Recht und Emotion: Basis- und Sekundäremotionen

Dies ist die vierte Fortsetzung des Eintrags über den Emotional Turn und die Rechtswissenschaft.

1)     Das Konzept der Basisemotionen

Emotionen sind weniger differenziert als Gefühle. Das jedenfalls besagt das Konzept der Basisemotionen. Als deren »Erfinder« gilt wohl Paul Ekman. Seine Forschungen kreisten um die These, Emotionen, wie sie sich in Mimik und Gestik ausdrücken, seien angeboren und daher universal. Er meinte, sieben Basisemotionen identifizieren zu können: Freude, Wut, Ekel, Furcht, Verachtung, Traurigkeit und Überraschung.[1] Sekundäremotionen sind dann die Gefühle, in denen sich mehrere Basisemotionen mischen können.

Eine höchst abstrakte Vorstellung von Basisemotionen hat James A. Russell entwickelt.[2] Er vermeidet allerdings den Begriff der Basisemotion und spricht stattdessen von core affect. Die Lehrbücher übersetzen mit »Rohgefühlen«.

In den Lehrbüchern wird diese Theorie als Circumplex-Modell referiert. Es ordnet die Wirkung der Gefühle auf zwei Achsen ein. Waagerecht spannt sich die Achse der Valenz von positiv zu negativ = angenehm zu unangenehm. Senkrecht verläuft die Achse der Erregung zwischen Aktivierung und Deaktivierung. In den Sektoren dazwischen lassen sich dann alle Gefühle als eine Mischung aus diesen vier Kräften eintragen. Das Modell bildet die Grundlage einer konstruktivistischen Zweifaktoren-Theorie. Es verzichtet allerdings auf die Anknüpfung an einer biologischen Basis. Deshalb erscheint die Theorie der Basisemotionen von Jaak Panksepp plausibler. Sie ist gut mit einer Mehr–Faktoren-Theorie vereinbar, die Raum für individuell-kognitive und sozial-konstruktivistische Ansätze bietet, ohne das biologische Element von vornherein auszuschließen.

Der Vollständigkeit halber sei noch auf die Theorie der Ur-Emotionen (ur-emotions) von Frijda und Parrott hingewiesen:[3]

»Ur-emotions, we propose, reflect a limited number of modes of relating to other people, objects, or circumstances.« (S. 406)… »The term ur-emotion can therefore suggest both an underlying structure and an evolutionary, biologically based source.« (S. 407)«

Bisher kann ich die Ur-Emotionen nicht einordnen. Sie sollen (noch?) abstrakter sein als die geläufigen Basisemotionen. Ich werde wohl darauf noch einmal zurückkommen, wenn es um Frijdas »Laws of Emotion« geht.

2)     Panksepps Theorie der Basisemotionen

Auf Jaak Panksepps Theorie der Basisemotionen bin ich zuerst in der Werbewirkungsforschung gestoßen. Für Werbung werden viele Millionen ausgegeben. Allem Anschein nach sind die Kosten für eine psychologisch gestützte Werbung gut angelegt. Für die Werbung wird ein Emotional Branding Monitor (EBM) als ein »Verfahren zur Offenlegung unbewusster Wahrnehmung« angepriesen. Dafür beruft man sich auf die Neurowissenschaften, die sieben voneinander unabhängige basale Emotionssysteme zutage gefördert haben sollen, welche im Verein mit zugeordneten Kognitionen die Grundlage unseres Denkens und Handelns bilden.[4]

Die Bestimmung dieser Emotionssysteme geht zurück auf Jaak Panksepp.[5] Er fand im Laufe der Zeit sieben biologisch im Hirn verankerte Emotionen, die er, um sie vom üblichen Sprachgebrauch abzusetzen, in Großbuchstaben schrieb: SEEKING/Expectancy, RAGE/Anger, FEAR/Anxiety, LUST, CARE/Nurturing, PANIC/Sadness Und PLAY/Social Joy. Die sieben primären Emotionen werden wie folgt beschrieben:

»Primal emotions and their accompanying affects appear to have acquired the capacity to move animals to action in ways that promoted their survival. Emotions prodded animals to explore for resources (SEEKING), compete for and defend those resources (RAGE/Anger), escape from and avoid bodily danger (FEAR), and identify potential mates and reproduce (LUST). Then, mammals with their more social orientation acquired the motivational system for nurturing their offspring (CARE); the powerful separation distress system for maintaining social contact and social bonding (PANIC/Sadness); and the complex system stimulating especially young animals to regularly engage in physical activities like wrestling, running, and chasing each other (PLAY/Social Joy), which helps them bond socially and learn social limits and which seems to carry over into the ›ribbing‹ and joking that continues to add fun in adulthood. Evolution has endowed mammalian brains with at least these seven primary-process emotional action systems, which serve as survival guides. These primary emotions arise from subcortical brain regions that are largely homologous, especially across mammals, with each emotion having a distinct brain anatomy, neuropharmacology, and physiology.«

Die Emotionen werden in zwei Gruppen eingeteilt, nämlich in solche, die eine positive Vorwertung hervorrufen, und andere, die eine negative Reaktion programmieren.

»Each of the primal emotional affects is evaluative, that is, has a valence that is either pleasant or aversive and signals objects or situations to approach in the case of the pleasant ones (SEEKING, LUST, CARE, and PLAY) or to avoid in the case of the aversive ones (RAGE, FEAR, and PANIC).«

Die Werbewirkungsforschung liefert dazu die werbewirksame Illustration[6]:

Die Basis-Emotionen werden nicht erst erlernt, sondern sind angeboren:

»The primary-process emotions require no learning. It is not necessary to teach a child to become angry, fearful, or to panic after having lost sight of parents in a crowd. Nor do we need to teach children how to play. These evolved foundational tools for living are somehow automatically built into our heritage. However, these evolutionarily/genetically endowed primary-process emotional brain systems are not fixed functions but are able to learn and adapt to novel environmental experiences throughout the life of an individual. Indeed, as introduced above, the valenced affects associated with each of the primary emotions serve as endogenous rewards and punishments for behaviors that activate emotions.«

Folgt man Panksepp, so ist die neuronale Grundsteuer der Emotionen subkortikal verankert und hat sich im Zuge der Evolution sehr langfristig entwickelt, ist relativ universell und wandelt sich allenfalls sehr langsam. Auch wer gegenüber der Soziobiologie kritisch ist, kann die Basis-Emotionen, wie sie von Panksepp dargestellt werden, akzeptieren, denn sie haben als solche noch keinen Inhalt. Zwar können die Emotionen grundsätzlich ohne Beteiligung des Neocortex auf Reize antworten. Letzterer ist jedoch in der Lage, Emotionen zu unterdrücken oder zu regulieren.

»The Pankseppian affective neuroscience view is that ›the neocortex is fundamentally tabula rasa at birth‹ … and it is through experience that the neocortex is ›programmed‹ (likely through interactions with subcortical regions) to acquire its capacities that as we reach maturity come to seem like hard-wired‹ brain functions.«

Wenn man über die neuronalen Grundlagen von Emotionen redet, werden gewöhnlich die Amygdala und das limbische System genannt. Heute gelingt es, mit bildgebenden Verfahren recht genau Aktivitäten von Nervenzellen in verschiedenen Gehirnregionen zu lokalisieren, wenn bei Versuchspersonen Gefühle aktiviert werden. Aber mehr als eben die Tatsache, dass Gefühle mit beobachtbaren Gehirnaktivitäten einhergehen, folgt daraus nicht. Mir ist insbesondere nicht bekannt, dass aus beobachtbaren Gehirnaktivitäten auf bestimmte Gefühle geschlossen werden könnte.

[Fortsetzung hier]


[1] Paul Ekman, Gefühle lesen, 2 Aufl. 2010; Jo Reichertz, Paul Ekman: Gefühle lesen, in: Konstanze Senge u. a. (Hg.), Schlüsselwerke der Emotionssoziologie, 2022, 145–151.

[2] James A. Russell, Core Affect and the Psychological Construction of Emotion, Psychological Review 110, 2003, 145–172. Die folgende Abbildung dort von S. 148.

[3] Nico H. Frijda/W. Gerrod Parrott, Basic Emotions or Ur-Emotions?, Emotion Review 2011, 406–415.

[4] Interrogare GmbH, Mit dem Emotional Branding Monitor (EBM) zu einer erfolgreichen emotionalenMarkenpositionierung. Eine zentrale Quelle ist Jaak Panksepp, Affective Neuroscience. The Foundations of Human and Animal Emotions, 1998. Dagegen kommt Franke ohne Panksepp aus. Sie bezieht sich aber auf Frijda, den ich für wichtiger halte (Marie-Kristin Franke, Der Konsument. Homo Emoticus statt Homo Oeconomicus?, 2014; zu Frijda breits Fn. 42).

[5] Für eine im Internet verfügbare Kurzfassung vgl. Jaak Panksepp, The Affective Brain and Core Consciousness: How Does Neural Activity Generate Emotional Feelings?, in: Handbook of Emotions, hg. von Michael Lewis u. a., 2008, 47-67. Das nachfolgende Referat zitiert Kenneth L. Davis/Christian Montag, Selected Principles of Pankseppian Affective Neuroscience, Frontiers in Neuroscience 12, 2018, 1025.

[6] Abbildung aus Interrogare GmbH, Mit dem Emotional Branding Monitor (EBM) zu einer erfolgreichen emotionalen Markenpositionierung, https://www.interrogare.de/media/pdf/Downloads/Interrogare_Emotional_Branding_Monitor.pdf.

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