Management und Rechtssoziologie

Heute hat mich die UB gemahnt, die beiden funkelnagelneuen Bände von Peter F. Drucker/Joseph A. Maciariello, Management (Econ Verlag, 2009) zurückzugeben. Nun habe ich mich endlich aufgerafft, einmal hineinzusehen. Es ist mir nicht gelungen, mich darin festzulesen. Trotzdem: Die Rechtssoziologie kann an dem Phänomen Management nicht ganz vorbeigehen, und zwar allein schon deshalb, um es mit dem New Public Management zu verbinden oder davon abzugrenzen. Dem New Public Management widmet Rehbinder in seiner »Rechtssoziologie« [1]7. Aufl. 2009, S. 161-171. im Abschnitt über die Soziologie der Verwaltung großen Raum. Ich habe es wiederholt im Zusammenhang mit dem Gerichtsmanagement behandelt. [2]Vom Gerichtsmanagement zur Selbstverwaltung der Justiz, Deutsche Richterzeitung 1998, S. 241-254; Justiz als Wirtschaftsunternehmen. Budgetierung, Controlling und Professionalisierung der … Continue reading
Das Managementthema gehört nach meinem Geschmack in das Kapitel über Organisation, und hier in die Nähe von Governance und Compliance.
Jeder Autobauer und jedes Krankenhaus, jedes Theater und jedes Gericht wird heute »gemanagt«. Management ist die rechtlich nicht festgelegte Dimension der Geschäftsführung. Der Manager (re-)formuliert die Ziele der Organisation und unternimmt alles, was in seiner Macht steht, damit die Ziele erreicht werden. Das geschieht natürlich auf der Grundlage von Weisungs- und Vertretungsrechten. Aber die Rechtsgrundlage reicht nicht annähernd aus, um eine Organisation mit Leben zu erfüllen. Sie bildet ein Zweckprogramm, das ausgefüllt werden will. Dafür ist es notwendig, die Zwecke zu kommunizieren und die Menschen, die in der Organisation arbeiten, zu motivieren. Das Ganze nennt man dann Management.
Die Managementlehre bezieht ihre wissenschaftliche Basis aus der Entdeckung der systemischen und der informalen Komponenten der Organisation durch die Sozialwissenschaften. Die großen Namen sind Peter Drucker (1909-2005), Herbert A. Simon (1916-2001) und James G. March (*1928). Die Managementlehre selbst ist durch sie zu einer sozialwissenschaftlichen Disziplin geworden. Praktisch tummeln sich auf diesem Feld viele »Managementgurus«, die ihre »Managementphilosophien« verkaufen. Das liegt bis zu einem gewissen Grade in der Natur der Sache. Es geht darum, Menschen zu motivieren, und dazu muss man sie interessieren oder gar fesseln. Das verlangt immer neue Ideen, denn die sind schnell verbraucht. Daher hat der Beobachter oft das Gefühl, es gehe weniger um Managementmethoden als vielmehr um Moden. Ein Beispiel dafür habe ich an anderer Stelle beschrieben, nämlich ein Projekt über »Organisationskultur und Musik«, das auf die Klänge der Organisationen horchen will.

»Stellen Sie sich den Klang Ihrer Organisation oder Ihres Unternehmens, Ihrer Arbeitseinheit oder Abteilung vor: vernehmen Sie mehr Dissonanzen oder mehr Harmonien? Ist die Musik langsam und getragen oder lebendig und anregend? Was ist der Grundrhythmus Ihrer Organisation? Hören Sie Klassik, Jazz oder Techno…?«

Heute gibt es einen gewissen Bestand an mehr oder weniger bewährten Managementinstrumenten. Dazu gehören etwa die Unterscheidung zwischen Effizienz und Effektivität. Dazu gehören weiter die Führung durch Zielvereinbarungen (management by objectives), Zielerreichungskontrolle, Kundenorientierung, Total Quality Management, Change Management und immer wieder Kommunikation und Motivation.

Anmerkungen

Anmerkungen
1 7. Aufl. 2009, S. 161-171.
2 Vom Gerichtsmanagement zur Selbstverwaltung der Justiz, Deutsche Richterzeitung 1998, S. 241-254; Justiz als Wirtschaftsunternehmen. Budgetierung, Controlling und Professionalisierung der Justizverwaltung, Deutsche Richterzeitung 2000, S. 220 – 230.

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Berichtsforschung als Datenquelle

Vorbemerkung: Am 4. und 5. Februar 2010 findet in Berlin ein Symposium »Empirie und Normativität« statt. Dafür habe ich einen Vortrag über »Berichtsforschung als Datenquelle« angekündigt. Zu meinem Referat gehört eine lange Liste von »Berichten«, die ich als solche nicht vortragen kann. Sie wird deshalb als Umdruck ausgeteilt. Im Übrigen enthält der Umdruck nur die Gliederung des Referats. Da die vielen Hyperlinks aus der Kopie nur mühsam zu nutzen sind, stelle ich den Umdruck hier ins Netz. Um den Lesern des Blogs eine Vorstellung zu geben, was die lange Liste soll, folgt hier die Einleitung meines Referats:

Empirie ist nicht alles. Aber ohne Empirie ist alles nichts. Empirische Forschung ist mühsam und aufwendig. Die Mühe muss man auf sich nehmen. Für den Aufwand dagegen benötigt man Mittel, die selten vorhanden sind. Aber vielleicht muss man nicht alles selber machen, sondern kann auf Daten zurückgreifen, die aus anderen Untersuchungen frei zur Verfügung stehen. Das gilt besonders für eine prekäre Disziplin wie die Rechtssoziologie. Sie könnte vom Produzenten zum Konsumenten empirischer Daten werden. Allerdings geht es dabei nicht um Outsourcing. Dafür fehlen erst recht die Mittel. Die Rechtssoziologie kann sich nur bei den öffentlichen Gütern bedienen, die, vor allem im Internet, frei herumliegen. Es ist ein großes Angebot vorhanden. Ich denke dabei insbesondere die von mir sogenannte Berichtsforschung, die meistens von der Politik in Auftrag gegeben wurde.
In der Aufbruchszeit nach 1968/69 wuchs auch in der Rechtssoziologie das Interesse an der zuvor als affirmativ verschrieenen empirischen Sozialforschung. Vor allem die Juristen, die sich um die Rechtssoziologie kümmerten, wollten sich nicht länger mit klassentheoretischen Analysen zufrieden geben, sondern konkret belegen, dass die Richter und ihre Kunden unterschiedlichen sozialen Schichten entstammten, dass die Menschen auf ihrem Weg zum Recht viele Hürden zu überwinden hatten und oft erfolglos blieben. Soziologen mit einer soliden Methodenausbildung interessierten sich kaum für die Rechts­soziologie. Kaupen und Blankenburg blieben die rühmliche Ausnahme. Und nur wenige verfügten wie Lautmann und Gessner über eine Doppelqualifikation. Mittel für die Einstellung von Sozialwissenschaftlern oder die Beauftragung kommerzieller Sozialforschungsinstitute gab es nicht. So griff man zur Do-it-yourself-Forschung. Dafür ließen sich hier und da sogar Auftraggeber gewinnen oder Drittmittel einwerben, und es ist eine ganze Reihe stattlicher Untersuchungen entstanden. Die Zeiten haben sich geändert. Die methodischen Anforderungen an empirische Untersuchungen sind gestiegen. Mittel werden daher nicht nur für das Massengeschäft der Datenerhebung benötigt, sondern auch für die Vor- und Nacharbeit. Ich will gerne bekennen, dass ich ohne fachliche Unterstützung nicht in der Lage wäre, ein heutigen Methodenansprüchen genügendes Sample zu konstruieren, die richtigen Erhebungsinstrumente zu bauen und die Daten statistisch auszuwerten. Das Geld ist knapper geworden. Auf der Suche nach einem Ausweg bietet sich der Rückgriff auf anderweitig beigebrachte Forschungsergebnisse an. Viele mit Mühe und Scharfsinn erhobene Daten landen nach einer ersten Auswertung durch die Forscher auf dem Datenfriedhof. Da liegt ein Recycling nahe.
Der Gedanke, auf die Datensätze fremder empirischer Erhebungen zuzugreifen, ist nicht neu. In Deutschland ist das Verfahren sogar recht gut organisiert, denn viele Datensätze werden bei der GESIS zur Verfügung gehalten. Die Sekundärauswertung steht jedoch in der Rechtssoziologie nicht sehr hoch im Kurs. Traut man fremden Daten nicht? Sind sie nicht relevant? Passen sie nicht zu den eigenen Theorien? Methodisch ist die Sekundärauswertung fremder Daten eher noch anspruchsvoller als die primäre. Kein Wunder, dass in der Rechtssoziologie Sekundärauswertungen praktisch nicht anzutreffen sind. Eine spezielle Art der Sekundärauswertung ist die Metastudie, die eine Mehrzahl von thematisch verwandten Originalarbeiten vergleicht. In der Medizin ist diese Vorgehensweise sehr verbreitet, in den Sozialwissenschaften dagegen kaum, vielleicht weil man mit solchen Analysen nur Fleiß und Methodenkompetenz, aber keine Kreativität beweisen kann.
Ich will mich hier auf die Berichtsforschung als Datenquelle konzentrieren. Für diese Themenwahl gibt es einen triftigen Grund, denn, was ich Berichtsforschung nenne, wird entweder im Auftrage der Politik hergestellt oder ist doch sehr politiknah. Das liegt in erster Linie an den Auftraggebern. Es handelt sich nämlich um staatliche und internationale Organisationen, die ihre Berichts­aufträge im Hinblick auf gesellschaftliche Probleme formulieren, und die als Instrumente zur Problembehandlung außer Geld eigentlich nur das Recht zur Verfügung haben. Deshalb besteht die Vermutung, dass dort Material zu finden ist, das auch für die Rechtssoziologie relevant ist, denn im Hintergrund steht meistens die Frage nach der Bewährung von vorhandenen oder der Notwendigkeit und Gestaltung neuer Rechtsnormen. Die Berichtsforschung ist daher themennah. Und dann gibt es noch einen ganz trivialen Grund, der die Berichtsforschung reizvoll macht, nämlich ihre gute Verfügbarkeit. In aller Regel ist sie sogar online vorhanden.
Der erste Schritt besteht darin, einen Überblick über das verfügbare Material zu geben. Daran müsste sich eine Kritik dieses Materials unter dem Gesichtspunkt der Brauchbarkeit und Verlässlichkeit anschließen. Ich habe längst nicht alles gefunden, ja nicht einmal gesucht, was einen Blick wert sein dürfte. Aber ich will einen Anfang machen.
Wo und wie also habe ich gesucht? Oder abstrakter, wo lässt sich suchen? Das Wie ist sehr einfach. Nach einem Blick in meine Schubladen, wo noch einige ältere Beispiele zu finden waren, habe ich mich auf das Gugeln verlegt. Das Suchwort »Berichtsforschung« bringt Google in Verlegenheit. Die Suchmaschine antwortet mit der Gegenfrage: »Meinten sie ›Rechtsforschung‹?«, um dann das Suchwort in »Bericht« und »Forschung« zu zerlegen. Die Suche nur nach »Bericht« landet über 50 Millionen Treffer, der erste ein Artikel in Wikipedia. Doch schon an dritter Stelle steht halbwegs Einschlägiges, nämlich der »Schlussbericht der Enquete-Kommission ›Kultur in Deutschland‹ (Bundestagsdrucksache 16/7000) vom 11. 12. 2007). Weiter unten gibt es auf der ersten Seite zwei Volltreffer, nämlich den Behindertenbericht 2009 des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales) sowie den »Ersten Indikatorenbericht der Integrationsbeauftragten der Bundesregierung von 2009«.
Diese kleine Auswahl zeigt schon, dass die Zielgruppe doch nicht so klar umrissen ist. Mein Idealtyp waren Berichte, die auf Grund eines gesetzlichen Auftrags von Bundesministerien veranlasst werden und die für das Parlament bestimmt sind. Als Beispiele mögen der bereits genannte Behindertenbericht oder jährliche Gutachten des Sachverständigenrats zur Wirtschaftslage dienen. Ferner gibt es Berichte, die ohne gesetzlichen Auftrag aus konkretem Anlass entstehen. Beispiel ist die vom Bundesministerium für Verbraucherschutz veröffentlichte Untersuchung zum Verbraucherscoring. Dann gibt es aber auch schon keine scharfe Abgrenzung mehr zu der Auftragsforschung, wie sie seit Jahrzehnten auch von Rechtssoziologen für das Bundesjustizministerium ausgeführt wurde. Früher gab es in diesem Ministerium eine Abteilung für Rechtstatsachenforschung, die solche Untersuchungen in Auftrag gab. Der Name von Herrn Strempel ist noch nicht vergessen. Seit 2007 ist diese Abteilung ausgelagert worden in ein neu errichtetes Bundesamt für Justiz. Auf der Internetseite dieses Amtes habe ich keine Hinweise auf durchgeführte Forschungen gefunden. Verwiesen wird jedoch für kriminologische Untersuchungen auf die Seite des BMJ. Da wird man fündig u. a. mit dem Periodischen Sicherheitsbericht der Bundesregierung, der vom Bundeskriminalamt, Statistischen Bundesamt, der Kriminologischen Zentralstelle und fünf Professoren erarbeitet worden ist. Da stößt man also wieder auf die Bundesämter, und das ist Grund, auch einmal die Internetseiten dieser Ämter durchzusehen. Es gibt insgesamt 14 Bundesministerien und fast 50 Bundesämter, fast 20 Bundesanstalten und Bundesforschungsanstalten, ferner ein rundes Dutzend Bundesoberbehörden, Bundesbeauftragte und Bundeszentralen und dazu noch eine Reihe von Räten im Sinne von Beratungsgremien. Auch auf Landesebene und selbst bei den Kommunen gibt es interessante Berichte.
Der Bund unterhält eine umfangreiche Ressortforschung, die in Bundesanstalten und anderen Einrichtungen stattfindet und an der unter anderem auch Länder beteiligt sind. [1]Konzept für eine moderne Ressortforschung der Bundesregierung: http://www.bmbf.de/de/7416.php. Die Ressortforschung ist allerdings eher technisch oder medizinisch orientiert. Rechtssoziologisch relevante Arbeit leisten immerhin das Institut für Arbeits- und Berufsforschung in Nürnberg (IAB) und das Deutsche Institut für Entwicklungspolitik in Bonn.
Über das Stichwort Auftragsforschung gelangt man weiter zu den bekannten Sozialforschungsinstituten, die, soweit sie sich nicht auf Marketing spezialisiert haben, vor allem von öffentlichen Auftraggebern leben. Dann ist es nicht mehr weit zur Projektforschung der Parteienstiftungen (Konrad-Adenauer-Stiftung, Hans-Böckler-Stiftung, Friedrich-Naumann-Stiftung und der Böll-Stiftung). Auch wenn nicht alles nach rechtssoziologisch interessantem Material riecht, so ist die Materialfülle enorm, und sie wächst weiter, weil der Blick nicht an den Landesgrenzen Halt macht. Meine Kapazität langt aber gerade noch für einen flüchtigen Blick auf Europa. Die Europäische Union, die Uno oder die Weltbank entfalten eine umfangreiche Berichtstätigkeit. Man hat geradezu den Eindruck, dass hier Empirie ein bißchen zum Ausgleich fehlender Souveränität herangezogen wird. Doch damit nicht genug, denn bei der weiteren Suche kommen die NGOs ins Visier, allen voran Transparency International mit seinem Corruption Perceptions Index.
Das Thema nimmt damit Dimensionen an, die ich mir anfangs gar nicht vorgestellt habe, und ich habe noch keine Idee, wie ich damit fertig werden soll. Das Material, das ich gefunden habe, hat mich schlicht erschlagen. Unter der Hand ändert sich auch das Thema selbst. Anfangs ging es mir nur darum, neue Datenquellen für die Rechtssoziologie zu erschließen. Die Quellen sind nach Zahl und Art so viel umfangreicher als erwartet, dass die Quellenlandschaft sozusagen ein Eigenleben gewinnt. Man könnte über Defizite der Rechtssoziologie nachdenken, die ganze Landschaften vernach­lässigt hat, oder die Funktionen des Berichtswesens analysieren. Heute kann ich nicht mehr tun, als eine ganz unvollständige Auflistung des in Betracht kommenden Materials zu geben und einige der Fundstücke zu kommentieren.
[Diese Fundstücke werden am Ende des Umdrucks unter der Überschrift »Globales Standort-Ranking« etwas näher vorgestellt.]

Nachtrag: Der Vortrag ist nunmehr erschienen: Klaus F. Röhl, Ressort- und Berichtsforschung als Datenquelle, in: Matthias Mahlmann (Hg.), Gesellschaft und Gerechtigkeit, Festschrift für Hubert Rottleuthner, Baden-Baden 2011, S. 357-393.

Anmerkungen

Anmerkungen
1 Konzept für eine moderne Ressortforschung der Bundesregierung: http://www.bmbf.de/de/7416.php.

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Qualitätsarbeit der Justiz III

Mein altes Thema, Fehler in Gerichtsurteilen, hat man nun an anderer Stelle aufgegriffen. In Berlin an der FU gibt es dazu ein Forschungsprojekt unter der Leitung von Martin Schwab. Das Projekt ist zunächst mit einem Blog an die Öffentlichkeit getreten, der den schönen Namen WatchTheCourt trägt. [1]In den 1970er und 80er Jahren gab es in den USA einige Court-Watching-Gruppen. Man hat auch versucht, daraus Lehrveranstaltungen zu machen und es gab auch einmal ein einschlägiges Paper auf einer … Continue reading

Anmerkungen

Anmerkungen
1 In den 1970er und 80er Jahren gab es in den USA einige Court-Watching-Gruppen. Man hat auch versucht, daraus Lehrveranstaltungen zu machen und es gab auch einmal ein einschlägiges Paper auf einer Law & Society Tagung.

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»Grabsteine aus Kinderhand«

So titelt heute die WAZ, deren Reporter den nordrhein-westfälischen Sozialminister Karl-Josef Laumann auf einer Indien Reise begleitet haben. [1]Vgl. auch die Meldung »Laumann prangert Kinderarbeit in Indien an« auf der Webseite der Zeitung. »Produkte aus Kinderhand dürfen nicht unerkannt auf unsere Märkte kommen«, so wird Laumann zitiert, und dann wird über die Bemühungen um ein Zertifikat für kinderarbeitsfreie Steine berichtet. Da erscheint es doch bemerkenswert, dass Ökonomen die Sache nicht so eindeutig sehen. Matthias Doepke und Fabrizio Zilibotti haben 2009 ein NBER Working Paper (No. 15050) veröffentlicht mit dem Titel »Do International Labor Standards Contribute to the Persistence of the Child Labor Problem?« Diese Arbeit ist mir bisher nicht zugänglich. Aber die Autoren haben selbst eine längere Kurzfassung ins Internet gestellt. [2]Child labour: Is international activism the solution or the problem? (http://www.voxeu.org/index.php?q=node/4075). Sie meinen, dass ein Boykott von Produkten, die mit Kinderarbeit hergestellt worden sind, die Abschaffung der Kinderarbeit eher behindert. Kinderarbeit helfe nämlich den armen Familien, jedenfalls ein oder zwei Kinder zur Schule zu schicken und so vielleicht einen langsamen Aufstieg zu erreichen. Entfalle die Gelegenheit zur Kinderarbeit, gebe es auch noch einen anderen kontraproduktiven Effekt. Es entfalle eine Konkurrenz für Arbeiter ohne Ausbildung, die die Kinderarbeit übernehmen können. Damit werde der landesinterne Kampf gegen die Kinderarbeit durch Einführung einer Schulpflicht und eines Mindestalters für den Eintritt in das Erwerbsleben geschwächt. In den Industrieländern hätten einst die Gewerkschaften für die Abschaffung der Kinderarbeit gekämpft, weil arbeitende Kinder eine Konkurrenz für Arbeiter ohne Ausbildung gewesen seien. Besser als ein (sofortiges) Verbot der Kinderarbeit wirke anscheinend ein finanzieller Anreiz, die Kinder zur Schule zu schicken. Aber auch Hilfe zur Familienplanung sei sinnvoller als ein Verbot, weil mit der großen Kinderzahl eine Ursache der Kinderarbeit reduziert werde.
Das Thema wird unter Ökonomen kontrovers diskutiert. Das zeigt wiederum ein NBER Working Paper (No. 15374, September 2009), dieses Mal von Michael Huberman und Christopher M. Meissner mit dem Titel »Riding the Wave of Trade: Explaining the Rise of Labor Regulation in the Golden Age of Globalization«. Auch dieses Paper ist mir bisher nicht zugänglich. Aber wegen der Aktualität des Themas, die durch den Zeitungsartikel gegeben ist, wage ich, hier das Abstract zu zitieren:

This paper challenges the received view that pins the adoption of labor regulation before 1914 on domestic forces, particularly the rises in income and voter turnout. Building on standard state-year event history analysis, we find that trade was also a main pathway of diffusion. Countries that traded with each other were more likely to establish a level playing field. The transmission mechanism was strongest in north-west Europe because intra-industry trade was significant in the region. When states failed to emulate the superior labor regulations of their most important trading partners, they left themselves vulnerable to embargos and sanctions on their exports. Threats of market loss were not credible in the New World because it exported mainly primary products and prices were fixed by world demand and supply. Domestic forces trumped international pressures to converge, with the result that labor regulation developed more slowly in regions of new settlement than in the European core.

Auch von Huberman und Meissner gibt es einen einschlägigen Artikel auf dem Portal des Centre for Economic Policy Research (CEPR). Er befasst sich mit der Bedeutung von Freihandel und internationaler Handelsverflechtungen für die Entstehung sozialer Schutzgesetze (»New evidence on the rise of trade and social protection«). [3]http://www.voxeu.org/index.php?q=node/4117. Die Fundstücke sind Anlass, das Portal in meine Blogroll aufzunehmen.

Anmerkungen

Anmerkungen
1 Vgl. auch die Meldung »Laumann prangert Kinderarbeit in Indien an« auf der Webseite der Zeitung.
2 Child labour: Is international activism the solution or the problem? (http://www.voxeu.org/index.php?q=node/4075).
3 http://www.voxeu.org/index.php?q=node/4117.

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Rechtssoziologie unter fremdem Namen III

Die Sektion Rechtssoziologie in der Deutschen Gesellschaft für Soziologie kündigt in der Zeitschrift für Rechtssoziologie Heft 2, 2009, S. 275 die Verleihung des Wolfgang-Kaupen-Preises an, der 2010 erstmals vergeben werden soll. Gesucht wird der beste rechtssoziologische Fachaufsatz des Jahres 2009. Die Redaktionen von 13 Zeitschriften werden um eine Nominierung gebeten. Interessant erscheint mir, wo die Sektion die Rechtssoziologie aus ihrem Versteck hervorholen will, nämlich aus folgenden 13 Zeitschriften:
1. Ancilla Iuris
2. Berliner Journal für Soziologie
3. Juridikum
4. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie
5. Kriminologisches Journal
6. Kritische Justiz
7. Leviathan
8. Österreichische Zeitschrift für Soziologie
9. Politische Vierteljahresschrift
10. Rechtstheorie
11. Schweizerische Zeitschrift für Politikwissenschaft
12. Schweizerische Zeitschrift für Soziologie
13. Soziale Welt

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Das Recht ist keine Ware

Juristen, die in andere Fächer ausgreifen, zeigen eine deutliche Vorliebe für die Ökonomische Analyse des Rechts und neuerdings auch für Behavioral Economics. Ein schönes Beispiel dafür liefert, nicht zum ersten Mal, Eidenmüller mit einem Aufsatz über das »Recht als Produkt« in der Juristenzeitung 2009, 641-653. [1]Im Internet verfügbar unter www.jura.uni-muenchen.de/fakultaet/lehrstuehle/…/recht_als_produkt.pdf. Die heimliche Juristenzeitung hatte bereits im März eine gekürzte Fassung abgedruckt: … Continue reading Es geht darum, dass natürliche Personen und Unternehmen in so großem Umfang wählen können und tatsächlich wählen, welches Rechts für ihre Beziehungen anwendbar sein soll, dass von einem »Rechtsmarkt« die Rede ist, auf dem inzwischen sogar Staaten als Anbieter konkurrieren. Eidenmüller beschreibt das Phänomen und zitiert und referiert dazu allerhand Rechtstatsachenforschung. Er beurteilt den »Rechtsmarkt« als »Entdeckungsverfahren für das beste Recht«, im Text zurückhaltend, in der Zusammenfassung positiver, weist darauf hin, dass freie Rechtswahl insoweit problematisch ist, als unbeteiligte Dritte beteiligt sind, und versäumt auch nicht den Hinweis, dass Verbraucher hinsichtlich der AGB sich apathisch verhalten. Schließlich macht Eidenmüller sich Gedanken über die Zukunft des Europäischen »Rechtsmarktes«.
In und zwischen den Zeilen kann man dem Artikel ein ganzes Kapitel Rechtssoziologie entnehmen. In der Aufbruchszeit der Rechtssoziologie in den 1960ern wurde es schnell üblich, Probleme, die sich zu einer rechtlichen Austragung eignen, als Rechtsbedürfnisse (legal needs) zu bezeichnen. Die verschiedenen Institutionen, die auf diese Bedürfnisse antworten, und ebenso die Arbeit, die sie verrichten, wurden Rechtsdienste oder rechtliche Dienstleistungen (legal services) genannt. Die neue Ausdrucksweise und der damit verbundene Blickwechsel legten es nahe, die Rechtsbedürfnisse des Publikums wie andere Bedürfnisse auch, also nach Art der Marktforschung, zu untersuchen. Das ist in der Tat in großem Umfang geschehen, und es zeigten sich schnell die unterschiedlichen Rechtsbedürfnisse und die ungleichen Chancen, sie durch rechtliche Dienstleistungen zu befriedigen. So wurden die Rechtsbedürfnisse des Publikums und die Zugangs- und Erfolgsbarrieren auf dem Weg zum Recht in den 70er Jahren ein zentrales Thema der Rechtssoziologie. Damit verbunden war einerseits eine Kritik des Justizsystems als eines Dienstleistungsunternehmens für die Wirtschaft. Andererseits bot diese Sichtweise aber einen Ansatz für sozialreformerische Anstrengungen. Sie fielen mit dem Service-Delivery-Project zusammen, das 1964 durch Präsident Lyndon B. Johnsons War on Poverty ausgelöst wurde. [2]Band 11 Nr. 2 (1976) des Law and Society Review war ein Sonderheft mit Beiträgen zu Legal Services. Es ist die Ironie der Dialektik, dass erst die marxistische Sicht auf das Recht den Schlussstein in das Service-Delivery-Projekt setzte. Die Frage nach legal needs und legal services war in den 1930er Jahren als Marketinginstrument der Anwaltschaft eingeführt worden. Die marxistische Sicht bestritt nun – philosophisch gesprochen – dem Recht den Charakter eines Selbstzwecks oder – soziologisch gesehen – eine Autonomie gegenüber Kapital und Arbeit mit der Folge, dass auch die Gerichte in die Reihe der Dienstleister und das Recht in die Warenkategorie eingeordnet wurden.
Eidenmüllers Aufsatz lässt sich an eine weitere rechtssoziologische Diskussionslinie anschließen. Dort geht es um den Wettbewerb von Rechtsordnungen [3]Dazu Material auf der Webseite http://www.lawmadeingermany.de/., um legal transplants, legal imports und legal exports. Dazu zuletzt Peter Mankowski in seinem auch sonst lesenswerten Aufsatz »Rechtskultur« [4]Juristenzeitung 2009, 321-331. auf S. 329 f.
Warum ich daran erinnere? Weil ich darüber staune, wie selbstverständlich die instrumentale Sicht auf das Recht geworden ist. Ich habe mir deshalb vorgenommen, noch einmal in Brian Z. Tamanahas Buch »Law as a Means to an End« (2006) hineinzusehen. Der Untertitel lautete ja wohl »Threat to the Rule of Law«. Die Rede über Recht als Produkt täuscht darüber hinweg, dass das Recht nach wie vor kein Wirtschaftsgut ist. Deshalb gibt es auch keinen Rechtsmarkt (und deshalb habe ich dieses Wort im Text bisher in Anführungszeichen geschrieben). Zu einem Wirtschaftsgut gehört Knappheit. Aber das Recht ist nicht knapp, und zwar nicht wegen der Vielfalt des Rechtsangebots, sondern darum, weil das Recht ein öffentliches Gut ist. Jedermann kann davon Gebrauch machen, ohne etwas davon zu verbrauchen. Und deshalb hat das Recht auch keinen Preis. Das Allmendeproblem zeigt sich nur am Horizont. Wenn alle die Gerichte bemühen, wird es eng. Doch solange es nur um die Rechtswahl geht, ist kein Engpass zu befürchten. Es entstehen nur Transaktionskosten. Was heißt hier nur? Rechtsbedürfnisse sind Informationsbedürfnisse, rechtliche Dienstleistungen sind in erster Linie Informationsangebote, und die sind, im Gegensatz zu den Informationen als solchen, knapp und teuer. Genau genommen gibt es deshalb keinen Rechtsmarkt, sondern nur einen Markt für rechtliche Dienstleistungen, der rechtliche Transaktionen unterstützt. Ist das spitzfindig? Ich glaube nicht. Das Recht ist eben doch keine Ware. Aber Eidenmüller hat natürlich Recht, wenn er sagt, dass man (allein) mit einer nichtutilitaristischen Perspektive nicht durch die Welt kommt. Es kommt auf den Beobachterstandpunkt an, und davon gibt es mehrere.

Nachtrag vom 4. 3. 2015:
Zum »Wettbewerb der Rechtsordnungen« mit Nachweisen vgl. Moritz Renner, Zwingendes Recht, 2011, S. 67-69. Renner kommt zu dem Schluss:»

»Von einem vollständigen Regulierungswettbewerb zwischen den Nationalstaaten kann damit letztlich weder mit Blick auf die unterschiedlichen Rechtsordnungen noch mit Blick auf verschiedene Gerichtsstände die Rede sein. Zugleich zeigen aber die Konvergenzbewegungen etwa im europäischen Gesellschaftsrecht deutlich, dass die nationalen Gesetzgeber sich durchaus als Wettbewerber begreifen und auch als solche agieren. Es liegt damit die Vermutung nahe, dass hier zwar kein institutioneller Wettbewerb besteht, der unmittelbar mit dem Wettbewerb auf Produktmärkten analogisierbar wäre, wohl aber ein Ideen- und Reputationswettbewerb, der allerdings notwendigerweise mehr durch politische als durch ökonomische Ziele der Anbieter motiviert ist.« (S. 68 f.)

Anmerkungen

Anmerkungen
1 Im Internet verfügbar unter www.jura.uni-muenchen.de/fakultaet/lehrstuehle/…/recht_als_produkt.pdf. Die heimliche Juristenzeitung hatte bereits im März eine gekürzte Fassung abgedruckt: Kampf um die Ware Recht, FAZ Nr. 72 vom 26. 3. 2009, S. 8.
2 Band 11 Nr. 2 (1976) des Law and Society Review war ein Sonderheft mit Beiträgen zu Legal Services.
3 Dazu Material auf der Webseite http://www.lawmadeingermany.de/.
4 Juristenzeitung 2009, 321-331.

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Von der Rechtssoziologie zu Recht-und-Was-auch-immer

Mit dem Socio-Legal Newsletter Nr. 14 (November 2009) der Vereinigung für Rechtssoziologie und der Sektion Rechtssoziologie in der Deutschen Gesellschaft für Soziologie kam die Einladung zu einer Tagung vom 3. bis 5. März in Bremen und damit auch die Einladung zu einer Mitgliederversammlung der Vereinigung für Rechtssoziologie, bei der die Umbenennung der Vereinigung auf der Tagesordnung steht. Der Verein soll künftig »Vereinigung für Recht und Gesellschaft« heißen. Ich bin über diesen Vorschlag nicht glücklich.
Etwa seit 1960 erlebte die Rechtssoziologie einen Aufschwung, der bald dreißig Jahre andauerte. Der Antrieb kam aus einer neuen, fraglos auch durch den Marxismus verstärkten Sensibilität für die Rolle des Rechts bei der Befestigung von Ungleichheit unter den Menschen, von Macht und Herrschaft. Sie verband sich mit der Idee, dass eben dieses Recht als Hebel zur Einleitung eines sozialen Wandels dienen könne. Die großen Erfolgsthemen der Rechtssoziologie waren daher Zugang zu Recht und Gericht und die Suche nach alternativen Konfliktregelungsverfahren, Klassenjustiz, und, von den USA ausgehend, Rassen- und Geschlechter-diskriminierung. Hinzu kamen bald die Suche nach den Spuren des Kolonialismus überall in der Welt und die Frage nach der Rolle des Rechts in diktatorischen Systemen, nicht zuletzt in Nazi-Deutschland. Bei jüngeren Themen wie dem Umgang mit Technologie im weitesten Sinne, Problemen von Emigration und Immigration, Umweltzerstörung und schließlich Globalisierung konnte die Rechtssoziologie schon keine führende Rolle mehr spielen, sondern nur noch anderen Disziplinen hinterherlaufen.
Heute befindet sich die Rechtssoziologie in einer Schwächephase. Aber das ist kein isoliertes Problem der Rechtsoziologie, sondern gilt auch für die allgemeine Soziologie. Das Interesse hat sich auf andere Fächer wie Politikwissenschaft und vor allem die Kulturwissenschaften verlagert. Der Rechtssoziologie wird, ebenso wie der Mutterdisziplin, vorgehalten, sie beschäftige sich in erster Linie mit sich selbst. Die Folge ist eine institutionelle Krise. Die Mitgliederzahl der weitgehend personenidentischen Vereinigung für Rechtssoziologie und der Sektion Rechtssoziologie der DGS stagniert. Einschlägige Schriftenreihen sind nach und nach eingeschlafen. Die Zeitschrift für Rechtsoziologie kämpft seit Jahren um veröffentlichungsfähige Manuskripte. Es will anscheinend nicht (mehr?) gelingen, mit dem alten Label »Rechtssoziologie« institutionelle Unterstützung zu finden und eine größere Truppe hinter sich zu versammeln.
Unter jungen Sozialwissenschaftlern gilt es als karriereschädlich, eigene Arbeiten, auch wenn sie einschlägig wären, der Rechtssoziologie zuzuordnen. Die Vorbehalte gegenüber einer Selbstzuordnung zur Rechtssoziologie haben verschiedene Ursachen. Die wichtigste besteht wohl darin, dass Rechtssoziologie vornehmlich von Juristen betrieben wurde und wird. Das gilt ganz besonders in Deutschland. In den soziologischen Fakultäten ist Rechtssoziologie nie als eigenständiges Forschungsgebiet akzeptiert worden, obwohl doch Émile Durkheim, Max Weber und Niklas Luhmann, die wohl meist zitierten Soziologen überhaupt, als Rechtssoziologen gelten können. Anscheinend hofft man, eine größere Distanz vom Recht zu gewinnen, indem man die Bezeichnung Rechtssoziologie vermeidet.
Die Juristen wiederum haben die Rechtssoziologie keineswegs umarmt. Im Gegenteil, sie haben die Rechtssoziologie als Kritikwissenschaft in Erinnerung, die weitgehend marxistisch inspiriert war. Juristen belassen es bei Lippenbekenntnissen zur Interdisziplinarität und konzentrieren sich lieber auf die dogmatischen Fächer. Wenn es denn schon die sog. Grundlagenfächer sein müssen, bevorzugen sie Rechtsphilosophie und Rechtsgeschichte. Soweit Juristen sich noch für sozial-wissenschaftliche Arbeit interessieren, stehen praxisbezogene Anwendungen wie Rechtstatsachenforschung, Verwaltungswissenschaft und Kriminologie im Vordergrund. Die Zivilrechtler haben neuerdings die Ökonomische Analyse des Rechts und die Verhaltensökonomik, aber eben nicht die Rechtssoziologie in ihrer ganzen Breite, entdeckt. An den Hochschulen ist die alte Garde der Rechtssoziologen abgetreten. Ihre Lehrstühle sind umgewidmet oder gestrichen. Lehrveranstaltungen werden selten, kompetente Fachvertreter muss man suchen, und die Zahl der Drittmittelprojekte schrumpft. Die Studierenden zeigen zwar durchaus ein Anfangsinteresse, das vor allem aus der rechtskritischen Attitüde der Rechtssoziologie gespeist wird. Ihr Interesse wird jedoch von den Zwängen der Examensvorbereitung schnell erdrosselt. Die »gesellschaftlichen Bezüge des Rechts« gehören zwar weiterhin zum Stoff der ersten juristischen Staatsprüfung. Aber das ist nur »law in the books«, denn die Prüfer sind Juristen, die sich nicht hinreichend kompetent fühlen und daher auf jede Nachfrage verzichten.
Die Fachidentität der Rechtssoziologie, die vor zwanzig Jahren erreicht war, scheint zu schwinden. Zum Glück zeigt die Beschränkung des Blicks auf die als solche organisierte Rechtssoziologie (und auf deutsche Verhältnisse) nur das halbe Bild. Die andere Hälfte bleibt durch die Engführung des Faches unter dem Titel Rechtssoziologie verdeckt. An vielen Stellen lässt sich ein neues, gesteigertes Interesse an interdisziplinärer Rechtsforschung beobachten. Wissenschaftliche Anstrengungen, die unter dem Dach der Rechtssoziologie Platz hätten, sind umfangreicher denn je. Schon immer wurden in der Politischen Soziologie, in Politikwissenschaft und Politologie, in Sozialpsychologie, Anthropologie und Ethnologie rechts-soziologische Fragestellungen bearbeitet, oft ohne Anschluss an die Rechtssoziologie. Wirtschaftswissenschaftler, Historiker, Sprachwissenschaftler und Medienwissenschaftler und haben das Recht als Forschungsgegenstand entdeckt. Frauenforschung oder Gender Studies liefern relevante Beiträge. In dem umfangreichen Globalisierungsdiskurs nimmt das Recht eine zentrale Rolle ein. Sozialbiologie oder gar Rechtsbiologie erleben eine gewisse Renaissance. Wichtige sozialhistorische Arbeiten, wie sie etwa die Institutionenökonomik beigebracht hat, lassen sich als Beitrag zur Rechtssoziologie lesen. Ähnliches gilt für die Technikgeschichte.
Rechtssoziologische Forschung ist also nicht ausgestorben. Sie läuft nur vielfach unter anderer Überschrift. In den USA hat man schon immer die Etikettierung des Faches als Rechtssoziologie vermieden. Zwar spricht man gelegentlich von Sociology of Law oder Legal Sociology. Doch meistens redet man stattdessen allgemeiner und unverbindlicher von Law and Social Sciences. Nicht ganz zufällig firmiert die weltweit wichtigste einschlägige Zeitschrift als »Law and Society Review«. Zeitschriftentitel nach dem Muster »Law and Something« sind Legion. Auf diese Weise gelingt es, ein sehr viel weiteres Spektrum von Themen und Personen anzuziehen als in Deutschland mit dem traditionellen Label Rechtssoziologie. Daher liegt es nahe, auch in Deutschland die sozialwissenschaftliche Befassung mit dem Recht unter dem Titel »Recht und Gesellschaft« neu und breiter aufzustellen. [1]Michael Wrase, Rechtssoziologie und Law and Society – Die Deutsche Rechtssoziologie zwischen Krise und Neuaufbruch, ZfRSoz 27, 2006, 289-312.
Zu erkennen ist Rechtssoziologie an Thema und Methode. Ihre Methode ist keine andere als die der allgemeinen Soziologie. Das bedeutet vor allem, dass immer in irgendeiner Weise kontrollierte Empirie dazugehört. Ihr Thema ist das Recht als integraler Bestandteil der Gesellschaft. Ganz gleich, wer auch immer in diesem Sinne arbeitet und in welchem institutionellen Zusammenhang das geschieht: Es handelt sich um Rechtssoziologie. Und als solche sollte man sie benennen. Die latente Rechtssoziologie aus ihren vielen Verstecken hervorzuholen, das wäre wohl eine Rechtfertigung, um von »Recht und Gesellschaft« zu reden.
Dafür kann man in Kauf nehmen, dass unter »Law and Society« viele Trivialitäten gehoben und alte Bekannte vorgeführt werden. Manches, was in diesem weiten Rahmen produziert wird, ist kritische Jurisprudenz, Rechtspolitik oder auch nur Feuilleton. Auch das ist kein großes Problem. Die Recht- und-Sonstwas-Forschung ist in ihrer Vielfalt kaum koordiniert und wenig vernetzt. Vieles steht unverbunden nebeneinander und verliert dadurch an Wirkung. Da es einschlägigen Arbeiten an der Selbstwahrnehmung als rechtssoziologisch fehlt, verzichten sie darauf, von dem vorhandenen und bewährten Angebot der Rechtssoziologie Gebrauch zu machen. Andererseits werden verdienstvolle Arbeiten nicht gebührend zur Kenntnis genommen oder bald wieder vergessen, weil sie nicht in einen größeren Zusammenhang eingebettet sind. Die Folge sind Zersplitterung und der Verlust von möglichem Kooperationsgewinn. Hier breitet sich eine neue Unübersichtlichkeit aus. Das Festhalten am alten Namen der Vereinigung würde daran allerdings wenig ändern. Ich bin aber auch nicht davon überzeugt, dass es die längst vorhandene Vielfalt der Recht-und-Sonstwas-Forschung noch vergrößern oder sie gar fokussieren könnte.
Aus einem anderen Grunde halte ich die geplante Namensänderung sogar für eher kontraproduktiv. Rechtssoziologie ist insofern ein klassisches Fach, als die Zugehörigkeit zur Wissenschaft und damit auch der Charakter der Vereinigung als einer wissenschaftlichen außer Frage steht. »Recht und Gesellschaft« dagegen hat keine wissenschaftlichen Meriten. Der Name könnte auch für einen Bürgerverein stehen. Welche Wissenschaftlerin sollte einer »Vereinigung für Recht und Gesellschaft« beitreten wollen?

Anmerkungen

Anmerkungen
1 Michael Wrase, Rechtssoziologie und Law and Society – Die Deutsche Rechtssoziologie zwischen Krise und Neuaufbruch, ZfRSoz 27, 2006, 289-312.

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Legal Narratives II

Die Fallerzählungen der Juristen
Ministorytelling ist eine juristische Spezialität. Bei der Formierung und Weitergabe juristischen Wissens spielen Fallerzählungen eine große Rolle. Allerdings fehlt den juristischen »Fällen« fehlt oft das Fleisch. Die Akteure sind auf bloße Buchstaben reduziert, sie sind alters- und geschlechtslos, sie leben ohne Bindungen und Verbindungen und handeln jenseits von Raum und Zeit. Die Akteure bekommen nur das Mindestmaß an Attributen zugeteilt, auf das es unter dem Aspekt der erläuterten Normen ankommen soll, etwa nach dem Muster: A will B erschießen. Er verwechselt jedoch C mit B. Fälle dieser Art sind wegen ihrer (beabsichtigten) Lebensfremdheit als »Lehrbuchkriminalität« [1]Nach Herbert Jäger, Glosse über Lehrbuchkriminalität, Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform 1973, S. 300-306. sprichwörtlich. Ihre Aufgabe besteht darin, bestimmte Normkonstellationen zu verdeutlichen, und dazu sind sie unentbehrlich. Neben solchen Fällen, die von vornherein daraufhin konstruiert sind, eine bestimmte Normkonstellation zu demonstrieren, gibt es andere, die etwas gehaltvoller sind, weil sie sog. »Probleme« verdeutlichen sollen, d. h. Fragen, die sich nicht konstruktiv aus der Anwendung einer Norm oder dem Zusammenwirken mehrerer Normen lösen lassen, sondern zu ihrer Beantwortung einer zusätzlichen Wertung bedürfen. Meistens werden solche Fälle der Rechtsprechung entnommen. Mehr und mehr erhalten diese Fälle heute (nach amerikanischem Muster) als solche einen Namen, der sich als – mehr oder weniger anschauliches – Merkwort eignet, z. B. Maastricht I und II, Kruzifix, Caroline von Monaco.

In der Rechtssoziologie glaubte man zeitweise, mit der Entdeckung der Deformation der juristischen Fallerzählungen einen Ansatz zu Kritik vor allem der juristischen Ausbildung gefunden zu haben. Es ist natürlich richtig, dass die »Fälle« nicht das »wahre Leben« widerspiegeln. Aber das haben eigentlich auch Juristen immer gewusst. Das Problem, wenn es denn hier überhaupt eines gibt, liegt darin, wie die Fallstrukturen im Interesse der Anschaulichkeit und des Unterhaltungseffekts ausgeschmückt werden. In der Präsenzveranstaltung werden sie oft in eine drastische Story eingekleidet, oder die Personen erhalten sinnfällige, nicht immer druckfähige Namen. In solchen an sich überflüssigen Zutaten können sich dann Idiosynkrasien des Fallenstellers zeigen. Besonders sexistisch gefärbte Erzählungen waren sehr verbreitet. Das sollte sich inzwischen geändert haben.

»Storytelling« hat auch eine rechtspraktische Komponente, denn es beherrscht nicht nur den Alltag und den Rechtsunterricht, sondern ist zu einem strategischen Konzept, zunächst in der Wirtschaft und dann auch in der Politik geworden. Da müssen Geschichten oft die Argumente ersetzen. Das beschreibt Christian Salmon, Storytelling. La machine à fabriquer des histoires et à formater les esprits, 2007. Schon immer gehörte das Storytelling zur Kunst des juristischen Plädoyers. Nun erscheint es in multimedialem Gewand in der Gestalt von Day-in-theLife- oder Victim-Impact Videos [2]Dazu etwas näher im Posting vom 28. 11. 2009.

Nachtrag zu Victim Impact Statements: Cassell, Paul G. and Erez, Edna, How Victim Impact Statements Promote Justice: Evidence from the Content of Statements Delivered in Larry Nassar’s Sentencing (November 3, 2023). 107 MARQUETTE L. REV. __ (Barrock Lecture 2024), Forthcoming, Available at SSRN: https://ssrn.com/abstract=4622666. Abstract: Whether crime victims should present victim impact statements (VISs) at sentencing remains a subject of controversy in the criminal justice literature. But relatively little is known about the content of VISs and how victims use them. This article provides a content analysis of the 168 VISs presented in a Michigan court sentencing of Larry Nassar, who pleaded guilty to decades of sexual abuse of young athletes while he was treating them for various sports injuries. Nassar committed similar crimes against each of his victims, allowing a robust research approach to answer questions about the content, motivations for, and benefits of submitting VISs. Specifically, it is possible to explore the question of whether (roughly) the same crimes produce (roughly) the same VISs. The VISs reveal the victims’/survivors’ motive for presenting VISs, their manner of presenting the impact of sexual abuse, their interactions with the sentencing judge and the defendant, and other features of the VISs. Analyzing the VISs’ contents confirms many of the arguments supporting using VISs at sentencing and challenges some lingering objections to them. The findings support the desirability of VISs for informational, therapeutic, and educational purposes in criminal sentencings.

Historische Rechtssoziologie [3]Literatur: Hans Albert, Critical Rationalism: The Problem of Method in Social Sciences and Law, Ratio Juris 1988, 1; Stephen Daniels, Ladders and Bushes: The Problem of Caseloads and Studying Court … Continue reading
Der größte Erfahrungsschatz liegt in der Vergangenheit. Deshalb ist man stets geneigt zu fragen: Was können wir aus der Geschichte lernen? Unter Historikern ist diese Frage eher verpönt. Für sie ist die Geschichte mehr als eine »moralisch-politische Beispielsammlung« (Savigny). Doch alle anderen bedienen sich der Geschichte gerne als eines Steinbruchs. Bei Bedarf suchen sie nach einem passenden Brocken, nach historischen Beispielen oder Anleitungen, nach kleinen oder großen Erzählungen. Eine juristische Version dieser Steinbruchtheorie ist die historische Auslegung, die von Fall zu Fall die Gesetzesmaterialien bemüht. Solchen Umgang mit der Geschichte hat Savigny verächtlich »in Ermangelung eines anderen Ausdrucks« der von ihm sogenannten »ungeschichtlichen Schule der Rechtswissenschaft« zugeschrieben. Über die richtige Methode streitet man in der Geschichtswissenschaft nicht weniger als in der Jurisprudenz. Das Spektrum reicht vom Historismus über historistische und evolutorische bis zu wertenden Geschichtstheorien und schließt auch eine sozialwissenschaftliche Geschichtsbetrachtung ein.

Eine sozialwissenschaftliche Geschichtsbetrachtung begnügt sich nicht damit, die Geschichte als große Erzählung zu begreifen. Am deutlichsten ist das, wenn Geschichte als reines Ursache-Wirkungsgefüge verstanden wird. Dann versucht man einzelne historische Ereignisse kausal zu erklären, also zu fragen, welche Ursache gerade zu diesem bestimmten Verlauf der Geschichte geführt haben können. Ältere Autoren verwiesen dazu auf Geographie und Klima; jüngere bevorzugen ökonomische Erklärungen. Von Montesquieu etwa stammt die Vorstellung, eine Republik könne sich nur auf einem kleinen, dicht bevölkerten Territorium entwickeln. Ein großräumiges dünn besiedeltes Gebilde verlange dagegen nach einer Despotie. In der Mitte zwischen beidem sei eine Monarchie die angemessene Staatsform. So wird die Entstehung der stadtstaatlichen Demokratie des griechischen Altertums aus den landschaftlichen Gegebenheiten Griechenlands erklärt. In dem Streit um die amerikanische Bundesverfassung beriefen sich die Gegner der Republik auf Montesquieu. Auch dem Klima billigte Montesquieu einen erheblichen Einfluss auf die sozialen Verhältnisse einer Gesellschaft zu. Dieser Gedanke wurde im 18. Jahrhundert aufgegriffen um zu belegen, dass das römische Recht für Deutschland unangemessen sei. Montesquieu dient hier – ganz im Sinne der Steinbruchtheorie – nur als historisches Beispiel für eine sozialwissenschaftliche Geschichtsbetrachtung. Die Betonung klimatischer oder geographischer Variablen bildet nur einen Extremfall, den wir heute so nicht mehr akzeptieren. Auch rein ökonomische Erklärungen haben mit dem Niedergang des Marxismus ihre Anziehungskraft verloren. Umso beliebter sind heute – unter dem Titel historische Institutionenökonomik – Erklärungen des Wirtschaftsgeschehens mit Hilfe rechtshistorischer Forschung. Überholt sind nur bestimmte Theorien, nicht jedoch die kausale Geschichtsbetrachtung als solche. Sieht man die innerwissenschaftliche Aufgabe der Geschichtswissenschaft darin, Ereignisse der Vergangenheit mit Hilfe gegenwärtig existierender Zeugnisse (kausal) zu erklären, so geht das letztlich nur induktiv, indem man bestimmte Regelmäßigkeiten unterstellt. Dann wird sogar die Methode des Sinnverstehens, die im Kontext des Historismus eher zu einer existentialistischen Hermeneutik gerät, zu einer empirischen und damit zu einer sozialwissenschaftlichen Methode.

Wenn man einer sozialwissenschaftlichen Geschichtsbetrachtung das Wort redet – wie Hans Albert und Lawrence M. Friedman – dann verliert Geschichtswissenschaft ihre Besonderheit und entwickelt sich zu einer rückwärtsgewandten Rechtssoziologie mit der Folge, dass unter Relevanzgesichtspunkten der Schwerpunkt mehr und mehr in die jüngste Vergangenheit rückt.

Die historische Sozialwissenschaft, die in Deutschland vor bald 50 Jahren von damals jüngeren Historikern um Hans-Ulrich Wehler und Jürgen Kocka in Bielefeld ausgerufen wurde, war ein Gegenprogramm zur narrativen Geschichtsschreibung. Geschichte sollte nicht mehr erzählt werden und schon gar nicht länger auf die Taten großer Männer fixiert bleiben, sondern die Sphären sozialer Ungleichheit ausleuchten und die die damit verbundenen Strukturen aufzeigen. So steckt denn auch Wehlers opus magnum, die fünfbändige deutsche »Gesellschaftsgeschichte« (1987-2008) voller Zahlen und Daten.

Längst gibt es eine stattliche Reihe historisch orientierter Untersuchungen, die der Rechtssoziologie zugerechnet werden können. Meister der historischen Rechtssoziologie war Max Weber. In den USA war James Willard Hurst besonders einflussreich. Sein Motto: »In general the timetable of our legal history teaches … that apart from the toughness of institutional structure, law has been more the creature than the creator of events.« (1950: 6). Er meinte also, dass die Institutionen des Rechts und das Verhalten seiner Akteure nur wirklich verstanden werden können, wenn sich die Analyse nicht auf die Interna des Rechtssystems beschränkt, sondern den Kontext des Rechts, vor allem auch die wirtschaftliche Entwicklung, einbezieht. Mit dieser These, die damals trotz der Vorarbeit der Legal Realists noch immer fortschrittlich war, inspirierte Hurst an der Law School in Madison/Wisconsin eine ganze Generation von Juristen, die in den 1960er Jahren zum Kern der Law-and-Society-Bewegung wurden (Friedman, Galanter, Macaulay, Trubek). [4]Einige »Klassiker« seien jedenfalls noch genannt: Theda Skocpol, States and Social Revolutions, 1979 (über 30 Nachdrucke); dazu die Rezension von Jeff Goodwin, How to Become a Dominant American … Continue reading

Die Mehrzahl der historisch relevanten Arbeiten ist qualitativer Art. Aber es gibt eine beachtliche Zahl historischer Untersuchungen, die mit Statistiken arbeiten. Sie gelten in erster Linie der Entwicklung von Kriminalität und Prozesstätigkeit, da hierzu in den Archiven beachtliches Material vorhanden ist. Als in den 1970er Jahren der Eindruck entstand, dass die Prozesstätigkeit unaufhörlich anstieg und deshalb von einer Prozessflut die Rede war, fanden historische Untersuchungen große Aufmerksamkeit. Darüber berichtete 1984 Daniels. Der merkwürdige Titel seines Aufsatzes »Ladders and Bushes« deutet auf die Quintessenz all dieser Studien hin: Bei einer langfristigen Beobachtung der Prozesstätigkeit zeigt sich nicht das Bild einer Leiter, auf der es ständig nach oben geht, zu sehen sind nur Häufungen, die wie Büsche aus der Ebene ragen. In Deutschland gab es ähnliche Untersuchungen vor allem von Wollschläger [5]Die Arbeit der europäischen Zivilgerichte im historischen und internationalen Vergleich. Zeitreihen der europäischen Zivilprozeßstatistik seit dem 19. Jahrhundert. In: Erhard Blankenburg, Hg. … Continue reading, aber auch von Rottleuthner [6]Hubert Rottleuthner, Verfahrensflut und Verfahrensebbe. Ein Plädoyer für die langfristige Betrachtung gerichtlicher Gezeiten, ZRP 1985, 117-119. und anderen [7]Z. B. Röhl, Erfahrungen mit Güteverfahren, Deutsche Richterzeitung 1983, S. 90-97..

Anmerkungen

Anmerkungen
1 Nach Herbert Jäger, Glosse über Lehrbuchkriminalität, Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform 1973, S. 300-306.
2 Dazu etwas näher im Posting vom 28. 11. 2009.
3 Literatur: Hans Albert, Critical Rationalism: The Problem of Method in Social Sciences and Law, Ratio Juris 1988, 1; Stephen Daniels, Ladders and Bushes: The Problem of Caseloads and Studying Court Activities over Time, ABF Research Journal 1984, 751; Lawrence M. Friedman, Sociology of Law and Legal History, Sociologia del Diritto XVI, 1989, 7; James Willard Hurst (1950) The Growth of American Law; ders. (1964) Law and Economic Growth. The Legal History of the Lumber Industry in Wisconsin, 1836-1915; Klaus F. Röhl, Wozu Rechtsgeschichte?, Jura 1994,173
4 Einige »Klassiker« seien jedenfalls noch genannt: Theda Skocpol, States and Social Revolutions, 1979 (über 30 Nachdrucke); dazu die Rezension von Jeff Goodwin, How to Become a Dominant American Social Scientist: The Case of Theda Skocpol, in: Clawson, Required Reading, S. 37; Immanuel Wallerstein: Die Anfänge kapitalistischer Landwirtschaft und die europäische Weltökonomie im 16. Jahrhundert, 2004 (Capitalist Agriculture and the Origins of the European World-Economy in the Sixteenth Century, 1974, mehrfach nachgedruckt); dazu die Rezension von Harriet Friedmann in: Clawson, Required Reading, 1998, S. 149-154).
5 Die Arbeit der europäischen Zivilgerichte im historischen und internationalen Vergleich. Zeitreihen der europäischen Zivilprozeßstatistik seit dem 19. Jahrhundert. In: Erhard Blankenburg, Hg. (1989) Prozessflut?, S. 21–114. Dort S. 114 sind auch weitere Arbeiten Wollschlägers nachgewiesen.
6 Hubert Rottleuthner, Verfahrensflut und Verfahrensebbe. Ein Plädoyer für die langfristige Betrachtung gerichtlicher Gezeiten, ZRP 1985, 117-119.
7 Z. B. Röhl, Erfahrungen mit Güteverfahren, Deutsche Richterzeitung 1983, S. 90-97.

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Logische Bilder im Recht

Nachdem die Schamfrist des § 38 Abs. 2 UrhG abgelaufen ist, stelle ich meinen Beitrag zur Schnapp-Festschrift über Logische Bilder im Recht (2008) hier ins Netz.
Drei Hinweise oder Ergänzungen sind angezeigt:
1. Lothar Philipps [1]Von deontischen Quadraten — Kuben — Hyperkuben. In: Dias, Augusto Silva u. a. (Hg.): Liber Amicorum de José de Sousa e Brito. Em comemoraçaõ do 70.o aniversário; estudos de direito e … Continue reading hat das Normenquadrat zu einem deontischen Kubus erweitert. Damit will er Konstellationen zum Ausdruck bringen, in denen Normen nicht schlechthin gelten, sondern nur manchmal oder nicht für Jedermann. Ich bin noch nicht davon überzeugt, dass es sich dabei um mehr handelt als um eine schöne Spielerei, denn kategorische Normen gibt es ja in der Praxis ohnehin nicht. Rechtsnormen sind immer hypothetisch in dem Sinne, dass sie nur unter bestimmten Bedingungen oder Einschränkungen zur Anwendung kommen.
2. Auf der 2. Münchener Rechtsvisualisierungstagung hat Philipps über die Brauchbarkeit von Venn-Diagrammen zur Veranschaulichung von Normen vorgetragen (Abstract). Praktisch ist diese Darstellungsart insoweit relevant, als damit Normkonkurrenzen visualisiert werden können. Das hatte ich in meiner Arbeit über Logische Bilder übersehen.
3. Auf Anregung von Friedrich Lachmayer hatte ich mich in der Arbeit über Logische Bilder an den sog. Petrinetzen versucht. Mit dem Ergebnis war und bin ich nicht glücklich. Ein Echo habe ich darauf bisher noch nicht erhalten. Ich glaube inzwischen, dass sich Petrinetze besser als die üblichen Flowcharts zur Darstellung von Entscheidungsabläufen eignen könnten.

Anmerkungen

Anmerkungen
1 Von deontischen Quadraten — Kuben — Hyperkuben. In: Dias, Augusto Silva u. a. (Hg.): Liber Amicorum de José de Sousa e Brito. Em comemoraçaõ do 70.o aniversário; estudos de direito e filosofia. Coimbra: Almedina, 2009, S. 385-394

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Difficile est satiram non scribere

Auf der (2.) Münchener »Tagung zur Rechtsvisualisierung, zum audiovisuellen und multisensorischen Recht« am 24. und 25. 11. 2009 verteidigte Frau Brunschwig noch einmal ihren Vorschlag, »Multisensorisches Recht« als neue Disziplin zu akzeptieren. Sie hat mich auch dieses Mal nicht davon überzeugt, dass es im Recht multisensorische Phänomene gibt, die sich anders nicht bewältigen lassen, und erst recht nicht davon, dass »Multisensorisches Recht« gar schon auf dem Wege sei, sich als Wissenschaftsdisziplin zu institutionalisieren. Als multisensorisches Phänomen des Rechts wurde etwa die Übergabe einer beweglichen Sache (§ 426 AGBGB; § 929 BGB) genannt und die Übergabe dann zu einem visuell-kinästhetisch-haptischen Phänomen hochstilisiert. Difficile est … Aber auch das Victim-Impact-Video im Fall Kelly vs. California sticht nicht. Im Mordprozess zeigte der Staatsanwalt ein Video von 20 Minuten Dauer mit Bilder aus dem (glücklichen) Leben Opfers bis kurz vor seiner Ermordung im Alter von 19 Jahren, begleitet von der Lieblingsmusik der Ermordeten. Dass man mit solchen Videos Laienrichter und vielleicht sogar Berufsrichter beeindrucken kann, mag ja zutreffen. Ob man solche Videos im Prozess zulassen soll, ist eine schwierige prozessrechtliche Frage. Der US Supreme Court hat die Videos im konkreten Fall nicht beanstandet, weil es die Geschworenen hinsichtlich der Schuldfrage nicht unfair beeinflusst habe. Der Richter Stevens hat in einem lesenswerten Statement auf die Problematik aufmerksam gemacht und der Richter Breyer unter Bezugnahme auf dieses Statement eine Dissenting Opinion geschrieben.
Vielleicht hat Frau Brunschwig mit dem »Multisensorischen Recht« ein Themenfeld entdeckt, dass sich für eine interdisziplinäre Bearbeitung eignet. Doch bevor die Entdeckung genutzt werden kann, müssen einige Unklarheiten ausgeräumt werden. Auge und Ohr dienen, neben allem anderen, was sie leisten, der Kommunikation. Geruch, Geschmack und Gefühl dagegen sind an sich keine Kommunikationskanäle. Nur ausnahmsweise werden sie für kommunikative Zwecke eingesetzt. [1]Anders in der Hundewelt. Hunde kommunizieren mit ihren Duftmarken. Ein Hunderecht hätte also multisensorisch zu sein. Deshalb dürfen sie nicht mit dem Audiovisuellen in einen Topf geworfen werden. Zweitens drängt sich, ausgelöst durch das Beispiel der Victim-Impact-Videos, der Verdacht auf, dass »sensorisch« und »emotional« nicht sauber getrennt werden. Und schließlich geht es gar nicht um das Recht selbst und seine Kommunikation, sondern um die Frage, wie Rechtsphänomene anders wahrgenommen werden, als nach dem textuellen Selbstverständnis des Rechts zu erwarten, und umgekehrt, welche bisher nicht bedachten Wirkungen ein »multisensorischer« Input auf rechtliche Entscheidungen haben könnte.
Im Verlaufe der Tagung haben mehr oder weniger alle Referenten eine höfliche Verbeugung vor dem »Multisensorischen Recht« gemacht. In der Sache hat sich aber keiner darauf eingelassen. In späteren Diskussionen fiel eher beiläufig die Bemerkung, multisensorisches Recht sei die größte Selbstverständlichkeit; schon immer habe man das Recht hören und sehen (und vielleicht auch manchmal fühlen) müssen.
Auch im Kontext der Rechtssoziologie ist ein Vortrag von Interesse, der von Gerhard M. Buurmann gehalten wurde. Buurmann ist Professor an der Hochschule für Gestaltung und Kunst in Zürich und Präsident des Forschungsrates des Swiss Design Institute for Finance and Banking.
Angekündigt war ein Vortrag über Cloud Law. Doch davon war nicht die Rede. Welche alternative Überschrift Buurmann gewählt hatte, habe ich verpasst. Aber sie ist auch nicht so wichtig, denn der Vortrag bot eine lockere Plauderei, mit der der Redner seine Grundidee auf das Recht zu übertragen versuchte. Die Grundidee: Die Gestaltung von Flächen und Formen war die Designaufgabe von gestern. Heute geht es um das Design von Prozessen und Schnittstellen (Interaction Design). Das von Buurmann inspirierte Institut befasst sich mit Schnittstellen zwischen Finanzdienstleistern und ihren Kunden und entwickelt etwa IT-gestützte Systeme für das Beratungsgespräch. Ein Beispiel findet man auf der Webseite des Instituts.
Interaktive Finanzberatung

Es zeigt (mir), wie man mit großem technischen und designerischen Aufwand einen kurzen und klaren Text so bedeutungsschwer machen kann, dass das Verständnis zur Arbeit wird. Aber die Kundenberater kommen sich heute wohl nackt vor – und auch die Kunden sehen sie so – wenn das Beratungsgespräch nicht an einer Touchscreen Table stattfindet.
In seinem Vortrag wollte Buurmann »ganz naiv an das Recht herangehen«. Dazu fächerte er das Recht in fünf Bereiche auf: Recht erstellen, Recht vermitteln, Recht erkennen, Recht handeln, Recht aktualisieren. Bei der Suche nach den Schnittstellen gab es Gelegenheit, dem »multisensorischen Recht« Reverenz zu erweisen. Man erfuhr, dass Subjekt und Medium in Beziehung treten, dass Maschinen intuitiv (?) auf den Benutzer reagieren, von der sinnlichen Erfahrbarkeit dieses Prozesses, und natürlich war auch von Adaptivität und Kontextualität die Rede. Besonders der Rüttelalarm in Handy und Auto hatte es dem Redner angetan. Gefallen hat mir das Stichwort Prozessästhetik: »Prozessästhetik bezeichnet die Qualität, die im Verlaufe einer Handlungsfolge erfahren wird.« Der Gegensatz von Prozessästhetik und Objektästhetik ist ja doch eine schöne Analogie zu demjenigen von substantive justice und procedural justice.
Richtig konkret wurde Buurmann dann doch nicht, und das durfte man auch gar nicht erwarten. Aber es gab geistreiche Andeutungen über die wunderbare Welt der technikgestützten Kommunikation und dabei reichlich Gelegenheit, das Multisensorische zu betonen.
Buurmann endete mit einer kleinen Paraphrase von Richard Susskinds Buch »The End of Lawyers« (2008). Wer das Buch nicht zur Hand hat, findet einige Erläuterungen von Susskind selbst und die wichtigsten Stichworte im Internet. Den Designer interessiert an dem Wandlungsprozess, der unter dem Einfluss der IuK-Technik stattfindet, was er embedded legal knowlegde nennt. Und das ist wirklich höchst interessant. Man darf nur nicht übersehen, dass es sich dabei nicht um etwas prinzipiell Neues handelt. Früher kannten wir den englischen Terminus nicht. Aber wir wussten immer schon, dass etwa Formulare ein gerüttelt Maß an eingebauter Rechtsweisung enthielten. Heute ist das Formular auf den Bildschirm gewandert. Der Text wird dabei zum Teil durch die grafische Gestaltung ersetzt. Manches ist auch in der Software versteckt und kommt nur bei Bedarf zum Vorschein. Als bekennender LegalMcLuhanite bin ich der letzte, der diesen Wechsel des Mediums für irrelevant erklärt. Aber man bekommt ihn auch nicht in den Griff, wenn man die Kontinuität nicht wahrnimmt. Die Rechtsfragen bleiben grundsätzlich die gleichen.
Buurmann setze einen treffenden Schlusspunkt: Die Ausnahmen (Generalklauseln und unbestimmte Rechtsbegriffe) sind das Problem bei der Umsetzung von Recht in EDV-Anwendungen. Seine Frage: Wollen wir damit leben?, und die Antwort: Ja, denn die Ausnahmen garantieren die Qualität des Lebens. »Im Endeffekt ist es die Kommunikation, die das Leben ausmacht, ausgehandelte Ergebnisse.«
Nachtrag vom 25. 10. 2010:
Colette R. Brunschwig hat in der Zeitschrift MultiMedia und Recht 2010 über »Towards Visual and Audiovisual Evidence in Criminal Proceedings« geschrieben. In dem Beitrag geht es um die Verwendung sog. Victim Impact Videos. Frau Brunschwig referiert und kommentiert einen Aufsatz »Documentation, Documentary, and the Law: What Should Be Made of Victim Impact Videos?« von Regina Austin (University of Pennsylvania Law School) der 2010 in der Cardozo Law Review S. 979-1017 erschienen ist und auch im Internet abgerufen werden kann.

Nachtrag vom 15. 10. 2016: Auf der Webseite der National Science Foundaation wird ein einschlägiges  Forschungsprojekt angezeigt: The Emotional Influence of Gruesome Photographs in the Courtroom.

Anmerkungen

Anmerkungen
1 Anders in der Hundewelt. Hunde kommunizieren mit ihren Duftmarken. Ein Hunderecht hätte also multisensorisch zu sein.

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