Kleiner Nachtrag zur Juristenausbildung und zur nachfolgenden Karriere in der Rechtssoziologie

Sie wollen also Jura studieren?
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Nun denn,
Fröhliche Weihnachten!

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Volkswagen Stiftung checkt Juristenausbildung: Rechtsgestalter als Dezisionsjuristen

Im Eintrag vom 8. 12. 2011 hatte ich angekündigt, noch einmal zu der im Tagungsprogramm als »neuem Akzent für die Juristenausbildung« betonten Rechtsgestaltung zu schreiben. Der »Akzent« wurde gleich am ersten Tag mit zwei Vortragsblöcken gesetzt. In dem ersten Block ging es um die Gesetzgebung. Es referierten Felix Uhlmann (Zürich) über »Rechtsgestaltung durch den Gesetzgeber«, Stephan Breidenbach (Frankfurt/Oder) über »Das ›schwarze Loch‹ in der Gesetzgebung« und Heinz Schöch (München) über »Rechtsgestaltung durch Experimente in Strafverfahren«. Es bringt nichts, wenn ich die Kurzreferate noch einmal verstümmelt referiere. [1]Auf Uhlmanns Webseite gibt es informative Folien zu seiner Vorlesung »Rechtssetzungslehre« sowie interessante Links und Veröffentlichungen zum Download, darunter Uhlmanns Beitrag zur Festschrift … Continue reading Es soll ohnehin alles schnell gedruckt werden. Daher zu jedem der drei Referate nur jeweils eine Anmerkung. Bei Uhlmann ist mir aufgefallen, dass er eine »präzise Rechtssprache« einforderte. Diese Forderung steht in einem deutlichen Gegensatz zur Sprachskepsis vieler Rechtsmethodiker. Was Breidenbach geheimnisvoll als »Schwarzes Loch« in der Gesetzgebung angekündigt hatte, entpuppte sich als die unbekannte Tätigkeit des Referenten, der ein neues Gesetz schreibt. Breidenbach füllte das Loch mit 13 Ratschlägen und der Warnung, zu früh mit der Formulierung des Textes zu beginnen: »Erst denken, dann zeichnen, dann arbeiten.«
Schöch wies darauf hin, dass die Strafprozessordnung allerhand Spielraum zum Experimentieren lasse und nannte Beispiele, wie der Spielraum genutzt werden kann, um das Denken in Alternativen zu üben (Rollenspiele zum Wechselverhör, Jugendgerichtsverhandlung am runden Tisch, informelles Tatinterlokut, frühe Strafverteidigung). Ich fühlte mich an die Experimente von Rolf Bender zur »Hauptverhandlung im Zivilprozess« erinnert. [2]Zur Bedeutung solcher Experimente als Innovationsmöglichkeit vgl. Ökonomisierung der Justiz und richterliche Unabhängigkeit, in: Sächsisches Staatsministerium der Justiz und für Europa (Hg.), … Continue reading
Kritisch will ich zwei Vorträge aus dem Nachmittagsprogramm herausgreifen, in denen es um »Vertragsgestaltung als Gegenstand der Juristenausbildung« ging. Es referierten der Hamburger Notar Peter Rawert (»Rechtsgestaltung durch Private«) und der Bonner Rechtsanwalt Stephan Schauhoff (»Rechtsgestaltung und Rechtsanwendung aus Sicht beratender Rechtsanwälte«). Meine Kritik betrifft nicht die Vorträge als solche – die waren perfekt –, sondern den Umstand, dass beide Referenten nicht über ihren juristischen Schatten springen konnten.
Rawert prägte den schönen Begriff des Dezisionsjuristen, um sich als Gestalter davon abzusetzen. Der streitentscheidende Richter als Leitbild der Juristenausbildung sei mindestens für das Zivilrecht überholt. Vorbeugende Rechtsgestaltung sei gefragt. Letztlich gehe es immer nur darum, wie man Konflikte durch die klare Formulierung des Vertrages vermeiden könne. Das Gesetz müsse dazu durch eine lex contractus ergänzt werden. Für das Gelingen sei entscheidend die Fähigkeit zur Prognose der tatsächlichen und der rechtlichen Entwicklung. Es gelte, den sichersten Weg für den Mandanten zu finden. Schauhoff stimmte ein: Rechtsgestaltung, wie die Mandanten es erwarten. Und wie erwarten es die Mandanten? Woran entscheidet sich der Prognoseerfolg? Anscheinend alleine daran, dass der Richter im Streitfall zugunsten des Mandanten entscheidet. Natürlich gibt es ein Prognoserisiko. Aber, so Rawert in der Diskussion, im Ernstfall müsse man den Gerichten zur Vermeidung der eigenen Haftung zeigen können, was man alles bedacht habe. Damit haben beide, ohne es zu merken, den Rechtsgestalter zum Superdezisionsjuristen gemacht. Sie fordern von ihm nicht die retrospektive, sondern die prospektive Entscheidung. Er soll nicht bloß wie ein Richter einen bereits in der Vergangenheit liegenden Fall beurteilen, sondern hypothetisch einen, der erst in Zukunft akut wird und hinsichtlich dessen noch manche Details ungewiss sind. Aber denken wie ein Richter soll der Gestalter eben doch. Man ist aber wohl realistisch genug, um bei der Vorhersage, wie ein Richter entscheiden dürfte, eine Portion Zynismus zu erwarten, oder, wie es Oliver Wendell Holmes formulierte: »The prophecies of what the courts will do in fact, and nothing more pretentious, are what I mean by the law«.
Die Rechtssoziologie bietet eine Alternative an. Dort fragt man nämlich nicht in erster Linie nach dem Recht, sondern wie es kommt, dass die große Masse der Verträge – und darunter auch viele, die jeden Juristen grausen lassen – ohne viele Gedanken an Recht und Richter problemlos abgewickelt werden. Eine große Rolle spielen dabei außervertragliche Sozialbeziehungen zwischen den Vertragsparteien und Vertragsdurchsetzungsinstitutionen außerhalb des offiziellen Rechts. Aber die sind hier nur am Rande von Interesse, weil der Rechtsgestalter darauf wenig Einfluss nehmen kann. Interessant sind in erster Linie Gestaltungen, die zur Selbststabiliserung des Vertrages beitragen. Vier Gesichtspunkte will ich anführen:
1. die Auswahl des Vertragspartners,
2. die Fairness des Vertrages,
3. den Vertrag als Verhaltensprogramm und
4. die Relationalität des Vertrages.
Zu 1: Vor dem Vertragsinhalt kommt die Auswahl des Vertragspartners. Die obliegt allerdings selten dem Rechtsberater. Der verfügt aber über Instrumente, um die vom Mandanten getroffene Wahl zu überprüfen. Das hatte Rawert im Blick, als er darauf hinwies, die meisten Juristen seien nach Abschluss ihrer Ausbildung nicht in der Lage, Handelsregister und Grundbuchauszüge zu lesen oder die Existenz und die Vertretungsbefugnisse bei ausländischen juristischen Personen zu ermitteln. An dieser Stelle würde ich nur eine andere Betonung vorschlagen. In der juristischen Ausbildung geht es kaum darum, die genannten Praxisfertigkeiten zu trainieren. Vielmehr kommt es darauf an, den Studenten ganz allgemein zu vermitteln, wie wichtig die Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit des Vertragspartners für eine reibungslose Vertragsdurchführung sind, und die juristischen Instrumente, die bei der Auswahl des Vertragspartners bzw. ihrer Bestätigung helfen können, vorzustellen.
Zu 2: Die wichtigste Regel für die inhaltliche Gestaltung ist wohl die Ausgewogenheit des Vertrages. Der Tausch ist ein psychisch verankertes Grundelement des Sozialen. Es sorgt dafür, dass die Beteiligten stets die Ausgewogenheit ihrer Beziehungen im Sinne einer Bilanz im Blick haben. Dabei sehen sie nicht bloß auf das eigene Ergebnis, sondern bedenken auch die Erwartungen des Vertragspartners, denn sie verstehen das »give-and-take needed in business« (Macaulay). Das gilt nicht bloß für auf Fortsetzung angelegte Vertragsbeziehungen. Mit einiger Sicherheit darf man annehmen, dass faire Verträge, das heißt solche, bei denen sich keiner übervorteilt fühlt, eher konfliktfrei abgewickelt werden als ausbeuterische, bei denen es einem Vertragsteil gelingt, den Tauschgewinn an sich zu ziehen. Die Wünsche eines Mandanten, der den Vertragsgegner übervorteilen möchte, dürfen (nicht nur) daher keine Vorgabe für den Rechtsgestalter sein. Das haben Rawert und Schauhoff natürlich auch nicht behauptet. Aber es war auch keine Rede davon, dass die Aufgabe des Rechtsgestalters darin bestehen könnte, auf einen fairen Vertrag hinzuwirken.
Zu 3: Der Vertrag als Verhaltensprogramm
Die Ausarbeitung schriftlicher Verträge hat noch andere und vielleicht wichtigere Funktionen, als die Vorbereitung auf eine Anrufung des offiziellen Rechts. Sie dient der Selbststabilisierung des Vertrages, indem sie ein Verhaltensprogramm für die Durchführung entwirft. Mehr oder weniger ausführlich wird die Abwicklung des Vertrages in kleine Schritte zerlegt. Zahlungs- und Leistungstermine werden bestimmt. Es werden Leistungskontrollen vorgesehen und Ausfallsicherungen vereinbart (Vorauszahlungen, Akkreditive, Bankgarantien, Eigentumsvorbehalte). Mit der zeitlichen Dehnung der Vertragsabwicklung wächst das Vertrauen zwischen den Parteien. Die sachliche und zeitliche Programmierung erschwert das opportunistische Ausbrechen aus dem Vertrag. Bei komplexen Vertragsgegenständen, insbesondere dann, wenn sich die Abwicklung über längere Zeit hinzieht, kann auch ein laufendes Reporting und Monitoring hilfreich sein. [3]Thomas Dietz hat am Beispiel von Softwareentwicklungsverträgen deutscher Unternehmen mit Partnern in Indien, Bulgarien und Rumänien beschrieben, wie solche Programmierung konkret aussieht … Continue reading Aber auch bei simpleren Austauschverhältnissen kann der Vertrag als Verhaltensprogramm die Abwicklung stabilisieren. Ein insofern unscheinbares, aber wirksames Vertragselement ist das Rücktrittsrecht, das für Haustürgeschäfte und Fernkäufe von Konsumenten vorgesehen ist. Auch bei solchen Verträgen ist inzwischen über das Internet oft sozusagen eine Real-Time-Kontrolle der Vertragsabwicklung möglich. Es gibt spezialisierte Berater, die ihre Hilfe zu solcher Selbststabilisierung von Verträgen als »Proactive Contracting« anbieten. Hilfsmittel sind besondere Computerprogramme und Visualisierungen. [4]Z. B. Helena Haapio mit der Firma Lexpert.
Zu 4: Der Vertrag als soziale Beziehung (Relational Contract)
Macaulays berühmte Untersuchung von 1963 [5]Stewart Macaulay, Non-contractual Relations in Business, ASR 28, 1963, 55-69 hatte gezeigt, dass das Konfliktverhalten der Beteiligten bei geschäftlichen Dauerbeziehungen nicht den Vorgaben des klassischen Vertragsrechts folgt, weil es auf die Fortsetzung der Austauschbeziehungen ausgerichtet ist. Im Anschluss daran hat der Jurist Macneil [6]Wikipedia über Macneil: http://en.wikipedia.org/wiki/Talk:Ian_Roderick_Macneil. die Figur des Beziehungsvertrages (relational contract) herausgearbeitet. [7]Ian Macneil: The Many Futures of Contract, Southern California Law Review 47, 1973/1974, 691-816; Contracts: Adjustments of Long-Term Economic Relations Under Classical, Neoclassical, and Relational … Continue reading Maßgeblich war der Gesichtspunkt, dass Verträge insofern »relational« sind, als sie sich in der Regel nicht in einem punktuellen Leistungsaustausch erschöpfen, sondern mehr oder weniger auf Dauer gestellt sind und dadurch eine Beziehung begründen. Die Übergänge sind, wie überall, fließend. Auf dem unteren Ende der Skala liegt die discrete transaction, der einmalige, sofort vollzogene Leistungstausch, z. B. der Kauf von Benzin an einer Tankstelle, die man voraussichtlich nie wieder aufsuchen wird. Auf dem relationalen Ende liegt etwa ein Franchise-Vertrag, der über Jahre und Jahrzehnte fortgesetzt werden kann. Der Beziehungscharakter des Vertrages wird potenziert, wenn mehr als zwei Personen daran beteiligt sind. In der Rechtsdogmatik ist von komplexen Langzeitverträgen die Rede. [8]Der von dem Juristen Macneil geprägte Begriff des relational contract ist von Rechtssoziologie und ÖAR übernommen worden. Dabei wird aber nicht immer beachtet, dass er eigentlich nur die durch den … Continue reading
Die Vertragsbeziehung gewinnt ihre Substanz zunächst aus dem Vertragsinhalt. Der Vertrag enthält ein Programm zu Koordination des Verhaltens bei der Abwicklung des vereinbarten Austauschgeschäfts. Das staatliche Recht hat zwar auch Normen für langfristige und komplexe Verträge. Aber es passt doch eher für »diskrete« Austauschbeziehungen. Je relationaler der Vertrag, umso mehr müssen die Parteien selbst den Vertragsinhalt festlegen.
Ein Vertrag wäre vollständig oder perfekt, wenn er ex ante für alle künftig auftauchenden Probleme Lösungen bereithielte. Solche Perfektion ist, zumal bei Langzeitverträgen, praktisch nicht zu erreichen. Die Entdeckung der Relationalität von Verträgen hat zu der Beobachtung geführt, dass Vertragsbeziehungen bis zu einem gewissen Grade über Mechanismen für die Füllung solcher Rechtslücken verfügen. Die Parteien suchen auf ihr Austauschgeschäft zugeschnittene Vertragsinstrumente, sie lassen Lücken oder einigen sich auf Verfahren, mit denen sie sich bei Bedarf neu arrangieren können.
Für die Vertragsgestaltung kann man daraus lernen, dass es nicht unbedingt darauf ankommt, alle Eventualitäten ex ante zu regeln. Wichtiger sind Möglichkeiten zur Konkretisierung und für Anpassungen, die über das hinausgehen, was das Vertragsrecht immer schon bei den sog. Dauerschuldverhältnissen vorgesehen hat (wie z. B. die Kündigung aus wichtigem Grund). So kann es sinnvoll sein, Verträge zum Teil bewusst lückenhaft zu gestaltet und dafür Anpassungsklauseln und Nachverhandlungen vorzusehen. Notfalls erfolgt die Anpassung mit Hilfe Dritter (Sachverständiger oder gar Schiedsrichter). Dass solche Offenheit relativ gut funktioniert, hat seine Grundlage eben in dem komplexen Beziehungscharakter der Verträge.
Das alles und viel mehr haben erfahrene Vertragspraktiker wie Rawert und Schauhoff sicher im Hinterkopf, und es kam auf der Veranstaltung in Celle, von der Zeitknappheit einmal abgesehen, nur deshalb nicht zur Sprache, weil für Juristen mit großer praktischer Erfahrung vieles selbstverständlich ist, was in der Theorie mit einigem Aufwand formuliert wird. Wenn man das implizite Wissen der Praxis (und darüber hinaus auch etwas kritische Distanz) schon in der Ausbildung vermitteln will, ist daher der Rückgriff auf die Rechtssoziologie angesagt.

Anmerkungen

Anmerkungen
1 Auf Uhlmanns Webseite gibt es informative Folien zu seiner Vorlesung »Rechtssetzungslehre« sowie interessante Links und Veröffentlichungen zum Download, darunter Uhlmanns Beitrag zur Festschrift Richli (»Interdisziplinarität in Rechtsetzung und Rechtsetzungslehre«.
2 Zur Bedeutung solcher Experimente als Innovationsmöglichkeit vgl. Ökonomisierung der Justiz und richterliche Unabhängigkeit, in: Sächsisches Staatsministerium der Justiz und für Europa (Hg.), Impulse für eine moderne und leistungsstarke Justiz, 2009, S. 103-118, S. 116 f.
3 Thomas Dietz hat am Beispiel von Softwareentwicklungsverträgen deutscher Unternehmen mit Partnern in Indien, Bulgarien und Rumänien beschrieben, wie solche Programmierung konkret aussieht (Relationale Verträge und Reputationsnetzwerke im internationalen Handel, Zeitschrift für Rechtssoziologie 30, 2009, 165-184).
4 Z. B. Helena Haapio mit der Firma Lexpert.
5 Stewart Macaulay, Non-contractual Relations in Business, ASR 28, 1963, 55-69
6 Wikipedia über Macneil: http://en.wikipedia.org/wiki/Talk:Ian_Roderick_Macneil.
7 Ian Macneil: The Many Futures of Contract, Southern California Law Review 47, 1973/1974, 691-816; Contracts: Adjustments of Long-Term Economic Relations Under Classical, Neoclassical, and Relational Contract Law, Northwestern University Law Review, 72, 1977/1978, 854-906; The New Social Contract: An Inquiry into Modern Contractual Relations, 1980; ders., Relational Contract: What We Do and Do Not Know, Wisconsin Law Review 1985, 483-525; Relational Contract Theory: Challenges and Queries, Northwestern University Law Review 94, 2000, 877-907. Dazu aus deutscher Sicht Jürgen Oechsler, Wille und Vertrauen im privaten Austauschvertrag. Die Rezeption der Theorie des Relational Contract im deutschen Vertragsrecht in rechtsvergleichender Kritik, RabelsZ 60, 1996, 91-124.
8 Der von dem Juristen Macneil geprägte Begriff des relational contract ist von Rechtssoziologie und ÖAR übernommen worden. Dabei wird aber nicht immer beachtet, dass er eigentlich nur die durch den Vertrag selbst begründete Beziehung zwischen den Beteiligten erfasst. Tatsächlich sind aber alle Verträge mehr oder weniger in vertragsexterne soziale Beziehungen eingebettet. Auch die wollte Macneil später mit seiner Begriffsbildung erfassen. Aber damit verliert sie ihre Unterscheidungskraft.

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Volkswagen Stiftung checkt Juristenausbildung

Die Rechtswissenschaft und ihre Grundlagenfächer haben bei der Volkswagen Stiftung immer ein offenes Ohr und nicht selten auch ein offenes Säckel gefunden. Am 6. und 7. Dezember fand in dem wunderbar restaurierten Plenarsaal des OLG Celle die erste von zwei Tagungen der Volkswagen Stiftung über »Rechtsgestaltung – Rechtskritik – Konkurrenz von Rechtsordnungen. Neue Akzente für die Juristenausbildung« statt. Eine zweite Veranstaltung gleichen Formats soll am 23. Und 24. Februar 2012 in Berlin folgen. [1]Hier das Tagungsprogramm als PDF. Nach der Teilnehmerliste waren es 69 Personen, die nach meinem Eindruck auch fast alle präsent waren. Drei Themenfelder wurden behandelt:

1) Rechtsgestaltung als Ergänzung zu der bisher klar dominierenden Rechtsanwendung
2) Systematische Vermittlung von Ansätzen und Vorgehensweisen der Rechtskritik
3) Konkurrenz von Rechtsordnungen, insbesondere USA-Deutschland, nationales und Europarecht

Drei weitere sind für den nächsten Durchgang in Berlin vorgesehen:

4) Vorfeld-»Kolonisation« durch Recht (Compliance, Governance, Mediation)
5) Neuorientierung der Methodenlehre über die bloße Rechtsanwendung hinaus auch auf Rechtsgestaltung und Rechtskritik
6) Didaktik der Juristenausbildung unter Berücksichtigung angrenzender Fachgebiete.

Das Konzept stammt von Professor Dr. Hagen Hof, der auch als Regisseur tätig war. [2]Hier die Tagungskonzeption als PDF. Die Regie hatte 24 Vorträge vorgesehen, davon ein Drittel mit 20 Minuten, die anderen mit zehn Minuten. Ich war skeptisch, ob das funktionieren könnte. Aber es funktionierte glänzend. Nicht nur hielten sich alle an die Zeiten, sondern es gab auch inhaltlich keinen Ausfall, und ich als Zuhörer hatte kein Problem, von Anfang bis Ende aufmerksam zu sein. Schließlich blieb auch noch Zeit für substantielle Diskussionen. Das Niveau der Fürsorge für Leib und Seele durch Stiftung und OLG entsprach der Intensität der Arbeit.
Bevor ich in einem weiteren Eintrag einen oder mehrere Punkte herausgreife, will ich heute nur einen allgemeinen Eindruck notieren.
Eine Strukturreform der Juristenausbildung stand nicht zur Debatte, nachdem die Justizministerkonferenz vom 18. und 19. Mai 2011 in Halle sich gegen die allgemeine Übernahme des Bachelor-Master-Modells und für die Beibehaltung des Einheitsjuristen ausgesprochen hatte. Es ging daher jetzt um Fragen des Curriculums und der Didaktik. Aus allen Beiträgen sprach mehr oder weniger laut ein Lob der deutschen Juristenausbildung und als deren Kern der klassischen Rechtsdogmatik. So viel Affirmation gab es bisher selten. Aber natürlich gab es dann auch Kritik und Verbesserungswünsche. Durchgehend war vor allem der Ruf nach der Vermittlung von Strukturwissen zu hören, das sich auch bei unbekannten Materien und bei der laufenden Veränderung des Rechtsstoffs bewährt und die deutsche Jurisprudenz international anschlussfähig macht. Ich habe diese Stimmen als Plädoyer für eine Allgemeine Rechtslehre verstanden. Aber so ausdrücklich hat das niemand gesagt.
Von Bogdandy kritisierte, dem juristischen Studium in Deutschland fehle der intellektuelle Glanz, der es in der Konkurrenz mit anderen Fächern und mit dem Ausland für die besten Köpfe attraktiv mache. Das blieb nicht unwidersprochen. Ich würde von Bogdandy eher zustimmen, aber auch gleich eine Ursache benennen wollen, nämlich die Konzentration der Mittel auf außeruniversitäre Eliteforschung und das kräftezehrende Wettrennen um Exzellenzförderung, dem sich die Jurisprudenz lieber entzieht.
Bemerkenswert – und für den Rechtssoziologen natürlich höchst erfreulich – wie durchgehend eine Stärkung der Grundlagenfächer gefordert wurde. Dazu umrissen in ihren Statements Stolleis das kritische Potential der Rechtsgeschichte und Machura das der Rechtssoziologie. Stolleis beklagte, Rechtsgeschichte im juristischen Studium sei zur Vorgeschichte des Grundgesetzes geschrumpft. [3]Alles andere wäre unrealistisch: Röhl, Wozu Rechtsgeschichte?, Jura 1994, 173-178. Bemerkenswert, dass er eine Kanonisierung des historischen Stoffes für das Studium forderte. [4]Dazu für die Rechtssoziologie mein Eintrag vom 12. 9. 2008. Bemerkenswert der Eifer, mit dem sich Austin Sarat als »advocate for disciplinization« für eine Kanonisierung des Faches einsetzt. Zwar … Continue reading Wie Peter Koller (Graz) in 20 Minuten das Potential der Rechtsphilosophie einbrachte, macht ihm so leicht keiner nach. Ein wenig kontrovers war eigentlich nur die Frage, an welcher Stelle des Studiums die Grundlagenfächer optimal angebracht werden. [5]Dazu noch ziemlich unentschlossen Pascale Cancik, Grundlagenfächer und Fachdidaktik – Fragen der Konzeption einer rechtwissenschaftlichen Fachdidaktik, in: Judith Brockmann u. a. (Hg.), Exzellente … Continue reading Vesting und Gräfin von Schlieffen verkündeten einmal wieder den Verlust der juristischen Methode. Ich möchte entgegenhalten: So viel Methode war noch nie.
Das hohe Lied auf die juristische Dogmatik klang besonders deutlich bei Stephan Lorenz, wenn er den Gegensatz zwischen Theorie und Praxisorientierung herausstellte und betonte, dass eine gute Theorie die beste Voraussetzung für die juristische Praxis sei, zumal das juristische Studium eine praxisreife Spezialisierung (und auch eine echte Ausbildung in den Schlüsselqualifikationen) ohnehin nicht leisten könne. (Ein Prüfungsamtsvorsitzender sprach von den Schlüsselqualifikationen als »Lyrik im Gesetz«.) Die Rechtswissenschaft, so Lorenz, sei ihrerseits Bestandteil und Quelle des Rechts. [6]Zur »Wissenschaftlichkeit des juristischen Studiums« mein Beitrag in Judith Brockmann u. a. (Hg.), Exzellente Lehre im juristischen Studium, Auf dem Weg zu einer rechtswissenschaftlichen … Continue reading Recht hat er, mag die Quelle auch nur spärlich fließen.
Von der Bedeutung »des Praktischen« im juristischen Studium war öfter die Rede. Ich wusste aber nicht immer, was gemeint war. Bei Lorenz ging es um Praxisfähigkeit als Ausbildungsziel, die insbesondere durch einsatzfähige Spezial- und Detailkenntnisse erreicht wird. Wenn sonst »Praxis« angesprochen und meist gefordert wurde, ging es aber wohl in erster Linie um »Praxis« als didaktische Technik.
Die meisten Lerner sind erfolgreicher, wenn sie »praktisch« üben können, und nicht bloß mit kognitiv-mentalen Aufgaben, wie sie in Klausuren gestellt werden. Das Problem der Hochschuldidaktik liegt natürlich darin, dass man nicht Tausende von Anfängern zum learning by doing in die Praxis schicken kann. Die »praktische Studienzeit« (§ 5a III DRiG) ist gut, aber nicht ausreichend. Man muss also auf eine simulierte Praxis ausweichen. Es muss ja nicht gleich das virtuelle Lawville sein. [7]In Deutschland ist der Versuch einer Implementation eines juristischen Szenarios in Second Life anscheinend versandet. Das UK Centre for Legal Education in Warwick scheint dagegen mit der Virtual … Continue reading Hier sind der Phantasie kaum Grenzen gesetzt, und ich will nur noch darauf hinweisen, dass anscheinend die Idee der Legal Clinic nach amerikanischem Muster zunehmend Anhänger findet. [8]Björn Rüdiger, Neue Wege in der Juristenausbildung: Legal Clinics, Mootcourts und Praktikerseminare. Ein Tagungsbericht zur Praktischen Jurisprudenz, ZJS 2011 Heft 6, S. 583-586; Thomas Groß, … Continue reading
Die »Konkurrenz der Rechtsordnungen« kam dramatisch in einem Vortrag des Münchener Anwalts Dr. Ulrich Wastl über die von der amerikanischen SEC veranlassten »Privatermittlungen« in der Korruptionsaffäre der Siemens AG zur Sprache. [9]Worum es geht, kann man weitgehend einem Interview Wastls vom 7. 8. 2008 in der »Wirtschaftswoche« entnehmen. Vgl. Ferner Ulrich Wastl, Zwischenruf: Privatisierung staatsanwaltschaftlicher … Continue reading Erstaunlich, dass das Thema in den Diskussionen überhaupt nicht aufgegriffen wurde. Am Redner lag es nicht. Anscheinend waren die Hörer sprachlos angesichts des ungeheuren Betrages von 1,1 Milliarden EUR Ermittlungskosten für Anwälte und Wirtschaftsprüfer. Eher konnten sie mit dem glasklaren Vortrag von Henning Radtke (Hannover) etwas anfangen, der am Beispiel des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots (Stichwort: Sicherungsverwahrung) die Kompetenzkonflikte im europäischen Mehrebenensystem und die deutsche Reaktion auf die Urteile des EMGH darstellte.
Noch nicht erwähnt habe ich, wie sich die vom Veranstalter im Ausbildungsprogramm vermisste Rechtsgestaltung in der Tagung niederschlug. Dazu werde ich einen separaten Eintrag schreiben.
Nachtrag: Unter der Überschrift »Brot und Butter der meisten Juristen sind Blut und Blech« berichtet Miloš Vec in der FAZ vom 14. 12. 2011 (S. N5) [10]Anscheinend nicht in FAZ-Net. über die Celler Tagung. Von den »streitbaren Reformern«, die er im Untertitel anführt, habe ich nicht viel bemerkt. Im Übrigen fällt an dem Artikel auf, dass die Layout-Abteilung der Zeitung ihn mit einem unmotivierten Justitia-Bild versehen hat. [11]Dazu der Eintrag »Die Bilder der heimlichen Juristenzeitung« vom 19. 1. 2009. So kann man die Seriosität seiner Autoren untergraben.
Nachträglich habe ich in Fußnoten auf einschlägige Beiträge in dem Band von Judith Brockmann u. a. (Hg.), Exzellente Lehre im juristischen Studium, Auf dem Weg zu einer rechtswissenschaftlichen Fachdidaktik, Bd. 1, Baden-Baden 2011, hingewiesen.
Nachtrag Juni 2012:
Inzwischen ist der Tagungsband erschienen: Hagen Hof/Götz von Olenhusen (Hg.), Rechtsgestaltung – Rechtskritik – Konkurrenz von Rechtsordnungen. Neue Akzente für die Juristenausbildung, Baden-Baden, Nomos, 2012 (ISBN 978-3-8329-7362-9)
Hier die Zusammenfassung der Ergebnisse der Tagung aus der Feder von Wilhelm Krull und Hagen Hof.
Was auf der Tagung nicht zur Sprache kam, war die Frage nach der deutschen Juristenausbildung im europäischen Vergleich. Dazu gibt Matthias Kilian in den BRAK-Mittl 2/2012 S. 59-61 die Antwort (Die deutsche Juristenausbildung – wo steht sie im europäischen Vergleich«). Grundlage ist eine 2010 veröffentlichte Studie, in der der Verfasser die Juristenausbildung in 25 europäischen Staaten analysiert [12]Matthias Kilian, Modelle der Juristenausbildung in Europa: Eine Standortbestimmung, Bonn 2010. Der Bologna-Prozess sei in den anderen Ländern nur »formal implementiert worden, indem traditionelle Ausbildungsgänge in ein Bachelor- und ein Masterstudium gegliedert wurden«. Der wichtigste Unterschied zwischen Deutschland und Resteuropa scheint darin zu bestehen, dass hierzulande der Zugang zum Studium und später auch zum Anwaltsberuf sehr offen ist. Überall sonst wird vor, im und nach dem Studium stärker selektiert. Die post-universitäre Einheitsausbildung (Referendarausbildung) in Deutschland ist europaweit einzigartig. Sie öffnet vor allem den Zugang zum Anwaltsberuf. Diese Offenheit, die anscheinend bisher nicht zu einem Juristenproletariat geführt hat, gilt es zu verteidigen.

Anmerkungen

Anmerkungen
1 Hier das Tagungsprogramm als PDF.
2 Hier die Tagungskonzeption als PDF.
3 Alles andere wäre unrealistisch: Röhl, Wozu Rechtsgeschichte?, Jura 1994, 173-178.
4 Dazu für die Rechtssoziologie mein Eintrag vom 12. 9. 2008. Bemerkenswert der Eifer, mit dem sich Austin Sarat als »advocate for disciplinization« für eine Kanonisierung des Faches einsetzt. Zwar spricht er nicht von legal sociology oder sociology of law, sondern von »law and society scholarship«. Aber der Sprachgebrauch in den USA ist eben anders. Schon als Präsident der Law and Society Association hatte Sarat sich für eine »Kanonisierung« des Faches ausgesprochen. Bemerkenswert auch, dass er dafür Juristen (Jack Balkin und Sanford Levinson) zitiert: »Every discipline, because it is a discipline, has a canon, a set of standard texts, approaches, problems, examples, or stories that its members repeatedly employ or invoke, and which help define the discipline as a discipline.« (President’s Column: Every Good Discipline Deserves a Canon. Or How Can We Fight If We Aren’t Armed?, Law & Society Newsletter, November 1998, 1-5) Seither hat Sarat durch die Herausgabe von zahlreichen Readern und des »The Blackwell Companion to Law and Society« selbst erheblich zur Abgrenzung und Befestigung dieses Kanons beigetragen. (Caroll Seron (Hg.), The Law and Society Canon«, Ashgate 2005; Caroll Seron/Susan Silbey, Profession, Science and Culture: An Emergent Canon of Law and Society Research, in: Austin Sarat (Hg.), The Blackwell Companion to Law and Society, Blackwell Publishing 2004, 30-61.) Was im Einzelnen zum Kanon der Rechtssoziologie gehört, zeigt sich in der Literaturverzeichnissen von Lehrbüchern, in Literaturempfehlungen zu Lehrveranstaltungen und in gewohnheitsmäßig wiederkehrenden Zitationen.
5 Dazu noch ziemlich unentschlossen Pascale Cancik, Grundlagenfächer und Fachdidaktik – Fragen der Konzeption einer rechtwissenschaftlichen Fachdidaktik, in: Judith Brockmann u. a. (Hg.), Exzellente Lehre im juristischen Studium, Auf dem Weg zu einer rechtswissenschaftlichen Fachdidaktik, Bd. 1, Baden-Baden 2011, S. 115-125.
6 Zur »Wissenschaftlichkeit des juristischen Studiums« mein Beitrag in Judith Brockmann u. a. (Hg.), Exzellente Lehre im juristischen Studium, Auf dem Weg zu einer rechtswissenschaftlichen Fachdidaktik, Bd. 1, Baden-Baden 2011, S. 67-78.
7 In Deutschland ist der Versuch einer Implementation eines juristischen Szenarios in Second Life anscheinend versandet. Das UK Centre for Legal Education in Warwick scheint dagegen mit der Virtual Town of Ardcalloch erfolgreich eine virtuelle Rechtswelt für die juristische Ausbildung eingerichtet zu haben (etwas näher in meinem Blogeintrag vom 29. 4. 2010 »Von Lawville nach Ardcalloch«).
8 Björn Rüdiger, Neue Wege in der Juristenausbildung: Legal Clinics, Mootcourts und Praktikerseminare. Ein Tagungsbericht zur Praktischen Jurisprudenz, ZJS 2011 Heft 6, S. 583-586; Thomas Groß, Legal Clinics: praxisbezogenes Lernen im juristischen Studium, in: Judith Brockmann u. a. (Hg.), Exzellente Lehre im juristischen Studium, Auf dem Weg zu einer rechtswissenschaftlichen Fachdidaktik, Bd. 1, Baden-Baden 2011, S. 127-133, sowie meine Hinweise in dem Beitrag zur »Wissenschaftlichkeit des juristischen Studiums« (S. 69).
9 Worum es geht, kann man weitgehend einem Interview Wastls vom 7. 8. 2008 in der »Wirtschaftswoche« entnehmen. Vgl. Ferner Ulrich Wastl, Zwischenruf: Privatisierung staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen, ZRP 2011, 57 f.
10 Anscheinend nicht in FAZ-Net.
11 Dazu der Eintrag »Die Bilder der heimlichen Juristenzeitung« vom 19. 1. 2009.
12 Matthias Kilian, Modelle der Juristenausbildung in Europa: Eine Standortbestimmung, Bonn 2010.

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Qualitätsarbeit der Justiz IV

Der Plaghunter ist zum Bughunter geworden. Unter der Überschrift »Karlsruher Leseschwäche« nimmt Rieble (Myops 13/2011, 32-36) sich einen Beschluss der Kammerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 1. 12. 2010 (1BvR 1572/10, NJW 2011, 1661) vor. Mit dieser Entscheidung hatte das Bundesverfassungsgericht einen Beschluss des OLG Frankfurt vom 6. 5. 2010 (3 UF 350/08., FamRZ 2011, 489) aufgehoben, der aber gar nicht so ergangen war, wie das Bundesverfassungsgericht es zugrunde legte. Anscheinend hatten die Richter die Akten nicht gründlich gelesen. Genüsslich macht Rieble geltend, dass das Bundesverfassungsgericht mit zweierlei Maß messe, wenn es selbst gelegentlich daneben greife, für Fehlgriffe anderer Gerichte aber strenge Maßstäbe bereit halte.
Bei dieser Gelegenheit: Ich bin auf der Suche nach Gerichtsfehlern ein bißchen müde geworden, nachdem andere ein ganzes Forschungsprojekt daraus gemacht haben. Der Ertrag von WatchTheCourt ist aber bisher, wenn ich richtig sehe, mit ganzen drei Fällen kümmerlich.

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Wikirecht

In einem Artikel im New Republic vom 25. 5. 2010 schreibt Daniel Lansberg-Rodriguez [1]Er bloggt auf ConstitutionsMaking.org. über »Wiki-Constitutionalism«. Damit meint er das in Südamerika verbreitete Phänomen, dass die Regierungen die Verfassungen bei Bedarf umschreiben.
»This is a phenomenon I call ›Wiki-constitutionalism.‹ In Latin America, constitutions are changed with great frequency and unusual ease (though not through any open-source collaborative process), as if they were Wikipedia pages. The evidence is staggering: The Dominican Republic has had 32 separate constitutions since its independence in 1821. Venezuela follows close behind with 26, Haiti has had 24, Ecuador 20, and Bolivia recently passed its seventeenth. In fact, over half of the 21 Latin American nations have had at least ten constitutions while, in the rest of the world, only Thailand (17), France (16), Greece (13), and Poland (10) have reached double digits. And the process occurs under governments of every political stripe—not just socialist ones like those of Chavez and Bolivia’s Evo Morales. Gruff conservatives like Colombia’s Alvaro Uribe and friendly, doting moderates like the Dominican Republic’s Leonel Fernandez have joined the party too, attempting to tear up and revise their constitutionally-mandated term limits. (It’s important to distinguish between amending and rewriting. Constitutional amendments are common all over the world, but Latin America’s rewrite-mania is truly eccentric: Venezuela, for instance, has adopted 26 new constitutions, but amended an existing one only thrice.)«
Die Wiki-Metapher finde ich gut, und ich will sie gleich übernehmen. Allerdings macht Lansberg-Rodriguez von ihr einen schiefen Gebrauch. Der Witz eines Wiki besteht ja doch darin, dass jedermann an einem Text mitschreiben kann, nicht nur autoritäre Regierungen und die von ihnen gesteuerten Parlamente. [2]Unter dem Titel »WikiRecht das freie Rechtslexikon« gibt es seit November 2008 eine Webseite, die es noch nicht zu nennenswerten Inhalten gebracht hat. Als Träger firmiert eine DeOnA Online … Continue reading Eine passendere Verwendung liegt nahe. In dem Eintrag vom 15. April 2011 hatte ich die These von Thomas Vesting referiert, die Computerkultur werde dazu zwingen, das Recht ständig neu zu überschreiben. Ist es das, was Vesting gemeint hat, ein Recht, an dem jedermann mitschreiben kann? Das hat er zwar nicht ausdrücklich gesagt. Aber sonst wäre der Neuigkeitswert seiner These nur begrenzt, denn dass das positive Recht geändert werden kann und laufend geändert wird, hat, wer es noch nicht wusste, spätestens von Luhmann gelernt. Die Frage ist also, was der Computer insoweit im Vergleich zu Schrift und Buchdruck ändert. Das wäre doch ein schöner Traum, der Traum vom Wikirecht. Den Traum von der »Offenen Gesellschaft der Verfassungsinterpreten« [3]Peter Häberle, JZ 1975, 297-305. gab es ja schon einmal. [4]Diese Formulierung wird Häberles These nicht gerecht. Sie lautete: »Wer die Norm ›lebt‹, interpretiert sie auch (mit). Das ist eine höchst soziologische These, und Häberle verkennt nicht, … Continue reading Und auch der Schritt zur »offenen Gesellschaft der Rechtsinterpreten« wurde schon angedacht. [5]Von Hans Joachim Mengel in: Lexikon der Politikwissenschaft, 4. Aufl. 2010, S. 451. Ich stelle mir das Ganze so vor: Die Vorhut bilden die Blogger mit ihren Blawgs. In der zweiten Linie werden die Kommentare zu den wichtigeren Gesetzen als Wikis organisiert. Und am Ende wird dann das Bundesgesetzblatt von den Bürgern geschrieben. Eher ein Albtraum als ein Traum.

Anmerkungen

Anmerkungen
1 Er bloggt auf ConstitutionsMaking.org.
2 Unter dem Titel »WikiRecht das freie Rechtslexikon« gibt es seit November 2008 eine Webseite, die es noch nicht zu nennenswerten Inhalten gebracht hat. Als Träger firmiert eine DeOnA Online Akademie für Recht und Wirtschaft.
3 Peter Häberle, JZ 1975, 297-305.
4 Diese Formulierung wird Häberles These nicht gerecht. Sie lautete: »Wer die Norm ›lebt‹, interpretiert sie auch (mit). Das ist eine höchst soziologische These, und Häberle verkennt nicht, dass er damit einen anderen als den üblichen Interpretationsbegriff verwendet.
5 Von Hans Joachim Mengel in: Lexikon der Politikwissenschaft, 4. Aufl. 2010, S. 451.

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Die Dominanz des Verfügbaren

Der Umbruch der Medienlandschaft hat handfeste Folgen. Die Digitalisierung der juristischen Literatur, insbesondere der juristischen Zeitschriften setzte erst mit der Jahrtausendwende in voller Breite ein. Es wurden jedoch nur wenige Jahrgänge rückwärts digitalisiert. In aller Regel nehmen die Anbieter nur neue Texte in ihre Datenbanken auf. Das hat zur Konsequenz, dass die älteren Texte kaum noch zur Hand genommen und gelesen werden. Das ist einerseits ein Segen, denn ich stehe nicht an zu behaupten, dass über 90 % aller juristischen Texte – meine eigenen nicht ausgenommen – nach wenigen Jahren zur Makulatur geworden sind. Das ist andererseits ein Verlust, denn in den restlichen 10 % steckt vielleicht Substanz.
Die Tatsache, dass im Zuge der Digitalisierung ältere Texte in Vergessenheit geraten, hat eine Kehrseite. Einige machen daraus ihr Geschäft, indem sie in der Vergangenheit wühlen, alte Texte editieren und Ideengeschichten schreiben. Andere benutzen die alten Bücher in erster Linie als Steinbruch, aus dem sich brauchbare Spolien oder gar ganze Säulen gewinnen lassen. Die Älteren haben oft noch einen gefüllten Bücherschrank, in den sie gelegentlich hineingreifen, und sei es nur aus Nostalgie. Sie (damit meine ich mich) sind dann oft überrascht, wie frisch und neu manche alten Texte wirken, oder umgekehrt, wie altmodisch viele neue Gedanken eigentlich sind. Vielleicht werde ich in Zukunft häufiger Fundstücke aus der Vergangenheit vorzeigen. Heute will ich nur noch mitteilen, welches Buch gerade der Auslöser für diesen Eintrag war, nämlich das Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie Bd. 2 »Rechtstheorie als Grundlagenwissenschaft der Rechtswissenschaft« von 1972. Dagegen wirkt manche moderne Einführung in die Rechtstheorie oder die Grundlagen der Rechtswissenschaft ziemlich blass.

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Überflüssige Literatur

Gelegentlich liest man Zahlen über den gewaltigen Ausstoß an wissenschaftlicher Literatur. Die Naturwissenschaften übertreffen insoweit wohl sogar noch die Sozial- und Geisteswissenschaften. Keiner kann alles thematisch Einschlägige lesen. Man kann das Problem der überflüssigen Literatur von einem distanzierten Beobachterstandpunkt aus ansehen nach dem Motto: Die Evolution wird es schon richten. Aber dem individuellen Wissenschaftler ist damit nicht geholfen. Viele Doktoranden verbringen zwei wertvolle Jahre ihres Lebens damit, überflüssige Literatur zu lesen und auszusondern. Im Übrigen entwickelt jeder seine eigene Technik zum Umgang mit dem Überfluss. Gelegentlich bewundere ich wissenschaftliche Arbeiten, die explizit nur wenige Quellen heranziehen als souverän und elegant. Vermutlich kenne ich dann selbst die einschlägige Literatur nicht gut genug, um zu erkennen, wem alles der Autor noch hätte Kredit geben können.

Bewährt ist die Methode, nur zu lesen und auszuwerten, was andere bereits mehr oder weniger zustimmend oder jedenfalls als diskussionswürdig zitiert haben. Aber da landet man nicht ganz selten in geschlossenen Zitiernetzwerken. Soweit vorhanden, helfen Buchbesprechungen. Dabei zeigt sich jedoch eine merkwürdige Asymmetrie. Es wird immer noch viel zu viel Literatur positiv als wertvoll erwähnt. Selten oder nie erklärt jemand ein Stück schlicht für überflüssig. Dafür gibt es natürlich Gründe. Der erste liegt in dem prinzipiellen Wohlwollen, mit dem nicht nur jede Alltagskommunikation beginnt, sondern das auch Grundlage aller hermeneutischen Anstrengungen ist. Zweitens gehört auch das Besprechungswesen weitgehend zur Netzwirkerei. Drittens fehlt aber auch ein selbstverständlicher Maßstab für das Überflüssige unter dem thematisch an sich Relevanten. Eine Begründung für das Überflüssigkeitsurteil ist ähnlich schwierig wie die Begründung für die offensichtliche Unbegründetheit eines Rechtsmittels nach § 313 Abs. 2 Satz 1 StPO.

Für den Produzenten selbst ist sein Literaturstück nie überflüssig, und sei es, dass er, wie regelmäßig der Verfasser dieser Zeilen, nur schreibt, um sich seiner eigenen Gedanken zu versichern. Vieles wird im Laufe der Zeit überflüssig. Da gilt wohl längst, dass Texte, die älter als zehn Jahre sind, nur noch gelesen werden, wenn sie Bestandteil der Zitatenschatzes geworden sind (und damit wären wir wieder im Netz). Mir geht es aber um die Literatur, die von vornherein überflüssig ist, weil sie mehr oder weniger Bekanntes nur neu formuliert, die man aber dennoch sichten muss, sei es wegen der Prominenz der Autoren, sei es wegen der deutlichen Bezüge der angebotenen Stichworte zu der eigenen Thematik.

Eine große Teilmenge des Genres überflüssige Literatur besteht aus Sammelbänden, wie sie nach Tagungen entstehen oder als Festschriften produziert werden. Wohl unvermeidlich enthält jeder Sammelband Überflüssiges. [1]Kritisch zur Sammelbandunkultur hat sich gerade Gerd Schwerhoff in der heimlichen Juristenzeitung geäußert. (Entschleunigung der Forschung – aber wie?, FAZ Nr. 184 vom 10. 8. 2011 S. N5.) Der … Continue reading Aber nicht selten kann man den ganzen Band vergessen. Ich habe mich gerade wieder über zwei solcher Exemplare geärgert, denn die Mühe, sie zu beschaffen und sie dann mindestens durchzublättern, ist (jedenfalls für mich) nicht unerheblich. Und deshalb fange ich einfach damit an zu benennen, was ich überflüssig gefunden habe, nämlich:
Ralf Diedrich/Ullrich Heilemann (Hg.), Ökonomisierung der Wissensgesellschaft, Wie viel Ökonomie braucht und wie viel Ökonomie verträgt die Wissensgesellschaft?, Berlin 2011
Marc L. M. Hertogh (Hg.), Living Law, Reconsidering Eugen Ehrlich, Oxford 2009; vgl. dazu die zurückhaltende Rezension von Dan Steward. Law & Society Review 45, 2001, 225-227).
Guido Holzhauser/Carolin Suter (Hg.), Interdisziplinäre Aspekte von Compliance, Baden-Baden 2011.

Nachträge:
Schöner Titel, nichts dahinter: Heinz-Dieter Assmann/Frank Baasner/Jürgen Wertheimer (Hg.), Normen, Standards, Werte – was die Welt zusammenhält, Baden-Baden 2012.
Unergiebig: Ralf Diedrich/Ullrich Heilemann (Hg.), Ökonomisierung der Wissensgesellschaft, Wie viel Ökonomie braucht und wie viel Ökonomie verträgt die Wissensgesellschaft?, Berlin 2011.

Christoph Möllers, Die Möglichkeit der Normen. Über eine Praxis jenseits von Moralität und Kausalität, 2015. Klug und belesen. Viel rezensiert und zitiert. Und trotzdem: Überflüssig, es sei denn, man suchte nach einem Beleg für die Möglichkeit des Schreibens.

Dieter Grimm/Christoph König (Hg.), Lektüre und Geltung. Zur Verstehenspraxis in der Rechtswissenschaft und in der Literaturwissenschaft, 2020. Die Texte sind in drei Kolloquien 2012, 2014 und 2016 entstanden und entsprechend abgehangen. Immerhin erfahren wir (S. 7) »Rechtswissenschaft und Literaturwissenschaft sind Interpretationswissenschaften.« Ich habe nur einen interessanten Beitrag gefunden, der aber eigentlich gar nicht unter das Rahmenthema des Bandes passt: Pascale Cancik, Wenn der Gesetzgeber schweigt … — »Interpretation« durch die Verwaltung(en). Das Beispiel der Lärmaktionsplanung, in: Dieter Grimm/Christoph König (Hg.), S. 172-187. Darin zeigt Cancik auf, dass an der Implementation von Planungsrecht eine Vielzahl von Akteuren beteiligt ist.

Anmerkungen

Anmerkungen
1 Kritisch zur Sammelbandunkultur hat sich gerade Gerd Schwerhoff in der heimlichen Juristenzeitung geäußert. (Entschleunigung der Forschung – aber wie?, FAZ Nr. 184 vom 10. 8. 2011 S. N5.) Der weiß auch kein Rezept außer dem Vorschlag, Tagungsbeiträge zunächst grundsätzlich im Open Access Verfahren im Netz zu veröffentlichen.

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Download des Jahres

Ende Juli 2011 unternahm FDP-Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger einen Vorstoß zur Restgleichstellung homosexueller Lebenspartnerschaften mit der Ehe. Aus der CDU erhielt sie Widerspruch, von der Opposition, besonders von den Grünen, dagegen Unterstützung. Da ist es vielleicht der Artikel von Interesse, der zur Zeit an der Spitze der Hitliste des SSRN steht: »What is Marriage?« von Sherif Girgis, Robert George (beide Princeton) und Ryan T. Anderson (University of Notre Dame). Seit der Veröffentlichung am 11. 12. 2010 wurde er 34.283 Mal heruntergeladen und 84.402 zitiert. Die Autoren plädieren vehement für das Festhalten am herkömmlichen Ehebegriff und gegen die absolute Gleichstellung. Hier das Abstract:
In the article, we argue that as a moral reality, marriage is the union of a man and a woman who make a permanent and exclusive commitment to each other of the type that is naturally fulfilled by bearing and rearing children together, and renewed by acts that constitute the behavioral part of the process of reproduction. We further argue that there are decisive principled as well as prudential reasons for the state to enshrine this understanding of marriage in its positive law, and to resist the call to recognize as marriages the sexual unions of same-sex partners.
Besides making this positive argument for our position and raising several objections to the view that same-sex unions should be recognized, we address what we consider the strongest philosophical objections to our view of the nature of marriage, as well as more pragmatic concerns about the point or consequences of implementing it as a policy.
Das Thema ist in vielen Ländern der westlichen Welt aktuell. Es trifft sich, dass mir vor kurzem Thomas Kupka seinen Artikel über »Verfassungsnominalismus« geschickt hat, der der soeben in ARSP 97, 2011, 44-77 erschienen ist. Kupka macht die Sache spannend, denn er verspricht eingangs, zwei auf den ersten Blick höchst widersprüchlich erscheinende Urteile des kalifornischen Supreme Courts zur Zulässigkeit der gleichgeschlechtlichen Ehe zu harmonisieren. 2008 ging es um die Verfassungsmäßigkeit einer Bestimmung aus dem Familiengesetzbuch, die ihrem Wortlaut nach nur Personen unterschiedlichen Geschlechts die Eheschließung gestattete:
»Family Code section 300 currently provides in relevant part: ›Marriage is a personal relation arising out of a civil contract between a man and a woman, to which the consent of the parties capable of making that contract is necessary.‹ In light of its language and legislative history, all parties before us agree that section 300 limits marriages that lawfully may be performed in California to marriages of opposite-sex couples.« (In re Marriage Cases, 43 Cal. 4th 757). Diese Beschränkung wurde für verfassungswidrig erklärt, denn auch wenn die kalifornische Verfassung das Recht auf Eheschließung nicht erwähne, so sei doch nach vielen Vorentscheidungen klar, dass unter dem Schutz der Verfassung jedermann das Grundrecht auf Heirat ohne Rücksicht auf das Geschlecht des Partners habe. Und dazu gehöre auch, dass die Verbindung gleichgeschlechtlicher Paare als »marriage« zu bezeichnen sei, auch wenn das nicht dem historischen Sprachgebrauch entspreche. »The current statutes—by drawing a distinction between the name assigned to the family relationship available to opposite-sex couples and the name assigned to the family relationship available to same-sex couples, and by reserving the historic and highly respected designation of marriage exclusively to opposite-sex couples while offering same-sex couples only the new and unfamiliar designation of domestic partnership—pose a serious risk of denying the official family relationship of same-sex couples the equal dignity and respect that is a core element of the constitutional right to marry.«
Kalifornien ist bekannt dafür, dass es der direkten Demokratie großen Raum gewährt. Sogar die Verfassung kann durch Volksentscheid geändert werden. Im November 2008 wurde auf diesem Wege mit der Proposition 8 ein Verfassungszusatz mit dem Namen California Marriage Protection Act angenommen, der die Verfassung um den Zusatz ergänzte: »Only marriage between a man and a woman is valid or recognized in California«.
Schon im nächsten Jahr hatte der Supreme Court in Strauss v. Horton, 46 Cal. 4th 364 über die Gültigkeit dieser Bestimmung zu entscheiden. Aus deutscher Sicht hätte man wohl die Frage gestellt, ob Proposition 8 verfassungswidriges Verfassungsrecht begründet hätte. Der Supreme Court rettete die Proposition 8, in dem er sie eng auslegte: Sie bedeute in keiner Weise eine Einschränkung des Rechts gleichgeschlechtlicher Paare zur Heirat mit allen ihren Wirkungen. Dieser Verbindung werde einzig und allein die Benennung als Ehe versagt, und selbst in dieser eingeschränkten Bedeutung gelte Proposition 8 nur für die Zukunft: » Proposition 8 reasonably must be interpreted in a limited fashion as eliminating only the right of same-sex couples to equal access to the designation of marriage, and as not otherwise affecting the constitutional right of those couples to establish an officially recognized family relationship.« Eine andere Frage ist dann, ob die Bestimmung gegen die Bundesverfassung verstößt, wie inzwischen wohl ein Federal Court entschieden hat. Wie Kupka mit diesen Urteilen umgeht, möge man bei Interesse selbst nachlesen.
Ich finde das Thema zurzeit unter dem Gesichtspunkt interessant, ob und wieweit die juristische Methode die Gesetzesauslegung lenken kann. In der Zeitschrift für Rechtssoziologie gibt es einen älteren Artikel zum Thema von Jörg Wegener [1]Die Ehe für gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften, ZfRSoz 16, 1995, 170-191. Damit reagierte Wegener auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 4. 10. 1993, NJW 1993, 3058., der sehr schön Fakten zum Thema zusammenstellt und dann – vorsichtig gesagt – wenig überzeugend die Ansicht zu begründen versucht, die Ehe von gleichgeschlechtlicher Personen sei bereits de lege lata zulässig. Wenig überzeugend, denn das, was Wegener als »institutionelle Auslegung« des Art. 6 GG abtut, ist nun einmal der Standard der Methodenlehre [2]Sehr viel differenzierter Hans-Martin Pawlowski, Methodenlehre für Juristen, 3. Aufl., Heidelberg 1999, 409 ff.. Es wird ja immer wieder behauptet, dass die Richterpersönlichkeit für viele Entscheidungen wichtiger sei als das Gesetz. Ich würde eine Wette abschließen, dass fast alle Juristen, die in einer professionell eingekleideten Gesetzesauslegung zu dem Ergebnis gelangen, der Ehebegriff des Art. 6 GG verlange kein unterschiedliches Geschlecht der Partner, selbst homosexuell sind.

Anmerkungen

Anmerkungen
1 Die Ehe für gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften, ZfRSoz 16, 1995, 170-191. Damit reagierte Wegener auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 4. 10. 1993, NJW 1993, 3058.
2 Sehr viel differenzierter Hans-Martin Pawlowski, Methodenlehre für Juristen, 3. Aufl., Heidelberg 1999, 409 ff.

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In eigener Sache VIII: Veröffentlichungen

Ressort- und Berichtsforschung als Datenquelle, in: Matthias Mahlmann (Hg.), Gesellschaft und Gerechtigkeit, Festschrift für Hubert Rottleuthner, Baden-Baden 2011, S. 357-393

Alternatives to Law and to Adjudication, in: Knut Papendorf u. a. (Hg.), Understanding Law in Society, Developments in Socio-legal Studies, Berlin 2011, S. 191-238

Die Wissenschaftlichkeit des juristischen Studiums, in: Judith Brockmann u. a. (Hg.), Exzellente Lehre im juristischen Studium, Auf dem Weg zu einer rechtswissenschaftlichen Fachdidaktik, Bd. 1, Baden-Baden 2011, S. 67-78.
Die ausführliche Besprechung von Cornelia Vismann, die ich abschnittsweise bereits in Recht anschaulich und in Rsozblog eingestellt hatte, ist nunmehr in der Zeitschrift für Rechtssoziologie 32, 2011, 262-276 erschienen.

Zusammen mit Hans Christian Röhl: Röhl, Juristisches Denken mit Versatzstücken, in: Judith Brockmann u. a. (Hg.), Methoden des Lernens in der Rechtswissenschaft, Baden-Baden 2012, S. 251-258.

Im Januar 2013 ist bei Mohr Siebeck erschienen »Demokratie-Perspektiven. Festschrift für Brun-Otto Bryde zum 70. Geburtstag (ISBN 978-3-16-152197-3). Darin S. 675-710 mein Beitrag »Entwicklungshilfe durch Recht und die Konvergenzthese«.

Erschienen sind schließlich in der EzR (Enzyklopädie zur Rechtsphilosophie der Deutschen Sektion der Internationalen Vereinigung für Rechts- und Sozialphilosophie – IVR) meine Beiträge Grundlagen der Methodenlehre I und Grundlagen der Methodenlehre II.

Zusammen mit Stefan Machura: 100 Jahre Rechtssoziologie: Eugen Ehrlichs Rechtspluralismus heute, Juristenzeitung 2013, 1117-1128.

»Die Rechtstheorie ist schlecht vernetzt«, in: Aarnio Aulis u. a. (Hg.), Positivität, Normativität und Institutionalität des Rechts, Festschrift für Werner Krawietz zum 80. Geburtstag, Berlin 2013, S. 537-565.

Theodor Geiger, Bemerkungen zur Soziologie des Denkens, ARSP XLV, 1969, 23-52, in: Annette Brockmöller (Hg.), Hundert Jahre Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie, 2007, S. 149-165.

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Wäre das ein Plagiat?

In der heimlichen Juristenzeitung vom 24. 6. 2010 schreiben Justus Haucap und Jürgen Kühling über »Gerechtere Wasserpreise«. Ein bißchen (aber nur ganz wenig) habe ich mich über den ersten Satz geärgert: »Die kommunale Trinkwasserversorgung ist das letzte Monopol ohne wirksame Kontrolle.« Das ist reißerisch, weil es falsch ist. Deshalb habe ich einfach einmal nicht, durch Copy and Paste, sondern durch Suchen und Ersetzen, die Trinkwasserversorgung gegen die Abwasserbeseitigung ausgetauscht:
Die Abwasserbeseitigung ist ein natürliches Monopol. Echter Wettbewerb konkurrierender Entsorger im Markt ist nicht nur schwer zu etablieren, er ist volkswirtschaftlich auch gar nicht effizient und würde letztlich zu Kostensteigerungen führen. Weil aber deswegen die Verbraucher – anders als auf den meisten anderen Märkten – ihren Anbieter nicht wechseln können, wenn dessen Preise oder Service ihnen nicht gefallen, fehlt die marktliche Disziplinierung der Anbieter.
Die Verbraucher sind daher – weil die Entsorgung von Abwasser ein besonders wichtiges Gut ist – besonders schutzbedürftig. Ohne effektive behördliche Kontrolle könnten die Entsorgungsunternehmen ihre Monopolstellung missbrauchen. Wie die Erfahrung zeigt, lässt sich dies auch nicht allein dadurch verhindern, dass Abwasserentsorgung als öffentlich-rechtliche Organisationseinheit im kommunalen Eigentum geführt wird. Denn dies birgt die Gefahr, dass übermäßig hohe Kosten produziert werden, ineffizient gewirtschaftet wird und – im schlimmsten Fall – durch inkompetente Betriebsführung und Verwaltung den Bürgern unnötige Kosten aufgebürdet werden, denen sie sich nicht entziehen können. Eine Privatisierung allein hilft auch nicht weiter, da sie die Anreize zu Preismissbrauch nicht verhindert.
Entscheidend ist demnach weniger die Organisationsform als die Aufsicht über die Abwasserentsorgung der Endverbraucher. Denn auch ein Durchleitungswettbewerb, bei dem Konkurrenten die Leitungen der etablierten Anbieter zu regulierten Preisen mitbenutzen, ist in der Abwasserwirtschaft – anders als bei Telekommunikation und Energie – wenig sinnvoll.
Usw. usw.
Zugegeben, an einigen Stellen müsste man von Hand nacharbeiten. Der regionale Schwerpunkt könnte von Hessen in die ostdeutschen Bundesländer wandern. Doch im Prinzip passt alles.

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