Die Governance-Perspektive führt zur Verharmlosung von Gewalt

Die Praxis der politischen Herrschaft, die in vielen Entwicklungsländern zu beobachten ist, wird als neopatrimonial eingeordnet. Darunter versteht man die Aushöhlung formal-rationaler Herrschaft durch informale Herrschaft, die nicht über tradierte Normen, sondern über Personen und Netzwerke vermittelt wird. [1]Eine Bibliographie zum Thema und gehaltvolle Links bietet die Projektseite »Persistenz und Wandel von Neopatrimonialismus in verschiedenen Nicht-OECD-Regionen« des Leibniz-Instituts für Globale … Continue reading Politische Ämter verschaffen den Zugang zu staatlichen Ressourcen und zu den umfangreichen Mitteln, die als Entwicklungshilfe ins Land kommen. Sie geben Gelegenheit zur Einkommensgenerierung durch Korruption bis hin zur »Besteuerung« krimineller Netzwerke, insbesondere des Transithandels mit Drogen. Eine partikularistische Verwendung staatlicher Ressourcen und die Pflege eines Netzwerks durch direkten oder indirekten Austausch führt zu einer Machtkonzentration in den Händen der so genannten Big Men [2]Begriff von Marshall D. Sahlins, Poor Man, Rich Man, Big-Man, Chief: Political Types in Melanesia and Polynesia, Comparative Studies in Society and History 5, 1963, 285-303..
In Afrika hat die »Bigmanity« bisher regelmäßig auch eine Gewaltkomponente. [3]Vgl. dazu die Sammelbände von Jean Comaroff/John Lionel Comaroff (Hg.), Law and Disorder in the Postcolony, Chicago 2006; Georg Klute/Birgit Embaló (Hg.), The Problem of Violence. Local Conflict … Continue reading Traditionale Gesellschaften lösen das Problem der Kontrolle von Gewalt durch Einkommensgenerierung (rent-creation). Hier kontrolliert und nutzt das politische System die Wirtschaft als Einkommensquelle. Wer selbst über ein Gewaltpotential verfügt und dadurch Gewalt unter Kontrolle halten kann, kann sich vorhandene Einkommensquellen sichern, muss allerdings davon so viel verteilen, dass keine Gewalt ausbricht. Die Gesellschaften sind insofern geschlossen, als die Möglichkeiten, sich neu zu organisieren und in wirtschaftlichen Wettbewerb zu treten, begrenzt sind. Damit ist eine wirtschaftliche Expansion ausgeschlossen. Moderne Gesellschaften haben spezifische Institutionen zur Kontrolle von Gewalt. Die Gewaltkontrolle ist nicht an bestimmte Personen gebunden und als Kehrseite entfallen privilegierte Einkommensquellen und daraus entsteht wirtschaftlicher Wettbewerb mit der Folge wirtschaftlichen Wachstums. Das ist in Kürze die institutionenökonomische Erklärung für die Blockade des wirtschaftlichen Wachstums in vielen Entwicklungsländern. [4]Douglass C. North/John Joseph Wallis/Barry R. Weingast, A Conceptual Framework for Interpreting Recorded Human History; Barry R. Weingast, Why Developing Countries Prove so Resistant to the Rule of … Continue reading Staatenbildung als solche genügt daher nicht, um die Modernisierung voranzubringen, solange der Staat nicht verhindern kann, dass Gewalt zur Einkommensgenerierung dient.
Als potentiell gewalttätig galten die akephalen Stammesgesellschaften Afrikas. Potentiell gewalttätig war es auch immer an den vielen Stammes- und Sprachgrenzen. Über die Jahrhunderte hatte sich ein ausbalanciertes System von Kooperation, aber auch von Wettbewerb um Ressourcen ausgebildet, das zwar Gewalt nicht ausschloss, aber insgesamt gesehen doch stabil war. Dieser Gleichgewichtszustand geriet in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts durch viele bürgerkriegsähnliche Konflikte ins Wanken, als Teile der Bevölkerung bewaffnet wurden, um andere zu vernichten. [5]Für den Sudan Richard Rottenburg/Guma Kunda Komey/Enrico Ille, The Genesis of Recurring Wars in Sudan: Rethinking the Violent Conflicts in the Nuba Mountains/South Kordofan, 2001, S. 26. Dennoch herrscht kein absolutes Chaos. Offiziell installierte Politiker nutzen ihre Rolle als Big Man. Familienclans und Stammeszugehörigkeit verhelfen zu relativem Schutz. Auch NGOs greifen immer wieder ein. Koalitionen und Netzwerke schaffen laufend veränderte Fronten, zwischen denen auch noch ein »normales« Leben möglich bleibt. Aber der Frieden ist immer fragil, eigentlich nur ein Waffenstillstand. Doch auch ohne bürgerkriegsähnliche Zustände ist politische Gewalt in Afrika fast überall noch präsent. [6]Beispiele in Diehards and Democracy: Elites, Inequality and Institutions in African Elections, Briefing Note des Africa Research Institute, London, von April 2012. Je nach Standpunkt des Beobachters wird dieser Zustand als das Ergebnis von Staatsversagen oder als ein alternativer Zustand beschrieben, wie Länder dennoch fortexistieren können. [7]Mats Utas, Introduction: Bigmanity and Network Governance in African Conflicts, in: Mats Utas (Hg.), African Conflicts and Informal Power, Big Men and Networks, London 2012, S. 1-31, S. 4. Klute und Embaló sowie von Throta teilen den letzteren Blick. Sie meinen, es greife zu kurz, die zu beobachtenden Strukturen nur als notdürftigen Ersatz für staatliche Ordnung anzusehen. Neue und wiederbelebte traditionale Formen des Umgangs mit Macht zeigten eine bemerkenswerte Vitalität. Sie sprechen von einer parastaatlichen Heterarchie, die man sich auch als dauerhafte Alternative zu staatlicher Herrschaft vorstellen könne. Nur der sicherheitsvernarrten Nordhälfte des Globus erscheine das Fehlen institutioneller Verlässlichkeit mit Streit und Gewalt als dauernder Begleiterscheinung suspekt. [8]Georg Klute/Birgit Embaló, Introduction: Violence and Local Modes of Conflict Resiolution in Heterarchical Figurations, in: dies. (Hg.), The Problem of Violence. Local Conflict Settlement in … Continue reading Hier, wie auch sonst in der Governance-Literatur, die stolz darauf ist, vielfältige Ordnungsfaktoren »in Räumen begrenzter Staatlichkeit« [9]»Governance in Räumen begrenzter Staatlichkeit« ist der Titel eines Sonderforschungsbereichs an der FU Berlin. Ich beziehe mich auf Tanja A. Börzel/Thomas Risse, Governance Without a State: Can … Continue reading entdeckt zu haben, wird das Gewaltproblem verharmlost. Doch damit nicht genug. Eine heterarchische Ordnung blockiert, jedenfalls nach der institutionenökonomischen Erklärung, die Modernisierung oder, wenn man Modernisierung nicht mag, die Verbesserung der materiellen Lebensbedingungen und der individuellen Entfaltungsmöglichkeiten. Mindestens Klute und Embaló haben eine merkwürdige Vorstellung von dem Unterschied zwischen Heterarchie und Hierarchie, wenn sie (S. 7) schreiben:

»The assets of the heterarchy concept besome particularly evident when compared to hierarchical representations. … Wheras hierarchies canalise power and privilege to the top, heterarchies distribute privileges and decision-making variably and fluidly. While in hierarchies ranked positions, i. e. domination or subordination, are fixed, ranking in heterarchies can be reversed and hence privileges ever newly distributed. This, we believe, is what the current state of politics in Africa is about.«

Es ist mir nicht klar geworden, welche Hierarchie sie meinen. Nach dem Kontext, in dem es um Länder geht, in denen der Staat abwesend ist und daher nach »non-state legal orders and institutions« gesucht wird, müsste als Hierarchie eigentlich ein funktionierender Staat mit Gewaltmonopol gemeint sein. Diesen Staat kann man in zweierlei Hinsicht als hierarchisch beschreiben, nämlich hinsichtlich des Stufenbaus seiner Rechtsordnung und hinsichtlich der Organisation seiner Bürokratie. Aber wenn es sich um einen demokratischen Rechtsstaat handelt, kann keine Rede davon sein, dass in einem solchen Staat Macht und Privilegien auf eine Spitze hin kanalisiert und die Rangunterschiede festgeschrieben wären, sondern sie sind offen für einen gewaltfreien Wettbewerb. Vor allem aber ist Gewalt kein Mittel der Einkommensgenerierung, so dass ein wirtschaftlicher Leistungswettbewerb möglich wird. Aus der Modernisierungsperspektive bleibt das diffuse, aber permanente Gewaltpotential deshalb ein Problem, von der Perspektive der betroffenen Menschen gar nicht zu reden. Es wäre zynisch, internationale Interventionen, die die Reduzierung der Gewalt zum Ziel haben, für überflüssig zu halten. Die Institutionen, die die nachholende Modernisierung betreiben, haben dieses Ziel nicht aufgegeben. [10]Weiterführende Beiträge zum Thema im Sonderheft »Security Sector Reform and Rule of Law« des Hague Journal on the Rule of Law 4, 2012. Die multilateralen Einrichtungen zur kollektiven Friedenssicherung haben sich seit der Jahrtausendwende in Afrika schneller entwickelt als in anderen Regionen der Welt, und sie sind mit ihren diplomatischen und militärischen Interventionen nicht erfolglos. [11]Briefing Note des Africa Research Institute, London, von May 2010 (No, Mr. President. Mediation and Military Intervention in the African Union.

Anmerkungen

Anmerkungen
1 Eine Bibliographie zum Thema und gehaltvolle Links bietet die Projektseite »Persistenz und Wandel von Neopatrimonialismus in verschiedenen Nicht-OECD-Regionen« des Leibniz-Instituts für Globale und Regionale Studien (GIGA).
2 Begriff von Marshall D. Sahlins, Poor Man, Rich Man, Big-Man, Chief: Political Types in Melanesia and Polynesia, Comparative Studies in Society and History 5, 1963, 285-303.
3 Vgl. dazu die Sammelbände von Jean Comaroff/John Lionel Comaroff (Hg.), Law and Disorder in the Postcolony, Chicago 2006; Georg Klute/Birgit Embaló (Hg.), The Problem of Violence. Local Conflict Settlement in Contemporary Africa, 2011; Mats Utas (Hg.), African Conflicts and Informal Power, Big Men and Networks, London 2012; ferner Richard Rottenburg/Guma Kunda Komey/Enrico Ille, The Genesis of Recurring Wars in Sudan: Rethinking the Violent Conflicts in the Nuba Mountains/South Kordofan, 2001 .
4 Douglass C. North/John Joseph Wallis/Barry R. Weingast, A Conceptual Framework for Interpreting Recorded Human History; Barry R. Weingast, Why Developing Countries Prove so Resistant to the Rule of Law, in: James J. Heckman u. a. (Hg.), Global Perspectives on the Rule of Law, London u. a. 2010, S. 28-51.
5 Für den Sudan Richard Rottenburg/Guma Kunda Komey/Enrico Ille, The Genesis of Recurring Wars in Sudan: Rethinking the Violent Conflicts in the Nuba Mountains/South Kordofan, 2001, S. 26.
6 Beispiele in Diehards and Democracy: Elites, Inequality and Institutions in African Elections, Briefing Note des Africa Research Institute, London, von April 2012.
7 Mats Utas, Introduction: Bigmanity and Network Governance in African Conflicts, in: Mats Utas (Hg.), African Conflicts and Informal Power, Big Men and Networks, London 2012, S. 1-31, S. 4.
8 Georg Klute/Birgit Embaló, Introduction: Violence and Local Modes of Conflict Resiolution in Heterarchical Figurations, in: dies. (Hg.), The Problem of Violence. Local Conflict Settlement in Contemporary Africa, Köln 2011, 1-27, S. 4; Trutz von Throta, The Problem of Violence: Some Theoretical Remarks about ‘Regulative Orders of Violence’, Political Heterarchy, and Dispute Regulation beyond the State, ebd. S. 31-47, S. 34 ff, 44.
9 »Governance in Räumen begrenzter Staatlichkeit« ist der Titel eines Sonderforschungsbereichs an der FU Berlin. Ich beziehe mich auf Tanja A. Börzel/Thomas Risse, Governance Without a State: Can it Work?, Regulation & Governance 4, 2010, 113-134.
10 Weiterführende Beiträge zum Thema im Sonderheft »Security Sector Reform and Rule of Law« des Hague Journal on the Rule of Law 4, 2012.
11 Briefing Note des Africa Research Institute, London, von May 2010 (No, Mr. President. Mediation and Military Intervention in the African Union.

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Der Teufelskreis der Gewalt

Der Historiker Jörg Baberowski hat in einem Interview, das aus Anlass des Erscheinens seines Buches »Verbrannte Erde: Stalins Herrschaft der Gewalt« geführt wurde, einige Sätze formuliert, die ins Stammbuch der Rechtssoziologie gehören:
»Von Frieden geht keine Dynamik aus. … Gewalt erzeugt Anschlusszwänge. Und wenn man einmal entschieden hat, Gewalt gegen andere auszuüben, kommt man in einen Teufelskreis, aus dem es kein Entrinnen gibt – weil Menschen sich wehren, weil die Terrorisierten Rache nehmen könnten und weil zu Ende gebracht werden muss, was einmal in Gang gesetzt worden ist.« [1]»Stalin liebte Höchstleistungen beim Töten«, FamS vom 11. Juli 2012 S. 9.

Anmerkungen

Anmerkungen
1 »Stalin liebte Höchstleistungen beim Töten«, FamS vom 11. Juli 2012 S. 9.

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Die Rolle des Rechts im Prozess der nachholenden Modernisierung

Derzeit versuche ich mich an einer Abgleichung der »klassischen« soziologischen Modernisierungstheorie mit den Untersuchungen über Law and Development. Dabei sind mir drei Forschungsprojekte aufgefallen, die Rechtssoziologie unter fremdem Namen betreiben.
Das älteste ist das Projekt »States at Work. Public Services and Civil Servants in West Africa: Education and Justice in Benin, Ghana, Mali and Niger« des Instituts für Ethnologie und Afrikastudien an der Universität Mainz. Es lief von 2006 bis 2011. Ein zusammenfassender Projektbericht liegt anscheinend noch nicht vor. Aber die Webseite verweist auf viele interessante Arbeitspapiere und Buchbesprechungen. Hervorzuheben sind besonders:
Gifty Amo Antwi u. a., “They Are not Enlightened”. Wie Staatsbedienstete in Nordghana Differenz zwischen sich und ihren Klienten konstruieren.
Thomas Bierschenk, States at Work in West Africa: Sedimentation, Fragmentation and Normative Double‐Binds, 2010. Von »nachholender Rechtsstaatsentwicklung« spricht Bierschenk in einer ausführlichen Buchbesprechung. [1]Des Bandes von Rolf Kappel/Hans-Werner Tobler/Peter Waldmann (Hg.), Rechtsstaatlichkeit im Zeitalter der Globalisierung, Freiburg im Breisgau 2005. Zu diesem Band gibt es eine handliche … Continue reading

»Persistenz und Wandel von Neopatrimonialismus in verschiedenen Nicht-OECD-Regionen« heißt das von der Volkswagen Stiftung geförderte Projekt des Leibniz-Instituts für Globale und Regionale Studien (GIGA). Ein Forschungsschwerpunkt befasst sich speziell mit Recht und Politik. Das Projekt wird auf den Internetseiten gut beschrieben und es gibt eine Bibliographie sowie viele Hinweise auf eigene und fremde Vorarbeiten, die zum Teil online verfügbar sind.

Das dritte Projekt, das hier zu vermelden ist, steht unter der Regie der Konstanzer Politikwissenschaftlerin Katharina Holzinger und trägt den Titel »Traditionale Governance und moderne Staatlichkeit«. Es wird als Reinhart-Koselleck-Projekt von der DFG mit 1,5 Mill. EUR gefördert. [2]Frau Holzinger ist Sprecherin des Fachkollegiums 111 Sozialwissenschaften der DFG. Bisher gibt es dazu nur eine Presseinformation. Dort liest man:

Weltweit gibt es in vielen Staaten ethnische Bevölkerungsgruppen, die ihr inneres politisches Leben gemäß traditionaler Strukturen organisieren. Knapp 57% der Weltbevölkerung in 63 UN-Mitgliedstaaten leben in Rechtssystemen, in denen indigene Rechte in relevantem Umfang mit der staatlichen Gesetzgebung koexistieren. Gerade in Afrika sind traditionale Institutionen keineswegs strikt von staatlichen Institutionen abgegrenzt. ›Traditionale Institutionen, die sich entlang von Ethnien konstituieren, sind in vielen afrikanischen Ländern noch besonders bedeutend: sowohl in Hinsicht auf ihren Umfang als auch bezogen auf ihre politische Bedeutung. In diesen Staaten koexistieren indigene Formen der Governance mit modernen staatlichen Formen‹, schildert Katharina Holzinger. In vielen Fällen übernehmen solche traditionalen Institutionen staatliche Aufgaben – teils in Konkurrenz zum Staat, teils komplementär oder sogar verschränkt mit dem Staat.

»In einer weltweiten, quantitativen Untersuchung«, so heißt es weiter, soll ermittelt werden, »welche Wechselbeziehung zwischen Staat und traditionaler Governance bestehen und welche Auswirkungen dies auf die demokratische Entwicklung des Staates hat. Mittels acht Länderfallstudien, die sich auf afrikanische Staaten konzentrieren, wird Holzinger ihre weltweiten Analysen vertiefen.« In der Rechtssoziologie würde man nicht von Governance, sondern von Legal Pluralism reden.

Anmerkungen

Anmerkungen
1 Des Bandes von Rolf Kappel/Hans-Werner Tobler/Peter Waldmann (Hg.), Rechtsstaatlichkeit im Zeitalter der Globalisierung, Freiburg im Breisgau 2005. Zu diesem Band gibt es eine handliche Zusammenfassung des Wissenschaftlichen Beirats beim BMZ: Staatsentwicklung und Rechtsstaatlichkeit: Lehren aus der europäischen Geschichte und lateinamerikanischer Erfahrungen 2006.
2 Frau Holzinger ist Sprecherin des Fachkollegiums 111 Sozialwissenschaften der DFG.

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Zur interdisziplinären Verwendung der Netzwerkforschung IV: Und wo bleibt Ostroms Frage?

Die interdisziplinäre Verwendung des Netzwerkskonzepts läuft Gefahr, mehr oder weniger selektiv auf typische Netzwerkeigenschaften zurückzugreifen und sie normativ aufzuladen. Die Variabilität real existierender Netzwerke ist aber so groß, dass die abstrakte Bezugnahme auf das Netzwerkkonzept leicht zur Ideologie gerät. Die Netze, um die es in der Rechtstheorie geht, sind immer heterarchisch. Sie sind locker und in Bewegung. Sie sind flexibel und produktiv. Sie sind in dem Sinne »more social« [1]Powell 1996, 219., dass sie »stärker auf Beziehungen, Ansehen und gegenseitige Interessen angewiesen und weniger durch formale Regeln bestimmt« sind als Organisationen. Diese und andere Eigenschaften von Netzwerken lassen nicht schon aus dem Netzwerkbegriff ableiten, sondern müssen in jedem Einzelfall erst empirisch nachgewiesen werden. Deshalb ist es gefährlich, von Netzwerken an sich zu sprechen.
Die wichtigste Eigenschaft, die Rechtstheoretiker den Netzwerken beilegen, ist Selbstorganisationsfähigkeit. Die Fragestellung ist nicht klar. Ist gemeint, dass Netzwerke sich intern selbst organisieren? Oder liefern sie auch einen Ordnungsüberschuss über die eigenen Grenzen hinaus? Solche Unklarheiten verbinden sich mit einem dicken Defizit. Nirgends finde ich in der postmodernen Rechtstheorie eine Auseinandersetzung mit Ostroms Frage: Warum ist Selbstorganisation in einigen Fällen erfolgreich und in anderen nicht? [2]Elinor Ostrom, Was mehr wird, wenn wir teilen, 2011, S. 28.
Für die Rechtssoziologie ist es unbefriedigend zu wissen, dass unter bestimmten Bedingungen ein Netzwerk besser funktioniert als ein Unternehmen oder eine Behörde, wenn nicht gleichzeitig die Außenwirkung geklärt wird. Die Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg e.V. liefert ein Beispiel für ein gut funktionierendes Netzwerk zur Abwehr des Atommüll-Lagers in Gorleben. Die Tatsache, dass hier die Selbstorganisation in einem Netzwerk erfolgreich war, kann kaum bedeuten, dass deshalb auch Ziele und Außenwirkung des Netzwerks akzeptabel sind. Immerhin entsteht aus der Distanz der Eindruck, dass in Gorleben Nimby gespielt wird.
Es muss nicht immer Nimby sein. Die Selbstorganisation durch Netzwerke schafft vermutlich viele schöne Inseln der Ordnung. Doch was ist mit dem Meer der Unordnung? Da kommt zur Landgewinnung ein deus ex machina. Das »Netzwerk der Netzwerke« wird die Inseln eindeichen.
Der langen Schreibe kurzer Sinn: Wer in interdisziplinärer Absicht von Netzwerken redet, sollte deutlich erkennen lassen, aus welchen Elementen mit welchen zwischen ihnen bestehenden Beziehungen sich diese zusammensetzen. Sonst gerät er in Verdacht der Reticulomanie.

Anmerkungen

Anmerkungen
1 Powell 1996, 219.
2 Elinor Ostrom, Was mehr wird, wenn wir teilen, 2011, S. 28.

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Zur interdisziplinären Verwendung der Netzwerkforschung III: Netzwerke im Typenvergleich

Am Anfang des Typenvergleichs steht die Frage nach dem Zugang zu sozialen Netzwerken. Netzwerke gelten hinsichtlich der Zugangsmöglichkeit für neue Mitglieder als offen. Der Markt fordert keine Mitgliedschaft. Mitglied – oder besser, Funktionär – einer Organisation wird man durch Beitritt oder Aufnahme, jedenfalls durch eine Entscheidung [1]Luhmann, GdG S. 829. Die Zugehörigkeit zu einem sozialen Netzwerk erwirbt man, indem man sich daran beteiligt. Zwar gibt es für Netzwerke, anders als für Organisationen, keine förmlichen Zugangsregelungen. Aber nicht jeder kann beliebige Beziehungen aufnehmen, sei es, um sich einem bestehenden Netzwerk anzuschließen, sei es, um ein neues aufzubauen. Richter des Bundesverfassungsgerichts können sich ohne weiteres an Richterkollegen der Verfassungsgerichte anderer Staaten wenden, um sich mit ihnen über ihre Praxis auszutauschen. Wenn dagegen ein Jurastudent an einen Richter des US Supreme Court mailte, etwa um nach Problemen im Verhältnis von Verfassungsgerichtsbarkeit und Politik zu fragen, bliebe er ohne Antwort. Um Mitglied in einem Netzwerk zu werden, braucht man eine vorstrukturierte Kommunikationschance.
Kommunikationschancen ergeben sich aus einer vorgefundenen Sozialstruktur, insbesondere aus der Zugehörigkeit zu Gruppen oder Organisationen und den damit verbundenen Rollenerwartungen. Insofern sind soziale Netzwerke sekundäre Strukturbildungen [2]Veronika Tacke, Systeme und Netzwerke – oder: Was man an sozialen Netzwerken zu sehen bekommt, wenn man sie systemtheoretisch beschreibt, Netzwerke, Systemtheorie und Soziale Arbeit. Journal der … Continue reading. Nach einem Vorschlag von Granovetter spricht man auch von struktureller Einbettung. [3]Mark S. Granovetter, Economic Action and Social Structure. The Problem of Embeddedness, American Journal of Sociology 91, 1985, 481-510. Der soziale Hintergrund wirkt als Kommunikationsplattform, die es ermöglicht, sich anzubieten und andere anzusprechen.
Prinzipiell kann jede soziale Formation, die Kommunikationen ermöglicht, zur Basis eines Netzwerks werden. Enge Plattformen dieser Art waren und sind Familie und Nachbarschaft. Kommunikationschancen ergeben sich aus der gleichen Lebenslage von Minderheiten, seien sie Eliten oder Diskriminierte. Viele Zusammenschlüsse haben von vornherein den Haupt- oder Nebenzweck, Netzwerkplattform zu sein. Das gilt für viele Vereine, Industrie-, Lions- und Rotary-Clubs oder studentische Verbindungen. Zur Netzwerkplattform schlechthin ist jedoch das Internet geworden. Wer über die Kompetenz verfügt, mit dem Internet umzugehen, darf Kommunikationsangebote machen und sich als »Knoten« präsentieren, wie es Blogger tun.
Im Internet haben sich speziellere Plattformen entwickelt, die sich zur Netzwerkbildung empfehlen, insbesondere natürlich die »sozialen Netzwerke« wie Facebook und Twitter. Aber Facebook und Twitter sind als solche keine sozialen Netzwerke, sondern bloß Kommunikationsplattformen, die zum Netzwerken einladen, weil sie qua Mitgliedschaft Rollen schaffen, aus denen heraus man die Kommunikation mit unbestimmten und unbekannten Anderen aufnehmen kann.
Wer netzwerken will, muss etwas zum Tausch anbieten. Als Minimum kann ein jeder seine Stimme abgeben. Mit ihr kann er anderen zu Anerkennung = Reputation verhelfen. Er kann den Gefällt-mir-Button drücken. Viele versuchen, darüber hinaus Informationen zu liefern, und seien es auch nur solche über die eigenen Interessen und Bedürfnisse. Oft wird nur Hilfe erfragt. Aber helfen macht glücklich, und so kann auch mit einem Hilferuf der Sprung in ein Netzwerk gelingen. In der Regel muss ein Akteur jedoch mehr an Ressourcen vorzeigen, damit andere zugreifen.
Die möglichen Tauschgüter bestimmen das Thema oder den Zweck des Netzwerks. Als netzwerktypisch lässt sich wohl nur angeben, dass immaterielle oder nicht marktgängige Güter im Vordergrund stehen.
Anders als in Organisationen entspricht die Mitgliedermotivation in Netzwerken dessen Zweck.
Netzwerke sind nicht unbedingt in dem Sinne locker, dass laufend alte Knoten aufgelöst und neue gebildet werden. Im Gegenteil, es gibt sehr stabile Netzwerke. Selbst das Internet als Prototyp eines Netzwerks ist erstaunlich stabil. (Und Google sitzt als Spinne im Netz.) Netzwerke sind auch nicht typisch expansiv. Sie sind zwar insofern auf Expansion angelegt, als sie keinen numerus clausus kennen und der Wert der Netzwerkmitgliedschaft mit der Größe des Netzwerks steigen kann. Ob sie aber expandieren oder schrumpfen, steht auf einem anderen Blatt. Für technische Netze (Telefon, Twitter) gilt, dass sie ein sich selbst verstärkendes Wachstum zeigen können, wenn sie eine kritische Menge von Teilnehmern auf sich vereinigt haben, denn mit der Größe des Netzes steigt ihr Wert für die Teilnehmer. Netzwerke dagegen, die auf sozialen Beziehungen aufbauen, können nur begrenzt wachsen, denn mit der Zahl der steigt die Anzahl der Kontaktmöglichkeiten exponentiell [4]Und zwar nach der Formel f (n) = n2 – n., so dass sich die Beziehungen ausdünnen.
Auch Dauerhaftigkeit ist keine typische Netzwerkeigenschaft. Netzwerke können einfach erlöschen.
Oft ist von der Dynamik der Netzwerke die Rede. Der Darm ist nicht deshalb dynamisch, weil sein Inhalt sich laufend bewegt. Ebenso wenig sind Netzwerke dynamisch, weil in ihnen laufend alles Mögliche prozessiert wird. Unter der Dynamik von Netzwerken muss man daher zunächst wohl die Veränderungen ihrer Topologie verstehen. Bei der Vermessung realer Netzwerke haben sich Regelmäßigkeiten herausgestellt, die bei der Erklärung solcher Dynamik helfen können. Eigentlich handelt es sich um regelmäßig auftretende Unregelmäßigkeiten, nämlich um Abweichungen von einer gedachten Zufallsverteilung (Cliquenbildung, Nabenbildung, Verteilung der Kontakte nach dem Potenzgesetz). Solche Phänomene sind nicht bei allen Netzwerken zu beobachten, können aber doch als typisch gelten. Als Netzwerkdynamik wird aber auch die Verbreitung ungewöhnlicher Ereignisse im Netz verstanden, also etwa die Verbreitung von Nachrichten oder Krankheiten, und manchmal wohl auch die Reaktion des Netzes auf den Ausfall einzelner Knoten oder ganzer Cluster.
Der Kommunikationsweg des Marktes ist die Öffentlichkeit. Dasselbe gilt für die Demokratie. In Organisationen verläuft die Kommunikation entlang der Hierarchie über einen »Verteiler«. In Netzwerken sucht die Kommunikation ihren Weg entlang vorstrukturierter Beziehungen. Zur typischen Vorstellung von sozialen Netzwerken gehört hohe Konnektivität. Jeder Knoten verfügt über multiple Kanten und kann direkt oder indirekt mit anderen kommunizieren.
Ökonomische Transaktionen lassen sich in drei Phasen zerlegen, eine Informationsphase, eine Transaktionsphase und eine Exekutionsphase. [5]Nicola Jentsch, Euphorien, Turbulenzen, Paniken: Die Ökonomie des Risikos, Vortragsmanuskript, o. J. Zur Information der Akteure bietet der Markt Preise an. Vielleicht wird verhandelt. Die Abwicklung ist schnell geschehen. Organisationen informieren ihre Funktionäre durch Weisung. Zu verhandeln gibt es nichts. In Netzwerken dagegen spielt die Informationsphase eine größere Rolle. Angebot oder Nachfrage von Leistungen bleiben eher unspezifiziert, werden aber von »vertraulichen« Informationen begleitet, die so nur im Netzwerk zu haben sind. Die Informationen gelten als qualitativ besser als die Preissignale des Marktes und die Weisungen der Organisation. [6]Powell 1996, 225. Verhandlungen sind stets auch um die Erhaltung der Netzwerkbeziehung bemüht. Ein Abschluss ist gar nicht immer das Ziel. Wenn es zu einem Austausch kommt, sind Leistung und Gegenleistung nicht direkt miteinander verknüpft. Eine mögliche Gegenleistung bleibt unbestimmt. Die dadurch entstehende Lücke wird durch Vertrauen überbrückt. Das Vertrauen stammt aus den Beziehungen, in die das Netzwerk eingebettet ist und wird durch positive Erfahrungen innerhalb des Netzes verstärkt.
Marktteilnehmer und Wähler bilden ihre Präferenzen und treffen ihre Entscheidungen je für sich (dezentral und unabhängig). Funktionäre folgen mit ihren Aktionen Weisungen. Netzwerkangehörige entscheiden sich mit dem Blick auf mögliche Reaktionen anderer (dezentral, aber interdependent).
Vollzugsformen der Aktionen sind am Markt der Vertrag, in der Demokratie die Stimmabgabe und in der Organisation die Weisung. Im Netzwerk läuft der Vollzug eher formlos nach dem aus dem Schuldrecht bekannten Muster der Realobligation ab.
Netzwerke als solche haben, anders als Organisationen, grundsätzlich nicht den Charakter eines sozialen Akteurs. Sie bestehen zwar unabhängig von individuellen Mitgliedern, können sich aber im Normalfall doch nicht als Ganzes artikulieren. Die Mitglieder bleiben in der Lage, eigenständig zu handeln, solange sie dabei auf andere Mitglieder Rücksicht nehmen.
Für Netzwerke gilt die Grundregel, dass Mitglieder beim Tausch bevorzugt werden. Darin unterscheiden sie sich vom Markt. Die Zugehörigkeit zum Netz wird dadurch selbst zum Wert. Offen bleiben die Netze nur, solange die Tauschgüter relativ belanglos sind. Steigt der Einsatz, so verfestigt sich das Netz. Mit zunehmendem Gewicht der Tauschangebote steigen die Zugangsbarrieren zum Netzwerk.
Starke Tauschpartner netzwerken bevorzugt mit ihresgleichen. Stark sind solche Akteure, die die Ressourcen, die sie ins Netzwerk einbringen, aus Organisationen beziehen, denen sie primär angehören. So entstehen persönliche Netzwerke unter Mitgliedern verschiedener Organisationen. In einer Stadt wie Bochum treffen sich z. B. mit einiger Regelmäßigkeit die Behördenchefs (Oberbürgermeisterin, Landgerichtspräsident, Polizeipräsident, Universitätsrektor und einige mehr) zu einem Austausch. Solche informellen Netzwerke bilden eine extraorganisationale Parallele zu den informalen Beziehungen innerhalb der Organisation (intraorganisationale Netzwerke).
Die Entdeckung der informalen Organisation durch Roethlisberger und Dickson in den 1930er Jahren war der Sache nach die Entdeckung intraorganisationaler Netzwerke, ohne dass der Begriff schon eine Rolle gespielt hätte. Der Netzwerkbegriff kam erst bei den interorganisationalen Netzwerken ins Spiel. Auf solche Netzwerke wurde man zunächst bei der Entdeckung kooperativen Verwaltungshandelns und dann vor allem bei der Beobachtung der Globalisierung aufmerksam. Dabei wurde und wird allerdings meistens wenig Wert darauf gelegt, ob die interorganisationalen Beziehungen zwischen den Organisationen als solchen bestehen, oder ob sie an Personen gebunden sind. Transnationale Netzwerke mit Organisationen als Knoten hat man etwa in der Verwaltung beobachtet. Persönliche Netzwerke gibt es zwischen Parlamentariern, Richtern, Wissenschaftlern Gewerkschaftsmitgliedern oder Orchestermitgliedern [7]Über transnationale persönliche Netzwerke der Eintrag vom 18. Mai 2012. Es macht vermutlich einen Unterschied, ob die interorganisationalen Netzwerke Personen oder die Organisationen selbst als Knoten haben, und sei es auch nur, weil die Versuchung besteht, dass Personen die Ressourcen der Organisation nicht in deren, sondern im eigenen Interesse nutzen. Dann handelt es sich je nachdem um Korruption oder Veruntreuung.
Das Interesse der Rechtstheorie an sozialen Netzwerken hat viel mit deren Informalität zu tun. Das moderne Recht ist jedenfalls grundsätzlich formal. Formalität entsteht aus verordneten Kommunikationshindernissen oder -verboten. Was nicht rechtlich relevant ist, soll nicht zur Sprache kommen. An einem Rechtsverfahren darf nicht jeder teilnehmen. Die Teilnehmer dürfen nicht jedes Thema aufgreifen, und sie müssen ihre Kommunikationsbeiträge an Formen und Fristen ausrichten. Sich informell zu vernetzen, bedeutet die Umgehung solcher Kommunikationshindernisse. Netzwerke unterlaufen das Recht. Deshalb stehen sie, besonders im Publikum, im Geruch der Illegitimität. Tatsächlich arbeiten Netzwerke nicht unbedingt gegen das Recht. Viele Policy-Netzwerke werden von der Absicht der Beteiligten getragen, dem Recht auf die Sprünge zu helfen. Sie bilden partikulare Querverbindungen zwischen den primären Sozialstrukturen. [8]Tacke a.a.O. passim.
Als typische Eigenschaft von Netzwerken gilt deren Selbstorganisationsfähigkeit. Dem Markt fehlt diese Qualität. Verträge hätten ohne außervertragliche Grundlage keinen Bestand. Monopolbildung zerstört den Preismechanismus. Der Markt kann eine selbstzerstörerische Eigendynamik entwickeln. Ähnlich liegt es mit der Demokratie, wenn sie zur Diktatur der Mehrheit wird. Deshalb brauchen Markt und Demokratie zu ihrer Funktion eine externe Verfassung. Eine hierarchische Organisation ist für ihren Fortbestand auf die Zufuhr von Ressourcen von außen angewiesen. Auch hier gibt es, wenn auch schwächer, eine selbstzerstörerische Eigendynamik, wenn die Organisation erstarrt und den Kontakt zu ihrer Umwelt verliert, in der sie funktionieren soll. Einzig Netzwerke scheinen ohne Korsett auszukommen und allein aus gelebter Reziprozität, aufgewertet durch die Vorzugsbehandlung der Netzangehörigen, zu funktionieren. Bemerkenswert ist dabei, dass die in Netzwerken zu beobachtende Bildung von typischen Konnektivitätsmustern und die damit verbundene Ungleichheit der Knoten die Funktionsfähigkeit des Netzes eher zu fördern als zu stören scheint. Ganz ohne Stütze kommen aber auch Netzwerke nicht aus. Ihre Währung ist das Vertrauen, und das scheint zu schwinden, wenn ein Netzwerk größer wird und wenn es sich gegenüber den sozialen Strukturen, in die es ursprünglich eingebettet war, zu lösen beginnt. Jedenfalls behaupten Powell [9]1996, 213. und Ostrom [10]Kurz und deutlich in Elinor Ostrom, A General Framework for Analyzing Sustainability of Social-Ecological Systems, Science 2009, 325, 419-422., dass Netzwerke nur unter bestimmten, spezifizierbaren Bedingungen lebensfähig sind.
Die Realität ist natürlich viel komplizierter als solche schematische Gegenüberstellung. Sie wird von Mischformen und Übergängen bestimmt. Der Zugang zu einem Markt wird oft erst über ein Netzwerk vermittelt. Aus wiederholtem Vertragsschluss entstehen vertragsübergreifende Beziehungen [11]Powell verweist dazu auf Clifford Geertz, The Bazaar Economy: Information and Search in Peasant Marketing, The American Economic Review 68, 1978, 28-32. Für die Rechtssoziologie wird man sich eher … Continue reading, und schon der einzelne Vertrag kann relationalen Charakter annehmen. Auf der anderen Seite ist der Typus der hierarchischen Organisation am besten wohl in mittleren Unternehmen und auf der öffentlichen Seite in Fachbehörden anzutreffen. Größere Unternehmen sind weitgehend in Profitcenter aufgegliedert, und sogar öffentliche Organisationen haben im Zuge des New Public Management interne Märkte geschaffen und Verrechnungspreise eingeführt. Hierarchisch durchorganisierte Staaten gab es zeitweise eigentlich nur in Europa, Nord Amerika und Japan. [12]Poul F. Kjaer, Embeddedness through Networks: A Critical Appraisal of the Network Concept on the Oeuvre of Karl-Heinz Ladeur, German Law Journal 10, 2009, 483-499, S. 485f.. Moderne Staaten sind als Ganze nicht mehr durchgehend hierarchisch geordnet, sondern bilden ein vielfach gegliedertes Gefüge aus Regierungen, Parlamenten, Verwaltungen, Gebietskörperschaften mit beweglichen Grenzen und Durchlässen zu korporatistischen Elementen. [13]In Analogie zu Powells Relativierung hierarchischer Unternehmen (Walter Powell, Weder Markt noch Hierarchie, in: Patrick Kenis/Volker Schneider (Hg.), Organisation und Netzwerk, 1996, 213-271, S. … Continue reading Was schließlich die Netzwerke betrifft, so kann man die netzwerktypische Konzentration von Aktivitäten um bestimmte Hubs durchaus als Hierarchien interpretieren. In der Realität trifft man auf sternförmig oder hierarchisch zentralisierte Netzwerke. Auch explizite Regeln für die Netzwerkkontakte kommen vor. Besonders interorganisationale Netzwerke, in denen die Organisationen selbst als Netzknoten fungieren, sind oft formalisiert. Das gilt besonders für die Beziehungen zwischen Organisationen, die als transnationale Netzwerke unter Beobachtung stehen. Durch Verdichtung und Formalisierung der Beziehungen verbunden mit einer gewissen Zentralisierung kann ein Netzwerk schließlich auch zum kollektiven Akteur werden, so dass sich die Frage aufdrängt, ob damit nicht aus dem Netzwerk eine Organisation geworden ist. Der Übergang ist hier, wie so oft, flüssig.

Anmerkungen

Anmerkungen
1 Luhmann, GdG S. 829
2 Veronika Tacke, Systeme und Netzwerke – oder: Was man an sozialen Netzwerken zu sehen bekommt, wenn man sie systemtheoretisch beschreibt, Netzwerke, Systemtheorie und Soziale Arbeit. Journal der dgssa 2, 2011, 6-24, S. 13.
3 Mark S. Granovetter, Economic Action and Social Structure. The Problem of Embeddedness, American Journal of Sociology 91, 1985, 481-510.
4 Und zwar nach der Formel f (n) = n2 – n.
5 Nicola Jentsch, Euphorien, Turbulenzen, Paniken: Die Ökonomie des Risikos, Vortragsmanuskript, o. J.
6 Powell 1996, 225.
7 Über transnationale persönliche Netzwerke der Eintrag vom 18. Mai 2012.
8 Tacke a.a.O. passim.
9 1996, 213.
10 Kurz und deutlich in Elinor Ostrom, A General Framework for Analyzing Sustainability of Social-Ecological Systems, Science 2009, 325, 419-422.
11 Powell verweist dazu auf Clifford Geertz, The Bazaar Economy: Information and Search in Peasant Marketing, The American Economic Review 68, 1978, 28-32. Für die Rechtssoziologie wird man sich eher auf (ältere) Arbeiten von Stewart Macaulay und Ian Macneil beziehen, die so bekannt sind, dass sie hier gar nicht genauer angeführt werden müssen.
12 Poul F. Kjaer, Embeddedness through Networks: A Critical Appraisal of the Network Concept on the Oeuvre of Karl-Heinz Ladeur, German Law Journal 10, 2009, 483-499, S. 485f.
13 In Analogie zu Powells Relativierung hierarchischer Unternehmen (Walter Powell, Weder Markt noch Hierarchie, in: Patrick Kenis/Volker Schneider (Hg.), Organisation und Netzwerk, 1996, 213-271, S. 217).

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Zur interdisziplinären Verwendung der Netzwerkforschung II: Netzwerke als Sozialstruktur eigener Art

Die Netzwerkanalyse ist in erster Linie ein methodischer Ansatz, mit dem sich soziale Beziehungen aller Art untersuchen lassen. Sie dient der Operationalisierung beliebiger sozialer Beziehungen zum Zwecke der Messbarmachung und hat keinen selbständigen Erklärungswert. Jede Relation zwischen zwei und mehr Objekten lässt sich mit dem Netzwerkvokabular von Knoten und Kanten beschreiben. Daraus folgt die Gefahr, dass mit Hilfe des Netzwerkbegriffs diffuse Beziehungen zu Sozialstrukturen aufgewertet werden oder umgekehrt bekannte und bewährte Konfigurationen wie Rollen und Gruppen, Systeme und Organisationen nur eine neue modische Bezeichnung erhalten oder sogar eingeebnet werden.
Leopold von Wiese schwebte eine Beziehungssoziologie vor, die die Gesellschaft als die Menge der Relationen zwischen ihren Akteuren betrachten sollte. Dafür hätte die Netzwerkanalyse eine universelle Methode geboten. Doch seine Beziehungslehre hat sich nicht durchgesetzt, weil die Beziehungen zwischen sozialen Akteuren weitgehend in Strukturen verfestigt sind. Die Beziehungslehre müsste diese Strukturen ständig neu aus den sozialen Beziehungen rekonstruieren. Das wäre, als wenn man eine Straße jedes Mal neu baute, bevor man sie befährt.
Die Gesellschaft als Ganzes ist kein Netzwerk, oder genauer, man kann sie vielleicht als Netzwerk begreifen. Aber eine Totalanalyse würde alle Forschungskapazitäten hoffnungslos überfordern. Es ist auch kein Netzwerk erkennbar, das als Superstruktur der Gesellschaft in Betracht käme. Der Versuch des spanischen Soziologen Manuel Castells [1]Manuel Castells, Das Informationszeitalter. Teil I: Der Aufstieg der Netzwerkgesellschaft, Wirtschaft, Gesellschaft, Kultur, Opladen 2001 [The Rise of the Network Society, 1996, 2. Aufl. 2011]. Dazu … Continue reading, die Gesellschaft als primär in Netzwerken organisiert zu beschreiben, hat sich aus gutem Grund nicht durchgesetzt.
Heute geht es eigentlich nur noch um die umgekehrte Frage, ob »das Netzwerk« eine Sozialstruktur sui generis ist. Aber auch diese Frage ist im Grunde genommen müßig. Es sind schon so viele Netzwerke benannt und beschrieben worden, dass man sagen kann: Es gibt Netzwerke. Deshalb kommt es darauf an, die Besonderheit von sozialen Netzwerken im Vergleich zu anderen sozialen Strukturen herauszustellen. Damit gelangt man zu einigen typischen Merkmalen von sozialen Netzwerken.
In Soziologie, Ökonomie und Politikwissenschaft hat sich im Anschluss an Powell [2]Walter Powell, Research in Organizational Behavior 12, 1990, 295-336; nachfolgend zitiert aus der deutschen Übersetzung: Weder Markt noch Hierarchie: Netzwerkartige Organisationsformen, in: Patrick … Continue reading ein gewisser Konsens herausgebildet, dass es sinnvoll ist, Markt und Hierarchie nicht als die Enden eines Kontinuums zur Koordination von interdependenten Handlungen anzusehen, sondern Netzwerke als dritten Typus der Handlungskoordination zu begreifen. Netzwerken heißt, Tauschfähigkeit und Tauschbereitschaft zu kommunizieren. Was am Ende dabei herauskommt, ist »ein Tauschmodus, der mit einer eigenen Logik ausgestattet ist« [3]Powell 1996, 217 f., 220.
Der von der Transaktionskostentheorie angeleitete Vergleich von Netzwerken mit dem Markt einerseits und der »Firma« andererseits ist für die Rechtssoziologie zu schmal, denn er konzentriert sich auf ökonomische Institutionen, also auf Markt und Firma. Die Rechtssoziologie muss die sozialen Strukturen der öffentlichen Sphäre außerhalb der Ökonomie einbeziehen. Neben dem Markt ist die kollektive Willensbildung durch Abstimmungen zu bedenken. Als hierarchisches Gegenstück zum Netzwerk treten neben die »Firma« alle bürokratisch strukturierten öffentlich-rechtlichen Einrichtungen, von der kleinen Fachbehörde bis zum großen Staat. Der Einfachheit halber spreche ich insoweit von Behörden. Organisation dient im Folgenden als Sammelbezeichnung für Behörden und Wirtschaftsunternehmen. Die Erweiterung des Typenvergleichs auf Behörden wird in der so genannten Governance Diskussion geleistet, die sich mit der Koordination von interdependenten Handlungen auch jenseits ökonomischer Transaktionen befasst. [4]Andreas Wald/Dorothea Jansen, Netzwerke, in: Arthur Benz u. a. (Hg.): Handbuch Governance, 2007, 93-105. Der Vergleich führt zu einer Vorstellung von dem, was typisch ein soziales Netzwerk auszeichnet.
Noch aus einem zweiten Grunde ist der von der Ökonomie inspirierte Vergleich von Netzwerk und Hierarchie zu schmal, und zwar weil er sich auf das Innenleben der betrachteten Institutionen beschränkt und die Externalitäten vernachlässigt. Entscheidungen im Unternehmen haben zunächst Folgen nur für das Unternehmen selbst. Durch ihre Entscheidungen bestimmt die Unternehmensleitung, wie die Ressourcen bereitgestellt werden, die als Produktionsfaktoren für ein Endprodukt notwendig sind, das letztlich am Markt angeboten werden soll. Der Entscheidungsbegriff kann hier leicht in die Irre führen, denn bei Behördenentscheidungen denkt man sogleich an Akte mit Außenwirkung. Die Entscheidungen sind sozusagen selbst das Endprodukt. Der Netzwerk-Hierarchie-Vergleich erstreckt sich aber nicht auf das Endprodukt, also nicht auf Entscheidungen mit Außenwirkung, sondern betrifft nur behördeninterne Entscheidungen (Weisungen), mit denen die Behörde die Produktion außenwirksamer Entscheidungen steuert. Beispiele für Weisungen wären etwa der Geschäftsverteilungsplan eines Gerichts oder die sog. Verwaltungsanordnungen. Wenn man den Vergleich zwischen Netzwerk und Hierarchie zu Ende führen will, muss man daher fragen, was bei Netzwerken dem Endprodukt der Unternehmung oder der Behördenentscheidung mit Außenwirkung entspricht. Eigentlich kann das nur die einzelne Transaktion im Netzwerk sein. Die Antwort ist nicht befriedigend, denn anders als beim Unternehmen, dessen Produkte für einen unternehmensexternen Markt bestimmt sind, und anders als bei Behörden, deren Entscheidungen mit dem Anspruch auf Außenwirkung gefällt werden, ist nicht zu erkennen, wie Transaktionen im Netzwerk extern relevant werden könnten. Man könnte stattdessen auf die Gesamtleistung des Netzwerks abstellen. Aber auf welche? Auf die Tatsache der Selbstorganisation? Auf die aus der Umgebung bezogenen oder auf die an die Umgebung abgegebenen Ressourcen? Alle diese Vergleiche hinken kräftig. Und dennoch lässt sich die Frage nach der Beziehung von Netzwerken zu ihrer Umgebung nicht von der Hand weisen. Eine verallgemeinerungsfähige Antwort habe ich nicht gefunden. Daher bleibt diese Frage in dem folgenden Typenvergleich unberücksichtigt. Am Ende ist jedoch darauf zurückzukommen.

Anmerkungen

Anmerkungen
1 Manuel Castells, Das Informationszeitalter. Teil I: Der Aufstieg der Netzwerkgesellschaft, Wirtschaft, Gesellschaft, Kultur, Opladen 2001 [The Rise of the Network Society, 1996, 2. Aufl. 2011]. Dazu etwa Steffen Horstmannshoff (30.3.2010): Netzwerkgesellschaft (Castells). In: MedienKulturWiki.
2 Walter Powell, Research in Organizational Behavior 12, 1990, 295-336; nachfolgend zitiert aus der deutschen Übersetzung: Weder Markt noch Hierarchie: Netzwerkartige Organisationsformen, in: Patrick Kenis/Volker Schneider (Hg.), Organisation und Netzwerk, 1996, S. 213-271.
3 Powell 1996, 217 f., 220
4 Andreas Wald/Dorothea Jansen, Netzwerke, in: Arthur Benz u. a. (Hg.): Handbuch Governance, 2007, 93-105.

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Persönliche transnationale Netzwerke

»Transnational Communities are social groups emerging from mutual interaction across national boundaries, oriented around a common project and/or ›imagined‹ identity which is constructed and sustained through the active engagement and involvement of at least some of its members. Transnational communities can overlap in different ways with formal organizations but, in principle, the do not need formal organization to be sustained. Transnational organizations imply transnational networks, but they are more than that since the notion of community connotes a sense of belonging to a common ›culture‹ in the broadest sense.« [1]Marie-Laure Djelic/Sigrid Quack (Hg.), Transnational Communities, Shaping Global Economic Governance, Cambridge 2010, Vorwort. VBon Interesse zum thema in diesem Band besonders das Einleitungs- und … Continue reading
Solche Gruppierungen, die oft formale Organisationen und nationale Grenzen übergreifen, können eine einheitliche kognitive und normative Orientierung ihrer Mitglieder bewirken und dadurch transnationale Phänomene beeinflussen. In dem Buch, dessen Vorwort ich die vorstehende Definition entnommen habe, geht es um Economic Governance. Als »Communities« werden darin u. a. behandelt Netzwerke von chinesischen Kaufleuten im Ausland, die sog. Shuttle Trader, nämlich Ausländer aus Ungarn, Jugoslawien, der Tschechoslowakei und Polen, später aus Nordafrika und schließlich aus den russischen Nachfolgestaaten, die etwa ab 1970 ein Stadtviertel in Istanbul in einen internationalen Handelsplatz verwandelten, Gruppierungen, die auf den internationalen Finanzmärkten tätig sind, den Berufsstand der international tätigen Rechnungsprüfungsfirmen, die virtuelle Gemeinschaft der Computerfreaks, die an Freeware und Open Source Software arbeiten, oder die soziale Bewegung, die sich eine Entkommerzialisierung des Urheberrechts (Creative Commons) zum Ziel gesetzt hat. Man könnte auch die Koalitionen von international orientierten Beamten anführen, die zwischen den Bürokratien der IGOs und der Nationalstaaten entstehen (und die eine Kontrolle und Steuerung der politischen Aktivitäten durch die Nationalstaaten angeblich erschweren ). Für Europa wird uns dagegen die Entstehung eines transnationalen Beamtenkorps eher als integrativer Mechanismus beschrieben.
Djelic und Quack sortieren die transnationalen Gruppierungen in verschiedene Typen:
Gruppierungen mit Migrationshintergrund: Dazu gehören die Migranten selbst und ihre Unterstützer und Sympathisanten. Das gilt jedenfalls solange, wie die Migranten noch Beziehungen zu ihrem Herkunftsland unterhalten, etwa Familienbeziehungen, oder wenn sie zweisprachig sind. In solchen Gruppen ereignen sich kulturelle Anpassungsprozesse. Sie äußern sich im Sitzland wie im Herkunftsland zu politischen Themen oder sie entwickeln wirtschaftliche Aktivitäten.
Transnationale Aktivisten: Hier geht es um Netzwerke und Bewegungen, die auf der Grundlage gemeinsamer Werte und politischer Überzeugungen transnationale Ziele verfolgen, in historischer Zeit etwa das Frauenwahlrecht oder ein Alkoholverbot (Prohibition), heute etwa Menschenrechte und Umweltschutz.
Transnationale Experten, Professionelle und Wissenschaftler: Sie haben gemeinsam, dass sie transnational bei der Produktion und Verbreitung von Wissen engagiert sind. Für die Rechtssoziologie wird man in dieser Rubrik vor allem nach international orientierten Gruppierungen von Richtern, Anwälten, Rechtswissenschaftlern und Verwaltungsbeamten suchen. Ist der Expertenzirkel auf seinem Gebiet soweit anerkannt, dass auch die Politik dort Rat sucht, so spricht man von epistemic communities. [2]Peter M. Haas, Epistemic Communities and Policy Knowledge, in: International Encyclopedia of Social and Behavioral Sciences, 2001, S. 11578–11586.
Transnationale Eliten: Es geht hier um die Machtelite auf der allerhöchsten Ebene. Diese Gruppierung trifft sich etwa auf dem jährlichen Weltwirtschaftsgipfel in Davos. C. Wright Mills hat 1956 die nationale Machtelite der USA (in »The Power Elite«) als eine kleine Gruppe von Individuen beschrieben, die die einen weit überproportionalen Anteil des Reichtums kontrollieren und auf Entscheidungen aller Art Einfluss nehmen. Zu dieser Gruppe gehören neben Wirtschaftsführern Politiker, einige Militärs, einige Medienleute und wenige Wissenschaftler. Heute ist diese Elite praktisch ausnahmslos transnational orientiert. Bemerkenswert an dieser Gruppierung ist, dass sie zwar jeder für ganz unterschiedliche Interessen verfolgen können, aber dennoch von einem gewissen Korpsgeist zusammengehalten werden.
Diese Gruppierungen werden zusammengehalten nicht durch eine formelle Organisation, sondern durch ein gemeinsames Projekt, Thema oder Problem mit transnationalem Bezug, über das sie mehr oder weniger häufig kommunizieren. Djelic und Quack heben hervor, dass bei aller Internationalität persönlicher Kontakt sehr wichtig ist. Man trifft sich vor allem auf Tagungen oder in Arbeitsgruppen. Der Informationsaustausch wird durch die elektronischen Medien und durch die einheitliche Verwendung der englischen Sprache zugleich informeller und intensive. Sie praktizieren Transnationalität und bringen dadurch die Globalisierung voran. Das gilt selbst für Globalisierungskritiker, wenn sie sich international vernetzen und austauschen.

Anmerkungen

Anmerkungen
1 Marie-Laure Djelic/Sigrid Quack (Hg.), Transnational Communities, Shaping Global Economic Governance, Cambridge 2010, Vorwort. VBon Interesse zum thema in diesem Band besonders das Einleitungs- und das Schlusskapitel der Herausgeber (Transnational Communities and Governance, S. 3-36; Transnational Communities and Their Impact on the Governance of Business and Economic Activity, S. 377-413) sowie von Renate Mayntz »Global Structures: Markets, Organizations, Networks – and Communities? (S. 37-54).
2 Peter M. Haas, Epistemic Communities and Policy Knowledge, in: International Encyclopedia of Social and Behavioral Sciences, 2001, S. 11578–11586.

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Wo bleibt »Die dunkle Seite der Netzwerke«?

Volker von Prittwitz hat sie ans Licht gezogen. Anscheinend ist von Prittwitz schlecht vernetzt. Ich habe seinen nur online veröffentlichten Aufsatz [1]Volker von Prittwitz, Die dunkle Seite der Netzwerke. Strategien gegen Vermachtung und Korruption: Grundlagen kritischer Netzwerktheorie, 2001; … Continue reading erst jetzt gefunden. Von unseren Rechtstheoretikern wird er schon gar nicht zur Kenntnis genommen. Aber die Lektüre lohnt sich.
Von Prittwitz befasst sich mit Policy-Netzwerken. Zunächst konstatiert er eine »sozialwissenschaftliche Netzwerkeuphorie«. In der Politikwissenschaft werde eine zunehmende Verbreitung von Policy-Netzwerken konstatiert und ihnen dabei wundersame Funktionen zugeschrieben:

»Informale Netzwerke fördern demnach unter den Beteiligten vertrauensvolle Zusammenarbeit und schnellen, ungehinderten Informationsfluss (Marin/Mayntz (Hrsg.) 1991; Fukujama 1999). Vernetzte Akteure teilen, etwa in Verhandlungen, Güter untereinander optimal auf, ein Potenzial der Wohlfahrtssteigerung (Scharpf 1993, 2000). In Netzen von Regulierern und Regulierten lassen sich Beschlüsse effizienter umsetzen (Benz 1994), und selbst innovative Prozesse, etwa der ökologischen Modernisierung, werden in vernetzten Strukturen besonders häufig festgestellt (Jänicke/Kunig/Stitzel 1999).«

Sein Fazit:

»Zusammenfassend stellen sich informelle Akteursnetzwerke unter Gerechtigkeits-, Leistungs- und Demokratiegesichtspunkten als prekär dar. Sie sind zwar für die unmittelbar Beteiligten mit Vorteilen verbunden, tendieren aber zur Ausbeutung der Allgemeinheit, verkehren regelgebundene Leistungslogik in machtorientierte Tauschlogik und konterkarieren vitale Demokratie eher als diese zu fördern.«

Dieses Fazit macht er an drei Beispielen plausibel, an den Aktivitäten der Landwirtschaftslobby vor dem und während des BSE-Skandals, an der Macht akademischer Netzwerke bei Steuerung von Forschungsthemen, Forschungsgeldern und Stellenbesetzungen und schließlich am »Netzwerk Parteienstaat«, mit dem die Parteieneliten am Parlament vorbei auf Regierung, Verwaltung und selbst auf die Justiz einwirken.

Anmerkungen

Anmerkungen
1 Volker von Prittwitz, Die dunkle Seite der Netzwerke. Strategien gegen Vermachtung und Korruption: Grundlagen kritischer Netzwerktheorie, 2001; http://www.volkervonprittwitz.de/die_dunkle_seite_der_netzwerke.htm.

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Der späte Start der harten Netzwerkforschung

Die harte Netzwerkforschung ist ein Spätstarter. Der folgende Überblick dient nur zur Erläuterung der These, dass die Rechtstheorie den Anschluss verpasst hat, weil sie sich mit dem Netzwerkbegriff bereits eingerichtet hatte, bevor die Netzwerkforschung etwa ab 1998 abzuheben begann.
Es ist nicht die Absicht, hier die Basics der Netzwerkanalyse darzustellen. Das relevante Wissen ist inzwischen weitgehend konsentiert und geläufig. Das meiste im im Internet zu finden. Wikipedia allerdings enttäuscht. Zur Einführung gibt es bessere Quellen, z. B. Rainer Diaz-Bone, Eine kurze Einführung in die sozialwissenschaftliche Netzwerkanalyse. Eine anspruchsvolle Einführung, die für Rechtstheorie und Rechtssoziologie gedacht ist, Juristen aber am Ende überfordert, bietet das »Network Analysis and Law Tutorial« von Daniel Martin Katz, Michael Bommarito und Jonathan Zelner. Viel gelernt und entnommen habe ich aus dem ersten Teil von Juan Aantonio Almendral, Dynamics and Topology in Complex Networks (Ph.D.Thesis 2006). Auch viele der inzwischen klassischen Originalarbeiten, z. B. von Granovetter, Powell, Milgram, Barabási/Albert und Watts/Strogatz, stehen frei im Internet.
Vorläufer gibt es immer. Das Netzwerk ist ein Ausdruck der Alltagssprache, der schon, bevor er zum Terminus wurde, auch in der Wissenschaft genutzt wurde. Als Vorläufer der exakten Netzwerkanalyse kann die Erfindung des Soziogramms durch Moreno 1934 gelten. [1]Jakob L. Moreno, Who Shall Survive?, Washington, DC 1934 (Die Grundlagen der Soziometrie. Wege zur Neuordnung der Gesellschaft, Köln 1954). Als Terminus wurde der Netzwerkbegriff in den 1960er Jahren in der Sprachwissenschaft geläufig. Dort wurde die Vorstellung von Sprache als einem semantischen Netz entwickelt. Als Autor wird oft Ross Quillian genannt. In den 1970er Jahren tauchte der Begriff häufiger in sozialwissenschaftlichen Arbeiten auf, so in einem Buch von Jeremy Boissevain, Friends of Friends: Networks, Manipulators and Coalitions. In den 1980er Jahren diente der Begriff des neur(on)alen Netzwerks zur Modellierung von künstlicher Intelligenz z. B. durch Rumelhart, Hinton und Williams. 1990 veröffentlichte Walter W. Powell seinen Aufsatz »Neither Market nor Hierarchy: Network Forms of Organization« [2]Research in Organizational Behavior 12, 1990, 295-336. Dazu der Artikel von Andreas Wald/Dorothea Jansen, Netzwerke, in: Arthur Benz u. a. (Hg.): Handbuch Governance, 2007, 93-105., der lange die Forschungsagenda von Wirtschafts- und Politikwissenschaft bestimmt hat. Schließlich führte Manuel Castells 1996 den Begriff der Netzwerkgesellschaft ein. [3]The Rise of the Network Society, 1996. Aber erst kurz vor der Jahrtausendwende begann die Netzwerkforschung, richtig abzuheben, und nach fünf Jahren war sie auf Ihrem Gipfel angekommen.
Das Interesse an der soziologischen Netzwerkforschung wurde durch Stanley Milgram und Mark S. Granovetter angefacht. Von 1967 stammt Stanley Milgrams erstes Briefexperiment, mit dem er das Small-World-Problem populär machte. [4]Stanley Milgram, The Small World Problem, Psychology Today 1, 1967, 61-67; Jeffrey Travers/Stanley Milgram, An Experimental Study of the Small World Problem, Sociometry 32, 1969, 425-443. Zur Kritik … Continue reading Die Welt, so seine These, sei insofern klein, als jeder mit jedem über sechs Ecken bekannt sei (»six degrees of separation«). Milgram ging davon aus, dass jeder Mensch selbst bis zu 150 Menschen kennt, so dass sich die Zahl der indirekten Bekannten sehr schnell multipliziert. Wenn ich 150 Bekannte habe, die jeder wiederum 150 Menschen kennen, folgt daraus allerdings nicht, dass ich über 150 x 150 = 7.500 indirekte Bekannte verfüge, denn sehr wahrscheinlich sind die meisten Bekannten meiner Bekannten auch mit mir und ebenso untereinander bekannt. Das ist das Phänomen der Clusterbildung. Außerdem bilden die Bekannten einer Person kein einheitliches Netzwerk. Aus Familie, Nachbarschaft, gemeinsamer Schulzeit oder berufliche Kontakten usw. wachsen verschiedene, oft durch soziale Schranken separierte Netzwerke. Dennoch erwies sich Milgrams These empirisch als mindestens halbwegs zutreffend.
Diese Mehrfachbekanntschaften im Cluster bilden die strong ties im Gegensatz zu den relativ wenigen weak ties, nämlich den Beziehungen, die aus der engeren Gruppe herausführen. Deren Bedeutung zeigte Granovetter 1973 in seinem viel zitierten Aufsatz »The Strength of Weak Ties«. [5]Mark S. Granovetter, The Strength of Weak Ties: A Network Theory Revisited, Sociological Theory 1, 1983, 201-233. Ihm lag eine empirische Untersuchung über den unterschiedlichen Erfolg der Jobsuche entweder über enge Freunde, entferntere Bekannte oder auf dem förmlichen Weg zugrunde mit dem Ergebnis, dass entferntere Bekannte bei der Jobsuche besonders hilfreich sein können. Dieser Effekt ist immer wieder für Folgeuntersuchungen [6]Martina Brandt, Soziale Kontakte als Weg ausw der Erwerbslosigkeit, KZfSS 58,2006, 468-488; (darüber Jürgen Kaube, Wer Freunde hat, findet leichter Arbeit, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung v. … Continue reading und Pressemeldungen gut.
Grundlage der harten Netzwerkforschung ist die mathematische Graphentheorie. Sie versteht unter einem Netzwerk die Repräsentation beliebiger Objekte wie Menschen, Institutionen, Begriffe oder Internetadressen durch Graphen und Matrizen. Auf dieser Grundlage ist ein ganzer Strauß von Begriffen und Methoden zur Analyse der Struktur von Netzen gewachsen. Die wichtigsten Begriffe sollen hier jedenfalls genannt werden.
Die Elemente oder Objekte, die das Netz bilden, werden gewöhnlich als Knoten bezeichnet, die zwischen ihnen bestehenden Beziehungen als Kanten. Die Kanten können symmetrisch sein wie zum Beispiel die Distanzen zwischen Punkten auf einer Landkarte. Oder sie sind gerichtet, entweder einseitig wie die Beziehung zwischen Kirchenglocken und der Gemeinde oder bidirektional wie das Gespräch am Telefon. Die Kanten können auch gewichtet sein, je nachdem, ob die Beziehung intensiv oder weniger intensiv ist (strong und weak ties).
Gefragt wird weiter nach der Pfadlänge zwischen den Knoten, also danach, wie viele Zwischenschritte über andere Knoten notwendig sind, um die Distanz zwei bestimmten Knoten zu überwinden. So gibt es in jedem Netzwerk eine maximale und eine durchschnittliche Pfadlänge.
Besonderes Interesse gilt dem Grad eines Knotens, der Frage nämlich, wie viele Verbindungen zu anderen Knoten er auf sich zieht.
Die Verclusterung eines Netzwerks bildet ein Maß dafür, wieweit alle theoretisch denkbaren Verbindungsmöglichkeiten ausgeschöpft sind, wieweit also jeder mit jedem im Netz in Beziehung steht. Ähnlich, aber nicht identisch ist die Transitivität der Beziehungen. Die Idee kommt ursprünglich aus der Soziologie. Wenn von zwei Freunden, Primus und Secundus, Primus mit einer dritten Person (Tertius) befreundet ist, dann bilden sie ein kleines Netzwerk. Oft liegt es dann aber so, dass nicht nur Primus, sondern auch Secundus mit Tertius befreundet ist. Dann ist das Triple, so sagt man, transitiv. Vollständige Transitivität ist in einem sozialen Netzwerk eher der Ausnahmefall.
Netzwerke können von vornherein kettenförmig, sternförmig oder pyramidal angelegt sein. Sie können auch im Verlauf Konnektivitätsmuster entwickeln, aus denen sich die Zentralität eines oder mehrerer Knoten ergibt. Es sind dazu Zentralitätsmasse entwickelt worden, die den Verknüpfungsgrad, Pfadlängen und das Gewicht von Beziehungen kombinieren, um die Zentralisierung von Netzen vergleichbar zu machen.
Die typische Vorstellung geht wohl dahin, dass ein Netz aus gleichartigen Elementen besteht. Viele soziale Netzwerke bestehen aber aus zweierlei (oder gar mehr) Elementen. Das gilt etwa für Mitgliedschaftsnetzwerke. Individuen sind Mitglied vieler Gruppen. Sie haben nicht nur ein persönliches Egonetzwerk, also Beziehungen zu anderen Individuen, sondern auch ein Netzwerk von Mitgliedschaften (Sportverein, Kirchengemeinde, Partei, Gewerkschaft usw.) Wenn man die Beziehungen zwischen unterschiedlichen Elementtypen betrachtet, spricht man von bipartiten Netzwerken.
Weil in der Rechtstheorie vom Netz der Netzwerke geschrieben wird, ist schließlich erwähnenswert, dass sich Teile als Netzes als Subnetz darstellen lassen. Die Subnetze sind dann Cluster in einem größeren Netz, die untereinander nur schwach verbunden sind. Das hat etwa zur Folge, dass der Zusammenbruch eines Subnetzes nicht zum Zusammenbruch des ganzen Netzes führen muss. Soviel zur Terminologie.
Ein entscheidender Fortschritt ergab sich aus der Behandlung der von der Soziologie aufgeworfenen Fragen mit mathematischen Methoden. Der Soziologe Duncan J. Watts und der Mathematiker Steven H. Strogatz wollten eigentlich erklären, wie sich Epidemien ausbreiten oder wie ein Schwarm von Baumheuschrecken es schafft, dass alle gleichzeitig zirpen. [7]Duncan J. Watts/Steven H. Strogatz, Collective Dynamics of “Small-World” Networks, Nature 393, 1998, 440-442. Sie ließen sich dabei von Milgrams Small-World-Problem inspirieren. So gelang ihnen 1998 die Verbindung bestimmter Netzwerkeigenschaften mit dynamischen Systemvorgängen wie der Verbreitung von Informationen, von Krankheiten oder von cascading failures. Watts und Strogatz verglichen zunächst in Modellrechnungen Zufallsnetzwerke mit solchen mit starkem Clustering. Bereits 1960 hatten Paul Erdös und Alfred Rényi sich mit der Verteilung der Kanten zwischen den Knoten in einem Zufallsnetzwerk befasst. [8]Paul Erdös Alfred Rényi, On the Evolution of Random Graphs, Publications of the Mathematical Institute of the Hungarian Academy of Sciences 5, 1959, 17–61. Watts und Strogatz fanden nun, dass sich beispielsweise eine Infektion in einem Zufallsnetzwerk schnell in alle Richtungen ausbreitet und alle Knoten erreicht. Dagegen zeigte sich, dass Krankheiten in geclusterten Netzwerken mit kurzen Pfadlängen sich kaum über das Cluster hinaus verbreiten. Das war eigentlich nicht anders zu erwarten. Aber neu war die Erkenntnis, dass es ausreicht, wenn nur wenige Knoten aus dem Cluster heraus mit anderen verbunden sind, um eine Krankheit beinahe genauso schnell zu verbreiten wie in einem Zufallsnetzwerk. Damit hatten sie eine mathematische Lösung des Small-World-Problems gefunden, die sie an empirischen Untersuchungen bestätigen konnten. Die Lösung liegt darin, dass in den meisten Clustern eine oder wenige Personen zugleich an weit ausgreifenden Netzwerken beteiligt sind. Sie unterhalten die weak ties, sind in ihrer Umgebung sozusagen als Kosmopoliten bekannt und werden für die Weiterleitung angesprochen.
Auch Watts und Strogatz gingen, wie bis dahin üblich, davon aus, dass die Verbindungen in komplexen Netzwerken einer Zufallsverteilung folgen (die als Poisson-Verteilung geläufig ist). Die Graphik zeigt eine Glockenkurve. Die meisten Knoten verfügen etwa über die gleiche Anzahl von Kanten. Nur wenige Knoten haben überdurchschnittlich viele oder sehr wenige Verbindungen. Die Konnektivität in modellhaften Small-World-Netzwerken, die wie gesagt starke Clusterbildung und kurze durchschnittliche Pfadlängen aufweisen, zeigt eine exponentielle Wahrscheinlichkeitsverteilung, denn die Wahrscheinlichkeit, dass ein Knoten eine Verbindung zu einem bestimmten anderen hat, fällt exponentiell mit der Größe des Netzwerks.
Als Barabási und Albert 1998 begannen, das Internet als Netzwerk zu analysieren, erwarteten sie auch dort eine entsprechende Verteilung der Links. [9]Albert-László Barabási/Réka Albert, Emergence of Scaling in Random Networks, Science 286, 1999, 509-512. Ferner Statistical Mechanics of Complex Networks, Revue of Modern Physics 74, 2002, 47-97, … Continue reading Sie vermuteten, dass jeder User bei der Verlinkung seiner Seite seinen individuellen Interessen folgen und sich daraus eine Zufallsverteilung der Links über die riesige Anzahl verfügbarer Knoten ergeben würde. Im Internet stießen Barabási und Albert jedoch auf ein anderes Verteilungsmuster. Über 80 % der Webseiten waren höchstens vier Mal verlinkt. Eine winzige Minderheit dagegen, nämlich weniger als 0,01 % aller Knoten, hatten mehr als 1000 Links auf sich gezogen. (Später wurden sogar Webseiten mit mehr als 2 Millionen Links gefunden.) Die Auswertung der Zahlen zeigte, dass die Verteilung der Links einem Potenzgesetz (power law) folgt. Sie unterscheidet sich von der Normalverteilung dadurch, dass die Masse der Werte sich nicht in der Nähe des Durchschnitts hält, sondern dass Extremwerte auftreten, die Masse der Werte aber weit unter dem Durchschnitt liegt. Ein Beispiel ist die Vermögensverteilung in den Industriestaaten. 2007 verfügten in Deutschland 10 % der Erwachsenen über 61,1 % des Gesamtvermögens, die obersten 5 % über 46 % und das oberste Prozent über etwa 23 %. Dagegen lag die große Masse der Bevölkerung weit unter dem Durchschnittswert von 88.000 Euro. [10]Nach Bundeszentrale für politische Bildung (10.11.2008), Die soziale Situation in Deutschland. Die Vermögensverteilung ist also keine Normalverteilung, bei der – wie z. B. bei der Größe von Bäumen oder von Menschen – die Mehrheit nahe am Durchschnitt liegt, und die keine Ausreißer kennt. Im Internet dagegen gibt es wenig Durchschnittsknoten. Die Zahl der eingehenden Links fällt extrem stark ab. Wenige Hubs ziehen die Masse der Verbindungen auf sich und die andern bilden den so genannten long tail.
Ähnliche Verteilungsmuster fanden Barabási und Albert bei anderen realen Netzwerken, etwa unter Hollywood-Schauspieler oder bei Zitationsnetzwerken von Wissenschaftlern. Netze mit dieser Eigenschaft werden scale-free (skalenfrei oder skaleninvariant) genannt, weil die Verteilung unabhängig von einem inneren Maßstab des Netzwerks ist. Dazu muss man sich vorstellen, dass manche Systeme nicht mehr funktionieren, wenn sie zu groß werden. Menschen wiegen selten mehr als 150 kg. Steigt das Gewicht weiter, werden sie bewegungsunfähig und schließlich versagen die Körperfunktionen. Statistisch gesehen gibt für das Körpergewicht von Erwachsenen eine Art Normalverteilung. Analog liegt es mit Bäumen oder Hochhäusern. Bäume wachsen nicht in den Himmel, und Häuser kann man nicht beliebig hoch bauen. Irgendwann würden unter ihrem Eigengewicht zusammenbrechen. Dagegen scheint dem Wachstum von Städten oder Staaten – und auch des Internet – keine natürliche Grenze gesetzt zu sein. Sie sind größenordnungsunabhängig = skalenfrei.
Die Frage ist natürlich, warum sich in realen Netzen die Masse der Verbindungen auf wenige Superknoten konzentriert. Dafür gibt es zwei Erklärungen, deren zweite das Gewicht der ersten verstärkt. Die Modellvorstellung von Zufallsnetzwerken geht davon aus, dass das Netz fertig ist. Reale Netze wachsen jedoch meistens aus sehr kleinen Anfängen. Das hat zur Folge, dass die älteren Knoten größere Chancen haben, Verbindungen von neuen Teilnehmern auf sich zu ziehen. Die zweite Erklärung ergibt sich daraus, dass die Netzknoten unterschiedliche »Tauschwerte« besitzen. Die Beziehung zu einem prominenten Knoten verspricht größeren Gewinn als die Anknüpfung bei einem Nobody und wird deshalb vorgezogen (preferential attachment). Die Prominenz eines Knotens steigt nicht zuletzt mit der Zahl seiner Verbindungen. Daraus ergibt sich, dass die Großen noch größer werden (the rich get richer). Es gilt das Prinzip der Vorteilsakkumulation (accumulated advantage; Matthäus-Prinzip). [11]Robert K. Merton, The Matthew Effect in Science, Science, 1968, 56-63; vgl. auch den Eintrag Nachlese: Wie wirkt Recht? vom 29. 6. 2010.
Viele, aber nicht alle realen Netze sind in diesem Sinne skalenfrei. Künstlich aufgebaute Netze (Autobahnnetze, Eisenbahnnetze oder Elektrizitätsnetze) zeigen meistens eine Normalverteilung. Die Frage ist natürlich, was für soziale Netzwerke gilt. Eine allgemeine Regel gibt es anscheinend nicht, denn was für das Internet gilt, wenn man es denn als soziales Netzwerk ansieht, gilt kaum für Kleingruppen.
Mit einer zusammenfassenden Arbeit von Réka Albert und Albert-László Barabási von 2002 [12]Statistical Mechanics of Complex Networks, Revue of Modern Physics 74, 2002, 47-97. war die Entwicklung der harten Netzwerkforschung zunächst abgeschlossen. Schnell folgten einige Bücher, welche die Ergebnisse popularisierten. [13]Duncan J. Watts, Six Degrees: The Science of a Connected Age, W. W. Norton and Company. 2003; Albert-László Barabási, Linked: The New Science of Networks, Perseus, Cambridge, MA, 2002; Mark … Continue reading
Auf der Grundlage der soweit konsolidierten Netzwerktheorie starteten Christakis und Fowler 2002 eine groß angelegte empirische Untersuchung an Hand der Daten der Framingham-Studie, die sie 2009 in einem Buch dokumentierten, das dem Interesse an Netzwerken noch einmal neuen Schub gab. [14]Nicholas A. Christakis/ James H. Fowler, Connected. The Surprising Power of Our Social Networks and How They Shape Our Lives, Little, Brown & Company. Die Autoren stellen ihr Buch ausführlich … Continue reading Ein wichtiges Ergebnis: Der persönliche Einfluss reicht nur über drei Grade der Bekanntschaft. Die Untersuchung bietet damit eine gewisse Bestätigung für die so genannte Dunbar-Zahl, die besagt, dass die Evolution den Menschen so ausgestattet hat, dass er nur zu etwa 150 anderen persönliche Beziehungen unterhalten kann. [15]Robin I. M. Dunbar, Coevolution of Neocortical Size, Group Size and Language in Humans, Behavioral and Brain Sciences 16, 1993, 681-735. Vor dem Hintergrund der neuen Netzwerkforschung entdeckte man nun aber auch die Bedeutung der Arbeiten von Oliver Williamson und vor allem von Elinor Ostrom, die eigentlich schon aus den 1980er und den 1990er Jahren stammen. Der Nobelpreis für Williamson und Ostrom und die Veröffentlichung des Buches von Christakis und Fowler löste 2009 noch einmal eine Popularisierungswelle aus. [16]z. B M. E. J. Newman/Albert-László Barabási/Duncan J. Watts, The Structure and Dynamics of Networks, Princeton, N.J. , Oxford 2006; David Easley/Jon Kleinberg, Networks, Crowds, and Markets. … Continue reading
In der Rechtstheorie ist die harte Netzwerkforschung bislang kaum rezipiert worden. Volker Boehme-Neßler hat es versucht. [17]Unscharfes Recht. Überlegungen zur Relativierung des Rechts in der digitalisierten Welt, 2008. Das Ergebnis überzeugt mich nicht. Darüber mehr in einem neuen Eintrag. Vorher müsste ich eigentlich über ein ganzes Bündel von empirischen Untersuchungen berichten, welche die Methoden der Netzwerkforschung auf Rechtsthemen anwenden. Wenn ich dazu keine Zeit oder Lust habe, werde ich mich mit Fundstellennachweisen begnügen.
Nachtrag vom 22. 6. 2012:
Aus einer Pressemitteilung vom 21. 5. 2012 erfährt man aus der Universität des Saarlandes, dass sich die Informationen in sozialen Netzwerken noch schneller verbreiten, als in Netzwerken, in denen jeder mit jedem kommuniziert, oder deren Struktur völlig zufällig gewachsen ist.« Der Grund dafür, heißt es, »sei das Zusammenspiel zwischen sehr gut und gering vernetzten Personen. »Eine gering vernetzte Person hat natürlich viel schneller ihre wenigen Kontakte informiert«, so Friedrich. Es sei jedoch auch nachweisbar, dass sich unter solchen Kontakten immer sehr gut vernetzte Personen befinden, die wiederum von sehr vielen Personen angefragt würden. Auf diese Weise werde in rasender Geschwindigkeit jeder über die Neuigkeit informiert, so Friedrich. Um das Beziehungsgeflecht in einem realen sozialen Netzwerk zu abstrahieren, nutzten die Forscher sogenannte ›Preferential Attachment Graphs‹ als Netzwerk-Modell. Es beruht auf der Annahme, dass sich neue Mitglieder eher mit bereits bekannten Personen vernetzten als mit unbekannten.« So schrecklich neu klingt das nicht.

Anmerkungen

Anmerkungen
1 Jakob L. Moreno, Who Shall Survive?, Washington, DC 1934 (Die Grundlagen der Soziometrie. Wege zur Neuordnung der Gesellschaft, Köln 1954).
2 Research in Organizational Behavior 12, 1990, 295-336. Dazu der Artikel von Andreas Wald/Dorothea Jansen, Netzwerke, in: Arthur Benz u. a. (Hg.): Handbuch Governance, 2007, 93-105.
3 The Rise of the Network Society, 1996.
4 Stanley Milgram, The Small World Problem, Psychology Today 1, 1967, 61-67; Jeffrey Travers/Stanley Milgram, An Experimental Study of the Small World Problem, Sociometry 32, 1969, 425-443. Zur Kritik Judith S. Kleinfeld, The Small World Problem, Society 2002, 61-66. In einer Nachfolgeuntersuchung haben Peter Sheridan Dodds, Roby Muhamad und Duncan J. Watts 60.000 Email-User veranlasst, 18 Zielpersonen in 13 Ländern zu erreichen, indem sie eine Nachricht jeweils an einen Bekannten weitersandten. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass es grundsätzlich wohl möglich sei, auch im globalen Maßstab beliebig Zielpersonen über persönliche Netzwerke zu erreichen, und schätzten, dass dazu durchschnittlich fünf Vermittlungsschritte notwendig seien. Die Probanden waren dabei sehr verschieden erfolgreich. Der Erfolg war von sozialen Merkmalen (von denen indirekt die verfügbaren Netzwerke abhängen) und von der Suchstrategie. Bei den ersten Schritten wurde vor allem nach Personen gesucht, die der Zielperson geographisch nahe war. Bei den letzten Schritten wurde vor allem nach Vermittlern gesucht, die aus einem ähnlichen Berufsfeld kamen wie die Zielpersonen. Am erfolgreichsten Probanden, die professionelle Beziehungen nutzen konnten. An Experimental Study of Search in Global Social Networks, Science 301, 29003, 827-829.
5 Mark S. Granovetter, The Strength of Weak Ties: A Network Theory Revisited, Sociological Theory 1, 1983, 201-233.
6 Martina Brandt, Soziale Kontakte als Weg ausw der Erwerbslosigkeit, KZfSS 58,2006, 468-488; (darüber Jürgen Kaube, Wer Freunde hat, findet leichter Arbeit, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung v. 17. 12. 2006, S. 76); Johan Ugander/Lars Backstrom/Cameron Marlow/Jon Kleinberg, Structural Diversity in Social Contagion, PNAS vom 17. April 2012 (Bd. 109 Nr. 16, 5962-5966.
7 Duncan J. Watts/Steven H. Strogatz, Collective Dynamics of “Small-World” Networks, Nature 393, 1998, 440-442.
8 Paul Erdös Alfred Rényi, On the Evolution of Random Graphs, Publications of the Mathematical Institute of the Hungarian Academy of Sciences 5, 1959, 17–61.
9 Albert-László Barabási/Réka Albert, Emergence of Scaling in Random Networks, Science 286, 1999, 509-512. Ferner Statistical Mechanics of Complex Networks, Revue of Modern Physics 74, 2002, 47-97, sowie Albert-László Barabási/Eric Bonabeau, Scale-Free Networks, Scientific American, Mai 2003; deutsche Fassung: Skalenfreie Netzwerke, Spektrum der Wissenschaft Juli 2004, S. 62-69.
10 Nach Bundeszentrale für politische Bildung (10.11.2008), Die soziale Situation in Deutschland.
11 Robert K. Merton, The Matthew Effect in Science, Science, 1968, 56-63; vgl. auch den Eintrag Nachlese: Wie wirkt Recht? vom 29. 6. 2010.
12 Statistical Mechanics of Complex Networks, Revue of Modern Physics 74, 2002, 47-97.
13 Duncan J. Watts, Six Degrees: The Science of a Connected Age, W. W. Norton and Company. 2003; Albert-László Barabási, Linked: The New Science of Networks, Perseus, Cambridge, MA, 2002; Mark Buchanan, Nexus: Small Worlds and the Groundbreaking Theory of Networks, W. W. Norton and Company, 2002.
14 Nicholas A. Christakis/ James H. Fowler, Connected. The Surprising Power of Our Social Networks and How They Shape Our Lives, Little, Brown & Company. Die Autoren stellen ihr Buch ausführlich in einem Vortrag vor vor, der auf der Webseite von Microsoft zu finden ist. Eine ausführliche Besprechung in The New York Times Sunday Book Review vom 1. 1. 2009.
15 Robin I. M. Dunbar, Coevolution of Neocortical Size, Group Size and Language in Humans, Behavioral and Brain Sciences 16, 1993, 681-735.
16 z. B M. E. J. Newman/Albert-László Barabási/Duncan J. Watts, The Structure and Dynamics of Networks, Princeton, N.J. , Oxford 2006; David Easley/Jon Kleinberg, Networks, Crowds, and Markets. Reasoning about a Highly Connected World, New York 2010; Science Special Issue vom 24 July 2009: Complex Systems and Networks, Bd. 325 no. 5939 pp. 412-413. Darin finden sich zwei für die Rechtssoziologie relevante Aufsätze: John Bohannon, Counterterrorism’s New Tool: ‘Metanetwork’ Analysis (S. 409-411), sowie Elinor Ostrom, A General Framework for Analyzing Sustainability of Social-Ecological Systems, Science 2009, 325, 419-422.
17 Unscharfes Recht. Überlegungen zur Relativierung des Rechts in der digitalisierten Welt, 2008.

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Castells Hitliste

Bei den Recherchen zur Netzwerkforschung bin ich auf eine Hitliste der am häufigsten zitierten Soziologen gestoßen, die Manuel Castells zusammengestellt hat. Da er selbst in der Spitzengruppe erscheint, wird er es akzeptieren, wenn ich sie hier wiedergebe:

Relative Ranking of a Selected Pool of Leading Scholars in the Social Sciences by Number of Citations in the Social Science Citation Index, 2000-2010

Quelle: http://www.manuelcastells.info/en/SSCIsocialranking_eng.pdf

Bemerkenswert, dass Luhmann in dieser Liste nicht erscheint.

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