Kann man Vermittlungstechnik lernen?

Vor vielen Jahren habe ich einmal einen kurzen Beitrag geschrieben zu der Frage »Gibt es eine lehr- und lernbare Technik des Vergleichs?« [1]in: Gottwald/Hutmacher/Röhl/Strempel (Hg.), Der Prozeßvergleich, Köln 1983, S. 209-216.. Inzwischen war ich eigentlich davon überzeugt, dass spätestens mit dem Harvard Negotiation Project eine solche Technik Einzug gehalten hätte. Jetzt finde ich einen Aufsatz von Art Hinshaw und Roselle L. Wissler »How do we know That Mediation Training Works?« [2]Dispute Resolution Magazine Fall 2005, S. 21-23, verfügbar bei SSRN unter http://ssrn.com/abstract=1432478., in dem die Autoren ausführen, es gebe keinen empirischen Nachweis, dass die Tätigkeit von Mediatoren mit Training von den Parteien als fairer bewertet werde und ebensowenig, dass ausgebildete Mediatoren bessere Vergleichsraten erzielten. Allerdings wollen die Autoren dieses Ergebnis selbst nicht glauben und schlagen daher neue Untersuchungsdesigns vor, um der Frage auf den Grund zu gehen.

Anmerkungen

Anmerkungen
1 in: Gottwald/Hutmacher/Röhl/Strempel (Hg.), Der Prozeßvergleich, Köln 1983, S. 209-216.
2 Dispute Resolution Magazine Fall 2005, S. 21-23, verfügbar bei SSRN unter http://ssrn.com/abstract=1432478.

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Literaturliste zu sexuellem Missbrauch gegen Kinder und Jugendliche

Das Thema ist zurzeit so allgegenwärtig, dass der Hinweis auf eine Literaturliste mit 1100 einschlägigen Titeln vielleicht nützlich ist. Die Liste im PDF-Format wurde im Leibniz-Zentrum für Psychologische Information und Dokumentation (ZPID) aus dem (kostenpflichtigen) PSYNDEX zusammengestellt. Hier der Link: http://www.zpid.de/pub/info/zpid_news_sexuelle-Gewalt.pdf.

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Gemeinschaftsblog »Governance Across Borders«

Am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung, wo sich insbesondere Sigrid Quack mit transnationaler Governance und Regulierung befasst, gibt es einen einschlägigen Gemeinschaftsblog »Governance Across Borders« der Forschungsgruppe »Grenzüberschreitende Institutionenbildung«, den ich in meine Blogroll aufgenommen habe.

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Legal Capital oder Kirchmanns späte Rache

Social capital, human capital und nun auch legal capital? Der Begriff »legal capital« ist eigentlich für das rechtlich vorgeschriebene Mindestkapital von Gesellschaften verbraucht [1]Vgl. Marcus Lutter, Hg., Legal Capital in Europe, 2006., und die Stadt Den Haag bezeichnet sich als »Legal Capital of the World«. Auf der schon mehrfach erwähnten Bremer Tagung hat Eidenmüller diesen Begriff aber beiläufig noch in einer anderen Bedeutung verwendet, nämlich in Analogie zu human capital und social capital. Konkret ging es darum, dass die Wahl effizienteren ausländischen Rechts durch die Akteure am transnationalen Rechtsmarkt Komplexe des abgewählten Rechts, die mit großem Aufwand erarbeitet wurden, entwerten könnte. Viel dramatischer erleben wir die Entwertung des Rechtskapitals in Europa, wo die Vereinheitlichung des Vertragsrechts lieb und teuer gewordene Bestände der Rechtsdogmatik zur Makulatur werden lässt. Der Begriff, so scheint es, hat Zukunft.

Anmerkungen

Anmerkungen
1 Vgl. Marcus Lutter, Hg., Legal Capital in Europe, 2006.

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Lawfare

Wenn man nach »Lawfare« gugelt, findet man, dass der Begriff 2001 von dem damaligen Oberst im Dienste der amerikanischen Militärjustiz, Charles Dunlap, erfunden wurde. [1]Charles Dunlap, Law and Military Interventions: Preserving Humanitarian Values in 21st Century Conflicts (Carr Center for Human Rights, John F. Kennedy School of Government, Harvard University, … Continue reading Dunlop beginnt seinen Essay von 2001 mit der Frage?:

Is warfare turning into lawfare? In other words, is international law undercutting the ability of the U.S. to conduct effective military interventions? Is it becoming a vehicle to exploit American values in ways that actually increase risks to civilians? In short, is law becoming more of the problem in modern war instead of part of the solution? … One of the most striking features of the Kosovo campaign, in fact, was the remarkably direct role lawyers played in managing combat operations.

Gemeint ist also der Gebrauch von Recht, insbesondere Völkerrecht, in Auseinandersetzungen zwischen Aufständischen, Guerillas oder Terroristen und Staaten mit einem liberalen Rechtssystem. Dabei geht es darum, durch den Auftritt vor nationalen oder internationalen Gerichten mindestens einen moralischen Vorteil gegenüber dem Gegner zu gewinnen. Al Quaida soll in einem Trainingshandbuch (das die Polizei in Manchester/England entdeckt hat) seinen Kämpfern für den Fall der Verhaftung empfohlen haben, sich über Folter und andere Formen menschenrechtswidrigen Missbrauchs zu beklagen. In dieser Verwendung des Wortes spiegelt sich der verbreitete politische Widerstand der USA gegen ein Völkerstrafrecht und internationale Gerichtshöfe.
Eigentlich wollte ich den Ausdruck – ohne seine ihm von Dunlop mitgegebenen Konnotationen – übernehmen, um unter dieser prägnanten Überschrift die juristischen Strategien zu beschreiben, mit denen Opfer, ihre Anwälte und vor allem NGOs versuchen, über Ländergrenzen hinweg Ansprüche durchzusetzen, die auf transnationales Recht gestützt werden, besonders natürlich auf Menschenrechtsverletzungen. In der vergangenen Woche las man wieder unter der Überschrift »Deutsche Konzerne am Pranger der amerikanischen Justiz« [2]FAZ vom 3. 3. 2010 S. 19. Einzelheiten findet man auf der Seite des Business Human Rights Resource Center . über Sammelklagen, mit denen Daimler und Rheinmetall sowie den amerikanischen Konzernen IBM, Ford und General Motors durch Lieferung von Fahrzeugen und Gerät sowie durch Weitergabe von Informationen über Apartheidgegner Verbrechen des Regimes bis hin zur Folter und zu rechtwidrigen Tötungen unterstützt zu haben. Schon seit einigen Jahren streitet man sich vor den Gerichten in New York um die Zulässigkeit der Klagen, die auf das Alien Tort Claims Act von 1789 (ATCA) [3]Auch Alien Tort Statute genannt. Die einzige Bestimmung besagt, dass Jedermann vor amerikanischen District Courts Zivilklagen erheben kann, die auf die Verletzung von Völkerrecht oder … Continue reading gestützt werden. Auf der Rechtssoziologietagung in Bremen Anfang März 2010 war die corporate responsability von multinationalen Unternehmen (TNCs) ein zentrales Thema. Da war auch die Rede davon, dass Klagen gegen die Parent Company einer TNC im Mutterland nicht mehr bloß auf Durchgriffshaftung (piercing the veil), sondern auf eine eigene Verantwortung der Parent Company gestützt werden, die sich aus einer Verletzung firmeneigener codes of conduct oder Richtlinien internationaler standard setting bodies [4]Dazu von Larry Catá Backer, der in Bremen einen Vortrag hielt, Multinational Corporations, Transnational Law: The United Nation’s Norms on the Responsibilities of Transnational Corporations as … Continue reading ergeben (foreign direct liability). Für solche Klagen stehen außer den Menschenrechtsorganisationen, die die Opfer mobilisieren, unternehmerische Anwälte bereit, die sich auf Human-Rights-Angelegenheiten geworfen haben. Bisher waren die auf den ATCA gestützten Klagen allerdings wenig erfolgreich, so dass man nach anderen Rechtsgrundlagen Ausschau hält. [5]Barnali Choudhury, Beyond the Alien Tort Claims Act: Alternative Approaches to Attributing Liability to Corporations for Extraterritorial Abuses. Northwestern Journal of International Law & … Continue reading
»Lawfare« wäre eine schöne Überschrift, um über solche Aktivitäten zu berichten. Doch bevor ich damit begonnen hatte, nach Material zu Lawfare im Sinne von Recht als transnationalem Kampfmittel zu suchen, bin auf das Buch von Jean und John Comaroff über »Law and Disorder in the Postcolony« gestoßen, die ihrerseits von Lawfare reden, den Ausdruck aber in einem wiederum anderen Sinne verwenden. John L. Comaroff hatte die Wortschöpfung schon 2001 etwa zeitgleich und wohl auch unabhängig von Dunlop benutzt. Er erinnerte daran, dass Eingeborene in Südafrika im 19. Jahrhundert

referred to the appurtenances of the law – courts, papers, contracts, agents – as the »English mode of warfare«, um dann fortzufahren: »That ›mode of warfare‹ – or rather lawfare –, the effort to conquer and control indigenous peoples by the coercive use of legal means ….

2007 haben die Comaroffs diesen Ausdruck wieder aufgegriffen. Nun bestimmen sie (S. 30) lawfare als

the resort to legal instruments, to the violence inherent in the law, to commit acts of political coercion, even erasure.

Sie schildern dazu viele Beispiele, wie Gewalt, die man für Unrecht halten möchte, sorgsam in Rechtsform verpackt wird, so etwa vom Diktator Mugabe in Zimbabwe. Recht, so meinen sie, sei in den früheren Kolonien gewissermaßen zum Fetisch geworden und diene zur Juridifizierung von Politik.
Und was mache ich nun mit »Lawfare«?

Nachtrag vom 5. April 2012: In der Heimlichen Juristenzeitung berichtet Katja Gelinsky heute unter der Überschrift »Recht ohne Grenzen« über den aktuellen Stand der Kontroverse über die Reichweite des Alien Tort Claims Act in den USA. Der Artikel ist nur im kostenpflichtigen Archiv der Zeitung zugänglich. Nähere Informationen findet man auf Scotus-Blog. Auch die zahlreichen Amicus-Briefs sind verlinkt, darunter auch derjenige, mit dem sich die deutsche Bundesregierung gegen die extraterritoriale Anwendung des Gesetzes wendet.

Anmerkungen

Anmerkungen
1 Charles Dunlap, Law and Military Interventions: Preserving Humanitarian Values in 21st Century Conflicts (Carr Center for Human Rights, John F. Kennedy School of Government, Harvard University, Working Paper, 2001), verfügbar unter http://www.ksg.harvard.edu/cchrp/Web%20Working%20Papers/Use%20of%20Force/Dunlap2001.pdf. Vgl. auch Dunlap, Lawfare Today: A Perspective, Yale Journal of International Affairs 2008, 146-154. Dunlap selbst schreibt die Wortschöpfung einem Artikel von John Carlson und Neville Yeomans aus dem Jahre 1975 zu.
2 FAZ vom 3. 3. 2010 S. 19. Einzelheiten findet man auf der Seite des Business Human Rights Resource Center .
3 Auch Alien Tort Statute genannt. Die einzige Bestimmung besagt, dass Jedermann vor amerikanischen District Courts Zivilklagen erheben kann, die auf die Verletzung von Völkerrecht oder internationalen Verträgen der Vereinigten Staaten begründet werden.
4 Dazu von Larry Catá Backer, der in Bremen einen Vortrag hielt, Multinational Corporations, Transnational Law: The United Nation’s Norms on the Responsibilities of Transnational Corporations as Harbinger of Corporate Responsibility in International Law, in: Columbia Human Rights Law Review 37 (2005), 101–192, verfügbar unter: http://ssrn.com/abstract=695641.
5 Barnali Choudhury, Beyond the Alien Tort Claims Act: Alternative Approaches to Attributing Liability to Corporations for Extraterritorial Abuses. Northwestern Journal of International Law & Business, Vol. 26, No. 43, 2005, verfügbar unter: http://ssrn.com/abstract=1018207.

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Die Deinstitutionalisierung der Rechtssoziologie schreitet fort

Auf der Tagung der Vereinigung für Rechtssoziologie, die vom 3. bis 5. März in Bremen stattfand, [1]Die Tagung war inhaltsreich und angenehm. Ich fürchte, dass ich nicht mehr dazu komme, etwas zu berichten, weil ich gleich wieder verreisen muss. hat die Mitgliederversammlung erwartungsgemäß die Umbenennung in »Vereinigung für Recht und Gesellschaft« beschlossen. Prof. Jost, Bielefeld, RiBVerfG Prof. Bryde und ich haben zwar protestiert, aber doch nur zaghaft, denn es ist Sache der nächsten Generation zu bestimmen, unter welchem Namen sie auftreten will. Auf der Versammlung wurde berichtet, dass in den letzten zwei Semestern weniger als die Hälfte der deutschen Rechtsfakultäten noch eine Lehrveranstaltung mit dem Titel »Rechtssoziologie« halten ließ. Warum auch, wenn die Fachgemeinschaft sich nicht mehr traut. In ihrem Grußwort zur Tagung hatte die Justizministerin des Bundes meine Formulierung von der Rechtssoziologie als Erfolgsgeschichte zitiert. Das ist mir trotzdem nicht peinlich, denn ich bin davon überzeugt, dass Rechtssoziologie, wenn auch teilweise unter fremden Namen, weiter Wirkung zeigen wird.

Anmerkungen

Anmerkungen
1 Die Tagung war inhaltsreich und angenehm. Ich fürchte, dass ich nicht mehr dazu komme, etwas zu berichten, weil ich gleich wieder verreisen muss.

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Noch einmal: Das zweite Mediationsparadox

Zunächst zur Erinnerung: Als Mediationsparadox hatten McEwen und Milburn [1]McEwen, Craig A.; Milburn, Thomas W. (1993): Explaining a Paradox of Mediation. In: Negotiation Journal, S. 23–36 das bemerkenswerte Phänomen bezeichnet, dass die obligatorische Teilnahme an einem Mediationsverfahren die Erfolgsrate nicht wesentlich beeinträchtigt. Auch hier gilt also das von mir so genannte Naturrecht oder Naturgesetz der Vermittlung, dass konstant etwa zwei Drittel aller Mediationsverfahren mit einer Einigung enden, wenn es gelingt, die Parteien an den Verhandlungstisch zu bringen. Als zweites Mediationsparadox hatte ich die Beobachtung bezeichnet, dass die Mediation ungenutzt bleibt, obwohl sie doch so erfolgreich, nämlich schneller, besser und billiger als Gerichtsverfahren sein soll. Jetzt habe ich mich noch einmal auf die Suche nach Erklärungen für diesen merkwürdigen Widerspruch gemacht. Die Fundstücke will ich heute vorstellen.
Für die Zurückhaltung des Publikums bei der Inanspruchnahme von Mediations- und Güteverfahren aller Art wird ein ganzes Bündel von Begründungen angeboten. Ich beginne mit der schon genannten Unkenntnishypothese. Sie besagt, dem Publikum sei Mediation als Alternative zum Gerichtsverfahren nicht hinreichend geläufig. Diese Hypothese ist wohl die schwächste. Die Justizverwaltungen geben sich überall große Mühe, Mediation publik zu machen, und die Medien widmen dem Thema immer wieder positiv besetzte Aufmerksamkeit.

Langsam müsste so viel Werbung eigentlich wirken. Merry und Silbey haben schon 1984 darauf hingewiesen, dass die Menschen tatsächlich große Bereitschaft zeigen, Alternativen zum Gerichtsprozess zu finden, und dass sie sich dazu bei einem breiten Spektrum von Auskunfts- und Beratungsstellen umhören. [2]Merry, Sally Engle; Silbey, Susan S. (1984): What do Plaintiffs Want? Reexamining the Concept of Dispute. In: The Justice System Journal, Jg. 9, S. 151–179. McEwen und Milburn (S. 25) meinen, die Unkenntnishypothese diene in erster Linie dazu, die Ideologie der Mediation als eines auf Freiwilligkeit beruhenden Verfahrens zu stützen. Wenn die Parteien nicht hinreichend informiert sind, dann könne man sie ruhig in die Mediation zwingen, denn hätten sie es besser gewusst, wären sie freiwillig gegangen.
Die Torhüterhypothese behauptet, dass Richter und Anwälte die Parteien davon abhalten, die Mediation zu wählen. Es ist wohl richtig: Als Ergebnis ihrer Professionalisierung haben Juristen (hoffentlich) ein Interesse an Recht und Gerechtigkeit, das über den Einzelfall hinausgeht, und ferner haben sie auch jeweils eine eigene Meinung darüber, was im Falle richtig ist. Daraus folgt ein professionelles Interesse, die Sach- und Rechtslage zur Sprache zu bringen, auch wenn ein Vermittlungsverfahren für den Mandanten vorteilhafter wäre. Ein Rechtsanwalt wird es als Belohnung empfinden, wenn er seine Fähigkeiten und Kenntnisse unter Beweis stellen kann. Der nächstliegende Weg besteht darin, eine Prognose abzugeben, wie das Gericht entscheiden würde, und diese Prognose dann mit einer Klage unter Beweis zu stellen. Allerdings hat sich doch mindestens die Rhetorik der Anwaltschaft inzwischen zugunsten der Mediation gewandelt. Es ist sicher zutreffend: Ohne Unterstützung der Rechtsanwälte wird es nichts mit der gerichtsunabhängigen Mediation. Und es ist auch wohl nicht unbedingt die Gebührenstruktur, die sie davon abhält, sich wechselseitig auch als Mediatoren einzusetzen. Jost und Neumann [3]Jost, Fritz; Neumann, Tobias (2010): Etablierung der Mediation durch die Anwaltschaft! In: Zeitschrift für Konfliktmanagement, S. 164–168. suchen die Ursache in erster Linie in den Wettbewerbsstrukturen der Profession.
Nach der Streitkulturhypothese besteht eine verbreitete kulturelle Disposition gegen Vermittlung und Kompromiss. Insbesondere wir Deutschen sagen uns selbst übertriebene Streitsucht nach. Daher betonen die Befürworter der Mediation, das Ziel aller Anstrengungen müsse eine Veränderung der Streitkultur sein. McEwen und Milburn halten entgegen, dass die Streitkulturhypothese auf einem Zirkelschluss beruhen könnte, weil die Streitkultur erst durch die Beobachtung des Streitverhaltens erschlossen werde.
McEwen und Maiman [4]A. a. O. S. 45. haben eine Hebelhypothese angedeutet. Sie fragen, warum, wenn denn Mediation so viel besser ist als der Gerichtsprozess, sowenig Streitparteien das Vermittlungsverfahren wählen, ohne vorher geklagt zu haben. Sie gehen mit Christie davon aus, dass für die meisten Menschen und Organisationen Verhandlungen die bevorzugte Art der Streitbehandlung sei, weil sie den Parteien die Kontrolle über den Konflikt lasse. Aber in der Regel habe eben doch nur eine Partei ein Interesse an einer Lösung. Die andere sei mit dem status quo zufrieden. Um sie an den Verhandlungstisch zu bringen, müsse der Gegner ihre Kosten erhöhen. Der schwächeren Partei blieben da kaum andere Mittel als der Weg zum Gericht. So könne oft erst die Klage helfen, eine einverständliche Lösung zu finden. Formelle und informelle Konfliktregelung, so McEwen und Maiman, müsse man daher eher als ein Zusammenspiel und nicht so sehr als Alternativen betrachten. Die Hebelhypothese ergänzt sich ganz gut mit dem Phänomen des vanishing trial, dass man in den USA beobachtet [5]Galanter, Marc (2004): The Vanishing Trial: An Examination of Trials and Related Matters in Federal and State Courts. In: Journal of Empirical Legal Studies, Jg. 1, S. 459–570.
, das heißt also, dass die Prozesse – deren Zahl nicht abgenommen hat – nur noch ganz ausnahmsweise bis zum förmlichen Abschluss durch ein trial durchgeführt werden. Ein Blick in die deutsche Zivilprozess-Statistik zeigt zwar seit 2002 eine Erhöhung der Vergleichsquote zu Lasten der Urteilsquote um etwa 5 %, die wohl auf den damals neuen § 278 ZO zurückzuführen sein könnte. Doch man kann deutsche Urteile kaum mit dem amerikanischen trial vergleichen.
Die ökonomische Analyse des Rechts steuert eine Transaktionskostenhypothese bei. Barendrecht hat das Spektrum der Optionen, die zur Verfügung stehen, wenn man im Streitfall Hilfe sucht, als Markt für Rechtsdienstleistungen konzipiert. [6]Barendrecht, Maurits (2009): Understanding the Market for Justice. (TISCO Working Paper Series on Civil Law and Conflict Resolution Systems, 06/2009). Solche Dienstleistungen verursachen Produktionskosten und Transaktionskosten. Die Produktionskosten, so meint Barendrecht, erklärten nicht, warum viele Menschen ihre Rechtsbedürfnisse nicht befriedigen könnten. Für die meisten Streitigkeiten können Verhandlungen oder die Intervention eines Dritten brauchbare Lösungen zu angemessenen Kosten liefern. Ein tüchtiger Mediator oder ein Richter an einem Untergericht seien in der Lage, die meisten Familien-, Arbeits-, oder Nachbarschaftsstreitigkeiten in ein paar Stunden beizulegen. Die Technologie für Rechtsdienstleistungen sei nicht prohibitiv teuer. Aber, so fährt er fort, der Markt für Rechtsdienstleistungen sei in vielerlei Hinsicht unvollkommen. Im Abstract des Artikels verspricht der Autor, seine Perspektive könne erklären, warum Alternative Streitregelungsverfahren so erfolglos seien, wenn es darum gehe, Kunden anzuziehen. Speziell dieser Punkt wird aber nicht wirklich ausgearbeitet. Barendrecht unterscheidet fünf Produktionsstufen der Rechtsdienstleistung im Konfliktfall. Die erste, bei der es darum geht, die Parteien zusammenzubringen, ist wohl die für die Mediation wichtigste. Wir erfahren, dass die Parteien dazu eine Art Verfahrensvereinbarung treffen müssen. Das sei aber schwierig, weil sich hier eine zweite Verhandlungsebene eröffne, die mit psychischen Problemen belastet sei. Der Kläger habe zudem Probleme, den Beklagten zur Kooperation zu veranlassen, weil dieser meistens den status quo bevorzuge (das wissen wir ja schon). Und dann erfahren wir, dass Mediation ein Erfahrungsgut ist, so dass Information allein nicht genügt, weil man sie nicht bewerten kann. Das ist immerhin eine plausible Spezifizierung der Unkenntnishypothese.
McEwen und Milburn schließlich haben eine Konfliktdynamikhypothese entwickelt. Sie verweisen darauf, dass Konflikte einen Verlauf haben, indem sich eine Motivation gegen die freiwillige Teilnahme an einer Mediation aufbaut. [7]A. a. O. S. 26. Das beginnt mit einer Konfliktselektion, die nur noch wirklich streitwillige Parteien zurücklässt. Alle anderen scheitern schon an der kulturellen Barriere, die sie hindert, ihre Beschwer in einen Streit zu verwandeln. Man schreibt sich selbst die Verantwortung für seine Probleme zu und ist im Übrigen starkem sozialem Druck ausgesetzt, sich verträglich zu zeigen. Die Kommunikation mit dem Gegner lässt zusätzlich zu dem Ursprungskonflikt einen Metakonflikt entstehen, in dem es um das Verhalten des Gegner, Vorwerfbarkeit und Unvernunft geht, während man bemüht ist, die eigene Glaubwürdigkeit und Rechtschaffenheit zu verteidigen. Da hier die Selbstwahrnehmung und die eigenen moralische Integrität im Spiel sind, wird der Metakonflikt mit hoher emotionaler Beteiligung ausgetragen, die Aufmerksamkeit für alles andere stark einengt. Was dabei herauskommt, haben Merry und Silbey festgehalten, nachdem sie das Konfliktverhalten in einer städtischen Nachbarschaft beobachtet hatten:

by the time a conflict is serious enough to warrant an outsider’s intervention, disputants do not want what [mediation has] to offer. At this point the grievant wants vindication, protection of his or her rights … an advocate to help in the battle, or a third party who will uncover the ’truth’ and declare the other party wrong.

Oder, wie McEwen und Milburn (S. 31) formulieren:

The paradox of mediation, consequently, is that it offers disputing parties precisely what they do not want when they most need it.

Alle diese Hypothesen sind mehr oder weniger plausibel. Aber keine hat für sich genommen hinreichende Erklärungskraft. Vor allem aber zeigt keine einen Ausweg, wie man der Mediationsverweigerung anders als durch Druck beikommen könnte. Die Hebelhypothese legt es immerhin nahe, im Gerichtsverfahren einen Nebenausgang in die Mediation zu eröffnen. Alle, die in eine Ausbildung zum Mediator investieren wollen, sollten verpflichtet werden, zuvor nachzulesen, was Velikonja [8]Velikonja, Urška (2008): Making Peace and Making Money: Economic Analysis of the Market for Mediators in Private Practice. Online verfügbar unter http://works.bepress.com/urska_velikonja/1. über den Überoptimismus der Mediatoren schreibt.

Anmerkungen

Anmerkungen
1 McEwen, Craig A.; Milburn, Thomas W. (1993): Explaining a Paradox of Mediation. In: Negotiation Journal, S. 23–36
2 Merry, Sally Engle; Silbey, Susan S. (1984): What do Plaintiffs Want? Reexamining the Concept of Dispute. In: The Justice System Journal, Jg. 9, S. 151–179.
3 Jost, Fritz; Neumann, Tobias (2010): Etablierung der Mediation durch die Anwaltschaft! In: Zeitschrift für Konfliktmanagement, S. 164–168.
4 A. a. O. S. 45.
5 Galanter, Marc (2004): The Vanishing Trial: An Examination of Trials and Related Matters in Federal and State Courts. In: Journal of Empirical Legal Studies, Jg. 1, S. 459–570.
6 Barendrecht, Maurits (2009): Understanding the Market for Justice. (TISCO Working Paper Series on Civil Law and Conflict Resolution Systems, 06/2009).
7 A. a. O. S. 26.
8 Velikonja, Urška (2008): Making Peace and Making Money: Economic Analysis of the Market for Mediators in Private Practice. Online verfügbar unter http://works.bepress.com/urska_velikonja/1.

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Smart Library on Globalization

Im Hinblick auf die in der nächsten Woche in Bremen stattfindende Tagung Transnationalismus in Recht, Staat und Gesellschaft ist ein Hinweis auf eine einschlägige Internetquelle angezeigt. Die Smart Library on Globalization ist eine technisch brillant gemachte und auch inhaltlich reiche Webseite, die von einem Center on Law and Globalization ins Netz gestellt worden ist. Dieses Center ist eine Gemeinschaftseinrichtung des University of Illinois College of Law und der American Bar Foundation. Es gibt eine übersichtliche Gliederung zum Thema Globalisierung des Rechts und zu allen Stichworten gute Literaturhinweise. Die Hinweise erschöpfen sich nicht in bloßen Fundstellenangaben. Vielmehr werden die genannten Arbeiten jeweils ausführlich referiert. [1]Es ist bemerkenswert, wie so Manches in der Zusammenfassung trivial wirkt, etwa wenn wir lesen: »Legal scholar Lawrence Friedman says that as the culture of consumption becomes global, business and … Continue reading In der Sache kann man dieser Quelle allenfalls– analog zum methodischen Nationalismus [2]Andreas Wimmer/Nina Glick Schiller, Methodological Nationalism and Beyond: Nation-State Building, Migration and the Social Sciences, Global Networks 2, 2002, 301-334 – einen methodischen Amerikanismus vorhalten.

Anmerkungen

Anmerkungen
1 Es ist bemerkenswert, wie so Manches in der Zusammenfassung trivial wirkt, etwa wenn wir lesen: »Legal scholar Lawrence Friedman says that as the culture of consumption becomes global, business and trade are globalized as well. Business thrives on predictability and globalized law can provide predictability. … Even with a diversity of styles for settling disputes, common problems often lead to common solutions. As more businesses participate in a common global market they face increasingly similar challenges. The need for predictability creates a pressure toward “convergence” that pulls different systems of modern law together. And, while there may be differences between local or regional legal styles (for example, family-style enterprise versus more impersonal, market-oriented, managerial approaches), as more and more businesses are drawn into a global arena they will have to operate by more global (in this case “American”) styles.«
2 Andreas Wimmer/Nina Glick Schiller, Methodological Nationalism and Beyond: Nation-State Building, Migration and the Social Sciences, Global Networks 2, 2002, 301-334

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Von Hartz IV zur Papier I

Elf Mal kommt in dem Urteil des BVerfG vom 9. Februar 2010 zu § 28 SGB II das Wort »empirisch« vor. Da müssten Rechtssoziologen jubeln. Aber dazu ist kein Anlass, denn die empirische Arbeit, die zu leisten ist, fällt kaum in ihr Arbeitsgebiet. Jubeln können oder trauern müssen –je nach Standpunkt – vielmehr Rechtstheoretiker. Das BVerfG betont zwar immer wieder den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers. Tatsächlich hat es den Gesetzgeber aber auf eine Verwaltungsbehörde zurückgestutzt, die ihre Ermessensentscheidung rechtfertigen muss. Viel Unterschied zwischen Recht und Politik bleibt da nicht mehr. Ferner muss die Rechtstheorie sich mit dem Begriff der Obliegenheit auseinandersetzen, den man bisher eigentlich nur aus dem Zivilrecht kannte. Der Kernsatz des Urteils lautet:

Zur Ermöglichung dieser verfassungsgerichtlichen Kontrolle besteht für den Gesetzgeber die Obliegenheit, die zur Bestimmung des Existenzminimums im Gesetzgebungsverfahren eingesetzten Methoden und Berechnungsschritte nachvollziehbar offenzulegen. Kommt er ihr nicht hinreichend nach, steht die Ermittlung des Existenzminimums bereits wegen dieser Mängel nicht mehr mit Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG in Einklang.

Für die Politik wird es eng. Vermutlich wird die Neufassung von § 28 SBG II, die wir zum Jahresende zu erwarten haben, nicht mehr unter Hartz IV, sondern unter Papier I firmieren.

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Berichtsforschung II

Die Liste der Berichte, die ich mit dem Posting vom 2. Februar ins Netz gestellt habe, wird immer länger. Dafür heute ein Beispiel. Die Europäische Kommission hat 2009 wieder einen METRIS Report veröffentlicht: Emerging Trends in Socio-economic Sciences and Humanities in Europe. Zunächst muss man sich durch die EAO (European Acronym Obsession) hindurchkämpfen. METRIS ist die Abkürzung für Monitoring European Trends in Social Sciences and Humanities. Die Geistes- und Sozialwissenschaften heißen im Europajargon SSH. Sie bilden eine Provinz in der European Research Area (ERA), und die wiederum ist durch das 7th Framework Programme (FP7) in fünf Regionen eingeteilt:
o Growth, employment and competitiveness in a knowledge-based society;
o Combining economic, social and environmental objectives;
o Major trends in society and their implications;
o Europe and the world;
o The citizen in Europe.
Der Report klappert diese Regionen ab. Am Ende folgen noch zehn Querschnittsthemen. Nicht alles ist richtig spannend oder für die Rechtsoziologie relevant. Aber einige Beobachtungen sollte man vielleicht zur Kenntnis nehmen.
Das gilt zunächst für die Ausführungen über den Umbau der Forschungslandschaft in der Folge des Wandels der Finanzierung. Als Ergebnis wird die Konzentration auf Projektforschung (S. 25, 30) und der relative Rückgang von Dauerstellen im akademischen Bereich festgehalten (S. 29). S. 33 ff. ist vom Imperativ der Interdisziplinarität die Rede. Neu (für mich) war der Begriff der »deep interdisciplinarity«, womit anscheinend die Zusammenarbeit von Naturwissenschaften und SSH gemeint ist. Es gibt (S. 35) ein paar lobende Worte für die Disziplinen, die die doch auch ihre Verdienste hätten.

The expert group thinks that it is important to acknowledge the many ways in which interdisciplinarity may be defined, as well as the sense among large groups of researchers that it arises from the research questions asked rather than as a function of a demand for interdisciplinarity per se. A number of today’s disciplines draw on transdisciplinary concepts and methodologies. Importantly, for example, research methods originating in the humanities have migrated into the social sciences (whilst the reverse is true only to a lesser extent), so that visual methodologies, semiotics, textual analysis, to name but a few approaches, are all widely practised in the social sciences although, with some notable exceptions, social science approaches ranging from sociological to statistical methods are not yet widely used in the humanities.

Das klingt gut, dürfte aber von den Finanzierungs- und Evaluierungsinstanzen nicht ernst genommen werden, denn sonst wäre Rechtssoziologie schon in sich interdisziplinär, nutzt sie doch mehr oder weniger alle in dem Zitat genannten Methoden. Aus Opportunismus müsste die Rechtssoziologie sich eigentlich in zehn Disziplinen auflösen, die dann jeweils an einem Projekt zusammenarbeiteten und damit ihre Interdisziplinarität vorzeigen könnten.
Auf der Sachebene fand ich die Ausführungen auf S. 45 ff. über »Global Democracy, Global Crisis of Democracy« interessant. Nachdem nunmehr Demokratie zum normativen Standard der internationalen Politik geworden sei, zeige sich ein dramatischer gesellschaftlicher Wandel, während das System der politischen Parteien weitgehend unverändert geblieben sei. In der Folge seien die Parteien nicht mehr in der Lage, die gesellschaftlichen Interessen zu repräsentieren.

But while the sociological makeup of our societies has been dramatically transformed, party systems have remained essentially unchanged. The result is a generalised crisis of representation, as parties can no longer claim convincingly to represent the interests of groups whose collective existence is increasingly problematic. With the gradual disappearance of the collective social subjects that made up Fordist societies and had well-defined interests determined by their position in the productive apparatus or in its management, it is hard to say what exactly political representation is supposed to represent. The diagnosis of this crisis of democratic representation is an important component of the SSH research agenda. Several trends deserve attention and are set out below:
• The shift from interest-based politics toward value-based politics. Increasingly, parties appeal to sectors of the electorate less through their presumed interests and more through symbols, imaginaries and values.
• The new configurations of politics and the depolitisation and repolitisation of previous spheres of government (such as central banking).
• The increased role of the media as a connector between society and its political classes.
• The decollectivisation of traditional political action.
• The rise of new forms of social activism and the invention of new forms of politics in response to the crisis (e.g. the anticapitalist movement; new forms of local politics, etc.).

Weiter lenkt der Bericht die Aufmerksamkeit auf die Politisierung von Religion. Die kennt heute jeder Zeitungsleser. Aber bedenkenswert ist doch der Hinweis, die Politisierung der Religion könne auch als eine Säkularisierung religiöser Praktiken verstanden werden (S. 53).
Unter der Überschrift »The Rise of New Forms of Governance« erfahren wir, dass der in der Rechtssoziologie verbreitete (und von mir so nicht geteilte) Steuerungspessimismus in der EU angekommen ist:

The former techniques of government that acted directly upon the materiality of social life through corrective interventions are being replaced by techniques of government that seek to govern from afar, as it were, through regulation rather than coercion or intervention, by organising and expanding arenas of discrete choices by individuals. The idea that an informed state intervention can generate social benefits has been ideologically contested in the name of social complexity and of the impossibility of centralising sufficient information to take into account “unintended consequences” that may outweigh any pre-established purpose of political action. The idea of corrective intervention has become a position of last resort, to which governments turn only in times of extreme crisis (such as the current global economic crisis). The result is a form of government that is evaluated by its capacity to increase opportunities for individual choice, thus fostering the decentralised management of social processes and the role of the market as the ultimate information processor, able to pick winning solutions. This neoliberal form of governance has become hegemonic in Europe and elsewhere.

Bemerkenswert ist hier wie auch an anderer Stelle des Berichts die Verwendung des alten Konzepts der Hegemonie, das in letzter Zeit wieder öfter bemüht wird. Es kommt aus der gleichen Kiste, wie das Konzept der postfordistischen Gesellschaft, das der Bericht in dem vorausgehenden Zitat verwendet.

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