Zurück zu den Emotionstheorien der Psychologie

Dies ist die sechsteFortsetzung des Eintrags über den Emotional Turn und die Rechtswissenschaft.

Zurück zu den Emotionstheorien der Psychologie. Auch Damasios quasi-biologische Theorie sagt uns nicht, welche Reize mit welchen Emotionen beantwortet werden. Wir erfahren, die positive oder negative Sortierung sei teils angeboren, teils werde sie individuell oder sozial gelernt. Die körperlichen Spuren, von Damasio Marker genannt, bewirken dann die gefühlsmäßige Tönung neuer Situationen. So bleiben alle interessanten Fragen offen.

Bewertungstheorien (Appraisal Theories)

Die Frage nach angeborenen Auslösern von Emotionen bleibt vom soziobiologischen Ausgangspunkt her umstritten. Dagegen besteht anscheinend Konsens, dass Kognitionen im weitesten Sinne Emotionen auslösen können. Das besagen die Bewertungs- oder Einschätzungstheorien, die deshalb auch als kognitive Emotionstheorien bezeichnet werden.

»In vielen Situationen scheint nicht der objektive Sachverhalt, sondern vielmehr die subjektive Einschätzung der Sache bestimmend für das Auftreten einer Emotion zu sein. Letztere Annahme bildet den Kern von kognitiven Theorien der Emotionsentstehung,«[1]

Am Anfang stand das Werk von Magda B. Arnold (1960). Sie definierte:

»Summing up our discussion we can now define emotion as the felt tendency toward anything intuitively appraised as good (beneficial), or away from anything intuitively appraised as bad (harmful). This attraction or aversion is accompanied by a pattern of physiological changes organized toward approach or withdrawal. The patterns differ for different emotions.«[2]

Es ist plausibel, dass eine Person positive bzw. negative Gefühle entwickelt, je nach dem wie sie ein Ereignis »einschätzt«. Doch woher nimmt sie das Wissen oder den Glauben, das ein Ereignis für sie gut bzw. ungut sei? Ob eine Erfahrung »angenehm ist« wird kaum durch eine reflektierte Entscheidung ermittelt, sondern ergibt sich gleichsam automatisch oder, wie Arnold fomulierte, intuitiv. Doch woher kommt diese Intuition? Nach welchen Kriterien entscheidet sie? Wie werden Situationen wiedererkannt? Wie werden unterschiedliche Wahrnehmungen akkumuliert?

Aktuelle Bewertungstheorien begreifen Emotionen nicht als Zustand, sondern als einen Prozess.[3] Sie unterscheiden zwar zwischen primary und secondary appraisal.[4] Aber sie befassen sich kaum mit der Frage, ob und wie die Erstbewertung programmiert ist. Sie suchen insoweit insbesondere nicht nach neurologischen Grundlagen. Die Erstbewertung beschränkt sich auf eine Einschätzung der Situation als positiv, negativ oder irrelevant. Dieser Prozess soll ohne Bewusstseinsbeteiligung ablaufen[5], er müsste also irgendwo im Unterbewusstsein programmiert sein. Ich verstehe diese Bewertungstheorien dahin, dass sie ein Gerüst von Basisemotionen voraussetzen und dass bereits die emotionale Erstreaktion durch akkumulierte Lernvorgänge programmiert wird. Die Zweitbewertung evaluiert dann die Erstreaktion und verfolgt ferner Chancen, Mittel und Wege zum Umgang mit der Situation.

So hatte es im Grunde schon Arnold gesehen. Sie betonte, die Bewertung (appraisal) sei nicht die Emotion selbst, sondern erst deren Folge. In vielen Situationen bewerte man Objekte aller Art als positiv oder negativ, ohne dass dadurch Emotionen angesprochen würden. Die Bewertung, die eine Emotion hervorrufe, sei nicht abstrakt oder das Ergebnis einer Reflexion. Sie sei vielmehr unmittelbar und unwillkürlich.

»There must be a psychological capacity of appraising how a given thing will affect us, wether it will hurt or please us, before we can want to approach or avoid it. To call upon mere ›learning‹, ›past experience‹, or the ›conditioned reflex‹ for an explanation is futile.«[6]

Hier taucht ein Grundproblem der Appraisal-Theorien auf, wenn sie behaupten, die Bewertung sei zunächst ein Element der Emotion und zugleich deren Ursache.[7] Dieser Zirkel löst sich aber auf, wenn man zwischen der emotional-evaluativen Erstreaktion und dem Gefühlsmanagement unterscheidet. Die Erstreaktion ist dann von einem »Programm« gesteuert, dass aus teils angeborenen, teils habitualisierten Basisemotionen entstanden ist, und der von der Erstreaktion evozierte Zustand wird durch erneute Bewertung bestätigt oder korrigiert. Kognitiv im Laiensinne ist nur die Zweitreaktion.

Die konstruktivistische Zwei-Faktoren-Theorie

Der soziologische Konstruktivismus, insbesondere in seiner Gestalt als Praxistheorie, versteht den Menschen mit seiner Psyche schlechthin als das Produkt sozialer Praktiken. Für die Praxistheorie gibt es keine dispositionellen Variablen, also keine genetische Ausstattung und damit keine vorsozialen Emotionen und Gefühle. Sie betrachtet die Psyche als unbeschriebenes Blatt. Aber auch hier gilt: »Ein Blatt ist ein Blatt«, das heißt: »The medium is the message«. Selbst als »unbeschriebenes Blatt« hält die Psyche eine überindividuelle Funktionsarchitektur bereit, die für die Aufnahme und Verarbeitung von natürlichen und sozialen Reizen zuständig ist.

Für »moderne« konstruktivistische Emotionstheorien trifft die soziale Praxis auf ein Dispositiv von Rohgefühlen (core affect). Bei Russel[8] liest sich das so:

»At the heart of emotion, mood, and any other emotionally charged event are states experienced as simply feeling good or bad, energized or enervated. These states— called core affect—influence reflexes, perception, cognition, and behavior and are influenced by many causes internal and external, but people have no direct access to these causal connections. Core affect can therefore be experienced as freefloating (mood) or can be attributed to some cause (and thereby begin an emotional episode).«

Russel bestimmt diesen Ausgangspunkt aller Emotionen als neurophysiologischen Zustand, der dem Bewusstsein zugänglich ist als unreflektiertes Gefühl von Gefallen oder Missfallen, Erregung oder Erschlaffung. Das Rohgefühl ist ungerichtet (object free/free floating). Es wird durch interne und extern verursachte körperliche Stimuli, durch Drogen ebenso wie durch Sinneswahrnehmungen gereizt. Dieser kausale Auslöser ist nicht identisch mit dem Objekt eines Gefühls. Die Objektgerichtetheit ergibt sich erst aus einem kognitiven Vorgang von Zurechnung und Bewertung (attribution/appraisal). Kognition soll die kausal ausgelösten Rohgefühle erst ex post zu Vorgängen attribuieren, die damit zu Objekten der Emotion werden, aber nicht die eigentliche Ursache sein müssen. Wie das Gefühl wahrgenommen wird, soll schließlich von erlernten Interpretationsschemata abhängen.

Bei den kognitivistischen und den konstruktivistischen Emotionstheorien handelt es sich im Kern um Lerntheorien, beruhen doch alle sozialen Konstruktionen auf Lernvorgängen. Den Unterschied muss man (ich?) mit Lupe suchen. Bei beiden Theoriegruppen vermisse ich die Unterscheidung zwischen der Konditionierung der emotional-evaluativen Erstreaktion und dem Umgang mit dieser Reaktion kraft kognitiver oder sozialer Kompetenz. Immerhin fällt es leichter, die Konditionierung der Erstreaktion im Kindesalter durch soziales Lernen zu erklären als durch kognitive Erfahrung. Aber auch soziales Lernen verlangt eine irgendwie primäre Fähigkeit zur Dekodierung der Gefühle anderer, bei Kindern insbesondere der Gefühle der Eltern. Hier bleibt (für mich) ein großes Rätsel.

Vielleicht kann die Frage, wie die emotionale Erstreaktion konditioniert ist, offen bleiben, wenn man nach Vermittlungsinstanzen sucht, welche die Emotionen auf Ausschnitte aus der Umwelt ausrichten. Soziologie und Sozialpsychologie beschreiben das Ergebnis des Lernvorgangs als Persönlichkeit, Attitüde, Skript, Frame oder Habitus. Die neuronal basierten Emotionen werden dabei allerdings kaum bedacht. Bevor ich diesen Sprung von der Individualpsychologie zur Sozialpsychologie oder gar Soziologie wage, will ich (demnächst) noch auf Nico H. Frijdas »Laws of Emotion« eingehen.


[1] Andreas B. Eder/Tobias Brosch, Emotion, in. Jochen Müsseler/Martina Rieger, Allgemeine Psychologie, 3. Aufl. 2017, 185–222; S. 209. Auführlicher Rainer Reisenzein, Einschätzungstheoretische Ansätze in der Emotionspsychologie, in Jürgen H. Otto u. a. (Hg.), Emotionspsychologie, 2000, 117–138, S. 117.

[2] Magda B. Arnold, Emotion and Personality, 1960, S. 182. Hervorhebung im Original.

[3] Agnes Moors/Phoebe C. Ellsworth/Klaus R. Scherer/Nico H. Frijda, Appraisal Theories of Emotion: State of the Art and Future Development, Emotion Review 2013, 119–124.

[4] Die Unterscheidung geht auf den Psychologen Richard Lazarus zurück (, den ich hier nur aus zweier Hand zitieren kann.

[5] Nico H. Frijda, The Emotions, 1986, S. 464.527

[6] A. a. O. S 173.

[7] Agnes Moors, On the Causal Role of Appraisal in Emotion, Emotion Review 2013, 132–140.

[8] James A. Russell, Core Affect and the Psychological Construction of Emotion, (2003) 110 Psychological Review 110, 2003, 145–172, Abstract.

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Theorien der Emotions-Psychologie

Dies ist die fünfte Fortsetzung des Eintrags über den Emotional Turn und die Rechtswissenschaft.

Die Frage nach der Aktualgenese von Gefühlen

Juristen handeln, indem sie entscheiden. Für die Rechtswissenschaft ist deshalb von Interesse, wie Emotionen und damit Gefühle auf Entscheidungen einwirken. Deshalb richte ich an die Psychologie die Frage nach der Aktualgenese von Emotionen. Der Jurist möchte wissen,

  • was es mit den Gefühlen im Objektbereich seiner Tätigkeit auf sich hat,
  • wie er selbst bei der Kommunikation mit seinen Klienten und vor allem bei seinen Entscheidungen von Gefühlen geleitet wird.

Dafür sollten die folgenden Fragen geklärt werden:

  • Welches Objekt, welcher Reiz, welche Kognition aktiviert unter welchen Umständen welche Emotionen?
  • In Gestalt welcher Gefühle werden die emotional gefärbten Zustände subjektiv wahrgenommen?
  • Was bewirken die aktivierten Emotionen → Gefühle? Von welchen weiteren Umständen sind die Wirkungen abhängig?

Die Sache wird unübersichtlich. Deshalb ist es an der Zeit, einer speziellen Emotions-Psychologie Ausschau halten.

Das Theorieknäuel der Emotionspsychologie

Die Sicht ist schlecht. Ein relativ neuer Übersichtsartikel beginnt:

»The emotion domain is characterized by a profusion of theories and complex debates with no hope of a quick settlement.«[1]

Die Emotionstheorien, die bemüht sind, Alltagsbeobachtungen, psychologische Tests und physiologische Experimente auf einen Nenner zu bringen, erinnern den Juristen in ihrer Vielfalt an die »Theorien« des eigenen Fachs, mit denen er den Gehalt von Rechtsnormen und Präjudizien zu ordnen versucht. Übersichten über die Theorien der Psychologen bieten einschlägige Lehrbücher. [2] Drei Theoriefamilien schälen sich heraus:

»1) Biologische Ansätze vermuten einen biologischen Ursprung von Emotionen in funktional spezialisierten Emotionsmodulen. (2) Kognitive Ansätze behaupten, dass Emotionen von kognitiven Einschätzungen der Umwelt in Bezug auf das eigene Wohlergehen und Wohlbefinden verursacht werden. (3) Konstruktivistische Ansätze nehmen an, dass Emotionen aus sozio-kulturell vereinbarten Kategorisierungen von unspezifischen affektiven Zuständen hervorgehen.«[3]

Einig ist man sich immerhin, dass Emotionen bzw. Gefühle »komplex« sind. Übereinstimmend zählt man fünf »Komponenten« auf, die zusammen die »Emotion« ausmachen, wobei Ursache und Wirkung in der Schwebe bleiben:[4]

  • Kognition (Einschätzung, Bewertung, Ursachenzuschreibung, Kategorisierung, Benennung),
  • Physiologie (periphere Erregung, zentralnervöse Aktivierung),
  • Erleben (subjektive Erfahrung, Gefühle),
  • Ausdruck (soziale Kommunikation, Gestik, Stimme, Mimik),
  • Motivation (motivationale Orientierungen, Handlungsbereitschaften, funktionaler Aspekt).[5]

Der Konsens bröckelt aber bei der Frage, ob Emotionen ungeachtet ihrer Komplexität ein einheitliches Phänomen bilden oder ob hier verschiedene Elemente zusammengewürfelt werden, die nicht direkt etwas miteinander zu tun haben.[6]

Alle gehen davon aus, dass die Zuordnung einer Emotion zu einem Reiz etwas mit den biologischen Überlebensinteressen des Organismus zu tun hat. Man könnte sagen: Emotionen haben eine Utility-Funktion. Das ist im Grunde eine Trivialität, die aber immerhin dazu auffordert, die Emotionen und folglich auch Gefühle nach ihrer Valenz in positive und negative, in aktivierende und bremsende zu sortieren, wie es Russel mit dem Circumplex-Modell oder Panksepp mit der Gruppierung der Basisemotionen getan haben. Aber woran erkennt der Organismus, ob ein Reiz für ihn nützlich ist?

Evolutionär-biologische Emotionstheorien

Handfeste Antworten scheinen von den evolutionär-biologischen oder Instinkttheorien zu kommen, die bis auf Darwin zurückgehen. Sie behaupten, dass die emotionale Einordnung von Reizen sich schon im Zuge der Evolution entwickelt hat. Dann steckten in den Basisemotionen also »Instinkte«, die für die gehörige Antwort auf einen Reiz sorgten. Noch immer referiert die Psychologie-Literatur die alte Theorie von William McDougall (1871-1938). Er stellte einen Katalog von 18 angeborenen »Instinkten« zusammen, die jeweils auf bestimmte Auslöser hin entsprechende Gefühle aktivieren sollten.[7] Damit stößt man auf das Problemknäuel evolutionäre Psychologie und Soziobiologie. Dazu habe ich bereits ausführlich Stellung genommen.[8] Deshalb zitiere ich hier nur noch den Strafrechtler und Kriminologen Hellmuth Mayer[9], der dazu schon vor bald 50 Jahren das Notwendige gesagt hat: Trieblehren dieser Art seien willkürlich. Gehlen habe darauf hingewiesen, andere amerikanische Autoren auf viele Hunderte von ›activities‹ gekommen seien, die dann alle als Instinkte gelten sollten. Solche Setzungen ließen sich nicht verifizieren, wie an den verschiedenen Schulen der Psychoanalyse deutlich zu sehen sei. Freilich reißen die Versuche nicht ab, bestimmte Reaktionsmuster als evolutorisch angelegt zu postulieren. Praktisch kann man damit nicht viel anfangen, denn wenn es solche Reaktionsmuster gibt, dann lassen sie sich doch nur schwer von gelernten unterscheiden. Es ist wohl davon auszugehen, dass neuronal allenfalls rudimentär vorgegeben, welche somatischen Ereignisse oder welche Kognitionen als Trigger bestimmte Emotionen auslösen.

Der Laie möchte annehmen, dass die in der neuronalen Basis angelegten Emotionspotentiale unmittelbar durch Veränderungen des Körperzustandes aktiviert werden können, also etwa durch Wärme oder Kälte, Hunger oder Schmerz, körperlichen Kontakt mit Lebewesen oder unbelebter Materie. Man kann sich gut vorstellen, dass der Körper den äußeren Reiz unmittelbar als mehr oder weniger nützlich empfindet, und damit entsprechende Emotionen aktiviert werden. Doch anscheinend gilt: Gefühle treten zwar unwillkürlich auf. Aber sie werden (mindestens auch) durch Kognitionen ausgelöst.

Auf biologischer Ebene lässt sich das Emotionsgeschehen durch Drogen beeinflussen. Bei Körpergefühlen wie Hunger und Durst, Frieren und Schwitzen, Schmerz und Wohlgefühl, sexueller Erregung und Entspannung scheint klar zu sein, dass sie physiologische Ursachen haben (können). Andererseits können auch solche Körpersensationen wohl gelernt werden, sind sie doch mit typischen Abläufen verbunden, die dann auch – man denke an Pawlows Hunde – ohne direkten körperlichen Anstoß die einschlägigen Befindlichkeiten evozieren.

Der Laie wird weiter annehmen, dass die in der neuronalen Basis angelegten Emotionspotentiale, wenn es sie denn gibt, mittelbar durch besonders »eindrucksvolle« Kognitionen ausgelöst werden. Auf ein lautes Geräusch, ein helles Licht, einen starken Geruch, einen sich bewegenden größeren Gegenstand reagiert man wohl spontan erst einmal emotional. Emotionen werden wohl auch immer wieder durch »Überraschungen« aller Art angesprochen. Schockbilder sollen Raucher verängstigen. Aber all das ist so grob, dass es über das Phänomen der emotionalen Erstreaktion nicht hinausführt. Auf jeden Fall gilt, die emotionale Einfärbung von Kognitionen kann (auch) individuell und sozial gelernt werden. Der Laie kann sich die Sache nur metaphorisch vorstellen: Der psychische Funktionsapparat schwingt sich über dem Resonanzboden der Basisemotionen auf die verschiedenen Reize ein.

Somatische Emotionstheorien

Die klassische »somatische« Emotionstheorie stammt von dem Amerikaner William James. Oft wird im gleichen Atemzug der Däne Carl Georg Lange genannt, der ein Jahr später (1885) eine beinahe identische Theorie entwickelte. Ich will gar nicht erst den Versuch unternehmen, die James/Lange-Theorie der Gefühle zu referieren, sondern begnüge mich mit einem James-Zitat:

»Our natural way of thinking about these standard emotions is that the mental perception of some fact excites the mental affection called the emotion, and that this latter state of mind gives rise to the bodily expression. My thesis on the contrary is that the bodily changes follow directly the PERCEPTION of the exciting fact, and that our feeling of the same changes as they occur is the emotion. Common sense says, we lose our fortune, are sorry and weep; we meet a bear, are frightened and run; we are insulted by a rival, are angry and strike. The hypothesis here to be defended says that this order of sequence is incorrect, that the one mental state is not immediately induced by the other, that the bodily manifestations must first be interposed between, and that the more rational statement is that we feel sorry because we cry, angry because we strike, afraid because we tremble, and not that we cry, strike, or tremble, because we are sorry, angry, or fearful, as the case may be.« [10]

Diese Theorie behauptet also, dass das Bewusstsein der Emotionen als Gefühl sekundär sei. Aber durch welche extrakorporalen Ereignisse welche Emotionen und damit welche Gefühle ausgelöst werden, erfährt man hier nicht.

Es liegt nahe, weiter an die populäre Theorie von Damasio[11] zu denken. Damasio wendet sich bekanntlich gegen den Leib-Seele-Dualismus, den er bei Descartes vorgefunden hat.[12] Seine These lautet, dass Ratio, Verstand oder Vernunft nicht ohne Gefühle zu haben sind, weil sich das Denken nicht vom Körper lösen lässt. Dass Gedanken stets von körperlichen Zuständen und von Emotionen begleitet werden – wer wollte das bestreiten? Interessant wird es erst, wenn wir erfahren, welche Gefühle mit welchen Gedanken einhergehen. Dafür bietet Damasio nur eine sehr pauschale Lösung, die uns nicht weiterhilft. Wir lernen, dass alle Erfahrungen im Körper des Menschen Spuren hinterlassen, je nachdem, ob sie als angenehm oder nicht angenehm empfunden werden. Die positive oder negative Sortierung ist teils angeboren, teils wird sie individuell oder sozial gelernt. Die körperlichen Spuren, von Damasio Marker genannt, bewirken dann die gefühlsmäßige Tönung neuer Situationen. So bleiben alle interessanten Fragen offen. Ob eine Erfahrung »angenehm« ist, wird kaum durch eine reflektierte Entscheidung ermittelt, sondern ergibt sich gleichsam automatisch. An welcher Stelle steckt dieser Automatismus? Nach welchen Kriterien entscheidet er? Wie werden die einzelnen Entscheidungen akkumuliert? Wie werden Situationen wiedererkannt, so dass die passenden Marker aktiviert werden?

Bevor ich mit diesen Fragen fortfahre, folgt (demnächst) ein Exkurs zu »Descartes‘ Irrtum«.


[1] Agnes Moors, Integration of Two Skeptical Emotion Theories, Psychological Inquiry 28, 2017, 1-19.

[2] Herangezogen habe ich Andreas B. Eder/Tobias Brosch, Emotion, in. Jochen Müsseler/Martina Rieger, Allgemeine Psychologie, 3. Aufl. 2017, 185–222; David G. Myers, Psychologie, 3 Aufl. 2014; Rainer Reisenzein/Wulf-Uwe Meyer/Achim Schützwohl, Einführung in die Emotionspsychologie. Band III: Kognitive Emotionstheorien, 2002; Rainer Reisenzein/Gernot Horstmann, Emotion, in: Andrea Kiesel/Hans Spada, Lehrbuch Allgemeine Psychologie, 4. Aufl. 2018, 424–490; Klaus Rothermund/Andreas Eder, Allgemeine Psychologie: Motivation und Emotion, 2011; Franziska Schmithüsen u. a.,  Lernskript Psychologie, 2014, S. 82ff.

[3] Klaus Rothermund/Andreas Eder, Allgemeine Psychologie: Motivation und Emotion, 2011, S. 181. I

[4] »Kognition« habe ich an den Anfang gestellt, weil Kognitionen mindestens auch als Auslöser von Emotionen in Betracht kommen. Die drei mittleren werden auch als Reaktionstrias bezeichnet. Bei der Physiologie ist aber offen, was Ursache und was Wirkung ist. Motivation steht am Ende, weil sie die Wirkung von Emotionen auf das künftige Verhalten bestimmt.

[5] Aufzählung nach Andreas B. Eder/Tobias Brosch, Emotion, in. Jochen Müsseler/Martina Rieger, Allgemeine Psychologie, 3. Aufl. 2017, 185–222; S. 189. In diesem Sinne auch Nico H. Frijda, Emotion Experience and its Varieties, Emotion Review 2009, 264–271; S. 265; ders., Die Gesetze der Emotionen, S. 206.

[6] Juan R. Loaiza, Emotions and the Problem of Variability, Review of Philosophy and Psychology 2021, 329–351.

[7] William McDougall, An Introduction to Social Psychology, 14. Aufl. 1919, hier zitiert nach dem im Internet verfügbaren Nachdruck von 2001.

[8] In drei Einträgen auf Rsozblog vom 21. 9. 2023 (Was taugt die neue Rechtsbiologie?), vom 2. 10 2023 (Kritik der Soziobiologie Teil II) und vom 24. 11. 2023 (Kritik der Soziobiologie Teil III).

[9] Hellmuth Mayer, Die gesellige Natur des Menschen. Sozialanthropologie aus kriminologischer Sicht, 1977, S. 13ff.

[10] William James, What is an Emotion? Mind 9, 1884 Heft34, 188–205, S. 189f. Im übrigen verweise ich auf die Lehrbuchdarstellungen sowie auf Michael Anacker, William James: Die James/Lange-Theorie der Gefühle, in Konstanze Senge ua., Schlüsselwerke der Emotionssoziologie, 2022, 311–317.

[11] Antonio R. Damasio, Descartes’ Irrtum, 2004 [1994]; ders., Im Anfang war das Gefühl, 2017.

[12] Als Zuammenfassung und Stellungnahme zu dieser Theorie kann man lesen Wolfgang Lenzen, Damasios Theorie der Emotionen, Facta Philosophica, 6, 2004, 269-309; .Annette Schnabel, Antonio Damasio: Descartes‘ Irrtum, in: Konstanze Senge/Rainer Schützeichel (Hg.), Hauptwerke der Emotionssoziologie, 2013, 80–84; Ulf Hlobil, Eine theoretische Kritik der Somatischen Marker Hypothese Antono Damasios, 2008.

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Recht und Emotion: Basis- und Sekundäremotionen

Dies ist die vierte Fortsetzung des Eintrags über den Emotional Turn und die Rechtswissenschaft.

1)     Das Konzept der Basisemotionen

Emotionen sind weniger differenziert als Gefühle. Das jedenfalls besagt das Konzept der Basisemotionen. Als deren »Erfinder« gilt wohl Paul Ekman. Seine Forschungen kreisten um die These, Emotionen, wie sie sich in Mimik und Gestik ausdrücken, seien angeboren und daher universal. Er meinte, sieben Basisemotionen identifizieren zu können: Freude, Wut, Ekel, Furcht, Verachtung, Traurigkeit und Überraschung.[1] Sekundäremotionen sind dann die Gefühle, in denen sich mehrere Basisemotionen mischen können.

Eine höchst abstrakte Vorstellung von Basisemotionen hat James A. Russell entwickelt.[2] Er vermeidet allerdings den Begriff der Basisemotion und spricht stattdessen von core affect. Die Lehrbücher übersetzen mit »Rohgefühlen«.

In den Lehrbüchern wird diese Theorie als Circumplex-Modell referiert. Es ordnet die Wirkung der Gefühle auf zwei Achsen ein. Waagerecht spannt sich die Achse der Valenz von positiv zu negativ = angenehm zu unangenehm. Senkrecht verläuft die Achse der Erregung zwischen Aktivierung und Deaktivierung. In den Sektoren dazwischen lassen sich dann alle Gefühle als eine Mischung aus diesen vier Kräften eintragen. Das Modell bildet die Grundlage einer konstruktivistischen Zweifaktoren-Theorie. Es verzichtet allerdings auf die Anknüpfung an einer biologischen Basis. Deshalb erscheint die Theorie der Basisemotionen von Jaak Panksepp plausibler. Sie ist gut mit einer Mehr–Faktoren-Theorie vereinbar, die Raum für individuell-kognitive und sozial-konstruktivistische Ansätze bietet, ohne das biologische Element von vornherein auszuschließen.

Der Vollständigkeit halber sei noch auf die Theorie der Ur-Emotionen (ur-emotions) von Frijda und Parrott hingewiesen:[3]

»Ur-emotions, we propose, reflect a limited number of modes of relating to other people, objects, or circumstances.« (S. 406)… »The term ur-emotion can therefore suggest both an underlying structure and an evolutionary, biologically based source.« (S. 407)«

Bisher kann ich die Ur-Emotionen nicht einordnen. Sie sollen (noch?) abstrakter sein als die geläufigen Basisemotionen. Ich werde wohl darauf noch einmal zurückkommen, wenn es um Frijdas »Laws of Emotion« geht.

2)     Panksepps Theorie der Basisemotionen

Auf Jaak Panksepps Theorie der Basisemotionen bin ich zuerst in der Werbewirkungsforschung gestoßen. Für Werbung werden viele Millionen ausgegeben. Allem Anschein nach sind die Kosten für eine psychologisch gestützte Werbung gut angelegt. Für die Werbung wird ein Emotional Branding Monitor (EBM) als ein »Verfahren zur Offenlegung unbewusster Wahrnehmung« angepriesen. Dafür beruft man sich auf die Neurowissenschaften, die sieben voneinander unabhängige basale Emotionssysteme zutage gefördert haben sollen, welche im Verein mit zugeordneten Kognitionen die Grundlage unseres Denkens und Handelns bilden.[4]

Die Bestimmung dieser Emotionssysteme geht zurück auf Jaak Panksepp.[5] Er fand im Laufe der Zeit sieben biologisch im Hirn verankerte Emotionen, die er, um sie vom üblichen Sprachgebrauch abzusetzen, in Großbuchstaben schrieb: SEEKING/Expectancy, RAGE/Anger, FEAR/Anxiety, LUST, CARE/Nurturing, PANIC/Sadness Und PLAY/Social Joy. Die sieben primären Emotionen werden wie folgt beschrieben:

»Primal emotions and their accompanying affects appear to have acquired the capacity to move animals to action in ways that promoted their survival. Emotions prodded animals to explore for resources (SEEKING), compete for and defend those resources (RAGE/Anger), escape from and avoid bodily danger (FEAR), and identify potential mates and reproduce (LUST). Then, mammals with their more social orientation acquired the motivational system for nurturing their offspring (CARE); the powerful separation distress system for maintaining social contact and social bonding (PANIC/Sadness); and the complex system stimulating especially young animals to regularly engage in physical activities like wrestling, running, and chasing each other (PLAY/Social Joy), which helps them bond socially and learn social limits and which seems to carry over into the ›ribbing‹ and joking that continues to add fun in adulthood. Evolution has endowed mammalian brains with at least these seven primary-process emotional action systems, which serve as survival guides. These primary emotions arise from subcortical brain regions that are largely homologous, especially across mammals, with each emotion having a distinct brain anatomy, neuropharmacology, and physiology.«

Die Emotionen werden in zwei Gruppen eingeteilt, nämlich in solche, die eine positive Vorwertung hervorrufen, und andere, die eine negative Reaktion programmieren.

»Each of the primal emotional affects is evaluative, that is, has a valence that is either pleasant or aversive and signals objects or situations to approach in the case of the pleasant ones (SEEKING, LUST, CARE, and PLAY) or to avoid in the case of the aversive ones (RAGE, FEAR, and PANIC).«

Die Werbewirkungsforschung liefert dazu die werbewirksame Illustration[6]:

Die Basis-Emotionen werden nicht erst erlernt, sondern sind angeboren:

»The primary-process emotions require no learning. It is not necessary to teach a child to become angry, fearful, or to panic after having lost sight of parents in a crowd. Nor do we need to teach children how to play. These evolved foundational tools for living are somehow automatically built into our heritage. However, these evolutionarily/genetically endowed primary-process emotional brain systems are not fixed functions but are able to learn and adapt to novel environmental experiences throughout the life of an individual. Indeed, as introduced above, the valenced affects associated with each of the primary emotions serve as endogenous rewards and punishments for behaviors that activate emotions.«

Folgt man Panksepp, so ist die neuronale Grundsteuer der Emotionen subkortikal verankert und hat sich im Zuge der Evolution sehr langfristig entwickelt, ist relativ universell und wandelt sich allenfalls sehr langsam. Auch wer gegenüber der Soziobiologie kritisch ist, kann die Basis-Emotionen, wie sie von Panksepp dargestellt werden, akzeptieren, denn sie haben als solche noch keinen Inhalt. Zwar können die Emotionen grundsätzlich ohne Beteiligung des Neocortex auf Reize antworten. Letzterer ist jedoch in der Lage, Emotionen zu unterdrücken oder zu regulieren.

»The Pankseppian affective neuroscience view is that ›the neocortex is fundamentally tabula rasa at birth‹ … and it is through experience that the neocortex is ›programmed‹ (likely through interactions with subcortical regions) to acquire its capacities that as we reach maturity come to seem like hard-wired‹ brain functions.«

Wenn man über die neuronalen Grundlagen von Emotionen redet, werden gewöhnlich die Amygdala und das limbische System genannt. Heute gelingt es, mit bildgebenden Verfahren recht genau Aktivitäten von Nervenzellen in verschiedenen Gehirnregionen zu lokalisieren, wenn bei Versuchspersonen Gefühle aktiviert werden. Aber mehr als eben die Tatsache, dass Gefühle mit beobachtbaren Gehirnaktivitäten einhergehen, folgt daraus nicht. Mir ist insbesondere nicht bekannt, dass aus beobachtbaren Gehirnaktivitäten auf bestimmte Gefühle geschlossen werden könnte.

[Fortsetzung hier]


[1] Paul Ekman, Gefühle lesen, 2 Aufl. 2010; Jo Reichertz, Paul Ekman: Gefühle lesen, in: Konstanze Senge u. a. (Hg.), Schlüsselwerke der Emotionssoziologie, 2022, 145–151.

[2] James A. Russell, Core Affect and the Psychological Construction of Emotion, Psychological Review 110, 2003, 145–172. Die folgende Abbildung dort von S. 148.

[3] Nico H. Frijda/W. Gerrod Parrott, Basic Emotions or Ur-Emotions?, Emotion Review 2011, 406–415.

[4] Interrogare GmbH, Mit dem Emotional Branding Monitor (EBM) zu einer erfolgreichen emotionalenMarkenpositionierung. Eine zentrale Quelle ist Jaak Panksepp, Affective Neuroscience. The Foundations of Human and Animal Emotions, 1998. Dagegen kommt Franke ohne Panksepp aus. Sie bezieht sich aber auf Frijda, den ich für wichtiger halte (Marie-Kristin Franke, Der Konsument. Homo Emoticus statt Homo Oeconomicus?, 2014; zu Frijda breits Fn. 42).

[5] Für eine im Internet verfügbare Kurzfassung vgl. Jaak Panksepp, The Affective Brain and Core Consciousness: How Does Neural Activity Generate Emotional Feelings?, in: Handbook of Emotions, hg. von Michael Lewis u. a., 2008, 47-67. Das nachfolgende Referat zitiert Kenneth L. Davis/Christian Montag, Selected Principles of Pankseppian Affective Neuroscience, Frontiers in Neuroscience 12, 2018, 1025.

[6] Abbildung aus Interrogare GmbH, Mit dem Emotional Branding Monitor (EBM) zu einer erfolgreichen emotionalen Markenpositionierung, https://www.interrogare.de/media/pdf/Downloads/Interrogare_Emotional_Branding_Monitor.pdf.

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Recht und Emotion: Ein Katalog der Gefühle

Dies ist die dritte Fortsetzung des Eintrags über den Emotional Turn und die Rechtswissenschaft.

Die nächste Aufgabe könnte darin bestehen, Kataloge möglicher Emotionen und Gefühle aufzustellen.[1] Leichter ist es, mit den Gefühlen zu beginnen, weil insoweit das Bewusstsein beteiligt ist, so dass wir von den Gefühlen ausgehen können, von denen wir reden. Hier die wichtigsten Kandidaten für eine Liste der Gefühle:

Abneigung (Antipathie), Zuneigung (Sympathie), Feindschaft, Aufregung, Interesse, Ärger, Empörung, Angst, Wut, Furcht, Appetit, Hunger, Durst, Sättigung, Lust, Neid, Ekel, Freude, Traurigkeit (Depression), Stolz, Scham, Schreck; Schmerz, Schuldgefühl, Überraschung, Zorn, Liebe, Hass, Eifersucht, Heimweh, Sehnsucht, Kummer; Mitleid, Langeweile.

Das Rechtsgefühl habe ich in der psychologischen Fachliteratur nicht gefunden. Dieses Gefühl kennen anscheinend nur Juristen.

»Nicht das Rechtsgefühl hat das Recht erzeugt, sondern das Recht das Rechtsgefühl.« (Rudolf von Ihering, Der Zweck im Recht, 1877, Vorrede).

Aber die Liste der Gefühle ist nicht abgeschlossen. Es scheint so, als ob »wir beliebig viele verschiedene Gefühle erfahren können, gerade so, wie wir beliebig viele verschiedene Gedanken denken können«[2] Aber vielleicht ist das Rechtsgefühl auch gar kein »echtes« Gefühl. Bak unterscheidet zwischen »affektiven« und anderen Gefühlen. Als Beispiel für die anderen nennt er Pflichtgefühl, Verantwortungsgefühl oder Ballgefühl.[3] Ist das Rechtsgefühl das Ballgefühl der Juristen?

Wird das Rechtsgefühl nur aus kondensierter Erfahrung gespeist oder verfügt es jedenfalls zusätzlich über angeborene Elemente? Was die Erfahrung betrifft, so muss es sich nicht allein um Erfahrungen mit dem offiziellen positiven Recht handeln. Vermutlich gehen alle Erfahrungen mit zwischenmenschlichen Transaktionen in das Rechtsgefühl ein. Dann gibt es wohl ein vor(positiv)rechtliches Rechtsgefühl. Sprenger leitet ein vorrechtliches Rechtsgefühl, also ein solches, dass nicht in erster Linie vom modernen positiven Recht geprägt ist, aus sehr allgemeinen Gerechtigkeitsprinzipien ab (Gleichheit, Fairness, Goldene Regel).[4] In unserem Zusammenhang interessiert aber kein durch Prinzipien vermitteltes, sondern ein unmittelbar emotional geprägtes Rechtsgefühl – wenn es denn so etwas gibt. Das war immerhin die Prämisse der sozialpsychologischen Gerechtigkeitstheorie (Equity-Theorie). Ohne Anknüpfung an die Psychologie versuchen Ökonomen Fairness und Reziprozität mit einem spieltheoretischen Ansatz zu erklären.[5] Binmore findet in der Reziprozität am Ende eine genetisch programmierte Veranlagung. Als »vorrechtliches« Rechtsgefühl kommt ferner« der Gerechte-Welt-Glaube[6] in Betracht.[7] In den Sozialwissenschaften besteht anscheinend die Vorstellung eines angeborenen oder jedenfalls tief in der Psyche verankerten Gerechtigkeitsgefühls. (und dem Juristen drängt sich die Frage auf, ob dieses Gerechtigkeitsgefühl das gesuchte Rechtsgefühl ist.)

Damit ist die Frage, ob das Rechtsgefühl überhaupt als affektiv/emotional einzuordnen ist, allerdings nicht beantwortet. Dass das Rechtsgefühl durch Erfahrung geprägt wird, schließt seine Gefühlsqualität nicht aus, stellen doch die gängigen Emotionstheorien überwiegend auf »Kognitionen« ab. Vielleicht handelt es auch gar nicht um ein einheitliches Gefühl, sondern um ein Kompositum von, ja wovon?

[Fortsetzung]


[1] Mit einer »Typologie« versucht es das Handbuch »Emotionen«: Hermann Kappelhoff/Jan-Hendrik Bakels/Hauke Lehmann/Christina Schmitt, Emotionen. Ein interdisziplinäres Handbuch, 2019. Viel zitiert wird eine Aufzählung von von Andrew Ortony u. a.  , die, eingeteilt in drei Gruppen, jeweils im Hinblick auf bestimmte Objekte 24 Gefühle identifiziert (Andrew Ortony/Gerald L. Clore/Allan Collins, The Cognitive Structure of Emotions, 2 Aufl. 2022 [1988], Tabelle S. 22).

[2] Ronald de Sousa, Moralische Gefühle in Scharz-Weiß und Farbe, e-Jounal Philosophie der Psychologie, Juni 2005.

[3] Peter Michael Bak, Lernen, Motivation und Emotion, 2019, S. 146.

[4] Gerhard Sprenger, Rechtsgefühl ohne Recht, in: FS Ernst-Joachim Lampe, 2003, 317-338.

[5] Ken Binmore, Natural Justice, 2005; Luigino Bruni, Reziprozität, 2020.

[6] Melvin J. Lerner, Belief in a Just World. A Fundamental Delusion, 1980; Melvin J. Lerner/Sallly C. Lerner (Hg.), The Justice Motive in Social Behavior, 1981.

[7] Erstaunlich, dass in den zahlreichen Äußerungen zum Rechtsgefühl diese wohl empirisch am weitesten ausgetestete Theorie, die der Sozialpsychologe Melvin L. Lerner seit 1965 entwickelt hat, gar nicht auftaucht. Sie gehört heute zum Kanon des Faches: Jürgen Maes, Die Geschichte der Gerechte-Welt-Forschung: Eine Entwicklung in acht Stufen?, GiP-Bericht Nr. 17, 1998 .

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Der Emotional Turn und die Rechtswissenschaft

Der Leerlauf des Rechtsgefühls

Seit Jahrzehnten wird der emotional turn[1] beschworen und mit dem üblichen cultural lag ist er im Recht[2] und dann auch in Deutschland angekommen.[3]

Von einem emotional turn ist die Rede, weil die Psychologie, wohl schon seit den 1980er Jahren, dem Thema größere Aufmerksamkeit widmet. Der turn kommt aber auch mit einer inhaltlichen Tendenz. Allgemein ist der emotional turn darauf gerichtet, den Gegensatz von Ratio und Emotion, Verstand und Gefühl zu überwinden. Wie bei solchen »Wenden« üblich, wird das Angriffsobjekt zunächst mit Tendenzbehauptungen aufgeplustert. Die Kommunikation wird immer emotionaler. Werbung, soziale Netzwerke und Politik emotionalisieren immer mehr usw. usw. Sodann wird theoretisch mit dem Leib-Seele- Dualismus ein Dummy aufgebaut, indem Verstand und Gefühl dichotomisch gegeneinander gesetzt werden. Dem Recht wird mit dem suffocating narrative of law-as-reason[4] eine grausame Hintergrundtheorie attestiert. Licht in dieses Dunkel bringen Bücher wie »Die Rationalität des Gefühls«[5] von Ronald de Sousa oder von Antonio R. Damasio »Descartes’ Irrtum«[6] und »Im Anfang war das Gefühl«[7]. Jetzt erfahren wir, dass es keine Kognitionen und kein Denken ohne Gefühle gibt, auch wenn diese sich oft der Wahrnehmung entziehen, und wir werden zugleich darüber belehrt, dass Rationalität und Gefühle nicht als Gegensätze verstanden werden dürfen. Diese »Versöhnung« kommt überraschend, bildet doch die ebenso unvermeidbare wie unsichtbare und unberechenbare Emotionalität einen wichtigen Ausgangspunkt für Kritik an der von der Jurisprudenz in Anspruch genommenen Rationalität und Objektivität. Die Frage drängt sich auf, ob ein neues Verständnis von Emotionalität am Ende sogar die Black Box der Werturteilskomponente juristischer Entscheidungen belichten könnte.

Der Versuch zu verstehen, was der emotional turn der Rechtswissenschaft bringt, hat mich in den Abgrund der Interdisziplinarität gestürzt. Bei dem Versuch, in die Emotionspsychologie und Emotionssoziologie einzudringen, hat sich das Gefühl breit gemacht, ins Bodenlose zu fallen.[8] Hilfsbereite Menschen erklären mir, der Jurist sei selbst schuld, wenn er versuche, in fremden Fächern zu dilettieren. Der Witz der Interdisziplinarität bestehe doch gerade darin, dass Angehörige verschiedener Disziplinen zusammenarbeiteten. Doch interpersonelle Zusammenarbeit funktioniert anscheinend nur begrenzt. Man braucht die anderen als Auskunftspersonen. Doch wenn man sie machen lässt, kommt zwar immer wieder Interessantes heraus. Aber die praktisch relevanten Fragen bleiben unbeantwortet. Ein einschlägiges Beispiel gibt das »Research Handbook on Law and Emotion«, herausgegeben von Susan A. Bandes u. a., 2021. Da erfahren wir, dass die wissenschaftliche Befassung mit Recht und Emotion enorm wichtig ist, dass sie bisher vernachlässigt wurde, und dass es dazu viele Ansätze gibt. Alles ist enriching, fasccinating, gelegentlich sogar critical. Aber das war es dann auch.[9]

Ein Grund für meine Enttäuschung ist wohl, dass »die anderen« auf die entscheidenden Fragen gar keine direkten Antworten haben. Der Interdisziplinaritätsimperativ stützt sich auf die Hoffnung, das andere Disziplinen auf die vielen Fragen, auf die die Jurisprudenz keine »wissenschaftliche« Antwort weiß, bessere Auskunft geben könnten. Doch diese Hoffnung wird immer wieder enttäuscht. Das werden »die anderen« selten oder nie zugeben. Stattdessen antworten sie auf Fragen, die ihnen nicht gestellt wurden oder ihre Antworten bleiben so unbestimmt und auslegungsbedürftig wie die Rechtsnormen, die es doch gerade mit Inhalt zu füllen gilt.

Bei den Juristen findet der emotional turn einen Anknüpfungspunkt im Rechtsgefühl. Die Literatur zum Rechtsgefühl erlebt seit bald zehn Jahren eine neue Konjunktur. Aber geredet und geschrieben wird nur über das Rechtsgefühl als solches. Über seine Inhalte erfährt man wenig, noch weniger darüber, wie das Rechtsgefühl zu seinen Inhalten gelangt oder wie es sich auf soziales Verhalten und juristische Entscheidungen auswirkt.

Eine erste Konjunktur hatte die Rede vom Rechtsgefühl um die Wende zum 20. Jahrhundert, ausgelöst durch die Rektoratsrede Gustav Rümelins »Über das Rechtsgefühl«, die 1871 veröffentlicht wurde. Die Konjunktur dauerte bis in die 1920er Jahre an.[10] Eine zweite Konjunktur gab es nach 1970. Sie begann mit der so genannten KOL-Forschung, die sich darum bemühte, Rechtskenntnisse und Einstellungen zum Recht dingfest zu machen.[11] Dabei stand die Frage nach Rechtskenntnissen im kognitiven Sinne nur am Anfang. Weiter und tiefer ging die Suche nach Rechtsbewusstsein und/oder Rechtsgefühl. Für die Rechtstheorie wurde »Rechtsbewusstsein« zu einer Generalklausel für metajuristische Reflexionen, wie sie in dem von Ernst-Joachim Lampe 1997 herausgegebenen Band versammelt sind.[12]

Ausgehend von den USA dominierte bald das Label legal consciousness, das sich als Rechtsbewusstsein übersetzen lässt.

»Legal consciousness has been one of the most studied, discussed, and debated concepts in law and society research over the last thirty years.«[13]

Viele suchten unter dieser Überschrift, wie zuvor die KOL-Forschung, nach support for the legal system.[14] Das damit angedeutete Konzept wurde jedoch von der Schule der Critical Legal Studies verworfen. Die einflussreiche amerikanische Rechtssoziologin Susan S. Silbey machte geltend, legal conciousness als theoretisches Konzept und empirischer Forschungsansatz habe sein kritisches Potential verloren. Einst sei das Konzept entwickelt worden, um zu zeigen, wie das Recht seine institutionelle Macht verteidigen könne, obwohl es konstant hinter seinen Versprechungen zurückbleibe. Aber jetzt diene es im Gegenteil dazu, die Funktionsfähigkeit des Rechts für bestimmte Gruppen und Interessen zu verbessern.[15]

Nun, wie beim Schweinezyklus, eine neue Welle, befördert durch Ästhetik[16] und Neue Phänomenologie.[17] Die von Landweer und Koppelberg herausgegebenen Sammelbände[18] sind in einer Reihe »Neue Phänomenologie« erschienen, der Band von Scarinzi[19] als »Contribution to Phenomenology«. Hier überschneidet sich der emotional turn mit der Körpersoziologie der Neuen Phänomenologie. Embodiment ist das Stichwort. Sensual turn[20] passt auch. Schon beinahe ein Nachzügler ist der Juristenband von Thorsten Keiser, Greta Olson und Franz Reimer »Rechtsgefühle – Die Relevanz des Affektiven für die Rechtsentwicklung in pluralen Rechtskulturen« (2023), der die Thematik auf die kulturwissenschaftliche Schiene schiebt.

Vielversprechend beginnt der Beitrag von Julia Hänni zu einem der Sammelbände, wenn sie erklärt, dass bereits der Vollzug kognitiver Wahrnehmungen gefühlsgeleitet ist:

»Der Apriorismus des Emotionalen prägt als Vorbedingung des Verstehens das Erschließen der Außenwelt – und zwar als ›Vorwertung‹ im Sinne eines primären emotionalen Unterscheidungsvermögens, das sich auf die Differenzierungsleistung der Wahrnehmung selbst stützt: Es ist eine Vorwertung durch eine gefühlsgeleitete Stellungnahme, die im Wahrnehmungsvollzug bereits gegeben ist, und eine Fähigkeit, welche die Dinge der Welt positiv und negativ differenziert und so die Besonderheit erfahrbar macht.« [21]

Nun möchte man gerne wissen, welche Gefühle im Zuge der Urteilsbildung Vorwertungen mit sich bringen, wo diese Gefühle ihren Ursprung haben und welcher Art die von ihnen bewirkten Vorwertungen sind. Stattdessen schwenkt Hänni auf das Rechtsgefühl, von dem wir nur erfahren, dass es so etwas gibt. Es bleibt bei der immer wiederholten Feststellung, dass Gefühle bei Urteilen eine Rolle spielen und vielleicht bei einzelnen Beispielen, in denen der Zusammenhang von Gefühl und Urteil nahezuliegen scheint.

Man redet über das Rechtsgefühl, aber – anders als die KOL-Forschung – weder über seine Inhalte noch darüber, was die Inhalte ausmacht und was sie bewirken. Der Leerlauf des Rechtsgefühls hat einen Grund darin, dass Law and Emotion zu einem Law & Something-Fach aufgeplustert wird, so etwa von Maroney[22]:

Man stürzt sich auf die Randgebiete und umgeht den zentralen Fragenkomplex, den emotion theory approach, für den die Psychologie zuständig ist. So erfährt man wunderbare Dinge etwa über Gefühle in Geschichte[23] und Literatur[24], aber wenig über konkrete Ursachen, Auslöser und Wirkungen von Gefühlen. So wird man auch in die Ästhetik entführt, nur um zu entdecken, dass »das Gefühl« ein Grundbegriff der philosophischen Ästhetik war oder ist, der sich gegen fremddisziplinäre Aufladung sträubt, wie sie von Psychologie und Soziologie und vielleicht auch von der Genetik zu erwarten ist. [25] Das Rechtsgefühl läuft leer.

Diese Feststellung verlangt nach einer Fortsetzung. Die ist in Vorbereitung und folgt demnächst hier.

Fortsetzungen:

Zur Sortierung der Begriffe
Emotional-evaluative Erstreaktion und Nachsteuerung
Ein Katalog der Gefühle
Basis- und Sekundäremotionen
Theorien der Emotions-Psychologie
Exkurs zu Descartes’ Irrtum
Zurück zu den Emotionstheorien der Psychologie


[1] Andere sprechen vom emotive turn (Gary S. Schaal, Österreischische Zeitschrift für Politikwissenschaft 39, 2010, 139) oder von der »emotiven Wende« (Oliver W. Lembcke/Florian Weber, Emotion und Revolution,  Österreischische Zeitschrift für Politikwissenschaft 39, 2010, 139).

[2] Für das Recht hat Greta Olson den emotional turn als affective turn rezipiert (The Turn to Passion: Has Law and Literature become Law and Affect?, Law & Literature 28, 2016, 335–353; dies., From Law and Literature to Legality and Affect, 2022).

[3] Der emotional turn erfasst auch andere Disziplinen. So unterhält das Max-Planck-Institut für Bildungsforschung seit 2013 ein Webportal Geschichte der Gefühle. Cihan Sinanoglu/Serpil Polat, konstatieren einen affective turn der Geistes- und Gesellschaftswissenschaften: Rassismusforschung in Bewegung, in: Rassismusforschung I, 2023, 7-22, S. 14.

[4] Terry A. Maroney, A Field Evolves: Introduction to the Special Section on Law and Emotion, Emotion Review 2016, 3–7.

[5] Ronald de Sousa, Die Rationalität des Gefühls, 2009 (The Rationality of Emotion, 1987; Rezension von William Lyons, Philosophy and Phenomenological Research 50, 1990, 631-633).

[6] Antonio R. Damasio, Descartes’ Irrtum, 2004. Dazu Martin J. Jandl, Das antinomische Paradigma der Hirnforschung am Beispiel von Damasios Descartes‘ Irrtum, e-Jounal Philosophie der Psychologie, Juli 2010.

[7] Antonio R. Damasio, Im Anfang war das Gefühl. Der biologische Ursprung menschlicher Kultur, 2017.

[8] Die Übersichtsartikel, die ich gefunden habe, haben mir nicht wirklich weitergeholfen: Susan A. Bandes/Jeremy A. Blumenthal, Emotion and the Law, Annual Review of Law and Social Science 8, 2012, 161-181; Renata Grossi, Understanding Law and Emotion, Emotion Review 2015, 55–60.

[9] Eine Rezension von Riccardo Vecellio Segate, Navigating Lawyering in the Age of Neuroscience: Why Lawyers Can No Longer Do Without Emotions (Nor Could They Ever), Nordic Journal of Human Rights 2022, 268–283.

[10] Darüber hat Sandra Schnädelbach in ihrem Buch »Entscheidende Gefühle« (2020) berichtet. Miloš Vec hat dieses Buch in der FAZ vom 8. 1. 2021 gewürdigt (»Der dunkle Grund des Rechts«).

[11] Adam Podgorecki u. a., Knowledge and Opinion about Law, 1973; Die Stichworte waren Rechtskenntnisse, Rechtsbewusstsein und/oder Rechtsgefühl (legal knowledge, opinion about law; legal consciousness; sense of justice, sens juridique). Dazu Rsozblog vom 9. 3. 2020: Noch einmal Bourdieu, jetzt mit Rechtsbewusstsein.

[12] Ernst-Joachim Lampe (Hg.), Zur Entwicklung von Rechtsbewußtsein, 1997.

[13] Kathleen E. Hull, Legal Consciousness in Marginalized Groups, The Case of LGBT People, Law & Social Inquiry 41, 2016, 551-572, S. 551.

[14] Austin Sarat, Support for the Legal System, American Politics Quarterly 3,1975, 3–24. Zehn Jahre später schwenkte Sarat auf die Linie der Critical Legal Studies ein: Legal Effectiveness and Social Studies of Law: On the Unfortunate Persistance of a Research Tradition, Legal Studies Forum 23, 1985, 23–31.

[15] Susan S. Silbey, After Legal Consciousness, Annual Review of Law and Social Science 1, 2005, 323-368. Immer wieder angeführt, aber kaum ausgewertet wird in diesem Zuammenhang Patricia Ewick/Susan S. Silbey, The Common Place of Law: Stories from Everyday Life, 1998. Vgl. jetzt auch Patricia Ewick/Susan Silbey, Looking for Hegemony in All the Wrong Places: Critique, Context and Collectivities in Studies of Legal Consciousness , in: Jiri Priban (Hg.), Research Handbook on the Sociology of Law, 2020, 163-176.

[16] Gertrud Koch/Christoph Möllers/ Thomas Hilgers/Sabine Müller-Mall (Hg.), Affekt und Urteil, 2015. Der Band lässt vom Titel her nicht erkennen, dass er auf der Rechtsästhetikwelle schwimmt. Er geht auf die Jahrestagung 2012 des SFB 626 »Ästhetische Erfahrung im Zeichen der Entgrenzung der Künste« zurück.

[17] Sigrid G. Köhler/Sabine Müller-Mall/Florian Schmidt/Sandra Schnädelbach (Hg.), Recht fühlen, 2017.

[18] Hilge Landweer/Dirk Koppelberg, Recht und Emotion I: Verkannte Zusammenhänge, 2017; Hilge Landweer/Fabian Bernhardt, Recht und Emotion II: Sphären der Verletzlichkeit, 2017.

[19] Alfonsina Scarinzi (Hg.), Aesthetics and the Embodied Mind, 2015.

[20] Im Blog »Recht Anschaulich« hatte ich 2012 ausführlich über den sensual turn geschrieben, nachzulesen im im Blogbuch in Einträgen vom 6. 10. 2012 (S. 12f), 2. 4. 2012 (S. 25ff) und vom 10. 2. 2012 (S. 40ff). Diese Einträge sind dann in der Zeitschrift für Rechtssoziologie 33, 2012, S. 51-75 unter dem Titel Zur Rede vom multisensorischen Recht. Ein kumulativer Tagungsbericht gedruckt worden.

[21] Julia Hänni, Gefühle als Basis juristischer Richtigkeitsentscheidungen, in Gertrud Koch u. a., Affekt und Urteil, 2015, 133–141.

[22] Terry A. Maroney, Law and Emotion: a Proposed Taxonomy of an Emerging Field, Law and Human Behavior, 30, 2006, 119–142.

[23] Joel F. Harrington, Der Henker als Flugschrift-Autor: Bewusste und unbewusste Darstellung von Gefühlen, in: Geschichte der Gefühle – Einblicke in die Forschung, April 2015, Sebastian Ernst, Gefühlsräume und gefühlte Räume – räumlich strukturiertes Fühlen am Beispiel des »Kerkers«, in: Geschichte der Gefühle – Einblicke in die Forschung, Oktober 2015. Das Research Handbbook on Law and Emotion (2021) enthält ein ganzes Kapitel mit fünf Artikeln über die History of Legal Emotions.

[24] Nancy E. Johnson, Impassioned Jurisprudence. Law, Lterature, and Emotion, 1760-1848, 2015.

[25] Brigitte Scheer, Art. Gefühl, in Barck (Hg.), Ästhetische Grundbegriffe Bd. 2 2001, 629-660. Die Ästhetik hat freilich ähnliche Probleme mit der psychologischen Einordnung des Gefühls wie die Jurisprudenz; dazu Bjarne Sode Funch, Emotions in the Psychology of Aesthetics, Arts 11, 2022, 76, 11 //S.

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Light Law: »Ordnungen« (Codes of Conduct) zwischen Recht, Moral und Management

Die Rechtssoziologie kümmert sich um Vorgaben aus Politik und Gesellschaft und verpasst darüber ihre eigenen Themen. Ein solches Thema heißt Light Law. Gemeint ist die Inflation von Ordnungen, Kodices, Leitlinien, Leitbildern usw., die sich wie Tau oder Mehltau – ich suche noch nach der erhellenden Metapher – über das staatliche und übernationale Recht legt. Geläufige Stichworte wie private regulation, governance, legal pluralism und soft law erfassen das Phänomen nur am Rande.

Unterhalb der klassischen Rechtsquellen wie Gesetz, Verordnung und Satzung gab es immer schon interne Ordnungen als Hausordnungen, Disziplinarordnungen, Betriebsordnungen, Seminarordnungen usw. Sie fügen sich in den Stufenbau der Rechtsordnung ein, indem sie von der Kompetenz zur Selbstverwaltung oder Autonomie Gebrauch machen. Damit haben sie am Ende auch Rechtsqualität. Solche Ordnungen hatten und haben technischen oder funktionalen Charakter (Öffnungszeiten, Ruhezeiten, Essenszeiten, Zutrittsberechtigungen, Schutzvorkehrungen, Verantwortlichkeiten usw.).

Die neuen »Ordnungen« des Light Law sehen aus wie Recht, sind aber keines, mögen auch die Übergänge fließend sein. Sie wiederholen in großem Umfang einschlägige Rechtsnormen. Aber es handelt sich nicht um Kompendien, in denen das geltende Recht für die Anwendung innerhalb von Organisationen aufbereitet wird, wie es gelegentlich durch Verwaltungsvorschriften geschieht. Das Light Law der neuen »Ordnungen« hat vielmehr einen überschießenden Gehalt.

Oft ist dieser Gehalt »moralisch«. Das zeigt sich gelegentlich schon in der Überschrift, z. B. Code of Ethics and Conduct for European Nursing. Moral im Sinne von Sozialmoral ist informell. Sie kennt zwar viele Verhaltensregeln. Aber die sind keiner bestimmten Person oder Organisation zuzurechnen. Sie sind nicht kodifiziert und dennoch als »Sitte und Anstand« bewusst und wirksam. Anders liegt es mit der philosophischen Ethik. Darüber werden dicke Bücher geschrieben, doch es gibt keine ausformulierten Verhaltensregeln, ie im Publikum lebendig sind. Nun zeigt sich: Die Moderne, in der man sich über die Normenflut beklagte, und die Postmoderne, die Normen zu Fiktionen erklärte, sind Vergangenheit. Die Gesellschaft zeigt einen unstillbaren Normenhunger und begegnet ihm mit immer neuem Light Law.

Legal ist nicht genug. Mit der Trennung von Recht und Moral durch den modernen Rechtspositivismus ist die Welt nicht glücklich geworden. Sie zeigt Sympathie für moralische Illegalität (z. B. der Klimakleber) und kritisiert umgekehrt legale Immoralität (z. B. an Aktivitäten der AfD). Hier tut sich eine Lücke für das Light Law auf.

Von der Moral führt ein kurzer Weg zu politischem Engagement. Politik hat viele Themen besetzt, die über lange Zeit »nur« als moralische gegenwärtig waren. Klimaschutz und Nachhaltigkeit, Gleichstellung und Diversität, der Kampf gegen Rassismus und Diskriminierungen aller Art und gegen antidemokratische Bestrebungen stehen auf der Agenda der Politik. Jetzt dreht die Politik den Spieß um und verlangt von Organisationen aller Art moralisches Engagement für ihre Ziele. Solches Engagement zeigten z. B. die Gleichstellungsbeauftragten von ARD, ZDF, ORF und Deutscher Welle, als sie zum Weltfrauentag den gemeinsamen sogenannten »Baukasten gegen Sexismus« vorstellten. Er enthält verpflichtende und freiwillige Maßnahmen gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz. Der »Leitfaden für eine diskriminierungsfreie und gendergerechte Sprache in juristischen Ausbildungsfällen an der Juristischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum« gibt sich als bloße Empfehlung, bietet aber ein moralisch-politisches Manifest. In diese Reihe gehört auch das wundersame Framing-Manual der ARD.

Vor allem aber hat das Light Law eine Management-Funktion. Große Organisationen (Unternehmen), die oft viele Tausend Menschen beschäftigen, haben intern ähnliche Probleme wie der Staat mit seinen Bürgern. Sie müssen ihre Mitarbeiter veranlassen, positiv im Sinne der Unternehmensziele tätig zu werden und alles zu unterlassen, was dem Unternehmen Schaden bringen könnte. Dazu reichen individuelle Weisungen nicht aus. Vielmehr sind organisatorische Maßnahmen und allgemeine Regeln notwendig. Als solche dienen codes of conduct, Regeln guter Praxis, Leitbilder und Sprach-Leitfäden usw. Dafür hat sich jenseits der Anwaltschaft eine Beratungsindustrie etabliert. Eine Webseite, die Schulungen anbietet, zeigt die Rechtsnähe, indem sie unter Lawpilots firmiert. Auf der Internetseite eines anderen Anbieters wird definiert:

»Ein Code of Conduct – auf Deutsch Verhaltenskodex – ist eine Sammlung von Verhaltensweisen, die für die Mitarbeitenden eines Unternehmens gelten. Er enthält Richtlinien dafür, wie sich die Mitarbeitenden rechtlich korrekt, ethisch und sozial verhalten sollen.«

Die Konjunktur neuer »Ordnungen« als Instrument des Managements wird aus drei Richtungen angetrieben, die sich wechselseitig verstärken. Der informelle, gesellschaftliche Antrieb kommt aus der Wirtschaftsethik (Business Ethics), wo sich die Ansicht durchgesetzt hat, alle größeren Firmen müssten schriftlich fixierte Verhaltensregeln haben. Man sucht nicht vergebens, ob bei Audi, BASF oder RWE.

Zweitens erklären sich die neuen »Ordnungen« daraus, dass Compliance zum Rechtsinstitut geworden ist, das heißt, dass von größeren Organisationen Vorkehrungen zur Einhaltung des Rechts erwartet werden. Drittens ist die Außendarstellung für Unternehmen immer wichtiger geworden. Dazu braucht man »Leitbilder«, die sich vorzeigen lassen.

Compliance hat drei Gesichter. Das eine zeigt sich als gesellschaftliche Verantwortung (CSR = Corporate Social Responsibility), das andere in Organisationsanforderungen, die das Recht an Unternehmen stellt und deren Verletzung haftungsrechtliche, ordnungsrechtliche und für die beteiligten Personen auch strafrechtliche Folgen haben kann (Compliance i. e. S.).

Das dritte Gesicht von Compliance zeigt sich in der Eigendynamik des Begriffs, die dazu herausfordert, über das offizielle Recht hinaus Vorkehrungen zu rechtlich nicht angreifbarem Verhalten zu treffen, das dem Publikum als sozial verantwortlich vermittelbar ist. Da das Recht aber aus vielen Gründen nicht immer vorhersehbar ist, muss man sich zwecks Compliance absichern, indem man mehr tut, als das Recht erfordert. In der Konsequenz ist nicht mehr alles erlaubt, was nicht verboten ist. Light Law baut eine Zone vorsorglichen Verzichts. Vorfeldbeobachtung liegt im Trend. [1]

Daraus gewinnt Light Law eine Tendenz zur Entmündigung der Rechtsgenossen. Man traut ihnen nicht länger zu, selbst zu erkennen und zu entscheiden, ob sich Konflikte irgendwelcher Art anbahnen könnten und was dann zu tun wäre. Probleme aller Art sollen schon im Vorfeld abgefangen werden. Dazu werden Inkompatibilitäten definiert, Meldepflichten vorgesehen und Verfahren installiert. [2] (Und dann beklagt man sich am Ende, dass das Personal nicht mehr entscheidungsfreudig ist.) Selbst das Bundesverfassungsgericht traut seinen Richtern nicht zu, dass sie sich ohne weiteres angemessen verhalten, und hat sich daher Verhaltensleitlinien gegeben:

»Die Richterinnen und Richter des Bundesverfassungsgerichts verhalten sich innerhalb und außerhalb ihres Amtes so, dass das Ansehen des Gerichts, die Würde des Amtes und das Vertrauen in ihre Unabhängigkeit, Unparteilichkeit, Neutralität und Integrität nicht beeinträchtigt werden.«

Wer hätte das gedacht?

Anscheinend kann man sich den Bürger nur als bad man vorstellen. Das legt es nahe, sich auf H. L. A. Hart zu berufen. Dieser wandte gegen die Imperativentheorie ein, erstens, sie sei auf Rechts­zwang fixiert und zweitens, sie schere die große Vielfalt der Rechtsnormen über einen Kamm. Beide Argumente hingen für Hart zusammen, denn die pleasing uniformity der Theorie werde durch ihre Ausrichtung auf den bad man erreicht. Der bad man ist bekanntlich eine Referenz auf Oliver Wendell Holmes:

»If you want to know the law and nothing else, you must look at it as a bad man, who cares only for the material consequences which such knowledge enables him to predict, not a good one, who finds his reason for conduct whether inside the law or outside of it, in the vaguer sanction of conscience.« (The Path of Law, 1897)

Hart antwortete darauf:

»Why should not law be equally if not more concerned with the ›puzzled man‹ or ›ignorant man‹ who is willing to do what is required, if only he can be told what it is?« (The Concept of Law, 2. Aufl. S. 40)

Man könnte nun meinen, Light Law diente dazu, unübersichtlich gewordenes Recht für die Anwendung aufzubereiten und unbestimmte Rechtsbegriffe zu konkretisieren. Weit gefehlt. Es enthält nicht weniger unbestimmte Begriffe und Generalklauseln als das eigentliche Recht. Charakteristisch für die neuen »Ordnungen« ist ihr Bemühen, im Vorfeld des Rechts Standards sozial wünschenswerten Verhaltens zu setzen. Dazu dienen nicht zuletzt allgemeine Wohlverhaltensforderungen und offene Tatbestände. Diese Unbestimmtheit, die oft an Rechtsnormen kritisiert wird, könnte die Adressaten – positiv gewendet – zu eigenverantwortlicher Entscheidung veranlassen. Die Dichte der Regeln motiviert aber wohl eher zu zögerlicher Vorsicht. Vorsicht ist geboten, denn ex post lassen sich bei Fehlentscheidungen stets Vorwürfe konstruieren.[3]

Rechtstheoretisch interessant sind die Übergangszonen von Light Law zu Right Law. Hier produzieren offiziöse Stellen Light Law, dass dann indirekt doch ziemlich heavy wird. Prominente Produzenten sind die Regierungskommission Deutscher Governance Kodex und die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG)[4]. Aber das ist schon wieder ein anderes Thema.

Nachtrag: ZUM Leitfaden der Humboldt-Universität Berlin Wissenschafts- und Meinungsfreiheit im öffentlichen Raum Dieter Schönecker, Freiheit mit Fallstricken, FAZ vom 24. 4. 2024.

Mit dem Titel »Hybris und Unkenntnis« wenden sich Lars P. Field und Volker Rieble gegen die Forderung nach Compliance Regeln für den Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, der durch die Annahme eines Aufsichtsratsmandats bei Siemens Energy durch das Ratsmitglied Veronika Grimm ausgelöst wurde (FAZ vom 27. 6. 2024 S. 6). Dazu auch schon Hank wie in Fn. 2.


[1] Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat seine Aufgabe darin, einschlägige Bestrebungen schon unterhalb der Schwelle der Strafbarkeit zu beobachten. Das als MaComp bekannte Rundschreiben 05/2018 (WA) der BAFIN belässt es nicht bei den »Mindestanforderungen an die Compliance-Funktion«, sondern fügt »weitere Verhaltens-, Organisations- und Transparenzpflichten« hinzu. In einem Leserbrief an die FAZ vom 14. 3. 1924 weist Manfred Kölsch darauf hin, dass Art. 34 des des Digital Services Act (DSA) in Verbindung mit den Nr. 5 und 84 der Erwägungsgründe ausdrücklich dazu auffordern, auch nicht rechtswidrige Eintragungen zu löschen. Zu löschen seien »anderweitig schädliche« oder »irreführende Informationen«, betreffend die »öffentliche Debatte«, die »öffentliche Sicherheit« oder die »öffentliche Gesundheit«. Der Leser kommentiert. » Mit dieser Unschärfemethode wird ein Minenfeld gelegt, das ein Klima des Misstrauens erzeugt. Das Minenfeld wird, um soziale Nachteile zu vermeiden, von dem Bürger nicht betreten. Das Lebenselement freiheitlicher Grundordnung – die ständige geistige und demokratische Auseinandersetzung auch mit gegenteiligen Meinungen (BVerfGE 7,198; 20,162, Rz. 36; 86,122 Rz. 19) – wird verkümmern.«

[2] Rainer Hank, Der Tugendterror der Compliance, FAZamS vom 1. 3. 2024, S. 18.

[3] In der ökonomischen Theorie des Rechts diskutiert man über die Vorzüge von »harten« und »weichen« Regeln. Harte Regeln müssen genau sein und verlangen daher mehr Aufwand bei ihrer Formulierung. Sie können jedoch den Vollzug erleichtern und damit Kosten sparen. Zugunsten harter Regeln werden immer wieder Rechtssicherheit und die Abschreckungswirkung ins Feld geführt, dagegen, dass sie dem durch O. W. Holmes sprichwörtlich gewordenen »bad man« gestatten, berechnend bis an die Grenzen zu gehen. Weiche Normen dagegen veranlassen die Adressaten zu situationsadäquatem Verhalten auf der Linie des Gesetzeszwecks. Auf der anderen Seite können weiche Normen risikoscheue Menschen von wünschenswerten Aktivitäten abhalten und umgekehrt risikofreudige Personen zu Grenzüber­schreitungen herausfordern. Ähnlich liefern harte Regeln zwar eine klare Abgrenzung bei der Delegation von Befugnissen, fördern jedoch Verantwortungsscheu, während weiche Normen dazu veranlassen können, von Vollmachten sinnvoll Gebrauch zu machen. Schließlich können harte Regeln zwar in vielen Situationen für klare Information sorgen und Informationskosten reduzieren. Sie empfehlen sich daher, wenn das zu regulierende Verhalten ein Massenphänomen ist, wie z.B. im Straßenverkehr. Dort kann allerdings die Flüssigkeit des Verkehrs darunter leiden. Harte Regeln können andererseits die Kommunikation beschränken und Missverständnisse herbeiführen, während weiche Normen durch Vermeidung von Ritualen und Formalitäten eine breitere Kommunikation anregen und dadurch Verständigung fördern.

[4] Zu Struktur und Verfahren immer noch hilfreich ein Info-Brief der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages, verfasst von Daniel Lübbert, 2006.

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Wie böse sind SLAPPs (Strategic Lawsuits Against Public Participation)?

Die Heimliche Juristenzeitung berichtete am 21. Februar 2024 über die Erwiderung des Medienunternehmens Correctiv auf einen Antrag des Staatsrechtlers Ulrich Vosgerau auf Erlass einer einstweiligen Verfügung. Mit der Verfügung soll das Landgericht Hamburg Correctiv die Unterlassung verschiedener Behauptungen über Vorgänge auf dem berüchtigten Treffen am 10. Januar 2024 im Landhaus Adlon aufgegeben werden. Es konnte nicht ausbleiben, dass der private Geheimdienst, der hier einen privaten Geheimplan aufgedeckt haben will, sich privatrechtlich vor Gericht verteidigen muss. Wir haben schon lange gelernt: Das Private ist politisch. Da trifft es sich gut, dass in diesen Tagen drei Wissenschaftler aus dem Leipziger Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft eine Studie über »Agenda-Cutting durch SLAPPs? Die Klagen der Hohenzollern und ihre Wirkung auf die Presse und Wissenschaftsfreiheit aus Sicht der betroffenen Journalisten und Forscher«[1] veröffentlicht haben.

Rechtssoziologie und Politikwissenschaft beobachten ein Phänomen, das als strategische Prozessführung bezeichnet wird.[2] Die »Strategie« ist darauf angelegt, entweder Einschränkungen, die mit der Individualklage verbunden sind, durch kollektives Vorgehen zu überwinden oder über den individuellen Prozesserfolg hinaus weitere Ziele zu erreichen. SLAPPs sind Strategic Lawsuits Against Public Participation. Es geht hier also um eine strategische Prozessführung, die auf eine über den Prozess hinausgehende Wirkung angelegt ist.  Die Autoren referieren die Formulierung der rechtssoziologischen Thematik durch Pring und Canan[3] wie folgt:

»Es geht um zivilrechtliche Beanstandungen von Kommunikationshandlungen über einen Gegenstand von öffentlichem Interesse, und es findet eine dreifache Verschiebung des Konflikts statt: eine ›dispute transformation‹ (ein Wandel des Konflikts von einer politischen Streitfrage hin zu einer Rechtsstreitigkeit), eine ›forum transformation‹ (eine Verschiebung des Konflikts aus der Öffentlichkeit auf eine private, wenig zugängliche Bühne) sowie eine ›issue transformation‹ (Gegenstand ist nicht mehr der Schaden für die Öffentlichkeit bzw. Gesellschaft, sondern der Schaden der Kläger).«

Autoren der Leipziger Untersuchung sind Uwe Krüger, Max Beuthner und Connor Endt. Aus der Pressemitteilung des Instituts erfährt man, dass die Publikation aus Masterarbeiten der beiden nachgenannten Autoren hervorgegangen ist, ein schönes Beispiel für die Beteiligung von Studenten an der Forschung. Man fragt sich allenfalls, warum sie die Studie nicht allein veröffentlicht haben.

Zur Sache wurden qualitative Interviews mit betroffenen Wissenschaftlern (Historikern) und Journalisten geführt. Die Autoren hatten Schwierigkeiten, interviewbereite Personen zu finden, konnten dann aber doch jeweils fünf Wissenschaftler und fünf Journalisten befragen, die sie – das ist bemerkenswert – jeweils mit ihren Namen und ihrer institutionellen Anbindung vorstellen können. Der Tenor der Interviews: Die massiven juristischen Interventionen der Hohenzollern hatten einen erheblichen Impact. Sie haben die Angegriffenen Zeit und Energie und in geringem Umfang auch Geld gekostet. Die Angriffe verursachten Emotionen und Stress. Das gilt für die Wissenschaftler mehr als für die an juristische Beobachtung gewöhnten Journalisten. In der Sache hätten die juristischen Attacken aber nicht dazu geführt, dass nichts geschrieben wurde, was man nicht für richtig hielt. Betont wurde jedoch, dass andere Journalisten ohne starken Verleger im Hintergrund unter juristischem Beschuss vermutlich die Schere im Kopf hätten. Es fehlt der Gesichtspunkt, dass die betroffenen Historiker sich für Parteigutachten hergegeben haben. Was hatten sie denn erwartet?  

Dass die SLAPPs zunächst in den USA thematisiert wurden, ist kein Zufall, denn dort wiegt die Verwicklung in einen Zivilprozess, u. a. wegen des zum Teil exorbitanten Strafschadensersatzes, deutlich schwerer. Ob auch in Deutschland das SLAPPing für Presse und Wissenschaft ein Problem darstellt, kann die Arbeit von Krüger u. a. allein schon auf Grund ihrer Methodik nicht feststellen. Die Untersuchung setzt mit einem journalismusfreundlichen Bias ein. Der muss nicht schon daher rühren,  dass es sich um Interessentenwissenschaft handelt, kommt die Studie doch aus einem dem Journalismus gewidmeten Institut. Schon in der Überschrift wird klargestellt, dass es nur um die Sicht der betroffenen Journalisten und Wissenschaftler geht. Aber die Studie lässt sich ihre Tendenz durch die angeführte Literatur vorgeben. Dazu trägt insbesondere ein Artikel des Medienrechtlers Christian Solmecke[4] bei. Solmecke weiß selbstverständlich und sagt auch, dass die Presse- und Meinungsfreiheit durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 I GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG  begrenzt ist. Er lässt sich aber durch die Thematik des Bandes, für den er geschrieben hat und durch die spezielle, von ihm bearbeitete Frage hinreißen, SLAPPs von vornherein nicht bloß als strategische Prozessführung, sondern als Rechtsmissbrauch einzuordnen. Zudem geht er sehr großzügig mit dem Attribut »offensichtlich unbegründeter Klagen« um. Dazu kann er sich allerdings auf Entwürfe und Empfehlungen der EU-Kommission berufen.[5] Diese sind schon für sich genommen bemerkenswert. Es war und ist die Politik der EU, die Durchsetzung des Unionsrechts durch die klageweise Geltendmachung subjektiver Rechte gerade auch im Wege strategischer Prozessführung voranzubringen. Nun kommen die Geister, die man rief, aus einer anderen, unerwünschten Ecke.  Als Gegenmittel möchte man eine neue Prozessvoraussetzung der unangemessenen Klage einführen. Eine solche Generalklausel wäre Gift für den Rechtsstaat.

Die Leipziger Untersuchung zeigt: SLAPPing ist Realität und hat Wirkung. Bei ihrer Arbeit waren den Befragten die juristischen Auseinandersetzungen stets präsent. Sie fühlten sich zur Vorsicht gemahnt. Ist das schlimm? So scheinen es die Autoren und die Befragten zu empfinden. Dabei bleibt die andere Seite unterbelichtet. Mit dem Haus Hohenzollern muss man kein Mitleid haben. Die können sich wehren. Ebenso die rechtsextremen Zirkel, denen die Recherchen von Correctiv galten. Aber die Medien mit ihrem unendlichen Content-Bedarf stehen im Dauerkonflikt mit der Privatsphäre ihrer Beobachtungsobjekte. Sie haben ihre Beobachtungs- und Darstellungsmethoden in einer Weise entwickelt, dass ein Schutz der Privatsphäre kaum mehr möglich ist. Paparazzi gibt es schon lange. Wer auf Anfragen aus dem Medienbereich nicht antwortet, fällt allein schon deshalb durch. Investigativjournalismus ist zum Prestigeprojekt geworden. Immer wider beruft man sich bei der Berichterstattung auf vertrauliche Unterlagen, die anscheinend von wenig vertrauenswürdigen Vertrauensleuten durchgestochen wurden. Correctiv beschreibt stolz seine Geheimdienstmethoden. Im Hohenzollernkomplex war auch der unappetitliche Böhmermann beteiligt. Häme ist Stilmittel selbst der öffentlich-rechtlichen Sender, wo es besonders in der Heute-Show mit Fake-Bildern gepflegt wird. Deshalb ist es gut und richtig, dass die rechtlichen Grenzen der Pressefreiheit ständig auch in den Köpfen der Journalisten präsent sind, mag sie das auch bei ihrer Arbeit »behindern«. Die Medien haben meistens einen taktischen Vorsprung. Haben sie erst einmal berichtet, hilft es nur begrenzt, wenn sie sich später korrigieren. Aliquid haeret. Die geballte Macht der Medien ist so groß, dass sie sich nicht beklagen dürfen, wenn die als solche unorganisierte Gegenseite sich auf eine spezialisierte Anwaltschaft stützt und diese mit allen verfügbaren Mitteln kämpfen lässt. Nebenbei: Es ist immer nur von dem Prozess- und Kostenrisiko der Medien und Journalisten die Rede. Das Risiko der anderen Seite ist weitaus größer, wenn, wie behauptet, die Mehrzahl der juristischen Angriffe unbegründet ist.

Am Ende profitieren sogar Wissenschaftler und Medien, wenn sie auf die von ihnen inkriminierte Weise angegriffen werden. Die Befragten der Leipziger Untersuchung waren der Ansicht, dass sie das Vorgehen der Hohenzollern letztlich nicht erfolgreich gewesen sei.

»Wenn man vom Ergebnis her denkt, haben diese Klagen vermutlich genau das Gegenteil von dem erreicht, was sie hätten erreichen sollen: Was sie erreicht haben, ist, dass es einen dramatischen Ansehensverlust des Klägers gegeben hat, dass die Verhandlungen mit der öffentlichen Hand durch die Klagen stark erschwert wurden, weil zum Beispiel die brandenburgische Wissenschaftsministerin gesagt hat, sie möchte nicht mit Leuten verhandeln, die brandenburgische Wissenschaftler verklagen.«

Dem Anliegen der Medien hat das SLAPPing in doppelter Weise zum Erfolg verholfen. Die Berichterstattung gewann durch den juristischen Sekundärkonflikt mit dem Hause Hohenzollern neuen Stoff und zusätzliche Aufmerksamkeit. Dadurch war auch der Sache besser gedient. Und nicht zuletzt: Die betroffenen Historiker konnten mindestens ihren Bekanntheitsgrad steigern.

Nachtrag vom 15. Mai 2024: Journalistenverbände haben soeben eine Anlaufstelle gegründet, die Journalisten unterstützen soll, die mit Abmahnungen oder Klagen konfrontiert sind. Dagegen ist nichts zu sagen. Wenn allerdings die Bundesvorsitzende der DJU in Verdi, Tina Groll, im Hinblick auf die angeblich wachsende Zahl von Abmahnungen und Rechtsmitteln durch Privatleute und Unternehmen erklärt, »das ist Gewalt«, so ist das ein böser Missbrauch des Gewaltbegriffs. Etwas Selbstkritik der Medien wäre angebracht. Von Gewalt könnte wohl die Rede sein, wenn ihr übergriffiger Journalistenkollege Lutz van der Horst Politikerfrauen bedrängt.


[1] Pulizistik, Februar 2024, ohne Seitenangabe –open access.

[2] Alexander Graser, Was es über Strategic Litigation zu schreiben gälte, in: ders./Christian Helmrich (Hg.), Strategic Litigation, Begriff und Praxis, 2019, 9-19; Alexander Graser/Christian Helmrich, Strategic Litigation, Begriff und Praxis, in: dies., Strategic Litigation, 2019, 9-19; Lisa Hahn, Strategische Prozessführung, Zeitschrift für Rechtssoziologie 39, 2019, 5-32; Britta Rehder/Katharina van Elten, Legal Tech & Dieselgate Digitale Rechtsdienstleister als Akteure der strategischen Prozessführung, ZfRSoz 39, 2019, 64-86.

[3] George W. Pring/Penelope Canan, SLAPPs. Getting Sued for Speaking Out, Philadelphia 1996, dort S. 10.

[4] Christian Solmecke, Dürfen Anwälte die Agenda beschneiden?, in: Hektor Haarkötter/Jörg-Uwe Nieland, Agenda-Cutting, 2023, 303–321.

[5] Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zum Schutz von Personen, die sich öffentlich beteiligen, vor offenkundig unbegründeten oder missbräuchlichen Gerichtsverfahren (»strategische Klagen gegen öffentliche Beteiligung«) vom 27. April 2022, sowie Empfehlung (EU) 2022/758 der Kommission vom 27. April 2022 zum Schutz von Journalisten und Menschenrechtsverteidigern, die sich öffentlich beteiligen, vor offenkundig unbegründeten oder missbräuchlichen Gerichtsverfahren (»Strategische Klagen gegen öffentliche Beteiligung).

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Rezension zu Dieter Krimphove, Rechtsethologie, 2021

Dieter Krimphove, Rechtsethologie. Die Ableitung des Rechts aus der Entwicklungsgeschichte des Menschen, Duncker & Humblot, Berlin, 2021, DOI https://doi.org/10.3790/978-3-428-58217-4. 322 S., 69,90 EUR

Der Autor hat seit 1997 einen Lehrstuhl für Wirtschaftsrecht mit dem Schwerpunkt Europäisches Recht an der Universität Paderborn inne. Seither veröffentlicht er auch über ökonomische Analyse des Rechts, Spieltheorie, juristische Logik, Humanethologie und Fragen der Evolution. Im Literaturverzeichnis werden 29 einschlägige eigene Veröffentlichungen angeführt. Das vorliegende Buch muss man wohl als Zusammenfassung und Krönung langjähriger Befassung mit solchen extradisziplinären Fragen verstehen. Leider ist die Krone aus Talmi.[1]

Im Vorwort spricht Krimphove von einem unverbrauchten Thema. Das ist im Hinblick auf die Literaturflut zur Soziobiologie ebenso kühn wie der Anspruch, mit der Rechtsethologie einen »gänzlich neuen Zugriff auf das Recht« (S. 22) zu bieten oder gar eine neue wissenschaftliche Disziplin zu begründen (S. 23, 30, 52ff).[2] Der Anspruch reicht aber noch weiter:

»Mit ihrem ökonomisch geprägten Ansatz ist die Rechtsethologie interdisziplinär. Sie vereint nicht nur die evolutionsbiologische Fachdisziplinen, wie Human-, Tiermedizin, Genetik, Humangenetik, Zoologie, Geologie/Geographie, Archäologie u. v. a. m., sondern auch die, das menschliche Verhaltens-Repertoire analysierenden, wie die Sozial- und Rechtswissenschaften, die Geschichte, Politologie, Volkswirtschaftslehre, Soziologie, die Psychologie, Neurologie, Neurobiologie, Verhaltensbiologie sowie die erkenntniszusammenführenden Disziplinen der Anthropologie, Theologie und Philosophie und sämtliche deren Spezialbereiche.« (S. 46)

Ähnlich interdisziplinär hatte John Mikhail für eine angeborene moralische Grammatik (UMG = Universal Moral Grammar) in Analogie zu Chomskis generativer Universalgrammatik (UGL = universal generative linguistics) argumentiert.[3] Ihm wurde entgegengehalten, es sei höchst problematisch, sich auf verschiedene Disziplinen zu berufen, wenn keine einzelne für sich den Nachweis für eine UMG führen könne.[4]

Krimphove nimmt für sich in Anspruch, die Ethologie als neue rechtswissenschaftliche Disziplin begründet zu haben. Die spezifische Methode der Rechtsethologie soll in einem institutionen-ökonomischen Ansatz bestehen (S. 49). Die

»propagierte Rechtsethologie [bietet] gegenüber bisherigen humanethologischen Ansätzen, den methodischen Vorteil, nicht auf evolutionshistorische Spekulationen oder fragwürdige Annahmen angewiesen zu sein, sondern zur Begründung der historischen Evidenz von Verhalten auf die Grundlage der – ebenfalls dem Evolutionsgeschehen unterliegenden – Ökonomik des tierischen, hominiden bzw. humanen Verhaltens – als einem qualitativen Vergleichs- und Bewertungsmaßstab  – zurückgreifen zu können.« (S. 52).

Doch Krimphove hält sich nicht an diesen Plan, sondern fällt immer wieder in in die Soziobiologie zurück. Bald darauf erfahren wir: Das Recht ist im gleitenden Übergang aus der Tierwelt zum Menschen entstanden, denn bereits einige Primaten verfügen »über ein deutliches Gefühl für Gerechtigkeit bzw. deren Abwesenheit« (S. 27). Als Beleg dienen die bekannten Forschungen Frans B. M. de Waals. Schon im Tierreich gebe es Beispiele für die freiwillige Akzeptanz von Autorität (S. 26). Als »Produkt eines biologischen Evolutionsprozesses« stehe das Rechts »anderen evolutionsbiologischen Errungenschaften, etwa denen des aufrechten Gangs, der Unbehaartheit der Haut, der Verkrümmung der Wirbelsäule, dem verkümmerten Blinddarm etc., gleich.« (S. 57). Der Witz dieser seiner Formulierung ist dem Autor allerdings entgangen. Vom aufrechten Gang einmal abgesehen würde man die »Errungenschaften« eher als »Imperfektionen und sogar Dysfunktionalitäten« der Evolution[5] einordnen. Humoristen fänden damit reichlich Anknüpfung für eine Rechtskritik.

Die klassische Humanethologie wird von Krimphove als spekulativ und ideologisch fragwürdig abgetan. Die von ihm alternativ

»propagierte Rechtsethologie vermindert die Gefahr, spekulative Elemente als Erklärungsinhalte zu nutzen. Sie ersetzt – und hierin besteht ihre wesentliche Neuheit – Spekulation mit dem wissenschaftlichen Rückgriff auf die objektivierbaren Grundsätze bzw. Gesetzmäßigkeiten der Wohlfahrtsökonomik, speziell der Neuen Institutionen-Ökonomik.« (S. 29)

Mit der Institutionen-Ökonomik könne man »tierische oder menschliche Verhaltensalternativen, angesichts deren größtmöglichem Potential zur Einsparung von Aufwendungen als besonders effizient … qualifizieren« (S. 38). Eine Ex-Post-Evaluation »prähistorischer Phänomene« nach Effizienzmaßstäben kommt wohl in Betracht. Bei dem Folgeschritt dagegen gerät man ins Stolpern.

»In einem Folgeschritt ist es nun denkbar, auf den Bestand bestimmter, prähistorischer Verhaltenselemente und auch Verhaltenssteuerungen (also Normen) objektiv zu schließen. Denn besteht die Wahlmöglichkeit der Akteure (Hominiden, Menschen, Primaten etc.) zwischen Handlungsalternativen, werden diese jene wählen, bzw. gewählt haben, die ihnen effektiv, d. h. als geeignet und ihren Lebensumständen entsprechend – d. h. fit – erschienen. Als effektiv im obigen Sinne erscheinen als Alternativen nur jene, die ihnen und / oder ihrer Gruppe Vorteile erbrachten.« (39)

Krimphove entlarvt oder karikiert auf diese Weise unbemerkt ein in der Evolutionstheorie durchaus übliches Verfahren. Aus heutiger Sicht im Sinne der Transaktionskostentheorie effektive Verhaltensweisen werden als »in der Vergangenheit existent« angesehen (S. 54). Das ist genau die Spekulation, die der Verfasser der »alten« Humanethologie vorhält.

Offen bleibt, von welcher Version der Evolutionstheorie Krimphove ausgeht. Jedenfalls gilt:

»Die besondere Bedeutung der Institutionen-Ökonomik besteht eigens in ihrer inhaltlichen Kompatibilität zur Evolutionstheorie.« (S. 42)

Nun erwartet man, dass der Verfasser an die umfangreiche Diskussion der Ökonomen anknüpft. Stattdessen [führt die]

»Rechtsethologie das ›Recht‹ auf seine evolutionsbiologischen, stammesgeschichtlichen Ursprünge bzw. Entstehungsfunktionen zurück. Diese haben sich mit dem Menschen und seinem Recht nach den Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten des aufwand- und kostenschonenden Einsatzes von Ressourcen weiterentwickelt.« (S. 55)

»Die wissenschaftliche Beschäftigung mit Recht wird auf Grund seiner inhaltlichen Nähe zur Evolutionsbiologie und Stammesgeschichte – wie bereits Post zu Ende des 19. Jahrhunderts vermutete – zu einer ›Naturwissenschaft‹.« (S. 57)

Hier zeigt sich ein grundlegender Fehler der Argumentation: Es fehlt die Unterscheidung zwischen biologischer und kultureller Evolution. »Hominiden, Menschen, Primaten etc.«, Evolutionsbiologie und Stammesgeschichte, werden in eine Kiste gepackt und geschüttelt. Das Ergebnis sind »stammesgechichtliche Grundlagen des ›Rechts‹ «. Nach der Formulierung S. 79 »nutzten die Menschen« ihre über Jahrmillionen gewachsene Hirnkapazität zur »Entwicklung von Werkzeugen und Materialien«, und zu Formen sozialer Arbeitsteilung, in denen sich schon der »Wesensgehalt« dessen zeige, was heute unter Recht verstanden werde. So hat »das Phänomen ›Recht‹ (auch) seine Entsprechung in der hirnorganischen Entwicklung des Menschen genommen« (S. 78). »Das System von ventromedialem präfrontalem Cortex und der Orbitofrontal-Cortex erscheinen so als ethisch/moralischesGewissen.« (S. 86) Es ist

»evolutionsbiologisch entstanden …, da es auch hirnorganisch mit der stammesgeschichtlichen Entwicklung des Menschen verbunden ist« (S. 87f).

Der Rezensent hat bei der Arbeit an dieser Rezension selbst erlebt, wie schwierig es ist, als sich Nicht-Experte in Evolutionstheorie, Verhaltensgenetik, Neurowissenschaften usw. hineinzufinden.[6] Heute ist vielfach von einer verallgemeinerten Evolutionstheorie die Rede, die die drei Prinzipien der Evolution – Reproduktion, Variation und Selektion – zugrunde legt. Aber so einfach liegen die Dinge nicht. Es bleibt eine scharfe Trennung zwischen biologischer und kultureller Evolution, und zwar auch, nachdem der Neodarwinismus mehr und mehr der evolutionären Entwicklungsbiologie weichen muss. Die »neue Synthese« setzte für »Variation« allein auf zufällige Mutationen der Gene. Die sind aber nicht nur selten und vor allem in ihren Auswirkungen so zufällig, dass sie etwa die Anpassung der Schnäbel der Darwin-Finken den Galapagos Inseln schwerlich erklären können. Anscheinend nimmt die Evolution ihren Weg doch auch über eine Anpassung des Phänotyps, die sekundär den Genotyp verändert, und zwar nicht eigentlich durch eine Veränderung der DNA, sondern durch Nutzung in der DNA angelegter Möglichkeiten. So jedenfalls verstehe ich die relativ neue Darstellung von Axel Lange[7]. Nun spricht man von evolutionärer Entwicklungsbiologie oder kurz Evo-Devo (evolutionary developmental biology). Die erbliche Anpassung reagiert anscheinend auf physiologische Anforderungen der Umwelt, die zunächst den Phänotyp angreifen, wie etwa das Sonnenlicht, dass eine Änderung der Hautfarbe zur Folge hat. Sie funktioniert wohl auch, wenn Kultur die Umwelt derart verändert, dass neue physische Anforderungen an Lebewesen gestellt werden, etwa durch Umweltgifte oder gewandelte Bewegungsmuster. Ein Beispiel ist die Entwicklung er Lactosetoleranz als Folge der aufkommenden Milchwirtschaft.[8] Die Weismann-Barriere ist gefallen. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass die aktuelle Evolutionstheorie mehr und mehr dem entspricht, was sich Laien (und Lamarck) schon immer unter Evolution vorgestellt haben. Indessen gibt es für eine biologische Vererbung kultureller Phänomene wie Sprache, Schrift oder auch Recht bisher keinen Beleg. Der Übergang von Symbolen oder – in der Sprache Dawkins – von Memen in die biologische Substanz, den die Soziobiologie voraussetzt, bleibt ein Phantom.

Auf dieses Phantom vertraut Krimphove. Für die kulturelle Evolution verweist er auf das »gegenüber den Primaten vergrößerte Gehirn« der Menschen (S. 42).

»In der Weise wie eine sich klimatisch erwärmende Umwelt, die nun einer zu energieaufwendig, m. a. W. zu transaktionskostenaufwendig gewordene Bewegung eines Dinosaurierkörpers durch schnellere, wendigere Kleinlebewesen (Säugetiere) ersetzte, schafft die Natur auch unangemessen gewordene Verhaltensweisen und deren Reglementierungen ab und ersetzt diese durch situationsangepasstere, d. h. fittere, oder in der jeweiligen Situation transaktionskostengünstigere«. (S. 43f)

Schon auf S. 28 erfuhr der Leser, »die Rechtsethologie [habe] auch Antworten auf Fragen anzubieten, warum selbst technologisch wie ökonomisch hochentwickelte und zudem global-vernetzte Gesellschaften ein restriktives Fremdenrecht praktizieren; also etwa ein, auch ökonomisch zu hinterfragendes, Arbeitsverbot für Flüchtlinge verhängen«. Dazu heißt es auf S. 54:

»Mit ihrem Rückgriff auf evolutionsbiologische Parameter kann die Rechtsethologie sogar jene Verhaltensweisen – wie Rassismus, Vandalismus, Polygamie, Homophobie, schaulustige und rettungsbehindernde Gaffer etc. – erklären, die dem aktuellen Recht und heutigem Rechtsempfinden widersprechen.«

Später (S. 131) erfahren wir dann, dass der »Ingroup-Bias« stammesgeschichtlich eingeschrieben ist mit der Folge, dass »entwicklungsgeschichtlich herausgebildete Tatbestände wie die der Ablehnung, Zurückweisung und Bedrohung alles Fremden aktuell in unrechtmäßige Diskriminierungen, Fremdenfeindlichkeit, Homophobie etc. umschlagen« können. In der Tat, es lässt sich schwerlich bestreiten, dass der Ingroup-Bias ein universelles psychologisches Phänomen darstellt. Die Frage ist nur, ob es sich dabei um ein biologisches oder um ein kulturelles Phänomen handelt oder ob es nicht vielmehr um ein Konstrukt des kognitiven Apparats geht. So würde ich etwa Simone de Beauvoir interpretieren, wenn sie schreibt:

»Die Kategorie des Anderen ist so ursprünglich wie das Bewußtsein selbst. In den primitivsten Gesellschaften, in den ältesten Mythologien findet sich immer eine Dualität: die des Gleichen und des Anderen. … Die Alterität ist eine grundlegende Kategorie des menschli-chen Denkens. Keine Gemeinschaft definiert sich jemals als die Eine, ohne sich sofort die Andere entgegenzusetzen. Es genügt, daß drei Reisende zufällig im selben Zugabteil sitzen, damit alle übrigen Reisenden irgendwie feindliche ›andere‹ werden.«[9]

Die Abgrenzung von Eigengruppe und Fremdgruppe würde sich damit aus der Eigenlogik des Wahrnehmungssystems erklären und fiele so in die Kategorie der Heuristiken und kognitiven Täuschungen nach Kahmemann und Tverski. Freilich lassen sich auch solche Phänomene in Krimphoves Evolutionstheorie einbauen (S. 138f).

Krimphoves Rechtsethologie nimmt für sich in Anspruch, nicht nur »historisch abgeschlossenem Recht eine objektive, qualitative Beurteilung zukommen zu lassen, sondern auch zukünftige Rechtsentwicklungen – anhand des Vorhandenseins bestimmter Ausgangsbedingungen – zu prognostizieren bzw. ein jeweils geeignetes, d. h. situationsangepasstes Recht vorzuschlagen.« (S. 54)

S. 72ff leistet Krimphove seinen eigenen Beitrag zur Geschichte der Menschwerdung.

»Die Ausübung der ökonomisch effizienten koordinierten Jagd auf Großwild bringt somit nicht nur die evolutionäre Abgrenzung des Menschen von seinen Vorgängern, den Hominiden, sondern auch das Entstehen von Kooperation bzw. kooperativem Verhalten hervor.« (S. 72)

Jagen nicht auch die Wölfe im Rudel? Wir erfahren, dass die Großwildjagd ökonomisch effizienter war als das Nachstellen nach Kleintieren und so zum Kennzeichen der Frühmenschen wurde. Lernen entwickelt sich, weil es Transaktionskosten spart (S. 75).

»Auch die Möglichkeit und der Vorgang des Lernens – und damit auch des Erlernens von ›Recht‹ – sind somit erbbiologisch, also genetisch festgelegt. Denn sie boten den Individuen und ihren Gruppen erhebliche überschießende Evolutionsvorteile« (S. 76)

Jeder Hundehalter weiß, dass auch Tiere lernen können.

Ohne sie als solche zu benennen, huldigt Krimphove der Modultheorie des Geistes[10], die nach Bedarf zusammengestückelt wird. Er vermag einzelne Gehirnareale auszumachen, die sich über 400.000 Jahre entwickelt haben und nunmehr für die Existenz von Recht von entscheidender Bedeutung sind. Das wichtigste ist der präfrontale Cortex:

»Er gewährleistet die Wahrnehmung und Verarbeitung der sozialen Folgen des menschlichen Verhaltens, wie Belohnung und Bestrafung. Diese Konsequenzen kann er auch speichern. Seine vielfältigen Vernetzungen, insbesondere mit dem limbischen System und mit der Amygdala (dem Mandelkern), ermöglicht dem Orbitofrontal-Cortex die Integration von bereits gespeicherten situationsabhängigen und situationsgebundenen Emotionen und emotionalen Werten in die soziale Beurteilung eines Geschehens oder des eigenen Verhaltens. Handlungswerte – wie Schutz eines Angehörigen, der Wohnstätte, der Gruppe.« (S. 85)

Hier stecken das »ethisch-moralische Gewissen«, die »juristische Intuition« bzw. »das Rechtsgefühl« (S. 86). Bestimmte Bereiche des Gehirns »speichern Verhaltensmuster« (S. 91). Erst durch Nachlesen in der in Fn. 152 angegebenen Quelle wird klar, dass es sich schlicht um das Gedächtnis handelt – und nicht um eine erbliche Speicherung. Ja, wer hätte bezweifelt, dass Teile des Gehirns für das Gedächtnis zuständig sind?

Krimphove kennt auch die Teile des Gehirns, die »den jeweiligen sozialen Kontext der Handlung für die Zielerreichung« erkennen und so dafür sorgen, dass schon die ersten Menschen »gesetzte Ziele nicht als Selbstzweck, sondern stets gruppenbezogen und gruppenadäquat« verfolgten (S. 95). Der »Sulcus temporalis superior« belohnt altruistisches Verhalten. Solches Verhalten wird in den Dienst der Sippe gestellt und ist als »funktionstauschendes Verhalten« fitnessfördernd (S. 96). Ferner gibt es da ein Zentrum, das soziale Zurückweisung ähnlich registriert wie körperliche Schmerzen. Teile der Insula reagieren

»extrem heftig auf alle Formen (erlebter) Ungerechtigkeit, Ablehnung und Verletzungen von Normen durch andere: Hier entsteht der Reiz, sich selbst rechtskonform zu verhalten, aber auch andere Individuen für deren Rechts-Übertretungen zu sanktionieren.« (S. 98).

Dieser genetisch angelegte Sanktionsmechanismus macht sich auch heute noch geltend:

»Ein Nachbar fotografiert falschparkende Autos, um diese der Polizei oder einem Abschleppdienst anzuzeigen. Passanten beschimpfen Fußgänger, die eine Straße bei ›Rot‹ überqueren, obschon die Sanktionierenden keinerlei Nachteile von dem ordnungswidrigen Verhalten haben oder befürchten müssen.« (S. 99)

Den Höhepunkt der Reise in die Rechtsbiologie bietet die Entdeckung von Rechtsuniversalien, vermittelt durch Marc D. Hausers »Moral Mind«, von dem Krimphove sagt, er habe, »ausgehend von Chomskys universeller Grammatik[11] einen Katalog von ›Rechts-Universalien‹ entwickelt«.[12] Einen Katalog hatte Hauser zwar nicht entwickelt, sondern nur Beispiele genannt. Eines seiner wichtigsten Beispiele, die Goldene Regel, erwähnt Krimphove nicht. Dafür hat er selbst zwei Universalien entdeckt: Ein durch ein aktives Tun begangenes Unrecht erscheint dem menschlichen Rechtsbewusstsein verwerflicher als eine durch ein Unterlassen begangene Rechtsverletzung.[13] Eine sich durch einen unmittelbaren Kausalzusammenhang ergebenden Schaden wird als größeres Unrecht angesehen als eine Schädigung, die durch eine mehrgliedrige, lange oder verwickelte Kausalitätskette entsteht.

»Diesen Nachweis konnte die hier vertretene vorgestellte Rechtsethologie übernehmen, beinhaltet doch dieser Katalog jene (rudimentären) Rechtsstandards oder Ansichten, die allen Menschen gemein sind und von denen also angenommen werden darf, dass sie entwicklungs­geschichtlich von einem gemeinsamen Vorgänger des Menschen stammen.« (S. 264)

In der Tat gibt es eine umfangreiche Diskussion, die sich mit der These befasst, dass Homo Sapiens nicht nur über eine sprachliche Universalgrammatik, sondern auch über eine universelle moralische Grammatik verfügt. Zu den (von Krimphove nicht erwähnten) Protagonisten dieser These zählen etwa der vieltausendfach zitierte Jonathan Haidt[14] oder John Mikhail[15], auf den sich Hunderte berufen. Der Gedanke einer angeborenen moralischen Grammatik ist von dem Züricher Rechtstheoretiker Matthias Mahlmann aufgegriffen worden.[16] Er postuliert eine mentalistische Ethik, die man sich analog zu Chomskys generativer Universalgrammatik und zu bestimmten Strukturen visueller Wahrnehmung als eine natürliche geistige Eigenschaft des Menschen vorstellen soll.[17]

»Zu Kandidaten für die Prinzipien, die der moralischen Urteilsfähigkeit zugrunde liegen, zählen etwa jene Grundsätze, die in der Analytik der Moral als schlechthin konstitutiv ausgezeichnet wurden: die Gerechtigkeitsprinzipien der differenzierten, proportionalen Gleichheit und die Grundsätze des Altruismus.«

Das ist insofern überraschend, als Mahlmann die rechtsbiologischen Ansätze der Soziobiologie, der evolutionären Psychologie und des neuroethischen Emotivismus ausführlich und kritisch referiert.[18] Wieso eine prinzipiengeleitete kognitive Urteilskraft zu den angeborenen Eigenschaften des menschlichen Geistes gehören soll, ist danach schwer verständlich. Zu den angeborenen Eigenschaften menschlichen Geistes gehört wohl sicher die Fähigkeit zur Mustererkennung über die verschiedenen Sinneskanäle. Dass aber auch bestimmte inhaltliche Muster angeboren seien, und zwar nur sprachliche und moralische, nicht aber sonstige Verhaltensmuster, erscheint doch sehr fragwürdig.

Kulturelle Universalien bleiben ein diskussionswürdiges Thema.[19] Man muss dabei nur im Blick behalten, dass die Universalität nicht unbedingt biologisch begründet ist.[20] Krimphove beschränkt sich auf Marc Hausers Erörterung von Abwandlungen des bekannten Trolley-Problems. Die spontanen Antworten vieler Testpersonen, die es ablehnen, eigenhändig einen Menschen zu opfern, um mehrere andere zu retten, ist ihm Beleg für »das stammesgeschichtliche … Verbot der aktiven Verletzung oder gar Tötung von Artgenossen«, das »noch aus dem Tierreich« stammt (S. 114). Die Tierverhaltensforschung von Konrad Lorenz und ihre Rezeption durch Hellmuth Mayer[21] hätten ihn vielleicht doch an einer angeborenen Tötungshemmung zweifeln lassen. Der Biologie Hans Mohr geht davon aus, dass im Gegenteil die Tötungsbereitschaft biologisch programmiert sei.[22]

In einem umfangreicheren Teil über »Anwendungen (S.133 -270) nimmt der Verfasser zu den »Diskrepanzen zwischen ihnen bzw. Friktionen« des aktuellen Rechts Stellung, die er »aus der Präsenz prähistorischen, stammesgeschichtlichen Rechts bzw. Rechtsempfindens in der Gegenwart« ableitet (S. 133). Ausführlich stellt er positive Anreizsysteme, die sämtlich als Nudging etikettiert werden, sowie Scham als ethologische Alternativen oder Ergänzungen zu Sanktionen vor. Die Effizienz des sog. Nudging wird »ethologisch« damit erklärt, dass »das Belohnungssystem ventrale Tegementum … über den Nucleus accumbens, eine Freisetzung von Dopamin [einleitet], das im präfrontalen Cortex Freude und Spiel-Euphorie auslöst« (S. 140). Die »rechtsethologisch geforderte strukturelle Integration der Scham« in das aktuelle Recht soll über das Strafmaß erfolgen. Als Strafbemessungsgrund wird das »Bedauern des Täters angesichts seiner Tat und ihrer Folgen« vorgeschlagen (S. 176). Im Übrigen entdeckt Verf., wie das moderne Recht an vielen Stellen die ursprünglich evolutionären Schamgrenzen verrechtlicht, was notwendig sei, da »nicht mehr alle Mitglieder der Gesellschaft die gleichen Schamgrenzen kennen bzw. akzeptieren« (S. 180).

»Stammesgeschichtliche Bezüge« findet der Verf. fast überall, in der Hierarchie des Arbeitsrechts, »sogar im Unternehmensmitbestimmungsrecht und im Betriebsverfassungsrecht« und nicht zuletzt im Familien- und Erbrecht (S. 182). Wir erfahren immerhin, dass sich »für eine generelle Betrachtung der hier anstehenden Frage, ob die Monogamie ihren entwicklungsbiologischen Niederschlag im Genom des heutigen Menschen gefunden hat, … die Beobachtungen über Vögel prinzipiell nicht« eignen (S. 187). Verf. unternimmt dann erheblich Anstrengungen, um zu belegen, dass Monogamie unter Säugetieren, Primaten und Menschen erbbiologisch nicht verankert ist (bis S. 194), um fortzufahren, dass die Monogamie doch immerhin institutionen-ökonomisch und damit zivilisatorisch begründet gewesen sei (S. 194ff). Unter modernen Verhältnissen sei aber auch die »serielle« Monogamie ökonomisch rational.

Als Teil der »sozialen Handlungskompetenz« habe sich auch das Todesbewusstsein entwickelt (217ff). Daraus folgen allerhand Ableitungen zum Bestattungsrecht. Und natürlich erwartet man »ethologische« Aufklärung über das Eigentum. In der Frühphase der Menschheit habe es kein exklusives Eigentumsrecht gegeben, sondern nur eine Art zeitlich begrenztes Gebrauchseigentum (S. 238).Eigentum habe sich erst mit dem Aufkommen der Arbeitsteilung gebildet, deren Beginn nicht unbedingt mit der neolithischen Revolution zusammenfallen müsse. Eigentum sei als »Lohn« für die individuelle Umwandlung von bloßen Hilfsmitteln wie Steinen und Ästen zu Werkzeugen entstanden (S. 241). Die Entwicklung des Ackerbaus habe dann zur Differenzierung von Mobiliar- und Grundeigentum geführt (S.245). Im Gehirn finden sich »keine Areale, die unmittelbar das Rechtsinstitut ›Eigentum‹ ansprechen. Wohl aber existieren Hirnareale …, die den Erwerb oder den Verlust von Gegenständen unabhängig von deren real-wirtschaftlichem Wert realisieren« (S. 247f). So lässt sich (natürlich) der Unterschied von Eigentum und Besitz ableiten, aber auch Kaufsucht und Sammelleidenschaft, und sogar das Mordmerkmal »Habgier« erhält ethologische Auslegungshilfe: Habgier ist als Erwerbsgier »evolutionsbiologisch und hirnorganisch dem Menschen eingeschrieben« und soll deshalb, anders als die »Behaltensgier« (meine Wortwahl), kein besonders verwerfliches Mordmerkmal sein (S. 254). Auch die Kapitalakkumulation sei eine Folge der erbbiologisch angelegten Erwerbslust. Hier wird jedoch ausnahmsweise einmal ein evolutionär angelegter Trend »rechtsethologisch« für langfristig gemeinwohlschädlich erklärt, und so kommt zum Vorschein, dass das Ethologie-Konzept des Verf. nicht rein empirisch, sondern (auch?) normativ gemeint ist.

Die Annahme einer Schenkung, so erfahren wir S. 259, bedeutet ethologisch die freiwillige Unterwerfung unter eine Hierarchie. Das ist der Grund, warum das moderne Recht nicht auf das Konsenserfordernis bei der Schenkung verzichtet. Um das Erbrecht zu legitimieren, bemüht sich Verf. zunächst darum, die Sterblichkeit des Menschen als evolutionären Vorteil zu erklären: Sterblich ist das Individuum, aber nicht die Gattung, und zur Erhaltung der Gattung ist dann auch das Familienerbrecht dienlich (S. 211). Das wird bis in die Ausgestaltung der Schenkungs- und Erbschaftssteuer verfolgt.

Auch die bekannten Heuristiken und kognitiven Täuschungen von Kahnemann (und Tversky) werden mit Hilfe der Ökonomie auf die Stammesgeschichte der Menschen zurückgeführt (S. 266) und mit einem »hirnorganischen Nachweis« versehen:

»Das menschliche Gehirn subsumiert nämlich, gerade nicht eine konkrete Handlung unter die abstrakt/generellen tatbestandlichen Anforderungen einer Norm. Sein Orbitofrontal-Cortex vergleicht vielmehr ein bestimmtes Verhalten mit dem, durch das limbische System, gespeicherten Fundus von (Präzedenz-)Fällen. Dazu sucht der Orbitofrontal-Cortex nach Gleichheiten jener Emotionen mit denen der Temporalpol und der Gyrus frontalis medius ein jeweiliges Ereignis aufgeladen bzw. gekennzeichnet hat.« (S. 268) mit Fußnotenverweis[23] auf S. 85)

Vieles von dem, was über Evolution geschrieben wird, liest sich wie ein Roman, dessen Handlung in vorhistorischer Zeit spielt, so dass es an hinreichenden Zeugnissen der Ereignisse fehlt mit der Folge, dass die Verfasser ihrer Kombinationsgabe freien Lauf lassen können. Das leistet Krimphove mit staunenswertem Erfolg. Alles klingt plausibel. Alles wird mit Fußnoten unterlegt (die freilich zur Hälfte aus Verweisungen auf den eigenen Text bestehen). Nur an Kritik und Selbstkritik hat der Verfasser gespart.

Zur Ehrenrettung des Autors muss man am Ende sagen: Das Interesse an einer evolutionstheoretischen Erklärung der Gesellschaft und ihres Rechts ist ungebrochen. [24] Aus der Zeitschrift »Ethology and Sociobiology« ging 1997 die Zeitschrift »Evolution and Human Behavior« hervor, die im Mai 2023 ein Sonderheft über »Evolution, Justice, and the Law« veröffentlicht hat. Aus diesem Heft hätte Krimphove für seine Darstellung viel Kunsthonig saugen können.


[1] Wer die Jubelrezension von Benno Heussen (Rechtsphilosophie 8, 2022, 480–493) gelesen hat, wird das Buch aus den hier folgenden Ausführungen nicht wiedererkennen.

[2] Wenn es S. 23f heißt, die neue Disziplin sei »nicht zu verwechseln mit der bereits existenten Rechtsethnologie, einer Teildisziplin der von Eibl-Eibesfeldt, aber auch von Konrad Lorenz maßgeblich geprägten ›klassischen Humanethologie‹ «, dann handelt es sich bei dem im Original fett gedruckten »n« wohl um einen Schreibfehler. Soche Buchstabenfehler sind häufiger, z. B. S. 150 »Verbortsnormn« Es finden sich auch grammatische und Wortwahlfehler, z. B. »taktil«, wenn taktisch oder strategisch gmeint ist (S. 42, 124); verfehlter Genetiv »Bewertungsmaßstabes« (S. 42 ), »Anflehung« statt »Auflehnung«?( S. 131); Auflegung statt Auslegung (S. 254); »Bauentscheidungen« statt »Bauchentscheidungen« (Fn. 674). In den Zitaten habe ich solche Schreib und Wortfehler verbessert.

[3] Dazu die Nachweise in Fn. 85.

[4] Lando Kirchmair, Morality Between Nativism and Behaviorism. (Innate) Intersubjectivity as a Response to John Mikhail’s ›Universal Moral Grammar›‹, The Journal of Theoretical and Philosophical Psychology, 37, 2017, 230–260.

[5] Gerhard Schurz, Evolution in Natur und Kultur, 2011, S. 91.

[6] Davon zeugen drei Einträge auf Resozblog: Was taugt die neue Rechtsbiologie?, Kritik der Soziobiologie Teil II und Kritik der Soziobiologie Teil III.

[7] Axel Lange, Evolutionstheorie im Wandel, 2020 (Rezension mit guter Zusammenfassung von Stephan Krall, Zeitschrift für Anomalistik 20, 375-382

[8] A. a. O. S. 215.

[9] Simone de Beauvoir, Das andere Geschlecht, 8. Aufl. 2008, S. 12f.

[10] Philip Robbins, Modularity of Mind, The Stanford Encyclopedia of Philosophy (Winter 2017 Edition); David Pietraszewski/Annie E. Wertz, Why Evolutionary Psychology Should Abandon Modularity, Perspectives on Psychological Science 17, 2022, 465–490.

[11] Noam Chomsky, Knowledge of Language. Its Nature, Origin, and Use, 1986. Ein jüngerer im Internet verfügbarer Text von Noam Chomsky: Biolinguistic Explorations: Design, Development, Evolution, International Journal of Philosophical Studies 2007, 1–21.

[12] S. 124, 249. Zitiert werden abwechselnd die Originalversion von 2006 mit der Seitenangabe 357ff. und der Nachdruck von 2008. Ich habe in dem Nachdruck von 2008 nachgelesen, der bei archiv.org einsehbar ist, und dort S. 357 ff nichts Einschlägiges gefunden. Interessant sind aber die Seiten 42ff, 54, auf denen Hauser die Analogie zu Chomsky ausführt und sich auf John Rawls beruft, der in seiner »Theorie der Gerechtigkeit« eine Ähnlichkeit zwischen Sprachvermögen und moralischer Kompetenz angenommen hatte. Diesem Zusammenhang hatte schon John Mikhail seine Dissertation aus dem Jahr 2000 gewidmet: Rawls’ Linguistic Analogy: A Study of the ‘Generative Grammar’ Model of Moral Theory Described by John Rawls in ‘A Theory of Justice.’ (Phd Dissertation, Cornell University, 2000 = SSRN 766464).

[13] Dafür hätte Krimphove sich berufen können auf Marc Hauser u. a. (darunter John Mikhail), A Dissociation Between Moral Judgments and Justifications, Mind & Language 22, 2007, 1–21.

[14] Jonathan Haidt, Moral Emotions, in: R. J. Davidson/K. R. Scherer/H. H. Goldsmith (Hg.), Handbook of Affective Sciences, 2003, 852-870; ders., The Emotional Dog and Its Rational Tail: A Social Intuitionist Approach to Moral Judgment, in: Jonathan Eric Adler (Hg.), Reasoning, 2008, 1024-1052; ders./Joseph Craig, Intuitive Ethics: How Innately Prepared Intuitions Generate Culturally Variable Virtues, Daedalus 133, 2004, 55-66; Jonathan Haidt/Jesse Graham, When Morality Opposes Justice: Conservatives Have Moral Intuitions that Liberals May Not Recognize, Social Justice Research 20, 2007, 98–116;  Simone Schnall/Jonathan Haidt u. a., Disgust as Embodied Moral Judgment, Personality and Social Psychology Bulletin 34, 2008, 1096–1109; Jesse Graham/Jonathan Haidt, Moral Foundations Theory: The Pragmatic Validity of Moral Pluralism, in: Advances in Experimental Social Psychology 47, 2013, 55-130.

[15] John Mikhail,. Universal Moral Grammar: Theory, Evidence and the Future, Trends in Cognitive Sciences, 11, 2007, 143-152; ders., Elements of Moral Cognition: Rawls’ Linguistic Analogy and the Cognitive Science of Moral and Legal Judgment, 2011; ders., Knowledge, Belief, and Moral Psychology, Behavioral and Brain Sciences 44, 2021, e161; ders./Matthias Mahlmann, Cognitive Science, Ethics and Law, ARSP Beiheft 102, 2005, 95-102. Kritisch: Lando Kirchmair, Morality between Nativism and Behaviorism: (Innate) Intersubjectivity as a Response to John Mikhail’s »universal moral grammar«, Journal of Theoretical and Philosophical Psychology 37, 2017, 230–260.

[16] Mentalistische Perspektiven auf Sprache und Recht, in: Kent D. Lerch, Die Sprache des Rechts Bd. 3: Recht vermitteln, 2005, 209–232; Elemente eines mentalistischen Regelbegriffs, in: Marco Iorio/Rainer Reisenzein, Regel, Norm, Gesetz, 2010, 69–82; Rechtsphilosophie und Rechtstheorie, 7 Aufl. 2023, S. 510ff.

[17] Rechtsphilosophie und Rechtstheorie, 7 Aufl. 2023, S. 512.

[18] Rechtsphilosophie und Rechtstheorie, 7 Aufl. 2023, § 26 (S. 350-360).

[19] Christoph Antweiler, Das eine und die vielen Gesichter kultureller Evolution, Anthropos 1990, 483–506; ders., Menschliche Universalien – Pankulturelle Muster im Kontext einer Anthropologie des ganzen Menschen, in Benjamin P. Lange (Hg.), Die menschliche Psyche zwischen Natur und Kultur, 2015, 30–41; Donald E. Brown, Human Universals, 1991, ders., Human Universals, Human Nature & Human Culture, Daedalus 2004, 39–48; Karl Eibl, Gibt es kulturelle Universalien?, KulturPoetik 2005, 81–85.

[20] Antweiler (2015) S. 33.

[21] Hellmuth Mayer, Strafrechtsreform für heute und morgen, 1962; ders., Die gesellige Natur des Menschen, 1977.

[22] Hans Mohr, Natur und Moral, 1987, 98ff.

[23] Die Fn. 676 auf S. 268 lautet: »Siehe oben Teil II Kapitel A. III. 2. a) bb) (m. w. H.).« Wohl die Häfte aller Belege = Fußnoten beteht aus solchen Verweisungen, die sich nur müham auflösen lassen.

[24] In Bielefeld fand im August 2023 der Weltkongress Behaviour 2023 statt [https://www.uni-bielefeld.de/fakultaeten/biologie/forschung/veranstaltungen/behaviour2023/].

 

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Kritik der Soziobiologie Teil III

Der Kommentar des Lesers Bernd Ehlers hat auf Versäumnisse in den Einträgen zur Kritik der Soziobiologie vom 21. 9. 2023 und vom 2. 10. 2023 aufmerksam gemacht. In der Tat, diese Einträge sind auf dem Stand von vorgestern stehen geblieben. Veraltet ist insbesondere die Aussage, die biologische Evolutionstheorie ende dort, wo Eigenschaften und Fähigkeiten nicht über die Gene weitergegeben werden. Aber auch im Hinblick auf die Suche nach einer generellen Evolutionstheorie, die für Rechtssoziologie und Rechtstheorie nützlich sein könnte, lassen die genannten Einträge zu wünschen übrig.[1]

Auch das Update muss löcherig bleiben. Die Literaturflut zur Evolution will nicht abreißen. Das meiste ist so genannte populärwissenschaftliche Literatur, mag sie auch in der Regel von Fachleuten stammen. Ich habe längst nicht alles gelesen, und es fällt mir schwer, die Spreu vom Weizen zu trennen. Daher will ich vorab die zwei wichtigsten Titel nennen, auf die ich mich in diesem Update beziehe:

Axel Lange, Evolutionstheorie im Wandel, 2020[2];

Gerhard Vollmer, Im Lichte der Evolution, 2017[3].

Die Suche nach einer generellen Evolutionstheorie sollte mit der Suche nach einer konsolidierten Theorie für die biologische Evolution bestehen. Dabei bewegen fachfremde Juristen sich auf Glatteis. Im ersten Zugriff kommt der sogenannte Neo-Darwinismus in Betracht, wie er von Ernst Mayr in dem auch für Nicht-Biologen bestimmten Buch »Das ist Evolution« dargestellt worden ist.[4] Dieses Standardmodell der auf Darwin zurückgehenden Evolutionstheorie kennt nur den Dreischritt von Variation, Selektion und Reproduktion, bei dem sich die Reproduktion in den Genen stattfindet, während eine Variation der Gene allein durch Zufall erfolgt. Hinzu tritt bei Arten, die sich sexuell reproduzieren, eine Rekombination unterschiedlicher Merkmale nach den Mendelschen Gesetzen. Insoweit spricht man von Neo-Darwinismus oder der modernen Synthese. Sie akzeptiert weiterhin die sog. Weismann-Barriere, die These nämlich, dass sich aus individueller Erfahrung resultierende Variationen der Organismen nicht vererben können, weil es eine Barriere zwischen den Körperzellen und den Keimzellen (Keimbahn) gibt, die einen Übergang von Erbmaterial aus den Körperzellen in die Keimzellen unmöglich macht. Von diesem Stand gegen die die ersten Einträge zur Kritik der Soziobiologie aus.

Nun spricht man von evolutionärer Entwicklungsbiologie oder kurz Evo-Devo (evolutionary developmental biology). EvoDevo stellt die Grundannahmen des Neo-Darwinismus in Frage. Sie öffnet den auf Zufallsmutationen und natürliche Selektion festgelegten Darwinismus in Richtung auf Selbstorganisation, Kooperation und Netzwerke. Hierher gehört auch die inzwischen weithin akzeptierte Epigenetik. Anscheinend bleibt es jedoch bei einer scharfen Trennung zwischen biologischer und kultureller Evolution Die »neue Synthese« setzte für »Variation« allein auf zufällige Mutationen der Gene. Die sind aber nicht nur selten und vor allem in ihren Auswirkungen prinzipiell so wenig funktional, dass sie etwa die Anpassung der Schnäbel der Darwin-Finken auf den Galapagos Inseln schwerlich erklären können. Anscheinend nimmt die Evolution ihren Weg doch auch über eine Anpassung des Phänotyps, die sekundär den Genotyp verändert, und zwar nicht eigentlich durch eine Veränderung der DNA, sondern durch Nutzung in der DNA angelegter Möglichkeiten. So jedenfalls verstehe ich die relativ neue Darstellung von Axel Lange[5].

Die erbliche Anpassung reagiert anscheinend auf physiologische Anforderungen der Umwelt, die zunächst den Phänotyp angreifen, wie etwa das Sonnenlicht die Haut mit der Folge, dass sich auf gar nicht so lange Sicht die Hautfarbe ändert. Die Anpassung funktioniert auch, wenn Kultur die Umwelt derart verändert, dass neue physische Anforderungen an Lebewesen gestellt werden, etwa durch ein veränderte Nahrungsangebot, Umweltgifte oder gewandelte Bewegungsmuster. Langes Beispiel ist die Entwicklung der Lactosetoleranz als Folge der aufkommenden Milchwirtschaft.[6] Die Weismann-Barriere ist gefallen. Juristen müssen zur Kenntnis nehmen, dass die aktuelle Evolutionstheorie mehr und mehr dem entspricht, was sich Laien (und Lamarck) schon immer unter Evolution vorgestellt haben. Aber Hinweise auf eine direkte Vererbung kultureller Phänomene wie Sprache, Schrift oder auch Recht über die Biologie habe ich (in der Literatur) nicht gefunden. Lange spricht zwar von kultureller Transmission[7], erklärt aber nicht, was gemeint ist. Anscheinend bleibt der unmittelbare Übergang von symbolisch vermittelter Kultur oder – in der Sprache Dawkins – von Memen in die biologische Substanz, den die Soziobiologie voraussetzt, ein Phantom. Das ist wichtig für eine verallgemeinerte Evolutionstheorie, die sich von der Rechtswissenschaft rezipieren lässt.

Eine allgemeine Evolutionstheorie wäre eine einheitliche Theorie, die für alle Disziplinen Geltung hätte. Eine solche Theorie schwebte dem Ökonomen Kenneth E. Boulding vor.[8] In diese Richtung zeigt die Theorie der molekularen Evolution von Manfred Eigen (Nobelpreis 1967).[9] Fortgesetzt wurden seine Bemühungen zur Erklärung präbiotischer Selbstorganisation durch Arbeiten des Chemikers Ilya Prigogine (Nobelpreis 1977) über offene Systeme, die sich nicht in einem dynamischen Gleichgewicht befinden, und durch den Physiker Hermann Haken, weltberühmt für seine Lasertheorie, der die Theorie der sog. Phasenübergänge zu einer Theorie der »Synergetik« verallgemeinerte, die auch die gesellschaftliche Selbstorganisation erklären soll.[10] In aller Regel versteht man jedoch unter einer »allgemeinen« Evolutionstheorie nur eine analoge Verwendung von Elementen der biologischen Evolutionstheorie auf kulturelle Phänomene. Da zeigt ausführlich Gerhard Vollmer, indem er 43 »evolutionäre Fächer« (darunter die Rechtstheorie) und weitere 14 Teilgebiete evolutionärer Philosophie vorstellt.

Das Problem mit der Soziobiologie ist und bleibt, dass sie direkt auf die Evolutionstheorie der Biologen zurückgreift. In der dynamischen neuen Evo-Devo gewinnt sie dafür anscheinend eine bessere Grundlage, insbesondere, weil sich die Zeiträume der Evolution von Jahrmillionen auf Jahrtausende verkürzen. Das Interesse an einer evolutionstheoretischen Erklärung der Gesellschaft und ihres Rechts ist ungebrochen. [11] Aus der Zeitschrift »Ethology and Sociobiology« ging 1997 die Zeitschrift »Evolution and Human Behavior« hervor, die im Mai 2023 ein Sonderheft über »Evolution, Justice, and the Law« veröffentlicht hat.

Einen wichtigen Beleg für ein biologisches Verhaltensprogramm bilden nach wie vor die kulturellen Universalien. Vollmer (den ich nicht im Lager der Soziobiologen sehe) ist da sehr großzügig. Als »letztlich genetisch bedingt« zählt er auf:

»Mimik, teilweise auch Gestik, Empathie (Fähigkeit, sich in Gefühle, Motive und Absichten anderer einzufühlen), Emphronesis (Fähigkeit, sich in Wissen und Denken anderer einzufühlen), Besitzanspruch und Besitzanerkennung, langfristige und komplexe Kooperation, Paarbindung, väterlicher Beitrag zum Großziehen von Kindern, Inzesttabu«.[12]

Sieht man einmal davon ab, dass sich die letzten fünf Items dieser Aufzählung vielleicht auch aus einer Handlungslogik erklären lassen, wie sie etwa die Spieltheorie beschreibt, so bleibt bisher völlig offen, wie eine Umsetzung von »Stammesgeschichte« in Biologie vor sich gegangen sein könnte. Es gibt keine Möglichkeit der Ableitung von konkreten Handlungen aus biologischen Strukturen, sondern nur umgekehrt Rekonstruktionen der biologischen Struktur (für die die Gene weiterhin als Abkürzung dienen mögen) aus der Beobachtung der Gesellschaft. Vieles von dem, was Soziobiologen über Evolution schreiben, liest sich wie ein prähistorischer Roman, wie ein Prosawerk, dessen Handlung in vorhistorischer Zeit spielt, so dass es an hinreichenden Zeugnissen der Ereignisse fehlt mit der Folge, dass die Verfasser iher Kombinationsgabe freien Lauf lassen können.

Obwohl man davon ausgehen kann, dass der Mensch nicht als tabula rasa oder blank slate zur Welt kommt, besteht doch die entscheidende Menschenqualität in der Anlage eines Reflexionsvermögens, das biologisch angelegte Handlungsbereitschaften überspielen kann.

Nachtrag vom 5. 1. 2024: Als Fortsetzung kann man lesen Isabelle Bartram/Timo Plümecke/Peter Wehling, Soziogenomik: Ein neuer Versuch, die Soziologie zu biologisieren, Sziologie 53, 2024, 20-45.


[1] Mich tröstet, dass auch Rudolf Stichweh, der sich weitaus intensiver mit der Evolutionstheorie befasst hat, noch nicht weiter gekommen ist: Die soziokulturelle Evolution menschlicher Gesellschaften Zur Komplementarität von Differenzierungs- und Evolutionstheorie, Historische Zeitschrift 2023, im Druck.

[2] Rezension mit guter Zusammenfassung von Stephan Krall, Zeitschrift für Anomalistik 20, 375-382.

[3] Der wichtigste erste Teil ist hier im Internet zu finden.

[4] Auf diesem Stand auch noch Gerhard Schurz, Evolution in Natur und Kultur: eine Einführung in die verallgemeinerte Evolutionstheorie, 2011.

[5] Axel Lange, Evolutionstheorie im Wandel, 2020, Zusammenfassung S. 249-252.

[6] A. a. O. S. 215.

[7] A. a, O, S. 251.

[8] Kenneth Boulding, Evolutionary Economics, 1981. Dazu der Sammelband, hg. von Erich Jantsch:, The Evolutionary Vision, 1981.

[9] Manfred Eigen, Selforganization of Matter and the Evolution of Biological Macromolecules, Die Naturwissenschaften 58, 1971, 465-523; ders./Ruthild Winkler, Das Spiel. Naturgesetze steuern den Zufall, 9 Aufl. 2021.

[10] Dazu Rechtssoziologie-online § 71 II.

[11] In Bielefeld beginnt im August der Weltkongress Behaviour 2023 statt [https://www.uni-bielefeld.de/fakultaeten/biologie/forschung/veranstaltungen/behaviour2023/].

 

[12] S. 31f. In dem Zitat habe ich die Reihenfolge umgestellt, um den Folgesatz besser anschließen zu können.

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Kritik der Soziobiologie Teil II

Keine nichtbiologische Disziplin hat sich so intensiv mit der Übertragung der Evolutionstheorie auf ihren Objektbereich befasst wie die Ökonomie. [1] Wirksam war und ist nicht zuletzt die über Jahrzehnte durch Friedrich A. von Hayek entwickelte Theorie der kulturellen Evolution, die auf spontane Ordnungen abstellt, die sich durch Versuch und Irrtum entwickeln.[2] Aus größerer Distanz könnte man sogar meinen, dass auch Planung und Organisation sozusagen unter der Hand evolutorischen Mustern folgen, wobei letztlich ökonomische Effizienz als Selektionsmechanismus wirkt. In der »kulturellen« Entwicklung des Wirtschaftsgeschehens ist sicher auch Platz für die Spieltheorie. In den 1980er Jahren wurde die Theorie der ökonomischen Evolution durch Autoren angeschoben, die die Quelle für eine Entwicklung der Wirtschaft auf der Schiene des Neoinstitutionalismus in der Entwicklung der formellen und informellen Institutionen suchten.[3] Spätestens hier kippt der Angelpunkt der Evolution vom Individuum zur Gruppe und/oder zur Institution und/oder Organisation

Ob zwischen der biologischen und der kulturellen Evolution eine scharfe Trennlinie besteht, ist ein Problem für sich. Damit befassen sich die genannte Dual-Inheritance-Theorien, die auf Robert Boyd und Peter J. Richerson zurückgehen.[4] Boyd und Richerson nehmen an, dass die biologische und die kulturelle Evolution getrennte Wege gehen, dass die biologische Evolution eine genetische Kapazität für kulturelle Evolution bereitstellt. Günter Dux ist das nicht genug. Er postuliert einen »Hiatus zwischen Organismus und Welt«, den die Evolution nicht mehr genetisch habe überbrücken können und der durch die Konstruktionen des Geistes ausgefüllt werde.[5] Wieweit die kulturelle Evolution auf die genetische Basis einwirkt, bleibt eine offene Frage.

Die biologische Kapazität für eine kulturelle (und das heißt immer auch soziale) Evolution ist das Thema der evolutionären Psychologie. Sie beschreibt das Gehirn als eine Art Computer, der von der Evolution auf die Lösung von Problemen optimiert wurde, die sich der Menschheit in ihrer Entwicklungsgeschichte gestellt haben. Eine Schule, die auf Jerry A. Fodor zurückgeht[6] und bald Konkurrenz von Leda Cosmides und John Tooby erhielt[7], sieht in den neuronalen Netzwerken des Gehirns aber keinen universalen Denkapparat, sondern ein Ensemble von je für sich komplexen Systemen, die von der Evolution für spezifische kognitive Aufgaben entwickelt wurden, etwa für das Sprachvermögen, für Gesichtserkennung[8], Erkennung der Eigengruppe, Partnerwahl, Fluchtverhalten oder sozialen Austausch. Für die verschiedenen Probleme soll es jeweils spezialisierte instinktartige circuits oder Module geben. Und – »natürlich« möchte man sagen – sind einige Module auch geschlechtsspezifisch ausgebildet. Es fehlt allerdings ein definitiver Katalog der einschlägigen Module.[9] Der Laie hat daher den Eindruck, wenn immer ein automatischer Prozess im Gehirn vermutet wird, postuliert man ein neues Modul. So schließt Pinker aus Statistiken, nach denen bei Stiefeltern die Wahrscheinlichkeit der Kindesmisshandlung größer ist als bei leiblichen Eltern, auf angeborene Elternliebe. Damit fordert er die Frage nach der Entwicklung von Kindern heraus, die bei gleichgeschlechtlichen Paaren aufwachsen.[10] Wenn es denn Unterschiede gäbe, so ließen sie sich vermutlich auch ohne Rückgriff auf die Biologie erklären.

Die beiden größten Aufreger sind Aussagen der Soziobiologie zur Vererblichkeit von Intelligenz und zum Sexualverhalten. 1994 erschien »The Bell Curve: Intelligence and Class Structure in American Life«[11]. Es lässt sich wohl nicht ausschließen, dass (die Grundlage der Intelligenz) vererblich ist. Aber das Ausmaß der genetischen Vererbung und ihr Gegenstück, der sog. Flynn- Effekt, sind nach wie vor im Streit. Zitierrekorde hält ein Aufsatz, in dem Robert L. Trivers die evolutionäre Entwicklung de Partnerwahlverhaltens thematisierte.[12] Der Kernsatz:

»The relative parental investment of the sexes in their young is the key variable controlling the operation of sexual selection. Where one sex invests considerably more than the other, members of the latter will compete among themselves to mate with members of the former.«

Damit hatte Trivers das (heute so genannte) Bateman-Prinzip auf den Menschen übertragen, wonach dasjenige Geschlecht, das größere Aufwendungen zur Erzeugung und Aufzucht des Nachwuchses einsetzt, die Partnerwahl bestimmt. Daran schließen die bekannten Thesen an: Männer haben einen stärkeren Sexualtrieb als Frauen[13], sie sind, auch im Umgang mit dem anderen Geschlecht aggressiver; Frauen sind wählerischer, bevorzugen aber aggressive Männer und entscheiden letztlich über die Vereinigung (female choice[14]). Immer wieder stoßen Psychologen auf universelle Muster für die Attraktivität von Sexualpartnern. Aber Männer wissen von Natur aus noch nicht einmal, wie der Geschlechtsverkehr zu vollziehen ist.[15] Eine ursprüngliche Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern muss nicht mit einer genetischen Programmierung zu tun haben, sondern folgt schlicht daraus, dass allein Frauen die Kinder austragen und ihnen anfangs Brustnahrung anbieten können.

Die modulare Theorie des Geistes bietet sich an, um zu erklären, warum psychologische Tests eine Reihe von Phänomenen aufzeigen, die anscheinend nicht erlernt sind, ferner, warum sich je nach Sachthema mit Hilfe von EECs und MRT-Scans recht präzise unterschiedliche Gehirnareale als aktiv identifizieren lassen.[16] Es ist aber bisher noch keines der behaupteten Module direkt beobachtet worden. Ihre Existenz wird stets nur aus Reaktionen von Versuchspersonen und peripheren Eigenschaften des Gehirns gefolgert. Die modulare Theorie des Geistes ist daher in der Psychologie keineswegs allgemein akzeptiert[17] (und daher schreibe ich »Module« ab hier in Anführungszeichen). Es bleibt immerhin:

»Das menschliche Gehirn stellt ein komplexes System dar mit hochgradig koordinierten Interaktionen zwischen großen spezialisierten Gruppen von Neuronen, den neuronalen Netzwerken. Die Dynamik und Formbarkeit dieser Netze [wird] oft als Neuroplastizität bezeichnet.«[18]

Europlastizität bedeutet wohl, dass es sich um selbstlernende Systeme handelt.

Zu den kognitiv arbeitenden »Modulen« des Geistes treten die Emotionen. Davon gibt es nach Jaak Panksepp[19] genau sieben mit einer neuronalen und damit letztlich genetischen Basis.Die Emotionen lenken den kognitiven Apparat im Sinne evolutionärer Funktionalität:

»An emotion is a mode of operation of the entire cognitive system, caused by programs that structure interactions among different mechanisms so that they function particularly harmoniously when confronting cross-generationally recurrent situations — especially ones in which adaptive errors are so costly that you have to respond appropriately the first time you encounter them.«[20]

Zwei der kognitiven »Module« sind für die Rechtstheorie besonders interessant, das Sprachvermögen und das Moralvermögen. Ein angeborenes Sprachvermögen hatte bekanntlich Noam Chomski ohne direkte psychologische Grundlage als »generative Grammatik« postuliert, weil er es für ausgeschlossen hielt, dass die strukturellen Gemeinsamkeiten der wohl 6000 unterschiedlichen Sprachen allein durch Lernprozesse erklärbar seien.[21] Steven Pinker spricht von einem Sprachinstinkt.[22] Nachdem John Rawls eine Analogie des sense of justice mit dem Sprachvermögen angedeutet hatte[23], haben Marc Hauser und John Mikhail[24] eine angeborene moralische Grammatik behauptet. Sie können sich immerhin auf Evolutionstheoretiker stützen, die einen gewissen Altruismus als Anpassungsstrategie annehmen, und auf Psychologen, die in ihren Experimenten immer wieder unerwartetem Altruismus begegnen. Freilich hat man bisher weder ein Sprachgen noch ein Gerechtigkeitsgen gefunden. Gefunden hat man nur bestimmte Erregungsmuster des Gehirns bei der Befassung von Versuchspersonen mit Sprach- oder Gerechtigkeitsaufgaben. In umgekehrter Richtung, also von bestimmten nervösen Erregungsmuster zu inhaltlichen Reaktionen der Versuchspersonen führt keine Verbindung. Auch hier gilt wieder: Es fehlt der direkte Beweis, doch alles klingt plausibel, so plausibel, dass man meint, man hätte es sich selbst ausdenken können.

Auch für die kulturelle Evolution kann man wieder fragen, auf welcher Aggregationsebene sie angreift, auf der Ebene einzelner Zeichen oder Propositionen, auf der Ebene von Normen oder von Institutionen. Dazu hat Richard Dawkins eine spezielle Theorie. Sein biologischer Ausgangspunkt ist das egoistische Gen (selfish gen). Dessen Egoismus ist keine psychische Eigenschaft, sondern eine rein biologisch-mechanische, die darin besteht, dass Gene sich selbst reproduzieren können.

»What, after all, is so special about genes? The answer is that they are replicators. … The gene, the DNA molecule, happens to be the replicating entity  that prevails on our own planet.«[25]

Dawkins gibt den Symbolen, die er, ohne Bezug auf Emerson, zum Grundelement kultureller Evolution erklärt, einen eigenen Namen, indem er sie als Meme benennt. Das Kunstwort »Mem« leitet er vom griechischen mimesis (μίμησις = Nachahmung) her, und es soll auch als bloßer Name das »Gen« nachahmen.[26]

»Examples of memes are tunes, ideas, catch-phrases, clothes fashions, ways of making pots or of building arches. Just as genes propagate themselves in the gene pool by leaping from body to body via sperms or eggs, so memes propagate themselves in the meme pool by leaping from brain to brain via a process which, in the broad sense, can be called imitation.«[27]

Als evolutionär aktiv erweisen sich die Meme, indem sie sich replizieren. Als Mimetik hat sich inzwischen eine Denkrichtung entwickelt, die solche Symbole zu identifizieren versucht, die sich besonders reproduktiv verhalten.[28] Es scheint mir aber doch ziemlich abenteuerlich, mit der evolutorischen Eigendynamik der Meme die gesamte soziokulturelle Entwicklung erklären zu wollen.

Erklären – das ist ein wichtiges Stichwort. In der Tat lassen sich ex post viele Entwicklungen als evolutionäres Geschehen erklären. Aber die Evolutionstheorie versagt, wenn sie Entwicklungen prognostizieren soll. Die Theorie des evolutionären Dreischritts ist so abstrakt, dass sich daraus schwerlich konkrete Hypothesen ableiten lassen. Es kommt hinzu, dass Zufall und menschliche Innovationen sich nicht prognostizieren lassen. Erst recht taugt die Evolutionstheorie – schon aus diesem Grunde – nicht für eine naturalistische Ethik.

Die Soziobiologen – wenn man sie eimal kompakt so nennen darf – sind nicht so naiv, dass sie alles für gut und richtig halten, was die Natur ihrer Meinung nach in den Menschen hineingelegt hat. So verweist Pinker auf die Gefahr eines naturalistischen Fehlschlusses und betont, dass jede Entscheidung von einer Wertvorstellung ausgehen müsse.[29] Aber die Wertvorstellungen ihrerseits werden wohl doch durch die Überzeugung von der Macht biologischer Prägung beeinflusst. Das zeigt sich relativ deutlich in den Stellungnahmen zum Geschlechterverhältnis. Auch wenn die Soziobiologie sich bemüht, normative Aussagen zu vermeiden, so wird ihr doch entgegengehalten, dass sie wertende, insbesondere diskriminierende Schlussfolgerungen »suggeriere«.

»Normvorstellungen diffundieren auch aus rein deskriptiven Beschreibungen: Was als Istzustand festgehalten wird, erhält bei fehlender begleitender und deutlicher Verurteilung durch die (implizite) normative Kraft des Faktischen eine Form von Weihe. Beschreibung und Erklärung moralisch abgelehnter Verhaltensweisen tragen zu ihrer Enttabuisierung bei. Soziobiologische Theoriebruchstücke wie Maximierung der eigenen Reproduktion oder genetische Fitnesskategorien können lebensweltliche Kontakte und Verhaltensweisen prägen.«[30]

Die Evolution des Lebens auf der Erde hat wohl sechs Millionen Jahre und damit eine schwer vorstellbar lange Zeit in Anspruch genommen. Die Formierung der Gene, die den Homo Sapiens auszeichnen, soll im Pleistozän, also vor etwa 2,5 Millionen Jahren begonnen haben und mit der neolithischen Revolution, also etwa vor 15.000 Jahren abgeschlossen gewesen sein.[31] Daher besteht ein gewisser Konsens., dass die Entwicklung auf Steinzeitniveau stehen geblieben ist [32],, so dass einige er evolutionär verfestigte Anpassungen unter den Bedingungen der Moderne unfunktional sein dürften. Es wird aber auch geltend gemacht, dass die genetische Evolution unter bestimmten Umständen sehr viel schneller ablaufen kann. Erbfeste Merkmale wie Gesichtsschnitt, Haarformen und Körperbau entstehen, evolutionsbiologisch betrachtet, in relativ kurzen Zeiträumen, wenn Individuen einer bestimmten Art unter spezifischen Bedingungen getrennt leben und sich fortpflanzen. So soll sich die menschliche Hautfarbe innerhalb weniger Jahrtausende verändert haben.

Unklar ist (mir) die Bedeutung der genetischen Diversität für die biologische Evolution. Eine geschlechtliche Fortpflanzung ist grundsätzlich nur zwischen Individuen derselben Art möglich. Innerhalb einer Art gibt es jedoch stets auch erhebliche physiologische Unterschiede, von denen einige auch auf genetische Unterschiede zurückzuführen sind. Letztere vererben sich nach den Mendelschen Regeln. Das ist der Ausgangspunkt für die Züchtung von Pflanzen und Tieren. Wenn es um Menschen geht, halten wir »Züchtung« für indiskutabel. Im Zusammenhang mit der »Bell-Kurve« wurde jedoch heftig darüber gestritten, ob unterschiedliche Intelligenz ein Zeichen genetischer Diversität sei und ob ggfs. eine unbewusste Steuerung der Partnerwahl Einfluss auf das allgemeine Intelligenzniveau nehmen könnte. Die Globalisierung mit ihren Wanderungsbewegungen wirbelt verschiedene Populationen durcheinander, mögen sie sich genetisch auch nur minimal unterscheiden. In bestimmten Kulturen sind Verwandtenheiraten so häufig, dass sie vermutlich Einfluss auf den Genpool haben. Man kann deshalb nicht ausschließen, dass sich dieser Genpool auch in der kurzen historischen Zeit verändert hat. Es gibt vermutlich auch unter Menschen die relativ kurzfristig wirksame Populationsgenetik[33]. Es besteht aber die Gefahr, dass von phänotypischer und physiologischer Diversität unmittelbar auf Gendiversität zurückgeschlossen wird. Daraus entstehen dann Streitfragen wie die, ob Intelligenz vererblich ist.

Wie gesagt, offen ist die Frage, ob und wie die kulturelle Evolution nicht nur indirekt, etwa über ihren über ihren Einfluss auf die Partnerwahl, sondern auch direkt auf die genetische Basis zurückwirkt. Insoweit mahnt die Langfristigkeit der biologischen Evolution noch eher zur Skepsis.

Die erst in den letzten Jahrzehnten von der Wissenschaft akzeptierte Epigenetik ist in ihrer Bedeutung noch nicht abzusehen. Jedenfalls bleibt die Standardantwort vom Steinzeitniveau des Gehirns unbefriedigend ist. Juristen spekulieren daher:

»Wenn wir annehmen, dass das Recht etwa 10.000 Jahre Entwicklungszeit hatte, hatte diese Kulturleistungen genügend Zeit, um sich in uns auch genetisch zu verankern.«[34]

Verankert sei dann ein Gefühl für »Gleichheit, Fairness und Ausgewogenheit«. Aber noch niemand hat solche Gefühle in bestimmten Genen verortet. Ich ziehe es daher vor, mit Hellmuth Mayer[35] sowohl Gemeinsamkeiten im menschlichen Verhalten als auch Unterschiede historisch-soziologisch zu erklären. Dazu übersehen wir mindestens die letzten 5000 Jahre ganz gut. In dieser Zeit haben sich Pfadabhängigkeiten herausgebildet, die so festgetreten sind, dass sie wie genetisch festgelegt erscheinen.

Soziobiologie und Evolutionspsychologie stehen vor dem Problem, dass sie ihre Annahmen nicht direkt empirisch prüfen können, weil sie Vorgänge erklären, die in der Vergangenheit liegen und sich nicht experimentell nachstellen lassen. Sie müssen sich daher mit indirekten Beweisen zufriedengeben. Die gängige Methode besteht darin, dass Forscher sich Verhaltensweisen ausdenken, von denen sie annehmen, dass sie fitnessmaximierend seien, um dann diese Verhaltensweisen mit Statistiken oder Laborexperimenten aufzufinden. Allein die Verbindung zu den Genen lässt sich als solche nicht belegen, sondern bleibt bloße Vermutung. Es wird unterstellt, dass Gene so reagieren, wie moderne Menschen sich die Evolution denken. Aber die Evolution »denkt« nicht. Sie hat viele Variationen hervorgebracht, die sich niemand hätte ausdenken können.

Als Literatur, die zu den soziobiologischen Grundlagen des Verhaltens herangezogen wird, handelt es sich nicht um genbiologische Spezialliteratur, sondern um Schriften, die allgemein die Funktionsweise der Gene behandeln. So lassen sich abstrakte Aussagen über die Funktionsweise der Gene mit kaum weniger allgemeinen Aussagen über rechtliche Grundprinzipien verkoppeln. Soziobiologie erscheint deshalb weithin als ein Spiegel des für elementar gehaltenen Rechtsbewusstseins und wird so zur biologischen Verdoppelung von verbreiteten oder erwünschten Verhaltensmustern.

Auch wenn sich menschliches Verhalten nicht aus den Genen ablesen lässt, bleibt eine evolutionstheoretische Betrachtung der Gesellschaft attraktiv.[36] Man muss die evolutionistische Soziobiologie und mit ihr Rechtsbiologie und Kriminalbiologie nicht völlig verwerfen. Der Mensch kommt nicht als tabula rasa zur Welt. So wie Kinder im äußeren Erscheinungsbild oft einem Elternteil ähnlich sind, lässt sich kaum bezweifeln, dass auch unterschiedliche Begabungen und Temperamente ebenso wie Kahlköpfigkeit vererbt werden können. Die Zwillingsforschung hat durchaus interessante Ergebnisse gebracht. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass die Menschheitsgeschichte genetische Spuren hinterlassen hat. Die Frage nach Anlage oder Umwelt (nature or nurture) lässt sich nicht in die eine oder andere Richtung auflösen. Problematisch sind die soziobiologischen Ansätze jedoch, weil sie ihre Aussagen über das Verhalten von Menschen überziehen. Die Gene denken, fühlen und handeln ebenso wenig wie das Gehirn. Menschliches Verhalten wird durch die Gene (über viele Zwischenstationen) vielleicht in bestimmte Richtungen gedrängt, aber nicht gelenkt. Die Leine, mit der Kultur und Sozialverhalten mit den Genen verbunden sind, ist so lang[37], dass man sie nicht zurückverfolgen kann. Selbst Robert Plomin, der Herausgeber der seit 1970 erscheinenden Zeitschrift »Behavior Genetics« benennt in seinem Jubiläumsaufsatz von 2023[38] keine einzige direkte Verbindung zwischen einem Gen und einem bestimmten menschlichen Verhalten. Vererbt werden wohl Charakterzüge und vielleicht auch Intelligenz[39], ohne dass diese sich an bestimmten Genen festmachen ließen.[40] Handfeste Ergebnisse liefern die »Behavioral Genetics« nur, wenn es um Anomalien und Krankheiten geht.[41]

Alles in allem erscheinen die auf das Recht gemünzten Aussagen der Soziobiologie stark überzogen. Die genetischen Anlagen sind als Altruismus und Egoismus so divers, dass sie allein keine speziellen Verhaltensmuster steuern können. Die Aussicht auf eine vollständige Theorie der neuronalen Prozesse im Gehirn, die Aufschlüsse über alle sozialen Verhaltensweisen und kulturellen Produkte an die Hand geben könnte, ist so fern, dass wir mit dem Gehirn als Black Box denken und leben müssen. Das genetische Programm wirkt maximal, wie es Hellmuth Mayer formuliert hat, wie Gegenwind beim Fahrradfahren. Praktisch kann und muss man daher von einem universalen Sozialkonstruktivismus ausgehen, der sich von dem radikalen Sozialkonstruktivismus der Postmoderne allerdings darin unterscheidet, dass er die Realität der Natur akzeptiert.

Zu den Neuerscheinungen von Krimphove und Montenbruck ist danach nur noch wenig zu sagen, denn mit der breiten Kritik der Soziobiologie haben sie sich nicht auseinandergesetzt. Vielmehr haben sie – mehr oder weniger naiv – ihre eigenen Vorstellungen über richtiges Recht in Natur und Gene transponiert.


[1] Dazu relativ neu Marco Lehmann-Waffenschmidt/Michael Peneder (Hg.), Evolutorische Ökonomik, 2022.

[2] Ich habe jetzt keine Originalarbeiten von  von Hayek nachgelesenUnder verweise deshalb auf die Referate von Christopher Holl, Wahrnehmung, menschliches Handeln und Institutionen, 2004, S. 92 ff, sowie . Wolfgang Kerber, Hayek, in: Marco Lehmann-Waffenschmidt/Michael Peneder, Evolutorische Ökonomik, 2022, S. 513-522. In der Literatur werden u. a. genannt:: Friedrich A. von Hayek, Nature vs. Nurture once Again, Encounter 36, 1971, 81–83; Law, Legislation and Liberty. The Political Order of a Free People, Bd. 3, 1979; ders., The Fatal Conceit. The Errors of Socialism, 1988 (Die verhängnisvolle Anmaßung. Die Irrtümer des Sozialismus, 1996).

[3] Kenneth Boulding, Evolutionary Economics, 1981; Christopher Holl, Wahrnehmung, menschliches Handeln und Institutionen. Von Hayeks Institutionenökonomik und deren Weiterentwicklung, 2004; Richard R. Nelson/Sidney G. Winter, An Evolutionary Theory of Economic Change, 1982; Douglass C. North, Institutions, Institutional Change and Economic Performance, 1990; Michael North, Rechtsgeschichte und Wirtschaftsgeschichte: Institutionelle Faktoren in der Wirtschaftsentwicklung des Alten Reiches, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte: Germanistische Abteilung 135, 2018, 401-407 (guter Überblick).

[4] Robert Boyd/Peter J. Richerson, A Simple Dual Inheritance Model of the Conflict between Social and Biological Evolution, Zygon Jounal of Religion & Science 11, 1976, 254–62; Peter J. Richerson/Robert Boyd, Not by Genes Alone: How Culture Transformed Human Evolution, Chicago: University of Chicago Press, 2005, und jetzt Gillian R. Brown/Peter J. Richerson, Applying Evolutionary Theory to Human Behaviour: Past Differences and Current Debates, Journal of Bioeconomics 16, 2014, 105-128.

[5] A. a. O. (Fn. 15) S. 41f und passim.

[6] Jerry A. Fodor, Modularity of Mind: An Essay on Faculty Psychology, in: Jonathan Eric Adler (Hg.), Reasoning, 2008, 878–914.

[7] Leda Cosmides/John Tooby, From Evolution to Behavior: Evolutionary Psychology as the Missing Link, in John Dupré (Hg.), The Latest on the Best: Essays on Evolution and Optimality, 1987, 276–306; dies., The Psychologicyal Fopundations of Culture, in: Jerome H. Barkow/Leda Cosmides/John Tooby, The Adapted Mind: Evolutionary Psychology and the Generation of Culture, 1992, S. 19-136; dies., Cognitive Adaptations for Social Exchange, ebd. S. 163-228; dies., Evolutionary Psychology: A Primer, 1997.

[8] Der Laie würde eher nach einem Modul für Mustererkennung suchen, das ähnlich, wie die selbstlernenden Systeme künstlicher Intelligenz arbeitet.

[9] Wie die Module zusammenarbeiten, erläutert Steven Pinker in seinem Buch »How the Mind Works«, 1997 (Wie das Denken im Kopf entsteht, 1998/2011).

[10] Diese Frage hat Marc Regnerus untersucht (How Different Are the Adult Children of Parents Who Have Same-Sex Relationships? Findings from the New Family Structures Study, Social Science Research 41, 2012, 752-770), Seither gilt Regnerus in LGBT-Kreisen als Anti-Gay-Researcher. Eine Nachuntersuchung der von Regnerus benutzten Daten durch Cheng und Powell kommt zu dem Ergebnis, dass die Unterschiede nur gering seien (Simon Cheng/Brian Powell, Measurement, Methods, and Divergent Patterns: Reassessing the Effects of Same-Sex Parents, Social Science Research 52, 2015, 615-626). Zum Thema Joachim-Müller Jung, Leben Kinder homosexueller Partner schlechter? FAZ 2018.

[11] Richard J. Herrnstein/Charles A. Murray, The Bell Curve: Intelligence and Class Structure in American Life, 1994.

[12] Robert L. Trivers, Parental Investment and Sexual Selection, in: Bernard Campbell, Sexual Selection an the Descent of Man, 1972, 136-179. Ein anderer Autor, der diese Linie verfolgt, ist David M. Buss. Von Buss stammt Die »Evolutionary Psychology. The New Science of the Mind«, 1999, 6. Aufl. 2019. Das Buch enthält ausführliche Kapitel über Challenges of Sex and Mating sowie über Challenges of Parenting and Kinship. 2023 Buss ein »Oxford Handbook of Human Mating« herausgegeben.

[13] Catherine Hakim, Erotic Capital, European Sociological Review 26, 2010, 499-518; dies., Erotic Capital: The Power of Attraction in the Boardroom and the Bedroom, 2011, deutsch als Erotisches Kapital. Das Geheimnis erfolgreicher Menschen, 2011; dies., The Male Sexual Deficit: A Social Fact of the 21st Century, International Sociology 30, 2015, 314-335. Referat auf der Tagung der Nordic Association for Clinical Sexology NACS 2012, S. 27.

[14] Diese These wird populärwissenschaftlich ausgebreitet von der Biologin Meike Stoverock, Female Choice, 2021.

[15] Hellmuth Mayer, Die gesellige Natur des Menschen, 1977, S. 202f.

[16] Als Beispiel sei eine neuere Publikation angeführt: Sabrina Turker u. a., Cortical, Subcortical, and Cerebellar Contributions to Language Processing: A Meta-Analytic Review of 403 Neuroimaging Experiments, (2023) Psychological Bulletin 2023, https://doi.org/10.1037/bul0000403.

[17] Philip Robbins, Modularity of Mind, The Stanford Encyclopedia of Philosophy (Winter 2017 Edition); David Pietraszewski/Annie E. Wertz, Why Evolutionary Psychology Should Abandon Modularity, Perspectives on Psychological Science 17, 2022, 465–490.

[18] So formulieren George M. Ibrahim/Michael Taylor, Krebszellen manipulieren Neuronen, Spektrum der Wissenschaft Heft 10, 2023, S. 22.

[19] Affective Neuroscience. The Foundations of Human and Animal Emotions, New York, NY 1998. Für eine im Internet verfügbare Kurzfassung vgl. Jaak Panksepp, The Affective Brain and Core Consciousness: How Does Neural Activity Generate Emotional Feelings?, in: Handbook of Emotions, hg. von Michael Lewis u. a., 2008, 47-67. Panksepp fand im Laufe der Zeit sieben biologisch im Hirn verankerte Emotionen, die er, um sie vom üblichen Sprachgebrauch abzusetzen, in Großbuchtaben schrieb: SEEKING/Expectancy, RAGE/Anger, FEAR/Anxiety, LUST, CARE/Nurturing, PANIC/Sadness Und PLAY/Social Joy.

[20] A. a. O. S. 20.

[21] Noam Chomsky, Knowledge of Language. Its Nature, Origin, and Use, 1986; ders., Aspects of the Theory of Syxntax, 1965. Zu einer kompetenten Stellungnahme zu Chomskys Theorie sehe ich mich außer Stande. Ich orientiere mich bisher an der Stellungname von Günter Dux, Sprache. Ihre Genese als Problem der Erkenntniskritik, in: ders., Die Evolution der humanen Lebensform als geistige Lebensform, 2017, 227–254.

[22] Steven Pinker, Der Sprachinstinkt, 1998 (The Language Instinkt, 1994).

[23] John Rawls, A Theory of Justice, 1971, hier zitiert nach der Auflage von 1999, dort S. 41. Von einem angeborenen Gerechtigkeitsinn ist bei Rawls keine die Rede. Die Seite beginnt mit dem Satz »Let us assume that each peson beyond a sertain aage and possessed of the rquisite intellectual capacity develops a sense of justice unde normal social cirsumstances.« Der letzte Absatz der Seite beginnt dann »A useful comparison hier is with the problem of describing the sense of grammaticalness that we have for the sentences of our native Language.« Eine Fußnote verweist auf Noam Chomsky, Aspects of the Theory of Syxntax, 1965, S. 5-9.

[24] John Mikhail,. Universal Moral Grammar: Theory, Evidence and the Future, Trends in Cognitive Sciences, 11, 2007, 143-152; ders., Elements of Moral Cognition: Rawls’ Linguistic Analogy and the Cognitive Science of Moral and Legal Judgment, 2011; ders./Matthias Mahlmann, Cognitive Science, Ethics and Law, ARSP Beiheft 102, 2005, 95-102. Kritisch: Lando Kirchmair, Morality between Nativism and Behaviorism: (Innate) Intersubjectivity as a Response to John Mikhail’s »universal moral grammar«, Journal of Theoretical and Philosophical Psychology 37, 2017, 230–260.

[25] Dawkins S. 247f:

[26] Dawkins S. 249: »We need a name for the new replicator, a noun that conveys the idea of a unit of cultural transmission, or a unit of imitation. ›Mimeme‹ comes from a suitable Greek root, but I want a monosyllable that sounds a bit like ›gene‹. I hope my classicist friends will forgive me if I abbreviate mimeme to meme.«

[27] Dawkins S. 249.

[28] Susan Blackmore, The Meme Machine, 2000; Werner J. Patzelt, Was ist »Memetik«? In: Benjamin P. Lange (Hg.): Die menschliche Psyche zwischen Natur und Kultur, 2015, 52–61.

[29] Wie Fn. 5, S. 242. Dazu Heiner Rindermann, Evolutionäre Psychologie im Spannungsfeld zwischen Wissenschaft, Gesellschaft und Ethik, Journal für Psychologie 11, 2003, 331–367, S. 359.

[30] Rindermann S. 360.

[31] Eine differenziertere Zeittafel bei Lampe S. 36f.

[32] Leda Cosmides/John Tooby, Evolutionary Psychology: A Primer, 1997, S. 924.

[33] Vgl. Samir Okasha, Population Genetics, The Stanford Encyclopedia of Philosophy 2023.

[34] Heussen, RphZ 4, 2019, 294-322, S. 320.

[35] Hellmuth Mayer , Die gesellige Natur des Menschen, 1977.

[36] In Bielefeld fand Anfang September der Weltkongress Behaviour 2023 statt. From foraging starlings to fat humans: an ethological approach to the food insecurity-obesity paradox lautet der Titel eines Vortrags. Hilft es uns, wenn wir wissen, das Stare futter hamstern und Menschen vielleicht noch ein Hamster-Gen haben und deshalb bei bei reichlichem Angebot zu viel essen?

[37] Die Metapher von der langen Leine stammt von Edward O. Wilson.

[38] Robert Plomin, Celebrating a Century of Research in Behavioral Genetics, Behavior Genetics 53, 2023, 75-84.

[39] Karl-Friedrich Fischbach/Martin Niggeschmidt, Erblichkeit der Intelligenz. Eine Klarstellung aus biologischer Sicht, 2 Aufl. 2019.

[40] Plomin verweist auf eine Studie von Chabris u. a., nach der sich zwölf Gene, die für Intelligenz verantwortlich gemacht wurden, in mehreren Studien als irrelevant erwiesen.

[41] Darauf konzentriert sich der Band von Robert Plomin/John C. DeFries/Valerie S. Knopik/Jenae M. Neiderhiser, Behavioral Genetics, 6. Aufl. 2013.

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