruck, dass das Geschäft noch nicht so richtig blüht. Dennoch: Früher oder später werden auch bei uns die Anwälte mit mediengestützten Präsentationen im Gerichtssaal aufwarten wollen. In den USA träumen auch die Justizverwaltungen längst vom Electronic Courtroom. Hierzulande rüsten inzwischen Strafverteidiger auf mit dem, was sie Visual Advocacy nennen. Damit stellt sich die Frage, wie solcher Mediengebrauch sich mit den Prozessmaximen der Mündlichkeit und der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme verträgt. Auf der erwähnten Münchener Tagung befasste sich Burkhard Schafer, Edinburgh, u. a. mit der Unterscheidung zwischen visuellen Darstellungen, die unmittelbar dem Beweis dienen, und anderen, die nur die Beweisführung verdeutlichen. Aber das ist nur eine von vielen Fragen, die beantwortet werden müssen. Sicher ist auch Rechtsvergleichung angesagt. Das ist vermutlich ein lohnendes Dissertationsthema.

Nachtrag:
In dem Großverfahren gegen Alexander Falk wegen Betruges hat die Verteidigung mehrfach Powerpoint-Präsentationen eingesetzt. Man findet diese auf einer Webseite der Verteidigung.

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Selbstverwaltung der Justiz ist wieder Thema

Am. 7. und 8. November gibt es in der Universität Frankfurt a. M. eine Tagung »Zur richterlichen Unabhängigkeit in Europa – Modelle von Selbstverwaltung und Selbstverantwortung«. Ich nehme das zum Anlass, meinen Aufsatz »Selbstverwaltung für die Dritte Gewalt«, der 2002 in der Juristenzeitung (S. 838-847)  erschienen ist, hier ins Netz zu stellen: roehl_selbstverwaltung2

Bei dieser Gelegenheit: Ich habe eine Sammlung von Materialien und Kopien zum Thema Justizverwaltung (Court Management) aus den letzten 20 Jahren — etwa zwei Umzugskartons — sowie die Deutsche Richterzeitung von 1955 bis 2001 (gebunden) abzugeben. Abholung in Bochum ist erforderlich.

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Dissertationsthemen sind knapp

Die meisten juristischen Dissertationen sind vom Ergebnis her gesehen überflüssig wie ein Kropf – heute muss man vielleicht sagen, überflüssig wie ein Posting im Weblog. Sie verschwinden ungelesen in den Bibliotheken. Das ist nicht schlimm, denn jedenfalls für den Promovenden bringt die Dissertation eine wichtige Arbeitserfahrung und den ersehnten Titel. Schlimm ist es aber, wenn Promovenden wegen ungeeigneter Themen wertvolle Lebensjahre verlieren.

Ein Thema ist geeignet, wenn es relevant und im Einmannbetrieb in maximal zwei Jahren zu bearbeiten ist. Von diesen zwei Jahren sollte nur ein Jahr Vollzeittätigkeit erfordern. Für das zweite Jahr sollte, je zur Hälfte als Vorbereitung und Nachbereitung, eine Teilzeitbeschäftigung ausreichen.

Solange ich noch selbst Doktoranden annahm, habe ich ihnen immer gesagt, ihre erste und wichtigste Leistung sei die Entscheidung für ein relevantes und bearbeitbares Thema. Als Emeritus nehme ich zwar selbst grundsätzlich keine Doktoranden mehr an. Aber von Zeit zu Zeit, wenn mir etwas auffällt oder einfällt, will ich doch an dieser Stelle Themenvorschläge machen, die ich für geeignet halte. Heute begnüge ich mich damit, auf meine Webseite zum Gerichtsmanagement zu verweisen, wo unter »Desiderata« einige Themen genannt sind.

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