Die binäre Wetterordnung der Meteorologie

Anzuzeigen ist ein neues Buch, das so etwas wie einen Kuhnschen Paradigmenwechsel einleiten könnte:

Stormy Shark, Weather Trouble. Das Wetter-Dispositiv und der Regen als soziales Konstrukt, Ewrem-Verlag, 2024, ISBN 8794 2024 0104, 329 S. 29,00 EUR.

Angesichts des Klimawandels kann der Regen nicht länger Sache von Meteorologe*innen bleiben, so die These von Stormy Shark in ihrem neuen Buch. Eine praxeologische Analyse der diskursiven Grenzen des Wetters sei angesagt, um zu zeigen, wie Wetter als duales Phänomen gemacht werde und wie seine Reifizierung durch die Meteorologie die Machtfrage verdränge. In der Konsequenz würden Wetterstationen und Wetterberichte überflüssig. Künstliche Intelligenz (KI) werde das nachgefragte Wetter herbeikonstruieren. [1]

Ich beschränke mich hier auf eine Inhaltsangabe. Die Thesen des Buches sind so umstürzend, dass ich zu einer Stellungnahme vorläufig nicht im Stande bin.

Ausgangspunkt der Meteoronormativitätskritik Sharks sind die Herrschafts- und Machtverhältnisse, die durch Hochdruck- und Tiefdruckgebiete begründet und gestützt werden. Die Wetterkategorien Hoch und Tief sowie ihre rigide barometrische Unterscheidung werden als Voraussetzung von Wetteridentitäten wie Regen und Sonnenschein problematisiert. Damit ist ein Perspektivwechsel gegenüber ontologisch-meteorologischen Ansätzen verbunden. Im Visier steht die Naturalisierung oder Normalisierung der Trockenheit. Nicht das vermeintliche Ausbleiben des Regens soll gerechtfertigt, sondern der Regen selbst soll unter Rechtfertigungsdruck gestellt werden.

Die scheinbar natürliche Existenz zweier Wetterlagen – die von Hochdruck und Tiefdruck – ist fester Bestandteil einer alltäglichen, normalitätsproduzierenden Wissensordnung, die individuelle Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsmuster genauso wie gesellschaftliche Institutionen durchzieht. Kulturelle Praktiken und Rituale wie Regentänze oder Gebete für Regen waren gestern. Heute wird das Wissen um das Wetter durch Wetterberichte, Small Talk, Angebote von Regenschirmen und Regenbekleidung, Sonnencremes und Tattoos, die vorgezeigt werden wollen, immer wieder neu bestärkt.

Die Binarität des Wetters funktioniert als ein wirkmächtiges Ordnungsprinzip, das die soziale Welt grundlegend strukturiert und aufgrund seiner inhärenten Asymmetrie die Vorherrschaft des Hochdrucks stützt. Tiefdruck und Hochdruck werden dabei als komplementäre Gegensätze konstruiert. So werden mit dem Tiefdruck traditionell Wolken, Regen und Sturm assoziiert, wohingegen Sonne, Licht und Wärme dem Hochdruck zugeschrieben werden. Scheinbar eindeutige Wetterunterschiede dienen als natürliches Fundament, als »unanfechtbare Rechtfertigung«[2] der Zweiwettrigkeit. Die Meteoronormativitätskritik hat immerhin 1998 insofern einen Erfolg erzielt, als seither Tiefdruckgebiete nicht länger als weiblich wahrgenommen werden. Seither wechselt das Wetter jährlich sein Geschlecht. Das Wetter ist damit zu einem Transphänomen geworden. Die meisten Wetterlagen sind sogar intertempestär. Das Publikum verweigert sich allerdings der caelestrischen Zwittrigkeit und verlangt eindeutige Wetterlagen. Es ist insofern gespalten. Landwirte und Naturschützer beklagen das Ausbleiben des Regens, Touristen die fehlende Sonne.

Die binäre Wetterordnung durchzieht auch die Grundlagen moderner Staatlichkeit. Bereits die Gründungsfiguren der Meteorologie und der Wetterberichte folgten in ihrer Konzeption freier und gleicher Isobaren einer binären, meteoro-logischen Rationalität. Sie reflektierten weder die Abhängigkeit der Isobaren von ihren Wettermodellen noch von der reproduktiven Tätigkeit der Aufzeichnungsgeräte und der nachfolgenden Visualisierungen. Neuere Entwicklungen in der meteorologischen Macht- und Herrschaftsdiskussion verweisen auf die Naturalisierung der Binarität von Regierung und Opposition. Dem entspricht die Selbstwahrnehmung der Politik, die sich die Großwetterlage fortlaufend in Meinungsumfragen über Hochs und Tiefs von Politikern und Parteien spiegeln lässt.

Alles das wird nun durch KI weitgehend überholt. Auf Anfragen aller Art werden wir Variationen der folgenden Antwort erhalten: Es gibt kein Wetter, sondern nur Wetterfühligkeit. Der durchnässte, erhitzte oder verfrorene Körper ist ein »gespürter Leib«, der befremden mag, der aber als ein Ort der Wettererfahrung und damit des Selbstausdrucks geschätzt werden sollte.


[1] Ich hatte daher zunächst bei ChatGPT nach einem Entwurf für diese Buchanzeige gefragt. Hier ist die Anwort:

»Das Wetter-Dispositiv: Eine Einführung: Der Begriff ›Dispositiv‹ wurde von Michel Foucault geprägt und bezieht sich auf eine Anordnung von Wissen, Macht und Praktiken, die dazu dienen, bestimmte soziale Phänomene zu konstruieren und zu kontrollieren. Das Wetter-Dispositiv umfasst die vielfältigen Weisen, auf die das Wetter in unsere Gesellschaft eingebettet ist und wie es unsere Denkweisen, Verhaltensweisen und Institutionen beeinflusst.

Das Wetter-Dispositiv besteht aus verschiedenen Elementen, darunter:

Wettervorhersagen und -berichterstattung: Meteorologen, Wetterstationen und Medien spielen eine zentrale Rolle dabei, das Wetter zu überwachen, vorherzusagen und zu kommunizieren. Durch Wetterberichte und -warnungen werden bestimmte Verhaltensweisen gefördert, wie zum Beispiel das Tragen von Regenschirmen bei Regen oder das Vorbereiten auf extreme Wetterereignisse.

Kulturelle Repräsentationen des Wetters: Das Wetter wird in Kunst, Literatur, Film und anderen kulturellen Medien oft symbolisch verwendet, um Stimmungen, Atmosphären und soziale Dynamiken zu veranschaulichen. Zum Beispiel kann Regen in Filmen als Metapher für Trauer oder Erneuerung dienen.«

Soziale Praktiken und Rituale: Das Wetter beeinflusst unsere täglichen Routinen und Aktivitäten, von der Wahl unserer Kleidung bis hin zu unseren Freizeitaktivitäten. Bestimmte Wetterbedingungen können auch soziale Ereignisse wie Outdoor-Veranstaltungen oder Reisen beeinträchtigen.

Der Regen als soziales Konstrukt: Insbesondere der Regen ist ein faszinierendes Beispiel dafür, wie das Wetter als soziales Konstrukt fungiert. Obwohl Regen ein meteorologisches Phänomen ist, das durch atmosphärische Bedingungen verursacht wird, ist seine Bedeutung und Wirkung stark von kulturellen, sozialen und individuellen Faktoren geprägt.

Symbolische Bedeutung: Regen wird oft mit verschiedenen symbolischen Bedeutungen aufgeladen, je nach kulturellem Kontext und individuellen Erfahrungen. In einigen Kulturen wird Regen als Segen und Quelle des Lebens angesehen, während er in anderen als Symbol für Melancholie oder Unheil gilt.

Auswirkungen auf das soziale Leben: Regen kann erhebliche Auswirkungen auf das soziale Leben haben, indem er Aktivitäten im Freien einschränkt, Verkehrsstörungen verursacht und sogar zu Naturkatastrophen führen kann. Die Art und Weise, wie Menschen auf Regen reagieren, von der Freude über ersehnten Niederschlag bis hin zur Frustration über schlechtes Wetter, spiegelt die soziale Konstruktion des Regens wider.

Kulturelle Praktiken und Rituale: In vielen Kulturen gibt es spezifische Praktiken und Rituale im Zusammenhang mit Regen, wie zum Beispiel Regentänze oder Gebete für Regen in landwirtschaftlichen Gemeinschaften. Diese Rituale zeigen, wie Regen nicht nur als meteorologisches Phänomen, sondern auch als kulturelle Kraft verstanden wird.

Insgesamt zeigt die Betrachtung des Wetters als Dispositiv und des Regens als soziales Konstrukt, dass unsere Wahrnehmung und Erfahrung des Wetters weit über seine rein meteorologischen Eigenschaften hinausgeht. Das Wetter ist nicht nur ein Objekt der Natur, sondern auch ein Produkt menschlicher Vorstellungen, Praktiken und Institutionen, die es formen und interpretieren. Indem wir das Wetter als soziales Phänomen betrachten, können wir ein tieferes Verständnis für die vielfältigen Weisen entwickeln, auf die das Wetter unser Leben beeinflusst und geformt wird.«

[2] Kulturanthropologische Studien zeigen, dass in anderen Gesellschaften Wetter als Kontinuum gedacht wird, vgl. Wetterer, Konstruktion von Wetter, in April/Kleinert, Handbuch Wettergerechtigkeit, 2010, 126.

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