Die Bertelsmann-Stiftung als Ghostwriter der Politik

Vor Jahr und Tag hatte ich hier einige Zeilen über die Bertelsmann-Stiftung geschrieben. Nun feiert der Medienkonzern den 175. Geburtstag, und diesem Anlass widmete das Feuilleton der heimlichen Juristenzeitung gestern fast die ganze erste Seite. Unter der Überschrift »Grundgütiges aus Gütersloh« setzt sich dort der Hamburger Notar Peter Rawert kritisch mit der Rechtskonstruktion der sogenannten Doppelstiftung auseinander, die es gestattet, mit Hilfe der gemeinnützigen Stiftung den Konzern am Rande der Legalität steuersparend zu beherrschen. Und unter der Überschrift »Bertelsmanns Republik?« nimmt Jürgen Kaube die Politikberatung durch die Bertelsmann-Stiftung aufs Korn. Beide Artikel – die in FAZ.NET leider nur für Abonnenten frei zugänglich sind – verweisen auf ein eben im Campus-Verlag erschienenes Buch des Journalisten Thomas Schuler: Bertelsmann Republik Deutschland. Eine Stiftung macht Politik.
Die Kavallerie der Ökonomisierung, so hatte ich die Bertelsmann-Stiftung genannt. Mehr als das, sie ist der Ghostwriter der Politik. Ich muss gestehen, dass ich die Bertelsmann-Stiftung bewundere. Hunderte von Politikwissenschaftlern, Ökonomen und Rechtssoziologen scheitern mit dem Versuch, sich bei der Politik Gehör zu verschaffen. Nur die Bertelsmann-Stiftung schafft es immer wieder. Um nur die wichtigsten Beispiele zu nennen: Sie hat das Neue Steuerungsmodell in Verwaltung und Justiz lanciert, sie hat die Hartz IV-Gesetze geprägt, und sie hat der Hochschulreform die Richtung gewiesen. Die zugrunde liegende Forschung als solche ist, soweit ich das beurteilen kann, durchaus in Ordnung. Viele Universitätsinstitute wären glücklich, wenn sie Vergleichbares geleistet hätten. Was lerne ich daraus? Die Kapitel Politikberatung und Wertfreiheit der Wissenschaft müssen zwar nicht neu geschrieben werden. Aber sie erhalten neue, eindrucksvolle Beispiele.

Nachtrag vom 17. Juli 2016

Über »Entmündigung als Bildungsziel« schreibt Thomas Thiel heute einen großen Artikel in der heimlichen Juristenzeitung. Darin beklagt er den fehlenden Datenschutz bei den Online-Tutorials insbesondere amerikanischer Anbieter, der dazu führen könne, dass die Bildungsbiographien der Lerner mit ihren persönlichen Daten, mit ihren Stärken, Schwächen und Vorlieben gespeichert und kommerziell verwertet werden, insbesondere auch als Angebot an das Personalmanagement. Er beklagt, dass auch die deutschen Universitäten sich mehr oder weniger kritiklos dieser Praxis bedienen und dass dabei die Bertelsmann Stiftung mit ihrem Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) als Antreiber fungiert.

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