Enzyklopädie zur Rechtsphilosophie (EzR)

Am 8. 4. 2011 wurde in Greifwald als Höhepunkt einer kleinen, aber feinen Tagung der Internetauftritt der Enzyklopädie zur Rechtsphilosophie gestartet, die im Auftrage der Deutschen Sektion der Internationalen Vereinigung für Rechts- und Sozialphilosophie (IVR) von Michael Anderheiden, Marietta Auer, Thomas Gutmann, Stephan Kirste, Frank Saliger und Lorenz Schulz herausgegeben wird. Großes Vorbild ist die Stanford Encyclopedia of Philosophy. Vorerst sind allerdings nur wenige Stichworte mit Artikeln ausgefüllt.
Der Legal McLuhanite hatte mit großen Erwartungen dem Vortrag von Thomas Vesting über »Das Medium Enzyklopädie [1]Ist die Enzyklopädie ein Medium? – Rechtliche Expertise unter Buchdruckbedingungen und in elektronischen Netzwerken« entgegengesehen. Er war am Ende ein wenig enttäuscht, denn Vesting sparte die Enzyklopädie im elektronischen Zeitalter aus. Stattdessen berichtete er aus seinem großen Projekt »Medien des Rechts« über die Veränderungen des Rechts unter dem Einfluss des Medienwandels. Dem Legal McLuhanite kam das alles, von der Derridaisierung einmal abgesehen, doch schon sehr bekannt vor. Es gab immerhin ein paar hübsche Literaturfunde und außerdem den Hinweis auf zwei neue Bücher des Redners, die soeben im Verlag Velbrück Wissenschaft erschienen sind. [2]»Die Medien des Rechts: Sprache« sowie »Die Medien des Rechts: Schrift«. Wer sich schnell einen Eindruck verschaffen will, findet von Vesting in Ancilla Juris 2010 den Aufsatz »Rechtstheorie als … Continue reading
Ich habe dem Vortrag die These entnommen, dass das Buch sich durch einen »Sinn für Abgeschlossenheit« auszeichnet, während der Computer zu fortgesetztem Überschreiben auffordert. »Enzyklopädischer Einheitswille« erzeuge die ontologische Illusion innerer Einheit des Rechts, die es in der operativen Wirklichkeit nie gegeben habe, die mindestens aber an den Nationalstaat gebunden gewesen sei. Mit der Computerkultur sei die »Zeit der Systeme« abgeschlossen. Es gebe immer nur vorübergehende Interpretationen von Wahrheit und Gerechtigkeit. Und natürlich brauchen wir dafür »eine adäquate Neugründung der Rechtstheorie«. Ich bin skeptisch. Ich halte den Computer, oder vielmehr das weltweite Netzwerk von Computern, für eine große Konvergenzmaschine. Mehr oder weniger alles wird verglichen, und Konsonanzen wirken verstärkend, bis sich die Spreu vom Weizen trennt.
Was den Ruf nach einer neuen Rechtstheorie betrifft, so tönt der nun schon seit dem Anbruch der Postmoderne. [3]Die Postmoderne dauert nun schon so lange, dass sie eigentlich vorüber sein müsste. Wie nennen wir denn unser gegenwärtiges Zeitalter? Bis mir etwas Besseres begegnet, spreche ich einmal von … Continue reading
Doch alle rufen und keiner liefert. Genauer: Geliefert wird nur Theorie aus der Beobachterperspektive, mit der die Akteure im System wenig anfangen können. Das zeigt sich besonders in der Methodenlehre, die mein Thema auf der Veranstaltung war. Sie ist nun seit über 50 Jahren, seit den Anfängen bei Viehweg und Esser, Gegenstand so heftiger und eigentlich vernichtender Kritik, dass sie in der Versenkung verschwunden sei müsste. Aber keiner der Kritiker liefert einen brauchbaren [4]Mancher wir hier auf das Werk von Friedrich Müller/Ralph Christensen (Juristische Methodik: Grundlegung für die Arbeitsmethoden der Rechtspraxis,) verweisen, dass 2009 in 10. Auflage erschienen … Continue reading Gegenentwurf. Das war noch einmal 50 Jahre früher anders. Da hatte jedenfalls Philipp Heck gezeigt, wie es gehen könnte. Aber heute gedeihen weiter die alten Blumen. Die Reihe von Lehr- und Lernbüchern zur Methodenlehre ist in den letzten Jahrzehnten ständig angewachsen ist. In anderen Werken, die vornehmlich für die juristische Ausbildung bestimmt sind, findet man selbständige Kapitel zur Methodenlehre [5]Zuletzt Heiko Sauer, Juristische Methodenlehre, in: Julian Krüper (Hg.), Grundlagen des Rechts, 2011, 168-186.. Sie decken das große Bedürfnis nach Reflexion und Vergewisserung für einen zentralen praxiszugewandten Bereich der juristischen Arbeit und zeigen zugleich Vertrauen in die Lehr- und Lernbarkeit der juristischen Methode.
Nachtrag vom 19. April 2011: Der »Kommentar« (unten) ist nur ein Verweis auf den Blog Viajura von Hans Jagow. Dort meint der Autor:

Sieht alles ganz nett aus, mich stört nur irgendwie die Joomla-Umsetzung, die mir eher in die Zeit um 2004 passt, als zu 2011. Vielleicht wird sie technisch noch überarbeitet, aber in der Wissenschaft zählt Webdesign ja nicht allzu viel.

Ich muss gestehen, dass ich diesen Kommentar nicht ganz unberechtigt finde. Wie man kreativ mit der WordPress-Blogsoftware ein ansehnliches Design für eine Internetenzyklopädie schaffen kann, zeigt das Beispiel der Internet Encyclopedia of Philosophy (IEP). Auch inhaltlich scheint mir diese Internetenzyklopädie, die anscheinend im Schatten von Stanford steht, beachtlich. Zur »Philosophy of Law« gibt es immerhin zehn Artikel, zur politischen Philosophie 35, darunter viele Personenartikel, die auch für die Rechtsphilosophie einschlägig sind. Unter den Herausgebern und den Verfassern der Artikel habe ich bisher keine Bekannten gefunden. Aber das muss kein Fehler sein.

Anmerkungen

Anmerkungen
1 Ist die Enzyklopädie ein Medium?
2 »Die Medien des Rechts: Sprache« sowie »Die Medien des Rechts: Schrift«. Wer sich schnell einen Eindruck verschaffen will, findet von Vesting in Ancilla Juris 2010 den Aufsatz »Rechtstheorie als Medientheorie (Supplement I) – Überlegungen zur Notwendigkeit der Verknüpfung von Sprachtheorie und Medientheorie«.
3 Die Postmoderne dauert nun schon so lange, dass sie eigentlich vorüber sein müsste. Wie nennen wir denn unser gegenwärtiges Zeitalter? Bis mir etwas Besseres begegnet, spreche ich einmal von Popomo (Postpostmoderne.)
4 Mancher wir hier auf das Werk von Friedrich Müller/Ralph Christensen (Juristische Methodik: Grundlegung für die Arbeitsmethoden der Rechtspraxis,) verweisen, dass 2009 in 10. Auflage erschienen ist. Beide Autoren haben sich als Kritiker der konventionellen Methodenlehre profiliert. Ich bewundere ihr großes Werk. Aber ich bezweifle, dass es praktisch brauchbar ist. Die Brauchbarkeit leidet schon durch die (nicht nur) wegen der ungewöhnlichen Zählweise ungenießbare Gliederung. Sie leidet weiter durch die Einführung neuer oder die Umdeutung alter Begriffe, die nicht zuletzt wegen der relativ alltagsnahen Wortwahl mehrdeutig bleiben. Und sie leidet unter Redundanz und Eigenlob. Für das letztlich doch konventionelle Ergebnis erscheint der enorme Aufwand überzogen. Für die »Rechtsarbeit« braucht man am Ende doch wieder, wenn auch mit manchen Caveats, die alten Methoden.
5 Zuletzt Heiko Sauer, Juristische Methodenlehre, in: Julian Krüper (Hg.), Grundlagen des Rechts, 2011, 168-186.

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In eigener Sache VI: Zitierregeln im Internet

Aus Anlass der für den 9. April in Berlin angekündigten Theorieblog-Tagung will ich hier meinen Kommentar zu den Überlegungen von Marc Scheloske »Wie man Blogs wissenschaftlich korrekt zitiert« wiederholen:
Scheloske hat mit einem Posting vom 4. 12. 2007 zur Frage, »Wie man Blogs wissenschaftlich korrekt zitiert«, eine interessante Diskussion eingeleitet. In der Frage, wie die Quellenangabe für ein Zitat zu fassen ist, bin ich jedoch entschieden anderer Meinung als Scheloske. Man muss immer im Sinn haben, dass es sich bei den Zitierregeln, soweit sie nicht im Urheberrecht festgeschrieben sind, um bloße Konventionen handelt, die in erster Linie unter dem Gesichtspunkt von Zweckmäßigkeit und Fairness stehen.
Bei der Gestaltung hat man deshalb erhebliche Freiheiten, solange man nicht gerade eine Qualifikationsarbeit schreibt, für die Bürokraten Zitierregeln festgelegt haben, oder bei einem Verlag publizieren will, der in seinen Veröffentlichungen Einheitlichkeit verlangt. Die von Scheloske vorgeschlagene Zitierregel ist überkorrekt und unzweckmäßig. Es hilft ihr wenig, dass sie sozusagen der herrschenden Meinung in den üblichen Anleitungen zum wissenschaftlichen Arbeiten entspricht. Wenn ich das Posting vom 4. 12. 2007 hier nach seinem Vorschlag zitieren wollte, müsste ich schreiben: »Scheloske, Marc (2007): Eine Wissenschaft für sich » Wie man Blogs wissenschaftlich korrekt zitiert | Werkstattnotiz XLII. In: Wissenswerkstatt [Weblog], 4 Dez. 2007. Online-Publikation: http://www.wissenswerkstatt.net/2007/12/04/eine-wissenschaft-fuer-sich-wie-man-blogs-wissenschaftlich-korrekt-zitiert-werkstattnotiz-xlii/. Abrufdatum: 21. 10. 2008«.
Mir kommt diese Zitierweise beinahe wie eine Karikatur vor. Jedenfalls ist sie unzweckmäßig, und last not least verschenkt sie gerade die spezifische Chance des Web zur Gestaltung von Verweisen als Hyperlink. Der Vorschlag ist unzweckmäßig, weil das Ergebnis leseunfreundlich, schreibunfreundlich und platzraubend ist. Die Länge steht auch nicht in einem angemessenen Verhältnis zum Quelltext. Allein deswegen dürfte mancher von vornherein auf einen Nachweis verzichten. Wie könnte man stattdessen verfahren? Es ist ein Gebot der Fairness, den Namen des Verfassers zu nennen. Ich selbst nenne in der Regel auch den ausgeschriebenen Vornamen. Alle weiteren Angaben stehen unter dem Erfordernis der Zweckmäßigkeit. Die Angabe des Titels ist nur sinnvoll, wenn er näheren Aufschluss über den Inhalt der Quelle gibt. Im Beispiel wird die Sache dadurch komplizierter, dass der Autor seine Überschrift blumig ausschmückt. »Wie man Blogs wissenschaftlich korrekt zitiert« – das ist für sich genommen ein informativer Titel. Etwas anderes gilt für den ersten Teil »Eine Wissenschaft für sich«. Er soll wohl ironisch andeuten, dass die Zitierregeln kompliziert sind. Vielleicht kam es dem Autor auch auf den Sprachwitz an, der sich durch Gleichklang und Doppelsinn von »wissenschaftlich« und »Wissenschaft« einstellt. Für mich wäre dieser Zusatz Grund, gleich ganz auf die Angabe des Titels zu verzichten. Für überflüssig halte ich die Angabe »Werkstattnotiz XVII«. Ich sehe nicht, dass sie dem Leser helfen könnte. [1]Gemeint ist der Leser des zitierenden Textes. Im (zitierten) Blog ist ein solcher Titelzusatz, wie ich ihn ja auch für diesen Eintrag verwende, sinnvoll, weil er ein bißchen Kohärenz in das … Continue reading Die Entstehungszeit einer Quelle ist dagegen meistens relevant. Es genügt aber das Jahr. Das Datum ist nur notwendig, wenn es gerade darauf ankommt.
Ein neues Medium imitiert regelmäßig zunächst seine Vorgänger. Das ist zweckmäßig nicht zuletzt deshalb, weil es damit an deren Reputation anknüpfen kann. Deshalb leuchtet der Vorschlag ein, die übliche Zitierweise für Sammelwerke zu übernehmen, also zu schreiben »In: Wissenswerkstatt …«. Im zweiten Anlauf kommen mir dann aber Zweifel, ob der Blog-Name wirklich eine brauchbare bibliografische Angabe ist. Nicht selten sind diese Namen eher merkwürdig bis albern. Der Klammerzusatz (»Weblog«) ist andererseits wohl nur sinnvoll, wenn zuvor ein Name dasteht. Ich würde auch darauf verzichten, mindestens aber auf die Kennzeichnung als »Internetpublikation«. Man darf wohl annehmen, dass die Leser wissen, dass Weblogs im Internet veröffentlicht werden.
Der Knackpunkt ist die Angabe der URL. In einem Printmedium gilt diese Angabe als notwendig. [2]Obwohl sie dort wenig hilft, weil das Abtippen schwierig ist. In aller Regel genügt es, wenn man weiß, dass die Quelle im Netz zu finden ist. Dann lässt sie sich viel leichter gugeln. Im Web finde ich sie abwegig. Dafür gibt es den (verdeckten, aber als solchen erkennbaren) Hyperlink. Die Sache wird beinahe skurril, wenn im Permalink noch einmal der ganze Titel wiederholt wird. Damit kann man auch redlichen Autoren das Zitieren abgewöhnen. Zum Schluss noch das Abrufdatum: Auch das ist in meinen Augen nur überflüssiges Perfektionsstreben. Fraglos besteht bei Internetquellen das Problem, dass sie im Inhalt verändert werden oder verschwinden. Wenn die Quelle vom Anbieter aus dem Internet entfernt wird, dann ist sie weg. Da hilft kein Abrufdatum mehr. Und auch Änderungen kann man mit seiner Angabe in der Regel nicht erkennen.
Ich plädiere also für eine möglichst schlanke Zitierweise, die dem Autor Fairness angedeihen lässt und dem Leser nur die unbedingt notwendigen und wirklich hilfreichen Informationen bietet. Bei Internetpublikationen ist sie umso mehr angezeigt, als Fußnoten und angehängte Literaturverzeichnisse dem Medium eher fremd sind. Quellennachweise sollten daher unter Verwendung von Hyperlinks in den Text eingebaut werden, und zwar so, dass die Lesbarkeit des Textes darunter möglichst wenig leidet. Mein Zitiervorschlag für das das Posting, auf das sich diese meine Anmerkungen beziehen, ergibt sich implizit aus dem Eingangssatz. Mehr ist nicht notwendig.

Anmerkungen

Anmerkungen
1 Gemeint ist der Leser des zitierenden Textes. Im (zitierten) Blog ist ein solcher Titelzusatz, wie ich ihn ja auch für diesen Eintrag verwende, sinnvoll, weil er ein bißchen Kohärenz in das blogübliche Piecemeal Writing bringt.
2 Obwohl sie dort wenig hilft, weil das Abtippen schwierig ist. In aller Regel genügt es, wenn man weiß, dass die Quelle im Netz zu finden ist. Dann lässt sie sich viel leichter gugeln.

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In eigener Sache V: Erst schreiben, dann forschen?

Der Wissenschaftsblogger steht in dem Ruf, erst zu schreiben und (wenn überhaupt) dann zu forschen.
The Medium is the Message. Blogtauglich zu schreiben heißt, kurz und subjektiv zu schreiben. Die technischen Medien sind gegenüber möglichen Inhalten nicht neutral. Weblogs sind als Tagebücher angetreten und begegnen deshalb der Erwartung, dass der Blogger etwas Persönliches von sich gibt. Auch wenn der Blog sich einem Sachthema widmet, entspricht der Blogger dieser Erwartung doch mindestens durch den Ich-Stil. Der war früher in der Wissenschaft eher verpönt. Doch die Sitten haben sich gewandelt, und das ist nicht bloß eine Stilfrage, sondern eine Folge des um sich greifenden Konstruktivismus. Wenn das Bemühen um Objektivität ohnehin vergeblich ist, warum soll man dann nicht gleich subjektiv schreiben? Der Historiker Peter Schöttler hat einen »Trend zur autobiographischen Redeweise« konstatiert. [1]In: Alf Lüdtke/Reiner Prass (Hg.), Gelehrtenleben, Wissenschaftspraxis in der Neuzeit, 2008, S. 131-140. »Ich sag mal, also ist’s wichtig«, überschreibt Jürgen Kaube [2]FAZ vom 9. 9. 2008, S. 39. einen Artikel, indem er Schöttlers Beitrag referiert. Kaube sieht den Trend zum Autobiographischen in der Wissenschaft auch als »Zerfall der Vorstellung, die Gelehrten bildeten eine Profession«. Es fehle eigentlich nur noch, so meint er, dass der Leser geduzt würde. In der Blogosphäre ist es soweit.
Es ist schwer, sich den Möglichkeiten des Mediums und den Erwartungen seiner Adressaten zu entziehen. Ein Blogger übernimmt die Selbstverpflichtung, sein »Tagebuch«, wenn auch nicht täglich, so doch kontinuierlich mit Einträgen zu füttern, auch wenn er vielleicht gerade nichts zu sagen hat. Man darf das aber nicht bloß kritisch sehen. Der größere Teil der Blogosphäre dient von vornherein eher dem Selbstgespräch und hat insofern expressive Funktion. Der kleinere Teil erfüllt jedoch anscheinend ein Kommunikations- und Informationsbedürfnis, findet er doch Leser in nennenswerter Zahl.
Auf Dauer ist für die Reputation des Wissenschaftsblogging wohl ein Code of Conduct erforderlich. Er sollte u. a. folgende Fragen behandeln:
1. Nachträgliche Änderungen von Einträgen: Ein Eintrag lässt sich nachträglich verändern, ohne dass der Leser die Änderung erkennt. Bei offensichtlichen Unrichtigkeiten, insbesondere bei Schreibfehlern, ist das ohne weiteres in Ordnung. Größere inhaltliche Veränderungen sollten aber als Nachtrag gekennzeichnet werden.
2. Anonyme Kommentare müssen nicht zugelassen werden.
3. Verdeckte Eigenkommentare sollten verpönt sein.
4. Zitate und Nachweise: Bei Verweisen auf Quellen, die im Internet verfügbar sind, genügt statt schulmäßiger bibliographischer Angaben der Hyperlink. Es wirkt eher lächerlich, wenn man selbst solche Angaben als »Zitiervorschlag« anbietet, wie es in meinem Blog »Recht anschaulich« geschieht. Das hat dort – gegen meinen Willen – der Verleger eingeführt, der die Software pflegt.
Andere haben zum Thema Wissenschaftsblogging sicher mehr und Besseres zu sagen. Wahrscheinlich findet man etwas auf einem Workshop »Blogs in den Sozialwissenschaften – Stand und Perspektiven«, der am 9. April 2011 in Berlin stattfinden soll. Eingeladen hat das Team vom Theorieblog. Kontakt über Thorsten Thiel, Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt, Exzellenzcluster »Herausbildung Normativer Ordnungen«, Senckenberganlage 31, 60325 Frankfurt am Main, Mail thorsten.thiel[at]googlemail.com. Und hier das Programm:Theorieblogtagung_April2011-2.
Nachtrag vom 21. April 2011:
Einen »kollaborativen Bericht« vom Berliner Theorieblog-Workshop am 9. April 2011 findet man heute auf Theorieblog. So richtig Aufregendes habe ich da nicht gelesen. Meinen eigenen Blog finde ich unter den »drei Idealtypen von Wissenschaftsblogs – 1) Wissenschaftliches Feuilleton (à la Crooked Timber), 2) Dienstleistungsblog (à la Pea Soup), 3) ›bewusst persönlich gehaltenes‹ Tagebuch (à la The Philosophy Smoker)« nicht wieder. Meiner Position am nächsten kommt diejenige, die in dem Bericht Leonhard Dobusch (Governance Across Borders) zugeschrieben wird: Das Schaffen von/Hineinwirken in Öffentlichkeit nicht unbedingt ein notwendiges Ziel eines Wissenschaftsblogs. Wissenschaftsblogs können auch einfach dazu da sein, die eigenen Gedanken zu erproben und damit einem rein innerwissenschaftlichen Ziel folgen. Aber auch das »dissenting opinion« von Elmar Diederichs »Scientific or Research Blogging?« enthält einige Positionen, denen ich zustimmen kann.
Nachtrag vom 3. Mai 2011:
In den USA ist man in vieler Hinsicht schneller. Ein »Bloggership Symposium«, auf dem man sich über juristische Wissenschaftsblogs unterhielt, gab es schon vor fünf Jahren in Harvard. Fünfzehn einschlägige Manuskripte können bei SSRN heruntergeladen werden. Ich habe mir noch nicht die Mühe gemacht, sie durchzusehen.

Anmerkungen

Anmerkungen
1 In: Alf Lüdtke/Reiner Prass (Hg.), Gelehrtenleben, Wissenschaftspraxis in der Neuzeit, 2008, S. 131-140.
2 FAZ vom 9. 9. 2008, S. 39.

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Begriffssoziologie VI: Zur funktionalen Seite der Konstitutionalisierung

Dieses Posting setzt den Beitrag über die strukturelle Seite der Konstitutionalisierung fort.
Strukturelle Kopplungen haben die »paradoxe« Funktion, die Teilsysteme der Gesellschaft zu verknüpfen und sie dabei gleichzeitig auf Abstand zu halten.
»Politische Verfassungen haben in systemtheoretischer Sicht die konstitutive Funktion, die in der Neuzeit gewonnene Autonomie der Politik gegenüber ›fremden‹ religiösen, ökonomischen, militärischen Machtquellen dadurch abzustützen, dass sie das der Politik ›eigene‹ Machtmedium formalisieren.« [1]Teubner, Verfassungen ohne Staat?, 2010, Internetfassung S. 17.
Eine »Verfassung« stützt die Autonomie des Systems gegenüber anderen Systemen, und zwar – paradoxerweise Weise, möchte man sagen – dadurch, dass mit ihr das System seinen eigenen Expansionsdrang bremst. Die Verfassung des Staates ist fungiert als strukturelle Kopplung zwischen Politik und Recht. Zentrale Bestandteile der Verfassung sind Grundrechte und Gewaltenteilung. Grundrechte markieren und stützen die soziale Differenzierung, die sich in den Gesellschaften der westlichen Welt herausgebildet hat. Gewaltenteilung sorgt dafür, dass das Rechtssystem tut, was die Politik verlangt, allerdings nur, soweit das Verlangen »verfassungsgemäß« in Gesetzesform geäußert wird. Umgekehrt kann sich die Politik nur noch in eben dieser Form in das Recht einmischen. Mit der Staatsverfassung legt die Staatsgewalt sich selbst Zügel an. Als strukturelle Kopplung von Recht und Politik erzeugt die Verfassung einen Meta-Code, der die Systemcodes überlagert, und zwar den Code verfassungsmäßig/verfassungswidrig. So wirkt die Verfassung als Selbstbeschränkung der Politik. [2]Luhmann, RdG 446, 468 ff.
Die Analogie legt nahe, dass auch transnationale Rechtsregimes sich durch eine »Verfassung« selbst beschränken könnten. Über diese Analogie werden die neuen transnationalen Rechtsregime als »globale Zivilverfassungen« in den Adelsstand des Verfassungsrechts erhoben: Die privaten Rechtsregimes verfügen über strukturelle Kopplungen zu anderen Systemen. Die strukturelle Kopplung des Rechts mit der Politik heißt Verfassung. Also verfügen die Regimes über eine Verfassung, wenn es ihnen gelingt, sich mit anderen Systemen strukturell zu verkoppeln. Und so werden aus autonomen Privatregimes Verfassungen. Sicher kann man den Verfassungsbegriff so definieren, dass auch die Satzung eines Kaninchenzüchtervereins darunter fällt. Aber das ist höchst unzweckmäßig.
Der Gedanke der Selbstbeschränkung bleibt aber interessant, weil damit eine Einfallstelle für die Gemeinwohlorientierung von transnationalen Rechtsregimes benannt wird, die herkömmlich mit der »öffentlichen« Seite des Rechts in Verbindung gebracht wird. Nach dem Vorbild der Staatsverfassungen soll das neue Weltrecht sich mit den anderen Teilsystemen der Gesellschaft in einer Weise verkoppeln, die deren Expansionsdrang Zügel anlegt.
»Der Witz der Meta-Codierung aber liegt nun darin, dass sie nicht nur dem Rechtscode übergeordnet ist, sondern zugleich dem Wirtschaftscode, dass sie also alle ökonomisch binär codierten Operationen der Unternehmung der Reflexion aussetzt, ob sie den Grundsätzen einer öffentlichen Verantwortung der Unternehmung entsprechen oder nicht.« [3]Selbst-Konstitutionalisierung, 2010, 10 f. Unerklärt bleibt, wieso auch diese Verfassungen miteinander in Konflikt geraten; Vgl. Fischer-Lescano/Teubner, Regime-Kollisionen, 2006, 26: »In der … Continue reading
Die Idee ist einleuchtend. Aber vielleicht ist sie zu schön, um wahr zu sein. Woher kommt die Zuversicht, dass die Selbstkonstitutionalisierung auch zu einer sozialverträglichen Selbstbeschränkung führt? »Theoretisch« gibt es dafür keine andere Begründung als die Analogie zur Staatsverfassung. Die Ausdifferenzierung der Gesellschaft in Funktionssysteme und die Ausbildung struktureller Kopplungen sind evolutionäre Prozesse. Luhmann verwies auf die politische Situation im letzten Drittel des 18. Jahrhundert, in dem in den USA die explizit ausformulierte Staatsverfassung erfunden wurde. Der dafür nötige »Druck« resultierte aus zwei sozialen historischen Entwicklungen. Die feudalistischen Verhältnisse in Europa hatten sich wirtschaftlich überlebt und die Kolonien in der neuen Welt wollten vom Mutterland politisch unabhängig werden. Die Folgerung liegt nahe, dass sich mit dem aktuellen Evolutionsschub der weltweiten Ausbreitung der Funktionssysteme auch neue strukturelle Kopplungen aufbauen, die einen wechselseitigen Verkehr über die Systemgrenzen hinweg ermöglichen, ohne die Grenzen einzureißen. Aber was sich am Ausgang des 18. Jahrhunderts ereignete, war geprägt durch eine konkrete historische Situation, das Ergebnis deshalb kontingent, das heißt es hätte unter anderen Umständen anders ausfallen können. Tatsächlich gab und gibt es Staatsverfassungen, die das Verhältnis zwischen Recht und Politik weniger freundlich gestalten. In vielen Staaten ist zu beobachten, dass auch autoritäre oder diktatorische Regime die Grenzen zwischen Politik und Recht nicht ganz abschaffen, sondern mindestens äußerlich auf demokratischen Wahlen und rechtliche Formen sogar gesteigerten Wert legen. Deshalb kann Theorie nicht versprechen, dass eine Konstitutionalisierung immer die erhofften positiven Wirkungen hat. Die Evolution schlägt nicht unbedingt den Kurs ein, den ihre Theoretiker sich wünschen. Man muss auch bösartige strukturelle Kopplungen für möglich halten.

Anmerkungen

Anmerkungen
1 Teubner, Verfassungen ohne Staat?, 2010, Internetfassung S. 17.
2 Luhmann, RdG 446, 468 ff.
3 Selbst-Konstitutionalisierung, 2010, 10 f. Unerklärt bleibt, wieso auch diese Verfassungen miteinander in Konflikt geraten; Vgl. Fischer-Lescano/Teubner, Regime-Kollisionen, 2006, 26: »In der Fragmentierung des globalen Rechts wirken genuine Verfassungskonflikte, die letztlich über autonome Rechtsregimes vermittelt auf in der Weltgesellschaft institutionalisierte Rationalitätenkollisionen zurückzuführen sind.«

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Lawfare II

Im Artikel vom 13. März 2010 hatte ich über die Herkunft und den unterschiedlichen Gebrauch von »Lawfare« berichtet. Ich hatte gehofft, diesen Ausdruck wertneutral zur Kennzeichnung juristischer Strategien verwenden zu können, mit denen Opfer von Menschenrechtsverletzungen, ihre Anwälte und vor allem NGOs versuchen, über Ländergrenzen hinweg Ansprüche durchzusetzen, die auf transnationales Recht gestützt werden, besonders natürlich auf Menschenrechtsverletzungen. Doch daran sah ich mich gehindert, weil der Begriff nach Entstehungsgeschichte und tatsächlicher Verwendung eher dazu dient, die Berufung nichtstaatlicher Akteure auf Menschenrechte gegenüber kriegerisch staatlichen Maßnahmen herabzusetzen. Nicht durchgesetzt hat sich dagegen die Bedeutung, die John L. Comaroff dieser Wortschöpfung beilegen wollte, nämlich die Kennzeichnung des Missbrauchs der Rechtsform zunächst durch die Kolonialmächte und heute durch autoritäre Regime in den Entwicklungsländern.
Vor allem die Auseinandersetzung zwischen Israel und den Palästinensern ist zum Schauplatz von Lawfare in dem Sinne geworden, den Dunlop dem Ausdruck mitgegeben hatte. Als Beispiel dafür gibt es bei SSRN ein ausführliches Manuskript von Michael G. Kearney (Lawfare, Legitimacy, and Resistance: The Weak and the Law, Juni 2010). Kearney spricht von einem Lawfare-Narrativ, das man in Israel aufgebaut habe, um eine drohende Delegitimierung des Kampfes gegen die Hisbollah und die Hamas abzuwehren.

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Begriffssoziologie V: Konstitutionalisierung strukturell

In vielen Texten Teubners und seiner Schule ist von Konstitutionalisierung, Selbstkonstitutionalisierung, Zivilverfassungen oder von »Verfassung ohne Staat« die Rede. [1]Andreas Fischer-Lescano, Globalverfassung, Die Geltungsbegründung der Menschenrechte, 2005; Gunther Teubner, Globale Zivilverfassungen: Alternativen zur staatszentrierten Verfassungstheorie, … Continue reading Dahinter steckt die These von der Ablösung staatszentrierter Verfassungen durch die »Konstitutionalisierung« einer Vielheit von autonomen weltgesellschaftlichen Teilsystemen (societal constitutionalism). Sie knüpft an die Redeweise des Völkerrechts und der Politikwissenschaft an, wenn dort die Verdichtung globaler Rechtsphänomene als Konstitutionalisierung bezeichnet wird. Teubner (2003) bezieht sich zusätzlich auf den amerikanischen Soziologen David Sciulli, der ein Konzept eines »societal constitutionalism« entwickelt hatte. [2]David Sciulli, The Theory of Societal Constitutionalism, Foundations of a Non Marxist Critical Theory, Cambridge 1992. Sciulli hat allerdings etwas anderes im Sinn, nämlich eine Umstellung … Continue reading
Juristisch redet man von der Konstitutionalisierung der Rechtsordnung im Hinblick auf den Vorrang der Verfassung gegenüber allem einfachen Recht, der sich insbesondere in der Drittwirkung der Grundrechte äußert. [3]Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 3. Aufl. 2008, 413 ff. Dabei bleibt die Verfassung im Staat. Es gibt aber auch in der Rechtswissenschaft die Idee eines vom Nationalstaat abgelösten Konstitutionalismus. So hat Ingolf Pernice in Anlehnung an den von Habermas geprägten Begriff der »postnationalen Konstellation« für das zusammenwachsende Europa eine »postnationale Verfassungstheorie« vorgeschlagen. [4]Ingolf Pernice, Europäisches und Nationales Verfassungsrecht, Vortrag, 2004. Im gleichen Sinne schreiben die Völkerrechtlerin Anne Peters [5]Anne Peters, Rechtsordnungen und Konstitutionalisierung: Zur Neubestimmung der Verhältnisse, ZÖR 65 , 2010, 3-63; dies., Grundlage europäischer Konstitutionalisierung: Die Entkopplung von … Continue reading und Neil Walker von der London School of Economics [6]Neil Walker, The Idea of Constitutional Pluralism, Modern Law Review 65, 2002, 317-359, Internetfassung S. 36; ders., Taking Constitutionalism Beyond the State, RECON Online Working Paper 2007/05; … Continue reading Dagegen hält Dieter Grimm die Verwendung des Konstitutionalisierungsbegriffs für verfehlt, weil dieser Begriff durch »Errungenschaften« der klassischen Staatsverfassungen ausgefüllt werde, die im Weltrecht nirgends anzutreffen seien. [7]Dieter Grimm, Gesellschaftlicher Konstitutionalismus: Eine Kompensation für den Bedeutungsschwund der Staatsverfassung?, in: Matthias Herdegen u. a. (Hg.), Staatsrecht und Politik, Festschrift für … Continue reading[8]Der Verlag Cambridge University Press hat eine neue Zeitschrift mit dem Titel »Global Constitutionalism« angekündigt, die ab 2012 erscheinen soll. Im »Call for Papers« heißt … Continue reading
Den Konstitutionalisierungsbegriff könnte man noch hinnehmen. Besser wäre es, von Verrechtlichung zu sprechen. Missverständlich, ja missbräuchlich ist es jedoch, wenn das Ergebnis von Konstitutionalisierungsprozessen als Verfassung bezeichnet wird, weil mit dem Verfassungsbegriff unlösbar die Konnotation der Staatsverfassung einhergeht, die nicht nur Verwirrung stiftet, sondern auch einen ungerechtfertigten Legitimationstransfer bewirkt. [9]Insofern kritisch auch Armin von Bogdandy/Sergio Dellavalle, Die Lex mercatoria der Systemtheorie, in: Gralf-Peter Calliess u. a. (Hg.), Soziologische Jurisprudenz, Festschrift für Gunther Teubner … Continue reading
Der Vorgang, der von der Systemtheorie als Selbstkonstitutionalisierung beschrieben wird, hat eine strukturelle, eine funktionale und eine empirische Seite. Unter dem Gesichtspunkt der Strukturbildung werden als »verfassungstypische Merkmale« doppelte Reflexivität und »binäre Metacodierung« verlangt. Als verfassungstypische Funktionen einer Selbskonstitutionalisierung werden Autonomiebildung und Selbstbeschränkung gegen sozialschädliche Tendenzen genannt. [10]Selbst-Konstitutionalisierung, 2010, 7. Empirisch werden »Lernpressionen« angeführt, die die Selbstkonstitutionalisierung vorantreiben.
Heute also zur strukturellen Seite der Konstitutionalisierung:
Strukturell ist Selbskonstitutionalisierung mehr als Verrechtlichung. Unterschieden werden drei Stufen der Rechtsbildung: [11]Zuletzt in Selbst-Konstitutionalisierung, 2010, S. 7 f.
Bloße Juridifizierung eines sozialen Bereichs durch Regelbildung für Verhalten und/oder Konfliktregelung (private ordering).
Systembildung durch doppelte Reflexivität oder Hyperzyklus: Es gibt sekundäre Normen, welche die Identifizierung sowie Kompetenz und Verfahren zum Erlass von primären Normen regeln. [12]Für die Unterscheidung von primären und sekundären Regeln verweist Teubner immer wieder auf Herbert L. A. Hart, The Concept of Law, 1961, Oxford: Clarendon, 77 ff.
Konstitutionalisierung durch strukturelle Verknüpfung verschiedener Systeme und binäre Meta-Codierung.
Der Umschlag von bloßer Regelbildung (private ordering) zum Recht erfolgt mit dem Vorgang, den Teubner früher [13]Hyperzyklus in Recht und Organisation. Zum Verhältnis von Selbstbeobachtung, Selbstkonstitution und Autopoiese, in: Hans Haferkamp/Michael Schmid (Hg.), Sinn, Kommunikation und soziale … Continue reading als Hyperzyklus vorstellt hatte. In neueren Veröffentlichungen spricht er schlichter von sekundärer Normierung. Gemeint ist, dass ein sozialer Bereich nicht bloß über Regeln zur Verhaltenssteuerung verfügt, sondern Kriterien entwickelt, nach denen intern entschieden wird, welche Regeln zum System gehören und welche nicht. Wenn dann der Systemcode der Recht/Unrecht-Code ist, handelt es sich eben um Recht.
Gelegentlich entsteht der Eindruck, Konstitutionalisierung werde mit dem Überschreiten dieser Schwelle der Verrechtlichung (= operative Schließung des Systems) gleichgesetzt. Dann wäre der Konstitutionalisierungsbegriff eigentlich überflüssig.
»Die Politik, die Wirtschaft, die Wissenschaft, die Massenmedien konstituieren sich als autonome Sozialsysteme unter anderem dadurch, dass sie sich eine Verfassung geben. Verfassungsprozesse sind ein Fall der ›doppelten Schließung‹ im Sinne von Heinz von Foerster. Sie werden dadurch ausgelöst, dass Sozialsysteme über ihre operative Schließung erster Ordnung hinaus eine Schließung zweiter Ordnung entwickeln, indem sie ihre Operationen reflexiv auf ihre Operationen anwenden. Wissenschaft gewinnt ihre Autonomie erst dann, wenn es gelingt, über die am Wahrheitscode orientierten Erkenntnisoperationen eine zweite Erkenntnisebene einzuziehen, auf der die Erkenntnisoperationen erster Ordnung ihrerseits mit methodischen und erkenntnistheoretischen Operationen auf ihren Wahrheitswert geprüft werden. Die Politik wird dann zu einer autonomen Machtsphäre der Gesellschaft, wenn sie Machtprozesse mit Hilfe von Machtprozessen dirigiert und über Festlegung von Wahlverfahren, Organisationsweisen, Kompetenzen, Gewaltenteilung und Grundrechten eine doppelte Schließung der Machtprozesse herstellt.« [14]Teubner, Verfassungen ohne Staat?, 2010, Internetfassung S. 20.
Doch wenn man weiter liest, bleibt kein Zweifel, dass nicht jedes autonome Sozialsystem über eine »Verfassung« verfügt, sondern dass Konstitutionalisierung zusätzlich einen »Ultrazyklus« voraussetzt, das heißt eine strukturelle Kopplung zwischen zwei Systemen mit einem binären Meta-Code.
»Auf der Meta-Ebene fungiert der Verfassungscode, denn er unterwirft Entscheidungen, die bereits unter der binären Recht/Unrecht-Codierung gefällt wurden, einer zusätzlichen Prüfung, nämlich ob sie sozialverfassungsrechtlichen Anforderungen entsprechen. Hier entsteht also die für alle Verfassungen – für politische Staatsverfassungen, für Sozialverfassungen oder für Organisationsverfassungen – typische Hierarchie zwischen einfachem Recht und Verfassungsrecht, ›the law of the laws‹. Dem Rechtscode (rechtmäßig/rechtswidrig) wird der Verfassungscode des jeweiligen Sozialbereichs (verfassungsmäßig/verfassungswidrig) übergeordnet. … Dieser gewiss nicht einfach gebaute Zusammenhang von struktureller Kopplung und ihrer hybriden Meta-Codierung … « [15]Teubner, Verfassungen ohne Staat?, 2010, Internetfassung S. 26.
In der Tat, dieser Zusammenhang ist nicht einfach gebaut.
Von Luhmann wissen wir: Die strukturelle Kopplung zwischen Recht und Politik wird durch die Verfassung hergestellt, diejenige zwischen Recht und Wirtschaft durch Vertrag und Eigentum. [16]Luhmann, GdG 1997, 782 f.; RdG 1993, 452 ff. Aus dem Ultrazyklus der strukturellen Kopplung entwickelt sich ein »Meta-Code«, der sich dem binären Code der Funktionssysteme überordnet, ohne sie zu einem System höherer Ordnung zusammenzufügen. Der Meta-Code für das Systempaar Politik und Recht lautet verfassungsmäßig/verfassungswidrig.
Folgt man der Konstruktion Teubners, so stellt sich die Frage, welche Systeme und auf welcher Ebene die Systeme verkoppelt werden sollen. Es geht kaum um die Kopplung von Recht und Politik.
»Autokonstitutionelle Regimes zeichnen sich dadurch aus, dass sie reflexive Prozesse des Rechts mit reflexiven Prozessen anderer Sozialbereiche, also gerade nicht nur der Politik, verknüpfen.« [17]Fischer-Lescano/Teubner, Regime-Kollisionen, S. 54.
Das politische System ist eher noch weniger globalisiert als das Rechtssystem. Beide leiden auf globaler Ebene wechselseitig kaum unter ihrem Expansionsdrang. In erster Linie geht es darum, dem Expansionsdrang des Wirtschaftssystems Einhalt zu bieten.
Im Verhältnis zwischen Recht und Wirtschaft hatte Luhmann die strukturelle Kopplung nicht in einer Verfassung, sondern in den Institutionen »Eigentum« und »Vertrag« verortet. Die Wirtschaft kann kein Recht setzen. Aber sie kann Verträge schließen und Eigentum schaffen und darüber verfügen, und das Rechtssystem muss diese Operationen als solche akzeptieren. Umgekehrt kann das Recht auf die Wirtschaft Einfluss nehmen, indem es Vertrag und Eigentum nach seinen Maßstäben inhaltlich definiert. Bei Luhmann blieb der Meta-Code für die strukturelle Kopplung von Recht und Wirtschaft offen. Teubner führt als Kopplungsstrukturen zusätzlich Wettbewerb und Geldwährung ein. [18]Teubner, Verfassungen ohne Staat?, 2010, Internetfassung S. 24. Daneben kennt er auf Subsystemebene auch noch weitere Kopplungen. Für alle soll derselbe Meta-Code gelten:
»Die Differenz verfassungsmäßig/verfassungswidrig entwickelt sich zu einem binären Meta-Code innerhalb der strukturellen Kopplung zwischen Wirtschaft und Recht, der sich sowohl dem Rechtscode als auch dem Wirtschaftscode überordnet.« [19]Teubner, Verfassungen ohne Staat?, 2010, Internetfassung S. 3.
Für die Verkopplung der territorialen Rechte mit der Wirtschaft wäre dieser Code plausibel, denn über die Drittwirkung der Grundrechte wird auch die Wirtschaft indirekt mit den politischen Grundentscheidungen der Verfassung verkoppelt. Aber das neue Weltrecht, das dem Weltwirtschaftssystem gegenübersteht, verfügt nicht über den Rückhalt einer Verfassung, mit der es Vertrag und Eigentum, Wettbewerb und Geldwährung und weiteren Kopplungen auf globaler Ebene einen sozialverträglichen Inhalt geben könnte. Damit fehlt dem Meta-Code die »Programmierung«, ohne die mit ihm nicht viel anzufangen ist.
Fraglich ist weiter, auf welcher Ebene die Verkopplung der Systeme stattfindet. Der folgende Text deutet in Richtung auf die Verkopplung der gesellschaftlichen Funktionssysteme als solcher, im konkreten Fall von Recht und Wirtschaft:
»… der Endpunkt einer Konstitutionalisierung – sei es in der Politik, sei es in der Wirtschaft, sei es in anderen Sozialbereichen – ist erst dann erreicht, wenn sich ein eigenständiger Verfassungs-Code, eine binäre Meta-Codierung, und zwar innerhalb der strukturellen Kopplung von Recht und betroffenem Sozialsystem, herausbildet, und wenn sich die internen Prozesse der gekoppelten Systeme daran orientieren.« [20]Teubner, Verfassungen ohne Staat?, 2010, Internetfassung S. 26.
Eine Verkopplung der (Welt-)Funktionssysteme liefe auf eine einheitliche Weltverfassung hinaus. Die Weltgesellschaft, der eine eigene »Gesamtrationalität« zugeschrieben wird [21]Teubner, Globale Zivilverfassungen, 2003, Internetfassung S. 7. , soll sich selbst eine Verfassung geben.
»Wenn es richtig ist, dass die Abwehr von drei Kollisionsgefahren im Zentrum steht – Selbstdestruktion des Systems, Umweltschädigung im weitesten Sinne (Gefährdung der Integrität der sozialen, humanen und natürlichen Umwelten), Gefährdung der Weltgesellschaft – dann ist die zweite Option vorzuziehen. Dies ist die Botschaft eines gesellschaftlichen Konstitutionalismus. Eine globale Verfassungsordnung steht vor der Aufgabe: Wie kann externer Druck auf die Teilsysteme so massiv erzeugt werden, dass in ihren internen Prozessen Selbstbeschränkungen ihrer Handlungsoptionen wirksam werden?« [22]Teubner, Verfassungen ohne Staat?, 2010, Internetfassung S. 7, 9.
Der Gedanke an eine Weltverfassung wäre, wenn man an die Analogie zur Staatsverfassung denkt, konsequent. Aber er passt nicht zu den zentralen Aussagen der systemtheoretischen Analyse, nach denen das neue Weltrecht polyzentrisch und heterarchisch strukturiert ist. Eine Globalverfassung ist allenfalls der »Endpunkt einer Konstitutionalisierung«. Zunächst muss man die Kandidaten für eine Konstitutionalisierung auf der Ebene der Subsysteme suchen.
Fischer-Lescano und Teubner werden bei den transnationalen Rechtsregimes fündig. Diese verfügen über strukturelle Kopplungen zu anderen »autonomen Sozialbereichen«. [23]Fischer-Lescano/Teubner, Regime-Kollisionen, 2006, 53 ff.; für die lex mercatoria schon Teubner, Globale Bukowina, 1996, Internetfassung S. 23. Allerdings lassen sich diese Kopplungen nicht so plakativ benennen wie für die territorial begrenzten Rechtssysteme. Ja, eigentlich werden sie überhaupt nicht benannt, sondern vorausgesetzt und behauptet. Es bleibt offen, wo konkret der Widerpart der Kopplung zu suchen ist. Handelt es sich um ein Funktionssystem als Ganzes oder um ein Subsystem? Offen ist ferner, welche Struktur die Kopplung bewirkt. Schließlich fehlen Angaben zu dem »Programm«, nämlich den Regeln, die darüber entscheiden, wie die Code-Werte zugeteilt werden, was also verfassungsmäßig oder verfassungswidrig ist.
Das jüngste Objekt der Konstitutionalisierung sind die transnationalen Unternehmen (Transnational Corporations = TNC) mit ihren Corporate Codes of Conduct (nicht zu verwechseln mit binären Systemcodes). Auch sie bilden »buchstäblich Verfassungen ohne Staat«. [24]Selbst-Konstitutionalisierung, 2010, 9.
Die Corporate Codes of Conduct werden von Teubner auch als Unternehmensverfassungen bezeichnet. Hier ist der Gebrauch des Verfassungsbegriffs doppelt verfehlt, nicht nur wegen der tendenziösen Konnotation zur Staatsverfassung, sondern auch deshalb, weil die Unternehmensverfassung als Terminus des Gesellschaftsrechts nicht mit einem Corporate Code of Conduct deckungsgleich ist.
TNC sind Organisationen, die man gleichzeitig als Rechtsgebilde und als Wirtschaftsunternehmen betrachten kann. So betrachtet gehören sie als Subsysteme sowohl dem Rechtssystem als auch dem Wirtschaftssystem an. Teubners These besagt, dass der Code of Corporate Conduct die strukturelle Kopplung zwischen dem Unternehmen als Teil des Rechtssystems und dem Unternehmen als Teil des Wirtschaftssystems herstellt. Bei den TNC wird klarer, wer mit wem wodurch verkoppelt ist, nämlich die TNC als Wirtschaftsunternehmen über ihre Codes of Conduct mit dem offiziellen Recht, und zwar hier speziell mit den Richtlinien für die Unternehmensverantwortung, wie sie von UNO, ILO und OECD vorgehalten werden.
Doch mit dem einfachen Ultrazyklus ist es nicht getan. Er wird zusätzlich noch durch eine »ultrazyklische Verknüpfung privater und staatlicher Codes« getoppt. Spätestens hier fällt es schwer, den systemtheoretischen Begriffsfaden festzuhalten, zumal wieder neue Begriffe eingeführt werden, die nicht zum geläufigen Bestand der systemtheoretischen Terminologie gehören: Rechtsräume, Systeme, die im strengen Sinne keine sind, strukturelle Schließungen.
»Es entstehen zwei unabhängige Rechtsräume, ein autonomes privat geordnetes zwingendes Binnenrecht der Unternehmen und ein staatlich geregeltes Ensemble normativer Verhaltensempfehlungen. Die genauere Bestimmung dieser wechselseitig geschlossenen Rechtsräume ist nicht einfach. Jedenfalls handelt es sich nicht um Systeme im strengen Sinne, die sich durch operative Schließung bilden. Ihre Schließung beruht gerade nicht auf der Unterschiedlichkeit ihrer Operationen, denn beide Code-Ordnungen werden durch Rechtsoperationen gebildet. Vielmehr entsteht ihre wechselseitige strukturelle Schließung durch strikte Geltungsbeschränkung auf den jeweiligen Bereich und durch ihre unterschiedliche Qualität als zwingende Normierung und bloße normative Empfehlung.« [25]Selbst-Konstitutionalisierung, 2010, 15 f.
Dann folgt ein Sprung von den Rechtsräumen zu »geschlossenen Netzwerken«. Das eine Netzwerk ist der »Rechtsraum« mit den privaten Codes of Conduct, das andere der »Rechtsraum« der völkerrechtlich basierten Codes. Um ein Netzwerk handelt es sich im ersteren Fall, weil die privaten Codes of Conduct nicht nur für ein Einzelunternehmen formuliert werden, sondern weil sie darüber hinaus für ganze Konzerne mit ihren Auslandsniederlassungen und schließlich für Zulieferunternehmen und Absatzketten gelten; im anderen Fall, weil es zwischen den Corporate Codes von ILO, UNO, OECD und EU Querverbindungen gibt. Und schließlich sind es diese Netzwerke, die strukturell verkoppelt sind.
Zur funktionalen Seite der Konstitutionalisierung vielleicht ein anderes Mal.
Nachtrag vom 22. Juni 2012:
Gunther Teubner lässt nicht locker, wenn es um seine Idee einer staatsunabhängigen Konstitutionalisierung geht. In der Reihe »Suhrkamp Wissenschaft« ist soeben der Band »Verfassungsfragmente: Gesellschaftlicher Konstitutionalismus in der Globalisierung« erschienen. Auf einer Tagung in Montcalieri bei Turin hat er seine Idee diskutieren lassen. Darüber berichtet Maximilian Steinbeis in der heimlichen Juristenzeitung vom 23. Mai 2012 S. N4 unter der Überschrift »Occupy the Law!«.

Anmerkungen

Anmerkungen
1 Andreas Fischer-Lescano, Globalverfassung, Die Geltungsbegründung der Menschenrechte, 2005; Gunther Teubner, Globale Zivilverfassungen: Alternativen zur staatszentrierten Verfassungstheorie, Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht 63, 2003, 1-28; ders., Selbst-Konstitutionalisierung transnationaler Unternehmen? Zur Verknüpfung »privater« und »staatlicher« Corporate Codes of Conduct, in: Stefan Grundmann u. a., Unternehmen, Markt und Verantwortung. Festschrift für Klaus Hopt, 2010, 1449-1470; ders., Verfassungen ohne Staat? Zur Konstitutionalisierung transnationaler Regimes, in: Klaus Günther/Stefan Kadelbach (Hg.), Recht ohne Staat 2010, im Erscheinen.
2 David Sciulli, The Theory of Societal Constitutionalism, Foundations of a Non Marxist Critical Theory, Cambridge 1992. Sciulli hat allerdings etwas anderes im Sinn, nämlich eine Umstellung soziologischen Denkens von Sozialkontrolle auf Integration. Er setzt seine Hoffnung auf die »collegial form«, wie man sie etwa bei den freien Berufen findet.
3 Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 3. Aufl. 2008, 413 ff.
4 Ingolf Pernice, Europäisches und Nationales Verfassungsrecht, Vortrag, 2004.
5 Anne Peters, Rechtsordnungen und Konstitutionalisierung: Zur Neubestimmung der Verhältnisse, ZÖR 65 , 2010, 3-63; dies., Grundlage europäischer Konstitutionalisierung: Die Entkopplung von Verfassung und Staat.
6 Neil Walker, The Idea of Constitutional Pluralism, Modern Law Review 65, 2002, 317-359, Internetfassung S. 36; ders., Taking Constitutionalism Beyond the State, RECON Online Working Paper 2007/05; .ders., Multilevel Constitutionalism: Looking Beyond the German Debate, LSE ‘Europe in Question’ Discussion Paper Series, 2009.
7 Dieter Grimm, Gesellschaftlicher Konstitutionalismus: Eine Kompensation für den Bedeutungsschwund der Staatsverfassung?, in: Matthias Herdegen u. a. (Hg.), Staatsrecht und Politik, Festschrift für Roman Herzog zum 75. Geburtstag, 2009, 67-81.
8 Der Verlag Cambridge University Press hat eine neue Zeitschrift mit dem Titel »Global Constitutionalism« angekündigt, die ab 2012 erscheinen soll. Im »Call for Papers« heißt es:
»Constitutionalism is understood here not as the study of a legal document, but as a reference frame for interdisciplinary research with a particular focus. Constitutionalism in a wide sense is associated with the study of the constitutive elements of legal and political practice that are central for the assessment of its legality or legitimacy. Constitutionalism does not presuppose the existence of a written constitution. It merely presupposes the interplay between social and institutional practices in which claims to legality and, therefore, legitimate authority, and democracy are central. Constitutionalism analyses the role of fundamental norms, the type of actors, and the institutions and procedures through which legal and political decisions are made. In a more narrow modern sense constitutionalism focuses on the basic ideas relating to justice (such as human rights), procedural fairness and participation (e.g. democracy) and the rule of law as they relate to institutional practices and policies in and beyond the state.«
In dieser Definition ist alles Gute und Schöne versammelt.
9 Insofern kritisch auch Armin von Bogdandy/Sergio Dellavalle, Die Lex mercatoria der Systemtheorie, in: Gralf-Peter Calliess u. a. (Hg.), Soziologische Jurisprudenz, Festschrift für Gunther Teubner zum 65. Geburtstag, Berlin 2009, S. 695-715/714.
10 Selbst-Konstitutionalisierung, 2010, 7.
11 Zuletzt in Selbst-Konstitutionalisierung, 2010, S. 7 f.
12 Für die Unterscheidung von primären und sekundären Regeln verweist Teubner immer wieder auf Herbert L. A. Hart, The Concept of Law, 1961, Oxford: Clarendon, 77 ff.
13 Hyperzyklus in Recht und Organisation. Zum Verhältnis von Selbstbeobachtung, Selbstkonstitution und Autopoiese, in: Hans Haferkamp/Michael Schmid (Hg.), Sinn, Kommunikation und soziale Differenzierung, 1987, 89-128; Recht als autopoietisches System, 1989, 36 ff.; Verrechtlichung – ein ultrazyklisches Geschehen, 1997.
14 Teubner, Verfassungen ohne Staat?, 2010, Internetfassung S. 20.
15, 20 Teubner, Verfassungen ohne Staat?, 2010, Internetfassung S. 26.
16 Luhmann, GdG 1997, 782 f.; RdG 1993, 452 ff.
17 Fischer-Lescano/Teubner, Regime-Kollisionen, S. 54.
18 Teubner, Verfassungen ohne Staat?, 2010, Internetfassung S. 24.
19 Teubner, Verfassungen ohne Staat?, 2010, Internetfassung S. 3.
21 Teubner, Globale Zivilverfassungen, 2003, Internetfassung S. 7.
22 Teubner, Verfassungen ohne Staat?, 2010, Internetfassung S. 7, 9.
23 Fischer-Lescano/Teubner, Regime-Kollisionen, 2006, 53 ff.; für die lex mercatoria schon Teubner, Globale Bukowina, 1996, Internetfassung S. 23.
24 Selbst-Konstitutionalisierung, 2010, 9.
25 Selbst-Konstitutionalisierung, 2010, 15 f.

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Begriffssoziologie IV: Der Schauplatz der Regime-Kollisionen

Die von den Funktionssystemen der Gesellschaft geprägten Konfliktlagen spiegeln sich im Rechtssystem als »Regime-Kollisionen«. Wo konkret kommen die Konflikte an die Oberfläche? Wo werden sie ausgetragen? Fischer-Lescano und Teubner [1]Regime-Kollisionen, 2006. geben im zweiten Teil ihres Buches sechs Beispiele, die sie ausführlich und anschaulich darstellen. Das geschieht allerdings nicht mit dem Ziel einer soziologischen Analyse, sondern um (normative) Vorschläge für ein Kollisionsrecht zu machen, das den Anforderungen des Weltrechtssystems Rechnung trägt. Vom Inhalt her sind diese Vorschläge beachtlich. An wen sie sich richten und wie sie sich durchsetzen sollen, bleibt dagegen vage:
»Die verbindliche Letztentscheidung wird ersetzt durch die Vielheit von Beobachtungspositionen in der Gesellschaft, die sich wechselseitig rekonstruieren, aneinander anschließen, beeinflussen, beschränken, kontrollieren, zu Neuerungen provozieren, aber eben nicht gemeinsam kollektive Entscheidungen über substantielle Normen fällen.« (S. 66)
Man fragt sich, ob der (system-)theoretische Aufwand dafür notwendig war. Immerhin verhilft er dazu, die auftretenden Kollisionslagen aus drei verschiedenen Perspektiven (»Lesarten«) zu betrachten. Die erste Perspektive ist die juristische, die zweite die politische und die dritte betrifft den »Rationalitätenkonflikt«. Zu kurz kommt dabei, obwohl immer wieder erwähnt, der gesellschaftliche Druck durch die Akteure der Zivilgesellschaft und die Medien. Zu kurz kommt aber auch die »Eigenrationalität« der Nationalstaaten.
Der äußere Schauplatz der Konflikte zeigt sich aus der juristischen oder der politischen Perspektive. Rechtssoziologie setzt am besten bei der juristischen Perspektive an. Sonst läuft sie Gefahr, zur Politikwissenschaft zu werden.
Die Rede von den »Regime-Kollisionen« ist insofern irreführend, als die vielen transnationalen Rechtsregimes nur selten untereinander in Konflikt geraten. Beispiele für Kollisionen zwischen Privatregimes untereinander sind nicht zu finden. Die Privatregimes geraten am ehesten mit nationalen Rechten in Konflikt. Aus einer Pressemeldung vom 18. 2. 2008:
»Der Weltfußballverband Fifa hat Spanien mit dem Ausschluss von der Europameisterschaft und der Champions League gedroht. Wenn die Madrider Regierung ihre Einflussnahme auf den Fußball nicht stoppe, werde der spanische Verband RFEF aus dem Weltverband ausgeschlossen, sagte Fifa-Präsident Joseph Blatter in der spanischen Hauptstadt. Dies hätte zur Folge, dass Spanien nicht an der EM in Österreich und der Schweiz teilnehmen könnte und die spanischen Vereine aus der Champions League und dem Uefa-Pokal ausgeschlossen würden.
Der Anlass der Drohung Blatters ist eine Anordnung der spanischen Regierung, wonach alle Sportverbände, die sich nicht für die Olympischen Spiele in Peking qualifiziert haben, vor dem Sommer eine neue Führung wählen sollen. Dies gilt auch für den Fußballverband. Die Fifa könne notfalls innerhalb von sechs Stunden den Ausschluss Spaniens beschließen, warnte Blatter. ›Wir haben da mehr Macht als die Vereinten Nationen.‹ «
Der wichtigste Austragungsort sind nach wie vor die Gerichte der territorialen Rechtssysteme, zu denen inzwischen auch die EU zählt. Wenn es hart auf hart geht, müssen sich die Privatregimes dem offiziellen Recht beugen. So hat der Europäische Gerichtshof durch sein Bosman-Urteil das Transfersystem des Profifußballs und sog. Ausländerklauseln wegen Unvereinbarkeit mit dem Freizügigkeitsgrundrecht gekippt. Bemerkenswert ist daran, dass der Konflikt nicht auf die »Eigenlogik« des Sportsystems zurückgeht, sondern erst die Ökonomisierung des Sportbetriebs Kollisionen mit Grundrechten und auch mit dem Wettbewerbsrecht auslöst.
Ein Beispiel, in dem ein Nationalstaat, unterstützt von gesellschaftlichen Gruppen sich im Interesse des Gesundheitssystems gegen das Wirtschaftssystem stark gemacht hat, bildet der Fall Hazel Tau vs. Glaxo and Boehringer. [2]Belinda Beresford, The Price of Life. Hazel Tau and Others vs GlaxoSmithKline and Boehringer Ingelheim: A Report on the Excessive Pricing Complaint to South’s Africa’s Competition Commission, … Continue reading
Die weltweite Aids-Epidemie traf in den 1990er Jahren besonders die Entwicklungsländer, weil sie keine wirksame Prävention organisieren konnten und die von den großen Pharmakonzernen angebotenen Medikamente für die Erkrankten unerschwinglich waren. In Hazel Tau vs. Glaxo and Boehringer machten die Kläger geltend, dass die Beklagten die Preise übermäßig hoch angesetzt hätten, so dass den Kranken der Zugang zu diesen Medikamenten verschlossen sei. Gefordert wurde ein Verbot überhöhter Preise, die Feststellung, dass alle Kranken, die wegen der hohen Preise keine Medikamente erhalten konnten, Schadensersatzansprüche hätten, und die Festsetzung einer Strafe gegen die Unternehmen. Am Ende einigten sich die Parteien über die Erteilung einer Produktionslizenz an südafrikanische Unternehmen.
Häufig wählen zivilgesellschaftliche Gruppen nationale Gerichte, um das Wirtschaftssystem zurückzudrängen, und nicht selten sind sie dabei erfolgreich, so auch im bekannten Neem-Baum Fall [3]Shalini Randeria, Transnationalisierung des Rechts. Zur Rolle zivilgesellschaftlicher Akteure, WZB-Mitteilungen Heft 101, September 2003, 19-22..
Ein Netzwerk von NGOs aus Indien, Europa und Nordamerika klagte erfolgreich gegen den amerikanischen Chemiekonzern W. R. Grace und das US-Landwirtschaftsministerium wegen »Biopiraterie«. Das Patent des Schädlingsbekämpfungsmittels aus dem Öl von Samen des indischen Neem-Baums wurde schließlich durch das Europäische Patentamt in München wegen fehlender Neuheit widerrufen. Das allerdings nicht, weil ein aus Indien als Zeuge herbeigerufener Bauer das Gericht davon überzeugt hätte, dass das patentierte Verfahren zum traditionellen Wissen seiner Landsleute gehörte, und auch nicht, weil dem Chemiekonzern »Biopiraterie« und »intellektueller Kolonialismus« vorgeworfen wurde. Das Gericht stützte sich vielmehr auf die Aussage eines indischen Fabrikanten, dessen Firma seit 1995 dasselbe Produkt in einem ähnlichen Verfahren in Indien herstellte.
Wenn der weltweite Patentschutz angestammte Kulturtechniken in die Illegalität abdrängt, ist der »Rationalitätenkonflikt« nicht so einfach zu erkennen. Daher haben Teubner und Korth noch eine extrasystemische zweite Fragmentierung des Weltrechts eingeführt, nämlich diejenige »zwischen dem formalen Recht der Moderne und den gesellschaftlich eingebetteten Rechtsordnungen indigener Gesellschaften«. [4]Gunther Teubner/Peter Korth, Zwei Arten des Rechtspluralismus: Normkollisionen in der doppelten Fragmentierung der Weltgesellschaft, in: Matthias Kötter/Gunnar Folke Schuppert (Hg.), Normative … Continue reading
Konflikte entstehen auch zwischen den völkerrechtlich installierten Regimes auf der einen Seite und Staaten oder – in dem folgenden Beispiel – der EU auf der anderen.
1998 entschied das WTO-Berufungsgremium über die Klage der USA gegen das EU-Importverbot für hormonbehandelte Rindfleischprodukte und setzte der EU ein Ultimatum, um seine Märkte für hormonbehandeltes Fleisch zu öffnen. Gegen diesen Schiedsspruch protestierten eine Reihe von NGOs (die Nord-Süd-politische Initiative, German Watch, das Agrarbündnis, ein Zusammenschluss von 20 Organisationen aus Landwirtschaft, Umwelt-, Natur- und Tierschutz sowie Verbraucher- und Entwicklungspolitik, und das Forum Umwelt & Entwicklung, die Arbeitsplattform von über 40 deutschen Verbänden und Organisationen aus den Bereichen Umwelt und Entwicklung). Sie wiesen auf den dringenden Reformbedarf der WTO hin und forderten die EU-Kommission und den EU-Agrarministerrat auf, das Importverbot auf keinen Fall aufzuheben. Stattdessen solle die EU notfalls Ausgleichszahlungen an die USA in Kauf nehmen und auf eine Reform der WTO-Verträge drängen. Tatsächlich ist die EU dem Schiedsspruch der WTO nicht nachgekommen und wird daher seitdem von den USA legal mit Handelssanktionen belegt. Nunmehr behauptet die EU, mit einer neuen Richtlinie über das Verbot der Verwendung bestimmter Stoffe mit hormonaler bzw. thyreostatischer Wirkung in der tierischen Erzeugung sowohl die Risikobewertung als auch die wissenschaftlichen Nachweise erbracht zu haben, so dass die Strafzölle von den USA und Kanada aufgehoben werden müssten, was wiederum von den USA und Kanada bestritten wird. Die EU hat daher ihrerseits eine Überprüfung ihrer Richtlinie durch die WTO beantragt.
Eine Konfliktlage dieser Art behandeln Fischer-Lescano und Teubner mit dem Streit, den 1997 eine neues Patentgesetz in Brasilien auslöste, indem es die Produktion von Nachahmermedikamenten (sog. Generika) erlaubte unter der Voraussetzung, dass die Gesundheit der Bevölkerung durch eine Epidemie bedroht und die Preise der Medikamente auf dem Weltmarkt zu hoch seien. Juristisch beteiligt waren hier amerikanische Pharmakonzerne als Patentinhaber und die USA, die sich völkerrechtlich auf das Patentrechtsregime der WTO berief. Auf dieser völkerrechtlichen Ebene wurde der Streit am Ende durch Ausnahme und Auslegungsregeln zum TRIPS-Abkommen beigelegt, die Entwicklungsländern in größerem Umfang gestatten, Zwangslizenzen anzuordnen und Generika in Entwicklungsländer ohne eigene Produktionsstätten zu exportieren. Auch hier fällt es nicht schwer, Wirtschaft und Gesundheit als »konfligierende Rationalitäten« zu identifizieren. Fischer-Lescano und Teubner fassen ihre Analyse zusammen:
»Insgesamt zeigen die Maßnahmen, dass das wirtschaftlich geprägte WTO-Regime über die Integration eines gesundheitsbezogenen Prinzips einer Limitierung der eigenen Logik intern zu reformulieren beginnt. Dies stellt einen Kompatibilisierungsmodus dar, der es dem Entscheidungssystem erlaubt, innerhalb der eigenen wirtschaftsrationalen Perspektive eine responsive Außenbeziehung aufzubauen und externe Rationalitäten als Rahmenbedingungen der eigenen Logik zu rekonstruieren. Über einen solchen Re-entry kollidierenden Rechts ins eigene Recht können Systemkollisionen in die quaestio juris übersetzt werden …« [5]Regime-Kollisionen, 2006, 86.
Das ist eine elaborierte Beschreibung der Vorgänge, die die eigentlich interessante Frage ausspart: Warum ist hier der Einbau von Gemeinwohlüberlegungen gelungen, die an vielen Stellen des neuen Weltrechts so sehr vermisst werden? Die Richtung, in der die Antwort zu suchen ist, soll die Figur der Konstitutionalisierung weisen. Dazu vielleicht später.

Anmerkungen

Anmerkungen
1 Regime-Kollisionen, 2006.
2 Belinda Beresford, The Price of Life. Hazel Tau and Others vs GlaxoSmithKline and Boehringer Ingelheim: A Report on the Excessive Pricing Complaint to South’s Africa’s Competition Commission, 2003.
3 Shalini Randeria, Transnationalisierung des Rechts. Zur Rolle zivilgesellschaftlicher Akteure, WZB-Mitteilungen Heft 101, September 2003, 19-22.
4 Gunther Teubner/Peter Korth, Zwei Arten des Rechtspluralismus: Normkollisionen in der doppelten Fragmentierung der Weltgesellschaft, in: Matthias Kötter/Gunnar Folke Schuppert (Hg.), Normative Pluralität ordnen, 2009, 137-168.
5 Regime-Kollisionen, 2006, 86.

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Der Dioxinskandal in der Rechtssoziologie

Nein, in der Rechtssoziologie gibt es keinen Dioxinskandal. Aber man fragt sich doch, was Soziologie und Rechtssoziologie zur Sache zu sagen haben. Mir sind die Wortmeldungen bisher wohl entgangen. Aber mir ist der Artikel »Die sieben Mythen im Dioxinskandal« von Winand von Petersdorff in der FamS vom 21. Januar 2011 S. 29 aufgefallen [1]Er ist im Internet nur für Abonnenten oder gegen 2,00 EUR zugänglich., und zwar deshalb, weil er mit einem soziologischen Theoriebrocken einsetzt: Dem »Mythos«, die industrielle Landwirtschaft sei schuld, hält der Autor entgegen: »Wir haben es mit einem Phänomen der Alltagsökonomie zu tun: der Arbeitsteilung. Die Landwirtschaft ist, wie die Lebensmittelproduktion und die gesamte Wirtschaft, inzwischen höchst arbeitsteilig organisiert, bis zum Endprodukt mischen viele mit. Und manche panschen.« Die öffentliche Diskussion um den Dioxinskandal wird von der Kritik an dem bisherigen System der Selbstkontrolle der Futtermittelindustrie und dem Ruf nach einer verdichteten unmittelbaren Staatskontrolle beherrscht. Die Implementation und Effektivität staatlicher Kontrollen ist jedoch ein Problem. Deshalb liegt es nahe nach Alternativen zu suchen. Viele sehen die Alternative im »Bauern von nebenan« Von Petersdorff bezweifelt – wohl mit gutem Grund –, dass der Bauer von nebenan so viel sicherer sei und meint, »auch Großbetriebe haben gewaltige Anreize, dass ihre Produkte sauber und gesund bleiben. Die Lebensmittelketten werfen sie gnadenlos aus dem Sortiment, ein kleiner Skandal kann das Ende bedeuten.« Und am Ende heißt es zu dem Vorwurf, die kapitalistische Profitgier sei schuld: »Die Gier nach dem schnellen Geld gibt es überall, gleichzeitig können Lebensmittelskandale Betriebe von heute auf morgen ruinieren. Das ist ein echter Anreiz, sauber zu bleiben. … das marktwirtschaftliche System sorgt dafür, dass Übeltäter aus dem Markt fliegen, die belastete Futtermittelfirma ist inzwischen insolvent.« Da denkt man an den guten alten Äquivalenzfunktionalismus. Es klingt plausibel, dass der Markt jedenfalls dann, wenn die Skandalisierung durch die Medien gewährleistet ist, die Panscher bestraft. Aber nicht alles, was plausibel erscheint, muss auch funktionieren. Deshalb ist eine empirische Prüfung angezeigt. Das wäre doch vielleicht ein schönes Dissertationsthema.

Anmerkungen

Anmerkungen
1 Er ist im Internet nur für Abonnenten oder gegen 2,00 EUR zugänglich.

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In eigener Sache IV: Wo bleibt die Interaktivität?

Das Web 2.0 kam mit dem Versprechen der Interaktivität. Ich kann nicht wirklich beurteilen, wie es allgemein um die virtuelle Interaktivität im Internet bestellt ist. Es gibt einige Superstars wie Wikipedia [1]Auch bei Wikipedia ist die Aktivität anscheinend nicht ganz befriedigend; dazu Ralf Zosel, Wer macht mit im Web 2.0?, LAWgical, 17. 12. 2008. Facebook oder Bildblog. Aber unter Wissenschaftsblogs habe ich noch keinen gefunden, der wirklich zum Diskussionsforum geworden wäre. (Ich hoffe natürlich jetzt auf Gegenbeispiele.) Bei den sehr viel zahlreicheren Jurablogs (Blawgs) steht es, ausgenommen den Beck-Blog, etwas, aber nicht viel besser. Auch auf den Webseiten der organisierten Rechtssoziologie, die ja gleichfalls zum Mitmachen einladen, kann ich keine nennenswerte Interaktivität beobachten. Der Content wird im Großen und Ganzen vom Webmaster beigebracht.
Ich bin selbst kein sehr aktiver Blog-Leser und schreibe auch keine Kommentare zu anderen Blogs. Aber nach meiner Beobachtung sind die Kommentare auch jenseits der Wissenschaftsblogs kaum so zahlreich, wie die Autoren es sich erhoffen, und ihre Qualität lässt vielfach zu wünschen übrig. Oft handelt es sich um bloße Exklamationen. Am besten funktionieren noch konkrete Hilferufe etwa nach dem Muster: Wie mache ich eingetrocknete Schuhcreme wieder weich? Anscheinend gibt es auf dieser alltagspraktischen Ebene viele hilfsbereite Menschen, die ihr Wissen gerne zur Verfügung stellen.
Insbesondere alles, was das Internet und seine Technik betrifft, erfreut sich regen Interesses. Ein bemerkenswertes Beispiel ist das Weblog mit der irreführenden Adresse http://stadt-bremerhaven.de/. Das Blog hält, was es im Untertitel »Caschy Blog –Software und jede Menge Tipps & Tricks« verspricht. Das Blog hat täglich über 6.000 Besucher, monatlich fast eine Viertelmillion und annähernd eine Million Seitenaufrufe. Und auch jede Menge Kommentare, die sich auch hier allerdings meistens auf Beifallskundgebungen beschränken. Aber auch Internetseiten, die Meinungen außerhalb des Mainstreams verbreiten, etwa die Seiten von Klimaskeptikern oder Islamkritikern, können einige Interaktivität verzeichnen.

Die Internetnutzer haben inzwischen wohl gemerkt, dass das Interaktivitätsversprechen pervertiert worden ist. In Wirklichkeit ist nicht die eigene Meinung gefragt. Gefragt ist vielmehr die unbezahlte Zulieferung von Inhalten, mit denen sich der Seiteninhaber schmücken oder die er gar vermarkten kann.

Anmerkungen

Anmerkungen
1 Auch bei Wikipedia ist die Aktivität anscheinend nicht ganz befriedigend; dazu Ralf Zosel, Wer macht mit im Web 2.0?, LAWgical, 17. 12. 2008.

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U.S. Supreme Court als Lachende Justitia

Der U.S. Supreme Court ist das am besten durchforschte Gericht der Welt. Eine neuere Untersuchung von prominenten Autoren geht der Hypothese nach, dass die Anwälte, die in der mündlichen Verhandlung mehr Fragen über sich ergehen lassen müssen als der Gegner, ihren Fall eher verlieren. [1]Epstein, Lee, Landes, William M. and Posner, Richard A., Inferring the Winning Party in the Supreme Court from the Pattern of Questioning at Oral Argument (August 2009). University of Chicago Law … Continue reading Noch wichtiger als die Zahl der Fragen soll der Wortreichtum sein, mit dem die Fragen serviert werden. Das wiederum soll sich aus unterschiedlichen Strategien richterlichen Verhaltens erklären. In einer legalistisch genannten Strategie geht es dem fragenden Richter um die Aufklärung des Sachverhalts. Realistisch wird dagegen eine Strategie genannt, die auf dem Umweg über Fragen an die Anwälte die Richterkollegen beeinflussen will. Diese Strategie ist anscheinend Ersatz dafür, dass unter den Richtern keine intensive Beratung stattfindet. Der Effekt ist erheblich. In 2.952 Fällen gewannen 62 % der Beschwerdeführer. Wenn der Gegner häufiger befragt wurde, erhöhte sich die Quote um 16 %. Wenn umgekehrt Fragen häufiger an den Beschwerdeführer gerichtet wurden, sank dessen Erfolgsquote von 62 auf 50 %, also um 19 %.
Schon vor fünf Jahren gab es wohl eine Studie von J. D. Wexler [2]Laugh Track. The Green Bag. 9.1, 59-61 – habe ich nicht gelesen.. Nun hat Ryan A. Malphurs 60 Verhandlungen am Supreme Court beobachtet, die Tonbänder von 71 mündlichen Verhandlungen abgehört und Protokolle der Verhandlungen aus den Jahren 2006 und 2007 durchgesehen. Es handelt sich um Wortprotokolle, die tatsächlich, ähnlich wie bei uns manche Protokolle aus dem Bundestag, an einschlägigen Stellen »Gelächter« notieren. Malphurs meint am Ende, dass dem Lachen eine bedeutende kommunikative und soziale Funktion zukomme, weil Richter und Anwälte damit die institutionellen, sozialen und intellektuellen Abgrenzungen so in den Griff bekämen, dass jedenfalls für kurze Zeit Gleichheit im Gerichtssaal hergestellt werde. [3]Ryan A. Malphurs, “People Did Sometimes Stick Things in my Underwear”. The Function of Laughter at the U.S. Supreme Court, Communication Law Review, 10, 2010, 48-75.
» The audience’s laughter was dramatic and often returned visitors from their daydreams to the Court’s argument. Laughter also visibly diminished tension between justices and lawyers, commonly relieving heated moments. A brief joke or pun could easily displace building tension, and the justices’ stern appearance would relax in their laughter.«
Der Artikel ist lang, aber die Lektüre teilweise ganz vergnüglich. Zunächst gibt es eine Einführung in die Theorie des Lachens und des Humors. Das ist doch eine echte Bereicherung für die Rechtssoziologie. Es folgt eine kurze Zusammenfassung bisheriger Untersuchungen über die Relevanz der mündlichen Verhandlung für die Entscheidung. So ganz nebenher erfährt man, dass alle Tonaufnahmen und Protokolle der Verhandlungen und die Entscheidungen auf der Webseite http://www.oyez.org/ verfügbar sind.
Und dann wird also aufgelistet, wie oft jeder Richter gelacht hat, worüber und über wen. Es gibt freundliches und bösartiges Lachen, aber anscheinend mehr freundliches. Durch freundliches Lachen werden die Statusunterschiede zwischen Richtern und Anwälten ausgeglichen und man kann damit sogar unverfänglich auf Fehler aufmerksam machen. Doch anscheinend sind es nur die Richter, die Lachen und zum Lachen herausfordern dürfen. Aber das liegt wohl daran, dass die Anwälte ständig wechseln, so dass sich ihr Lachverhalten kaum beobachten lässt. Und was, wenn die Anwälte nicht mitlachen?
Wie dem auch sei: Die Mikrosoziologie des Verfahrens steht vor großen Aufgaben.

Anmerkungen

Anmerkungen
1 Epstein, Lee, Landes, William M. and Posner, Richard A., Inferring the Winning Party in the Supreme Court from the Pattern of Questioning at Oral Argument (August 2009). University of Chicago Law & Economics, Olin Working Paper No. 466. Bei SSRN: http://ssrn.com/abstract=1414317.
2 Laugh Track. The Green Bag. 9.1, 59-61 – habe ich nicht gelesen.
3 Ryan A. Malphurs, “People Did Sometimes Stick Things in my Underwear”. The Function of Laughter at the U.S. Supreme Court, Communication Law Review, 10, 2010, 48-75.

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