Fuckyoufy – Vorschlag für eine Strafrechtsklausur nach dem G20-Gipfel in Hamburg

Fuckyoufy (F) ist eine NGO in der Rechtsform eines nichtrechtsfähigen Vereins. Sie hat sich dem Kampf gegen die Sexualisierung der kapitalistischen Gesellschaft verschrieben. In den letzten zehn Jahren hat F in Vergnügungsvierteln, an Nacktbadestränden und vor der Firmenzentrale des Playgirl-Verlages Demonstrationen und Zeltlager organisiert, um gegen die Erotisierung von Medien und Alltag, Menschenhandel und Prostitution zu protestieren. Bei acht von zehn Protestaktionen kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit der Polizei. Es wurden Pflastersteine herausgerissen und auf die Beamten geworden. Ferner wurden stets auch mindestens ein Auto angezündet und mehrere Schaufenster eingeschlagen. Die Täter waren allerdings ganz überwiegend nicht Mitglieder und Sympathisanten von F, sondern Hooligans und sogenannte Autonome, die dafür bekannt sind, dass sie von anderen initiierte Großdemonstrationen nutzen, um Gewalttaten zu verüben.

Für den Tag der Einweihung eines neuen Großbordells auf St. Pauli hatte F durch das Vorstandsmitglied A wiederum eine Demonstration organisiert. Die Demonstration wurde entsprechend dem Versammlungsgesetz angemeldet und nicht verboten. Zur Vorbereitung der Demonstration wurden von F Sonderzüge der Deutschen Bahn und Busse angemietet, mit denen Mitglieder und Unterstützer von F nach Hamburg fuhren. Die Teilnehmer erhielten genaue Verhaltensanweisungen, etwa wie vorzugehen sei, um Polizeiketten zu durchbrechen. Sie wurden jedoch aufgefordert, von Gewaltanwendung abzusehen.

Tatsächlich kam es bei der Demonstration in Hamburg zu gewaltätigen Auseinandersetzungen mit der Polizei, bei denen sieben Polizisten und vierzehn Demonstranten verletzt wurden. Ferner wurden ein privater PKW und ein Polizeifahrzeug angezündet und sieben Schaufenster eingeschlagen. Die Täter waren ganz überwiegend keine Mitglieder oder Sympathisanten von F.

Nach der Demonstration bedauerte A gegenüber der Presse, dass es zu Gewalttätigkeiten gekommen sei. Aber letztlich seien illegale Formen des Protestes angesichts der Untätigkeit des Systems gegenüber dem blühenden Menschenhandel und der Ausbeutung der Frauen nicht zu vermeiden und in gewisser Weise auch legitim.

Hat A sich nach dem StGB strafbar gemacht?

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Die Governance-Perspektive führt zur Verharmlosung von Gewalt

Die Praxis der politischen Herrschaft, die in vielen Entwicklungsländern zu beobachten ist, wird als neopatrimonial eingeordnet. Darunter versteht man die Aushöhlung formal-rationaler Herrschaft durch informale Herrschaft, die nicht über tradierte Normen, sondern über Personen und Netzwerke vermittelt wird. [1]Eine Bibliographie zum Thema und gehaltvolle Links bietet die Projektseite »Persistenz und Wandel von Neopatrimonialismus in verschiedenen Nicht-OECD-Regionen« des Leibniz-Instituts für Globale … Continue reading Politische Ämter verschaffen den Zugang zu staatlichen Ressourcen und zu den umfangreichen Mitteln, die als Entwicklungshilfe ins Land kommen. Sie geben Gelegenheit zur Einkommensgenerierung durch Korruption bis hin zur »Besteuerung« krimineller Netzwerke, insbesondere des Transithandels mit Drogen. Eine partikularistische Verwendung staatlicher Ressourcen und die Pflege eines Netzwerks durch direkten oder indirekten Austausch führt zu einer Machtkonzentration in den Händen der so genannten Big Men [2]Begriff von Marshall D. Sahlins, Poor Man, Rich Man, Big-Man, Chief: Political Types in Melanesia and Polynesia, Comparative Studies in Society and History 5, 1963, 285-303..
In Afrika hat die »Bigmanity« bisher regelmäßig auch eine Gewaltkomponente. [3]Vgl. dazu die Sammelbände von Jean Comaroff/John Lionel Comaroff (Hg.), Law and Disorder in the Postcolony, Chicago 2006; Georg Klute/Birgit Embaló (Hg.), The Problem of Violence. Local Conflict … Continue reading Traditionale Gesellschaften lösen das Problem der Kontrolle von Gewalt durch Einkommensgenerierung (rent-creation). Hier kontrolliert und nutzt das politische System die Wirtschaft als Einkommensquelle. Wer selbst über ein Gewaltpotential verfügt und dadurch Gewalt unter Kontrolle halten kann, kann sich vorhandene Einkommensquellen sichern, muss allerdings davon so viel verteilen, dass keine Gewalt ausbricht. Die Gesellschaften sind insofern geschlossen, als die Möglichkeiten, sich neu zu organisieren und in wirtschaftlichen Wettbewerb zu treten, begrenzt sind. Damit ist eine wirtschaftliche Expansion ausgeschlossen. Moderne Gesellschaften haben spezifische Institutionen zur Kontrolle von Gewalt. Die Gewaltkontrolle ist nicht an bestimmte Personen gebunden und als Kehrseite entfallen privilegierte Einkommensquellen und daraus entsteht wirtschaftlicher Wettbewerb mit der Folge wirtschaftlichen Wachstums. Das ist in Kürze die institutionenökonomische Erklärung für die Blockade des wirtschaftlichen Wachstums in vielen Entwicklungsländern. [4]Douglass C. North/John Joseph Wallis/Barry R. Weingast, A Conceptual Framework for Interpreting Recorded Human History; Barry R. Weingast, Why Developing Countries Prove so Resistant to the Rule of … Continue reading Staatenbildung als solche genügt daher nicht, um die Modernisierung voranzubringen, solange der Staat nicht verhindern kann, dass Gewalt zur Einkommensgenerierung dient.
Als potentiell gewalttätig galten die akephalen Stammesgesellschaften Afrikas. Potentiell gewalttätig war es auch immer an den vielen Stammes- und Sprachgrenzen. Über die Jahrhunderte hatte sich ein ausbalanciertes System von Kooperation, aber auch von Wettbewerb um Ressourcen ausgebildet, das zwar Gewalt nicht ausschloss, aber insgesamt gesehen doch stabil war. Dieser Gleichgewichtszustand geriet in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts durch viele bürgerkriegsähnliche Konflikte ins Wanken, als Teile der Bevölkerung bewaffnet wurden, um andere zu vernichten. [5]Für den Sudan Richard Rottenburg/Guma Kunda Komey/Enrico Ille, The Genesis of Recurring Wars in Sudan: Rethinking the Violent Conflicts in the Nuba Mountains/South Kordofan, 2001, S. 26. Dennoch herrscht kein absolutes Chaos. Offiziell installierte Politiker nutzen ihre Rolle als Big Man. Familienclans und Stammeszugehörigkeit verhelfen zu relativem Schutz. Auch NGOs greifen immer wieder ein. Koalitionen und Netzwerke schaffen laufend veränderte Fronten, zwischen denen auch noch ein »normales« Leben möglich bleibt. Aber der Frieden ist immer fragil, eigentlich nur ein Waffenstillstand. Doch auch ohne bürgerkriegsähnliche Zustände ist politische Gewalt in Afrika fast überall noch präsent. [6]Beispiele in Diehards and Democracy: Elites, Inequality and Institutions in African Elections, Briefing Note des Africa Research Institute, London, von April 2012. Je nach Standpunkt des Beobachters wird dieser Zustand als das Ergebnis von Staatsversagen oder als ein alternativer Zustand beschrieben, wie Länder dennoch fortexistieren können. [7]Mats Utas, Introduction: Bigmanity and Network Governance in African Conflicts, in: Mats Utas (Hg.), African Conflicts and Informal Power, Big Men and Networks, London 2012, S. 1-31, S. 4. Klute und Embaló sowie von Throta teilen den letzteren Blick. Sie meinen, es greife zu kurz, die zu beobachtenden Strukturen nur als notdürftigen Ersatz für staatliche Ordnung anzusehen. Neue und wiederbelebte traditionale Formen des Umgangs mit Macht zeigten eine bemerkenswerte Vitalität. Sie sprechen von einer parastaatlichen Heterarchie, die man sich auch als dauerhafte Alternative zu staatlicher Herrschaft vorstellen könne. Nur der sicherheitsvernarrten Nordhälfte des Globus erscheine das Fehlen institutioneller Verlässlichkeit mit Streit und Gewalt als dauernder Begleiterscheinung suspekt. [8]Georg Klute/Birgit Embaló, Introduction: Violence and Local Modes of Conflict Resiolution in Heterarchical Figurations, in: dies. (Hg.), The Problem of Violence. Local Conflict Settlement in … Continue reading Hier, wie auch sonst in der Governance-Literatur, die stolz darauf ist, vielfältige Ordnungsfaktoren »in Räumen begrenzter Staatlichkeit« [9]»Governance in Räumen begrenzter Staatlichkeit« ist der Titel eines Sonderforschungsbereichs an der FU Berlin. Ich beziehe mich auf Tanja A. Börzel/Thomas Risse, Governance Without a State: Can … Continue reading entdeckt zu haben, wird das Gewaltproblem verharmlost. Doch damit nicht genug. Eine heterarchische Ordnung blockiert, jedenfalls nach der institutionenökonomischen Erklärung, die Modernisierung oder, wenn man Modernisierung nicht mag, die Verbesserung der materiellen Lebensbedingungen und der individuellen Entfaltungsmöglichkeiten. Mindestens Klute und Embaló haben eine merkwürdige Vorstellung von dem Unterschied zwischen Heterarchie und Hierarchie, wenn sie (S. 7) schreiben:

»The assets of the heterarchy concept besome particularly evident when compared to hierarchical representations. … Wheras hierarchies canalise power and privilege to the top, heterarchies distribute privileges and decision-making variably and fluidly. While in hierarchies ranked positions, i. e. domination or subordination, are fixed, ranking in heterarchies can be reversed and hence privileges ever newly distributed. This, we believe, is what the current state of politics in Africa is about.«

Es ist mir nicht klar geworden, welche Hierarchie sie meinen. Nach dem Kontext, in dem es um Länder geht, in denen der Staat abwesend ist und daher nach »non-state legal orders and institutions« gesucht wird, müsste als Hierarchie eigentlich ein funktionierender Staat mit Gewaltmonopol gemeint sein. Diesen Staat kann man in zweierlei Hinsicht als hierarchisch beschreiben, nämlich hinsichtlich des Stufenbaus seiner Rechtsordnung und hinsichtlich der Organisation seiner Bürokratie. Aber wenn es sich um einen demokratischen Rechtsstaat handelt, kann keine Rede davon sein, dass in einem solchen Staat Macht und Privilegien auf eine Spitze hin kanalisiert und die Rangunterschiede festgeschrieben wären, sondern sie sind offen für einen gewaltfreien Wettbewerb. Vor allem aber ist Gewalt kein Mittel der Einkommensgenerierung, so dass ein wirtschaftlicher Leistungswettbewerb möglich wird. Aus der Modernisierungsperspektive bleibt das diffuse, aber permanente Gewaltpotential deshalb ein Problem, von der Perspektive der betroffenen Menschen gar nicht zu reden. Es wäre zynisch, internationale Interventionen, die die Reduzierung der Gewalt zum Ziel haben, für überflüssig zu halten. Die Institutionen, die die nachholende Modernisierung betreiben, haben dieses Ziel nicht aufgegeben. [10]Weiterführende Beiträge zum Thema im Sonderheft »Security Sector Reform and Rule of Law« des Hague Journal on the Rule of Law 4, 2012. Die multilateralen Einrichtungen zur kollektiven Friedenssicherung haben sich seit der Jahrtausendwende in Afrika schneller entwickelt als in anderen Regionen der Welt, und sie sind mit ihren diplomatischen und militärischen Interventionen nicht erfolglos. [11]Briefing Note des Africa Research Institute, London, von May 2010 (No, Mr. President. Mediation and Military Intervention in the African Union.

Anmerkungen

Anmerkungen
1 Eine Bibliographie zum Thema und gehaltvolle Links bietet die Projektseite »Persistenz und Wandel von Neopatrimonialismus in verschiedenen Nicht-OECD-Regionen« des Leibniz-Instituts für Globale und Regionale Studien (GIGA).
2 Begriff von Marshall D. Sahlins, Poor Man, Rich Man, Big-Man, Chief: Political Types in Melanesia and Polynesia, Comparative Studies in Society and History 5, 1963, 285-303.
3 Vgl. dazu die Sammelbände von Jean Comaroff/John Lionel Comaroff (Hg.), Law and Disorder in the Postcolony, Chicago 2006; Georg Klute/Birgit Embaló (Hg.), The Problem of Violence. Local Conflict Settlement in Contemporary Africa, 2011; Mats Utas (Hg.), African Conflicts and Informal Power, Big Men and Networks, London 2012; ferner Richard Rottenburg/Guma Kunda Komey/Enrico Ille, The Genesis of Recurring Wars in Sudan: Rethinking the Violent Conflicts in the Nuba Mountains/South Kordofan, 2001 .
4 Douglass C. North/John Joseph Wallis/Barry R. Weingast, A Conceptual Framework for Interpreting Recorded Human History; Barry R. Weingast, Why Developing Countries Prove so Resistant to the Rule of Law, in: James J. Heckman u. a. (Hg.), Global Perspectives on the Rule of Law, London u. a. 2010, S. 28-51.
5 Für den Sudan Richard Rottenburg/Guma Kunda Komey/Enrico Ille, The Genesis of Recurring Wars in Sudan: Rethinking the Violent Conflicts in the Nuba Mountains/South Kordofan, 2001, S. 26.
6 Beispiele in Diehards and Democracy: Elites, Inequality and Institutions in African Elections, Briefing Note des Africa Research Institute, London, von April 2012.
7 Mats Utas, Introduction: Bigmanity and Network Governance in African Conflicts, in: Mats Utas (Hg.), African Conflicts and Informal Power, Big Men and Networks, London 2012, S. 1-31, S. 4.
8 Georg Klute/Birgit Embaló, Introduction: Violence and Local Modes of Conflict Resiolution in Heterarchical Figurations, in: dies. (Hg.), The Problem of Violence. Local Conflict Settlement in Contemporary Africa, Köln 2011, 1-27, S. 4; Trutz von Throta, The Problem of Violence: Some Theoretical Remarks about ‘Regulative Orders of Violence’, Political Heterarchy, and Dispute Regulation beyond the State, ebd. S. 31-47, S. 34 ff, 44.
9 »Governance in Räumen begrenzter Staatlichkeit« ist der Titel eines Sonderforschungsbereichs an der FU Berlin. Ich beziehe mich auf Tanja A. Börzel/Thomas Risse, Governance Without a State: Can it Work?, Regulation & Governance 4, 2010, 113-134.
10 Weiterführende Beiträge zum Thema im Sonderheft »Security Sector Reform and Rule of Law« des Hague Journal on the Rule of Law 4, 2012.
11 Briefing Note des Africa Research Institute, London, von May 2010 (No, Mr. President. Mediation and Military Intervention in the African Union.

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Der Teufelskreis der Gewalt

Der Historiker Jörg Baberowski hat in einem Interview, das aus Anlass des Erscheinens seines Buches »Verbrannte Erde: Stalins Herrschaft der Gewalt« geführt wurde, einige Sätze formuliert, die ins Stammbuch der Rechtssoziologie gehören:
»Von Frieden geht keine Dynamik aus. … Gewalt erzeugt Anschlusszwänge. Und wenn man einmal entschieden hat, Gewalt gegen andere auszuüben, kommt man in einen Teufelskreis, aus dem es kein Entrinnen gibt – weil Menschen sich wehren, weil die Terrorisierten Rache nehmen könnten und weil zu Ende gebracht werden muss, was einmal in Gang gesetzt worden ist.« [1]»Stalin liebte Höchstleistungen beim Töten«, FamS vom 11. Juli 2012 S. 9.

Anmerkungen

Anmerkungen
1 »Stalin liebte Höchstleistungen beim Töten«, FamS vom 11. Juli 2012 S. 9.

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