In eigener Sache VI: Zitierregeln im Internet

Aus Anlass der für den 9. April in Berlin angekündigten Theorieblog-Tagung will ich hier meinen Kommentar zu den Überlegungen von Marc Scheloske »Wie man Blogs wissenschaftlich korrekt zitiert« wiederholen:
Scheloske hat mit einem Posting vom 4. 12. 2007 zur Frage, »Wie man Blogs wissenschaftlich korrekt zitiert«, eine interessante Diskussion eingeleitet. In der Frage, wie die Quellenangabe für ein Zitat zu fassen ist, bin ich jedoch entschieden anderer Meinung als Scheloske. Man muss immer im Sinn haben, dass es sich bei den Zitierregeln, soweit sie nicht im Urheberrecht festgeschrieben sind, um bloße Konventionen handelt, die in erster Linie unter dem Gesichtspunkt von Zweckmäßigkeit und Fairness stehen.
Bei der Gestaltung hat man deshalb erhebliche Freiheiten, solange man nicht gerade eine Qualifikationsarbeit schreibt, für die Bürokraten Zitierregeln festgelegt haben, oder bei einem Verlag publizieren will, der in seinen Veröffentlichungen Einheitlichkeit verlangt. Die von Scheloske vorgeschlagene Zitierregel ist überkorrekt und unzweckmäßig. Es hilft ihr wenig, dass sie sozusagen der herrschenden Meinung in den üblichen Anleitungen zum wissenschaftlichen Arbeiten entspricht. Wenn ich das Posting vom 4. 12. 2007 hier nach seinem Vorschlag zitieren wollte, müsste ich schreiben: »Scheloske, Marc (2007): Eine Wissenschaft für sich » Wie man Blogs wissenschaftlich korrekt zitiert | Werkstattnotiz XLII. In: Wissenswerkstatt [Weblog], 4 Dez. 2007. Online-Publikation: http://www.wissenswerkstatt.net/2007/12/04/eine-wissenschaft-fuer-sich-wie-man-blogs-wissenschaftlich-korrekt-zitiert-werkstattnotiz-xlii/. Abrufdatum: 21. 10. 2008«.
Mir kommt diese Zitierweise beinahe wie eine Karikatur vor. Jedenfalls ist sie unzweckmäßig, und last not least verschenkt sie gerade die spezifische Chance des Web zur Gestaltung von Verweisen als Hyperlink. Der Vorschlag ist unzweckmäßig, weil das Ergebnis leseunfreundlich, schreibunfreundlich und platzraubend ist. Die Länge steht auch nicht in einem angemessenen Verhältnis zum Quelltext. Allein deswegen dürfte mancher von vornherein auf einen Nachweis verzichten. Wie könnte man stattdessen verfahren? Es ist ein Gebot der Fairness, den Namen des Verfassers zu nennen. Ich selbst nenne in der Regel auch den ausgeschriebenen Vornamen. Alle weiteren Angaben stehen unter dem Erfordernis der Zweckmäßigkeit. Die Angabe des Titels ist nur sinnvoll, wenn er näheren Aufschluss über den Inhalt der Quelle gibt. Im Beispiel wird die Sache dadurch komplizierter, dass der Autor seine Überschrift blumig ausschmückt. »Wie man Blogs wissenschaftlich korrekt zitiert« – das ist für sich genommen ein informativer Titel. Etwas anderes gilt für den ersten Teil »Eine Wissenschaft für sich«. Er soll wohl ironisch andeuten, dass die Zitierregeln kompliziert sind. Vielleicht kam es dem Autor auch auf den Sprachwitz an, der sich durch Gleichklang und Doppelsinn von »wissenschaftlich« und »Wissenschaft« einstellt. Für mich wäre dieser Zusatz Grund, gleich ganz auf die Angabe des Titels zu verzichten. Für überflüssig halte ich die Angabe »Werkstattnotiz XVII«. Ich sehe nicht, dass sie dem Leser helfen könnte. [1]Gemeint ist der Leser des zitierenden Textes. Im (zitierten) Blog ist ein solcher Titelzusatz, wie ich ihn ja auch für diesen Eintrag verwende, sinnvoll, weil er ein bißchen Kohärenz in das … Continue reading Die Entstehungszeit einer Quelle ist dagegen meistens relevant. Es genügt aber das Jahr. Das Datum ist nur notwendig, wenn es gerade darauf ankommt.
Ein neues Medium imitiert regelmäßig zunächst seine Vorgänger. Das ist zweckmäßig nicht zuletzt deshalb, weil es damit an deren Reputation anknüpfen kann. Deshalb leuchtet der Vorschlag ein, die übliche Zitierweise für Sammelwerke zu übernehmen, also zu schreiben »In: Wissenswerkstatt …«. Im zweiten Anlauf kommen mir dann aber Zweifel, ob der Blog-Name wirklich eine brauchbare bibliografische Angabe ist. Nicht selten sind diese Namen eher merkwürdig bis albern. Der Klammerzusatz (»Weblog«) ist andererseits wohl nur sinnvoll, wenn zuvor ein Name dasteht. Ich würde auch darauf verzichten, mindestens aber auf die Kennzeichnung als »Internetpublikation«. Man darf wohl annehmen, dass die Leser wissen, dass Weblogs im Internet veröffentlicht werden.
Der Knackpunkt ist die Angabe der URL. In einem Printmedium gilt diese Angabe als notwendig. [2]Obwohl sie dort wenig hilft, weil das Abtippen schwierig ist. In aller Regel genügt es, wenn man weiß, dass die Quelle im Netz zu finden ist. Dann lässt sie sich viel leichter gugeln. Im Web finde ich sie abwegig. Dafür gibt es den (verdeckten, aber als solchen erkennbaren) Hyperlink. Die Sache wird beinahe skurril, wenn im Permalink noch einmal der ganze Titel wiederholt wird. Damit kann man auch redlichen Autoren das Zitieren abgewöhnen. Zum Schluss noch das Abrufdatum: Auch das ist in meinen Augen nur überflüssiges Perfektionsstreben. Fraglos besteht bei Internetquellen das Problem, dass sie im Inhalt verändert werden oder verschwinden. Wenn die Quelle vom Anbieter aus dem Internet entfernt wird, dann ist sie weg. Da hilft kein Abrufdatum mehr. Und auch Änderungen kann man mit seiner Angabe in der Regel nicht erkennen.
Ich plädiere also für eine möglichst schlanke Zitierweise, die dem Autor Fairness angedeihen lässt und dem Leser nur die unbedingt notwendigen und wirklich hilfreichen Informationen bietet. Bei Internetpublikationen ist sie umso mehr angezeigt, als Fußnoten und angehängte Literaturverzeichnisse dem Medium eher fremd sind. Quellennachweise sollten daher unter Verwendung von Hyperlinks in den Text eingebaut werden, und zwar so, dass die Lesbarkeit des Textes darunter möglichst wenig leidet. Mein Zitiervorschlag für das das Posting, auf das sich diese meine Anmerkungen beziehen, ergibt sich implizit aus dem Eingangssatz. Mehr ist nicht notwendig.

Anmerkungen

Anmerkungen
1 Gemeint ist der Leser des zitierenden Textes. Im (zitierten) Blog ist ein solcher Titelzusatz, wie ich ihn ja auch für diesen Eintrag verwende, sinnvoll, weil er ein bißchen Kohärenz in das blogübliche Piecemeal Writing bringt.
2 Obwohl sie dort wenig hilft, weil das Abtippen schwierig ist. In aller Regel genügt es, wenn man weiß, dass die Quelle im Netz zu finden ist. Dann lässt sie sich viel leichter gugeln.

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Eigenlogik – eine neue Supertheorie

So neu ist die Sache eigentlich gar nicht. Aber auf dem Jubiläumskongress der DGS in Frankfurt ist sie mir besonders aufgefallen, die Eigenlogik als universelles Erklärungswerkzeug der Soziologen. Von der Logik der Organisation war da die Rede, von der Logik des Vertrages oder von Sanktionslogik. Die Eigenlogik der Bilder, so habe ich gelernt, liegt darin, dass sie über höhere Evidenz verfügen. Konstitutionslogisch handelt es sich dabei um eine Redensart zur Erklärung des nicht weiter Erklärbaren.
Situationslogik lasse ich mir gefallen. Es handelt sich um einen Begriff aus der soziologischen Handlungstheorie. Wer sich nicht treiben lässt, sondern sinnvoll handeln will, muss sich Ziele oder Zwecke setzen und nach Mitteln fragen, mit denen sie verwirklicht werden können. Er muss also fragen, welche Verhaltensweisen (= Mittel) geeignet sind, eine gegebene Ausgangssituation in eine gewünschte andere Situation (= Zweck) zu überführen. Ein Zweck kann darauf beschränkt sein, den gegebenen Zustand vor Veränderungen zu bewahren, eine Entwicklungstendenz zu beschleunigen oder sie zu bremsen. In manchen Situationen drängen sich bestimmte Handlungsstrategien geradezu auf. Situationen dieser Art werden von der Spieltheorie beschrieben. Insofern ist es angezeigt von einer Eigenlogik der Situation oder Situationslogik zu sprechen. Oft wird der Ausdruck gleichbedeutend mit »Rationalität« oder häufiger noch im Plural »Rationalitäten« gebraucht. Für die Frage, wie die Situation von den handelnden Personen »definiert« wird, sind Psychologie und Soziologie zuständig. [1]Zur Orientierung und als Quelle für Nachweise vgl. Hartmut Esser, Die Definition der Situation, Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 48, 1996, 1-34.
Entstanden ist die Rede von der Eigenlogik anscheinend zur Ersetzung von Luhmann geprägter Begriffe der Systemtheorie. Anstatt von autopoietischer Schließung und der daraus folgenden Autonomie sprechen manche von der »Eigenlogik« oder »Eigenrationalität« der Systeme. Gemeint ist damit, dass Systeme bestimmten Sachzwängen oder funktionalen Imperativen gehorchen und/oder, dass sie eine relative Autonomie besitzen. Wo zwei Systeme aufeinandertreffen, ist dann von Rationalitätenkonflikten die Rede: Die Wirtschaft arbeitet nach einer anderen »Logik« als die Politik; Religion und Wissenschaft können sich schwer verstehen; der Arbeitsmarkt fordert den räumlich und zeitlich mobilen Arbeitnehmer (Arbeitsmarktlogik), der den Anforderungen einer Familie (Familienlogik) kaum genügen kann, usw.
Bei Marc Amstutz [2]Evolutorisches Wirtschaftsrecht, 2001, S. 184 etwa lesen wir:

Die »Eigenlogik des Rechtsystems markiert nun gerade die äußerste Grenze der Variabilität seiner Normen. «

Von Teubner [3]Google Books findet den Ausdruck »Eigenlogik« in Teubners »Recht als autopoietisches System« vier Mal (auf S. 60, 92, 123 und 149). etwa erfahren wir, dass die Globalisierung sich »polyzentrisch« entwickelt; es entsteht eine Vielzahl von transnationalen Rechtsregimen, die den Eigenlogiken der jeweiligen gesellschaftlichen Teilsysteme folgen, die sich als solche zu Weltsystemen entwickelt haben. Dieses transnationale Recht wird nicht durch das Völkerrecht koordiniert, und es fügt sich erst recht in keinen Stufenbau und wird von keiner einheitlichen Gerichtshierarchie kontrolliert. Daraus entstehen »Regimekollisionen«, denn die jeweiligen transnationalen Rechtsregime orientieren sich an der Eigenlogik ihres Funktionssystems. Die WTO z.B. ist Teil des Wirtschaftssystems und setzt auf wirtschaftliche Rationalität mit der Folge, dass der Freihandel den Gesundheitsschutz behindert oder der weltweite Patentschutz angestammte Kulturtechniken in die Illegalität abdrängt. Mir erscheinen die »Eigenlogik« jeweils systemspezifischer transnationaler Rechtsentwicklungen und die daraus folgenden »Rationalitätenkonflikte« eher als Artefakte der zugrunde liegenden Theorie. Sie werden aus der »operativen Schließung« der Systeme abgeleitet, und Systeme wiederum sind per definitionem »autonom«.
Bei Systemtheoretikern hat die Eigenlogik einen festen Platz im Theoriegebäude. Doch sie wird auch ohne Theoriebezug verwendet. Einige Beispiele:
Aus dem 13. Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung (2. Aufl. 2009, BT Drucksache 16/12860, S. 61):

»Der Körper ist einerseits sperrig und widersetzt sich in seiner spezifischen Eigenlogik der vollständigen Instrumentalisierung.«

ind ebenda S. 71:

»… Themen wie … die Analyse unerwünschter Nebenwirkungen ›fürsorglicher Belagerung‹ und ihrer institutionellen Eigenlogiken …«

Oder: Aus Uwe Vormbusch, Die Kalkulation der Gesellschaft, in: Andrea Mennicken/Hendrik Vollmer (Hg.), Zahlenwerk, Kalkulation, Organisation und Gesellschaft, 1. Aufl., Wiesbaden 2007, S. 43-64, S. 54.

»Form und Ergebnisse der in dieser Weise stimulierten Aushandlungsprozesse folgen einerseits einer gewissen (argumentativen und ›realweltlichen‹) Eigenlogik, andererseits sind sie eine Funktion der zugrunde gelegten Taxonomie und der Fähigkeit kalkulativer Praktiken, soziale Phänomene in organisierbare, komplexitätsreduzierte und handhabbare Größen zu transformieren.«

Der Begriff der Eigenlogik ist weitgehend zu einer bloßen Redensart verkommen, so etwa, wenn von einer »Eigenlogik der Städte« gesprochen wird, oder, wenn »Eigenlogik« und »Verzahnung« als Begriffspaar verwendet werden. Sehr hübsch eine Internetseite, die Beispielsätze mit »Eigenlogik« ins Englische übersetzt. Früher hätte man in vielen Fällen, für die heute von Eigenlogik die Rede ist, vom Wesen oder von der Natur der Sache gesprochen. Diese Redeweisen sind nicht ohne Grund in Verruf gekommen.

Anmerkungen

Anmerkungen
1 Zur Orientierung und als Quelle für Nachweise vgl. Hartmut Esser, Die Definition der Situation, Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 48, 1996, 1-34.
2 Evolutorisches Wirtschaftsrecht, 2001, S. 184
3 Google Books findet den Ausdruck »Eigenlogik« in Teubners »Recht als autopoietisches System« vier Mal (auf S. 60, 92, 123 und 149).

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Von der geschlechtsspezifischen Bürgerschaft zum geschlechtsspezifischen Management

Durch ein Rundschreiben der Nationalen Kontaktstelle Sozial-, Wirtschafts- und Geisteswissenschaften – Ausgabe 20/2010 bin ich auf ein Seminar mit dem Titel »Geschlechtsspezifische Bürgerschaft im multikulturellen Europa« aufmerksam geworden. Der Begriff der geschlechtsspezifischen Bürgerschaft ist für mich neu. Durch Gugeln bin ich nur noch auf eine weitere Quelle gestoßen, die beiläufig besagt, dass da jemand eine Dissertation zu diesem Thema in Mexiko fertigstellen will. Das englische Original gendered citizenship führt ein Stück weiter. Da findet sich in der viel geschmähten Sammlung von Google ein Buch der Inderin Anapama Roy mit dem Titel »Gendered Citizenship. Historical and Conceptual Explorations« von 2005, bei dem – wie in vielen anderen Büchern auch – der interessanteste Teil die Einleitung ist, die die geistesgeschichtliche Entwicklung des Begriffs »citizenship« referiert. So habe ich gelernt, dass das Konzept der Bürgerschaft ursprünglich für weiße Männer in einer Klassengesellschaft entwickelt worden sei und daher den Bedürfnissen besonderer kultureller Gruppen nicht Rechnung trage. Darauf reagiere der Gegenentwurf einer differenzierten Bürgerschaft, der die Mitglieder gewisser kultureller Gruppen nicht bloß als Individuen, sondern als Angehörige der Gruppe begreife, die für ihre besonderen Bedürfnisse sorge. Man kann sich dann selbst ausrechnen, was gendered citizenship meinen könnte. Aber das interessiert mich gar nicht wirklich. Interessant fand ich dagegen den einzigen deutschen Text, in dem – wie bereits erwähnt – jedenfalls am Rande die geschlechtsspezifische Bürgerschaft auftaucht. Es handelt sich um eine von der EU gesponserte Studie über »Geschlechterquoten bei Wahlsystemen und ihre Umsetzung in Europa« aus dem Jahre 2008. [1]Die Autorenschaft ist so kompliziert, dass sie in die Fußnote verbannt wird. Verfasser: Drude Dahlerup und Lenita Freidenvall mit Unterstützung von Eleonora Stolt, Katarina Bivald und Lene … Continue reading Die bietet harte Rechtstatsachenforschung. Es geht darum, ob und unter welchen Umständen gesetzliche Geschlechterquoten oder von den Parteien freiwillig eingeführte Quoten ihre Wirkung tun. Da scheiden, wie der Vergleich von Deutschland und Frankreich zeigt, parteiinterne Quoten nicht schlechter ab. Das liegt vielleicht daran, dass die Parteien sozusagen die Türhüter der Wahllokale sind.
Nachdem in Deutschland und vielen anderen Ländern der emanzipatorische Feminismus seine Gleichberechtigungsziele erreicht hat, ist nun neben dem kulturellen Feminismus der Leadership-Feminismus angesagt. Dabei geht es um die Repräsentation von Frauen nicht nur in der Politik, sondern auch in Führungspositionen der Wirtschaft. In Analogie zur geschlechtsspezifischen Bürgerschaft kann man von geschlechtsspezifischem Management sprechen. Bisher gibt es den Begriff anscheinend nur in der Medizin, z. B. in der Knie-Endoprothetik.
Während für die Politik in Deutschland parteiinterne und in vielen andern Ländern auch gesetzliche Frauenquoten mehr oder weniger akzeptiert sind, sind sie für die Wirtschaft heftig umstritten. Heute will die EU-Kommissarin Viviane Reding eine Europäische Gleichstellungsrichtlinie vorlegen: 2015 soll der Frauenanteil in Aufsichtsräten 30 Prozent betragen, 2020 sollen 40 Prozent Frauen in Spitzenpositionen der Wirtschaft vertreten sein. Bisher liegt der Frauenanteil für ganz Europa wohl nur bei drei Prozent, bei deutschen DAX-Unternehmen immerhin bei 13 %. Damit stellt sich die Frage, ob auch in der Wirtschaft »freiwillige« Quotenregelungen die gleiche oder bessere Wirkung haben als obligatorische. Rechtssoziologische Empirie kommt da vermutlich, wie so oft, zu spät. Empiriefreie Paradoxologie könnte aber vielleicht das Paradoxon des paternalistischen Feminismus entfalten und invisibilisieren.

Anmerkungen

Anmerkungen
1 Die Autorenschaft ist so kompliziert, dass sie in die Fußnote verbannt wird. Verfasser: Drude Dahlerup und Lenita Freidenvall mit Unterstützung von Eleonora Stolt, Katarina Bivald und Lene Persson-Weiss, Forschungszentrum ›Women in Politics (WIP)‹, Abteilung Politikwissenschaft der Universität Stockholm, in Zusammenarbeit mit International IDEA

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Die Bertelsmann-Stiftung als Ghostwriter der Politik

Vor Jahr und Tag hatte ich hier einige Zeilen über die Bertelsmann-Stiftung geschrieben. Nun feiert der Medienkonzern den 175. Geburtstag, und diesem Anlass widmete das Feuilleton der heimlichen Juristenzeitung gestern fast die ganze erste Seite. Unter der Überschrift »Grundgütiges aus Gütersloh« setzt sich dort der Hamburger Notar Peter Rawert kritisch mit der Rechtskonstruktion der sogenannten Doppelstiftung auseinander, die es gestattet, mit Hilfe der gemeinnützigen Stiftung den Konzern am Rande der Legalität steuersparend zu beherrschen. Und unter der Überschrift »Bertelsmanns Republik?« nimmt Jürgen Kaube die Politikberatung durch die Bertelsmann-Stiftung aufs Korn. Beide Artikel – die in FAZ.NET leider nur für Abonnenten frei zugänglich sind – verweisen auf ein eben im Campus-Verlag erschienenes Buch des Journalisten Thomas Schuler: Bertelsmann Republik Deutschland. Eine Stiftung macht Politik.
Die Kavallerie der Ökonomisierung, so hatte ich die Bertelsmann-Stiftung genannt. Mehr als das, sie ist der Ghostwriter der Politik. Ich muss gestehen, dass ich die Bertelsmann-Stiftung bewundere. Hunderte von Politikwissenschaftlern, Ökonomen und Rechtssoziologen scheitern mit dem Versuch, sich bei der Politik Gehör zu verschaffen. Nur die Bertelsmann-Stiftung schafft es immer wieder. Um nur die wichtigsten Beispiele zu nennen: Sie hat das Neue Steuerungsmodell in Verwaltung und Justiz lanciert, sie hat die Hartz IV-Gesetze geprägt, und sie hat der Hochschulreform die Richtung gewiesen. Die zugrunde liegende Forschung als solche ist, soweit ich das beurteilen kann, durchaus in Ordnung. Viele Universitätsinstitute wären glücklich, wenn sie Vergleichbares geleistet hätten. Was lerne ich daraus? Die Kapitel Politikberatung und Wertfreiheit der Wissenschaft müssen zwar nicht neu geschrieben werden. Aber sie erhalten neue, eindrucksvolle Beispiele.

Nachtrag vom 17. Juli 2016

Über »Entmündigung als Bildungsziel« schreibt Thomas Thiel heute einen großen Artikel in der heimlichen Juristenzeitung. Darin beklagt er den fehlenden Datenschutz bei den Online-Tutorials insbesondere amerikanischer Anbieter, der dazu führen könne, dass die Bildungsbiographien der Lerner mit ihren persönlichen Daten, mit ihren Stärken, Schwächen und Vorlieben gespeichert und kommerziell verwertet werden, insbesondere auch als Angebot an das Personalmanagement. Er beklagt, dass auch die deutschen Universitäten sich mehr oder weniger kritiklos dieser Praxis bedienen und dass dabei die Bertelsmann Stiftung mit ihrem Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) als Antreiber fungiert.

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Zur Legalisierung von Cannabis

Drei Dinge kamen zusammen und sind Anlass für diese Stellungnahme:
1. Es gibt interessante neue Literatur zur Geschichte der Prohibition in den USA. [1]Mark Lawrence Schrad, The Political Power of Bad Ideas. Networks, Institutions, and the Global Prohibition Wave, Oxford 2010. Das in diesem Zusammenhang wichtige Kapitel findet man auch unter dem … Continue reading
2. Der neue von der SPD gestellte Justizminister in Düsseldorf, Kuschaty, will die Toleranzgrenze für den straffreien Besitz von Haschisch und Marihuana auf zehn Gramm anheben.
3. Eine freundlicher Mitmensch hatte mir zum Geburtstag ein Jahresabonnement des Wirtschaftsmagazins »brand eins« geschenkt (das ich sonst kaum zur Kenntnis genommen hätte). Dort findet sich im Septemberheft (S. 12 f.) ein Artikel von Harald Willenbrock mit dem Titel »Weshalb ist Alkohol hierzulande erlaubt, Haschisch jedoch verboten?« Darin stellt Willenbrock die schädlichen Wirkungen von Alkohol-, Nikotin- und Cannabiskonsum gegenüber, erwähnt die Kosten des aussichtslosen Kampfes zur Durchsetzung des Cannabisverbots und verweist auf Bestrebungen zur Liberalisierung in Kalifornien und Dänemark.
In der »Rechtssoziologie« von 1987 hatte ich an Hand der damals verfügbaren Literatur über das Scheitern der Prohibition in den USA berichtet (S. 253 f.). Der Abschnitt beginnt:

Ein Lehrstück für die Grenzen des Rechts bei der unmittelbaren Einwirkung auf individuelles Verhalten bildet die Geschichte der Prohibition in den USA zwischen 1920 und 1932.

Als »Lehre« hatte ich damals zwei Dinge im Auge, nämlich erstens das Phänomen, dass Lebensbereiche wie der Umgang mit Alkohol und Rauschmitteln dem Modell rationalen Verhaltens im Sinne von rational choice weniger zugänglich sind als andere, und zweitens, dass die Verbotspolitik ihrerseits nicht als rational im Sinne instrumentellen Handelns gelten darf, sondern den symbolischen Ausdruck moralischer Überzeugungen bildet. Heute ist es an der Zeit, auch die politisch praktische Lehre zu ziehen, die ich damals nicht gewagt habe. Sie kann nur lauten, dass weiche Drogen legalisiert werden sollten.
Drogen schaden der Gesundheit und sind allein in Deutschland jährlich für über 200.000 Menschen tödlich. Sie sind mindestens deshalb auch wirtschaftlich schädlich, und sie sind sozial bedenklich, weil sie Lebensläufe und soziale Beziehungen zerstören können. Es gibt auf den ersten Blick also allen Grund, Drogen zu verbieten, wie es in Deutschland durch das Betäubungsmittelgesetz geschieht. Es gibt aber drei prinzipielle Probleme. Das erste ist die Ungleichbehandlung verschiedener Drogen, das zweite die Nebenwirkungen des rechtlichen Verbots und vor allem der Strafverfolgung. Das dritte Problem liegt auf der normativen Ebene: Wieweit darf der Staat die Individuen vor Selbstschädigung schützen? Wieweit muss er mit Rücksicht auf Drittinteressen eingreifen?
Die Ungleichbehandlung wird deutlich, wenn man die schädlichen Wirkungen der verschiedenen Drogen nebeneinander stellt. Verboten sind in Deutschland (und in den meisten anderen Ländern) Opiate und Heroin, Amphetamine, Kokain und Haschisch/Marihuana. Erlaubt dagegen sind Alkohol und Nikotin. Die wichtigsten Vergleichskandidaten sind Cannabis einerseits sowie Alkohol und Nikotin andererseits.
Man darf die Cannabiswirkungen nicht verharmlosen. Willenbrock verweist dazu auf eine Metastudie der australischen Wissenschaftler Wayne Hall und Louisa Degenhardt aus dem Jahr 2009 [2]Adverse Health Effects of Non Medical Cannabis Use, The Lancet 374, 2009, 1383-1391.. Die individuellen Wirkungen sind anders, aber sicher nicht leichter als die von Alkohol und Nikotin. Ich zitiere aus einer Zusammenfassung des genannten Artikels:

Die wahrscheinlichsten unerwünschten Folgen des Cannabiskonsums sind ein Abhängigkeitssyndrom, ein erhöhtes Risiko für Verkehrsunfälle, gestörte Atemwegsfunktionen, Herzkreislauferkrankungen und nachteilige Effekte des regelmäßigen Konsums auf die psychosoziale Entwicklung der Heranwachsenden und die psychische Gesundheit.

Etwa neun Prozent der Personen, die jemals Cannabis konsumiert haben, sollen davon abhängig werden. Auch psychotische Störungen werden beobachtet. Wichtiger aber scheint mir: Die kumulativen Wirkungen von Cannabis sind um die Größenordnung zehn niedriger als die von Alkohol und Nikotin. Immerhin scheint das individuelle Risiko bei regelmäßigem Cannabiskonsum doch größer zu sein als bei Alkohol. Ich zitiere noch einmal aus derselben Quelle:

Die Autoren stellen fest, dass die Belastung der öffentlichen Gesundheit durch Cannabiskonsum im Vergleich zu Alkohol, Tabak und anderen illegalen Drogen noch relativ gering sei. Eine kürzlich erfolgte australische Studie schätzte, dass der Cannabiskonsum nur zu 0,2 Prozent zur Gesamtbelastung durch Krankheiten beitrage, und dass in einem Land, in dem höchste Cannabiskonsum-Raten verzeichnet werden. Cannabis wird für zehn Prozent der Belastungen verantwortlich gemacht, die durch alle illegalen Drogen entstehen (darunter Heroin, Kokain und Amphetamine). Außerdem werden zehn Prozent der Krankheitsbelastungen durch Alkohol (2,3 Prozent), jedoch nur 2,5 Prozent der Belastungen durch Tabak (7,8 Prozent) dem Cannabis angelastet.

Alkoholgenuss, so zitiert Willenbrock Mechthild Dyckmans, die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, gehöre nun einmal zur Kultur und sei »aus unserem gesellschaftlichen Leben nicht mehr wegzudenken«, die Freigabe von Cannabis sei dagegen für die Bundesregierung tabu. Willenbrock kommt zu dem Schluss:

»Man muss kein Quartalskiffer sein [3]Ich habe es nie probiert., um die Kriminalisierung von Cannabis für kontraproduktiv, kostspielig und verlogen zu halten.«

Dagegen finde ich keine Argumente, sondern nur die Erklärung, dass hier nach wie vor im Hintergrund ein Wertkonflikt ausgetragen wird, bei dem Cannabis nur als Symbol für eine bestimmte Weltsicht steht. [4]Ich wäre allerdings sehr vorsichtig, diese Argumentation auf die sog. Harten Drogen zu übertragen. Hier passt noch weitgehend die alte Schablone von links und rechts. Symbol des Symbols ist hier der frühere Richter und heutige Bundestagsabgeordnete der Linken Wolfgang Nešković, der als Vorsitzender Richter am Landgericht Lübeck 1992 dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorlegte, ob die Kriminalisierung des Besitzes von Cannabisprodukten im Hinblick auf die Legalität des viel gefährlicheren Alkohols nicht gegen den Gleichheitssatz verstoße. Der Vorlagebeschluss hat damals die Gefährlichkeit von Cannabis aus heutiger Sicht verharmlost. Und dennoch bleibt der Vergleich mit dem Alkohol triftig. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Cannabis-Beschluss (E 90, 145) letztlich einen Verfassungsverstoß verneint, weil die Möglichkeit bestehe, in Bagatellfällen durch das Absehen von Strafe (§ 29 Abs. 5 BtMG) oder Strafverfolgung (§§ 153 ff StPO, § 31a BtMG) dem Verdikt der Unverhältnismäßigkeit auszuweichen. Es erscheint wenig aussichtsreich, erneut verfassungsrechtlich gegen die Kriminalisierung von Cannabis zu argumentieren.
Warum hat sich das Cannabisverbot nicht von selbst erledigt wie einst die Alkoholprohibition? Immerhin hatte John Kaplan 1971 von einer »New Prohibition« gesprochen [5]John Kaplan 1971, Marihuana: The New Prohibition, New York 1971. gesprochen, um auszudrücken, dass das Recht mit der Kriminalisierung von Marihuana wieder auf dem zur Erfolglosigkeit verurteilten Weg sei, ein Verhalten, dessen Schädlichkeit nicht klar erwiesen sei und das von weiten Kreisen der Bevölkerung gebilligt oder gar praktiziert werde, aus moralischen Gründen zu verbieten. Der Grund liegt wohl darin, dass bei der Zahl der Cannabiskonsumenten die kritische Masse nicht erreicht wird. Die Zahl der Alkoholkonsumenten und damit Interessenten liegt mindestens um den Faktor 30 höher. [6] Zahlen im Drogen- und Suchtbericht der Bundesregierung 2009. Denkbar wäre das ja, dass man die Wirtschaft ankurbeln möchte, indem man die Nachfrage nach Gesundheitsdienstleistungen erhöht. Ich halte die Politik aber nicht für so zynisch ist, dass sie den volkwirtschaftlichen Schaden des Alkoholkonsums, der vor allem aus Gesundheitskosten und Arbeitsausfall resultiert und der in der Größenordnung von 20 Milliarden zu suchen ist, gegen die wirtschaftliche Bedeutung der Spirituosenindustrie aufrechnet.
Es geschehen manchmal Zeichen und Wunder. Wer hätte vor zwanzig Jahren gedacht, dass es gelingen würde, das Rauchen in der Öffentlichkeit soweit zurückzudrängen? Mit dem Bundesverfassungsgericht würde ich das »Recht auf Rausch« verneinen. Umgekehrt wäre es illiberaler Paternalismus, Alkohol und Nikotin von Staats wegen zu verbieten. Aber eine Prävention gegen Alkohol- ebenso wie gegen Nikotinmissbrauch ist nicht nur unbedenklich, sondern angezeigt. Es sieht so aus, als ob nun auch der Alkohol in die Defensive gerät. Vielleicht lesen wir bald auf jeder Flasche »Alkohol schadet der Gesundheit! Alkohol kann tödlich sein.« Da wäre es doch naheliegend, dass die Spirituosenindustrie sich für die Freigabe von Cannabis stark macht. Dann hätte die Sache vielleicht auch im politischen Raum eine Chance. Die Mittel für die notwendige Prävention – die auch jetzt schon aufgewendet werden –, lassen sich aus einer Cannabissteuer erzielen. Non olet.
Nachtrag vom 26. 9. 2010: In der FamS schreibt heute Paul Nicolas Hinz einen ganz interessanten Artikel »Trinker und Raucher kosten die Gesellschaft 60 Milliarden Euro«. [7]Der Artikel ist Online nur für Abonnenten zugänglich. Er bezieht sich dabei auf den Hamburger Rechtsökonomen Michael Adams. Auf dessen Homepage ist dazu nichts Aktuelles zu finden. Interessant scheint mir aber immer noch ein älterer Aufsatz zu der Frage »Wie zerstört man den Markt für Rauschgifte?«. Auch wenn er eigentlich die harten Drogen betrifft, wäre doch daraus für Cannabis-Produkte zu lernen, dass Freigabe nicht völlige Freigabe bedeuten kann, sondern kontrolliert nur soweit gehen sollte, dass der illegale Markt austrocknet.
Nachtrag vom 27. 10. 2010: Rein zufällig hatte ich gerade einen älteren Artikel von Sebastian Scheerer aufgeschlagen: The New Dutch and German Drug Laws: Social and Political Conditions for Criminalization and Decriminalization, Law and Society Review 12, 1978, 585-606. Ende der 1960er Jahre verbreitete sich in den Niederlanden und etwas später auch in der Bundesrepublik der Gebrauch von Cannabis und dann auch von Heroin, so dass von einer Rauschgiftwelle die Rede war. Beide Länder reagierten mit einer Reform ihrer Betäubungsmittelgesetze, die Bundesrepublik mit einer generellen Verschärfung, die Niederlande mit einer Verschärfung nur für den organisierten Rauschgifthandel, dagegen mit einer Milderungen der Sanktionen für bloße Konsumenten und in der Folgezeit der de facto Duldung des Konsums. Scheerer nimmt diese Gesetzgebung als Beispiel zum Test allgemeinerer Theorien über die Ursachen von Kriminalisierung und Dekriminalisierung. Scheerer beschreibt, wie die Dekriminalisierung des Drogenkonsums in den Niederlanden von politischen Machteliten gegen die öffentliche Meinung betrieben wurde.

Criminal legislation “from above” is directed not by public opinion but by the powerful. In legal democratic societies the powerful are organized social groups and the bureaucratic apparatus of government. It is their perception that determines where legislative action is needed. When they articulate their legislative interests the articulation alone is sufficient to create a political vacuum or a “policy deficit”, which every government must fill with some activity if it has not completely lost interest in remaining in power. These groups exercise a high degree of control over the political process. They are seldom progressive and often morally conservative. But if public opinion is punitive and repressive, the morally conservative masters of policy deficits are the only ones who can successfully decriminalize. The remarkable thing is that they do so.

Das ist natürlich kein Automatismus. Es kommt immer auf die Randbedingungen an. In Deutschland waren Polizei und vor allem Ärzteschaft gegen eine Entkriminalisierung. Für die Niederlande verweist Scheerer auf das als Versäulung der Gesellschaft bekannte Phänomen und die daraus folgende spezifische Toleranzhaltung. Da hat sich anscheinend in der Zwischenzeit etwas geändert.
Nachtrag: Die Kalifornier haben am 2. November 2010 die Proposition 19 zur Legalisierung von Cannabis abgelehnt. Ohnehin hätte wohl Kalifornien als Bundesstaat gar keine ausreichende Gesetzgebungskompetenz gehabt, um Anbau, Besitz und Verbrauch von Marihuana wie beabsichtigt straffrei zu stellen. Dazu in der heimlichen Juristenzeitung vom 2. November S. 20 der Artikel von Roland Lindner: Mit Marihuana gegen die Haushaltskrise.
Nachtrag vom 4. 2. 2011: Die Studie »Alkoholkonsum Jugendlicher und junger Erwachsener in Deutschland 2010« steht unter http://www.bzga.de >Forschung > Studien/Untersuchungen > Studien zum Download bereit.
Nachtrag vom 11. 3. 2011: Nach einer neuen Pressemitteilung soll eine neue Studie der University of New South Wales, Sydney, belegen, dass der Genuss von Cannabis den Ausbruch psychischer Erkrankungen in den entscheidenden Jahren der Gehirnentwicklung um bis zu 2,7 Jahren beschleunigen kann.
Nachtrag vom 19. 11. 2020: Drogen-Trip ins Krankenhaus – Ulmer Studie zeigt starke Zunahme von Cannabis-Psychosen: Seit 2011 hat sich am Universitätsklinikum Ulm die Zahl der Psychiatriepatienten mit Cannabis-Psychose vervielfacht. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie III. Mögliche Ursache ist der hohe THC-Wert von hochpotenten Neuzüchtungen sowie von synthetischen Cannabis-Produkten. Ein weiterer Grund könnte die ab 2017 geltende gesetzliche Zulassung von medizinischem Cannabis sein: Maximilian Gahr/Julia Ziller/Ferdinand Keller/Carlos Schönfeldt-Lecuona, Increasing Proportion of Cannabinoid-Associated Psychotic Disorders: Results of a Single-Center Analysis of Treatment Data From 2011 to 2019, Journal of Clinical Psychopharmacology 40, 2020, 642-645.
Nachtrag vom 5. 3. 2021: Einer von zehn Konsumenten entwickelt eine Cannabiskonsumstörung. Das ist der Tenor eines Übersichtsartikels, der soeben in dem des britischen Wissenschafts-Magazins Nature veröffentlicht wurde (Cannabis Use and Cannabis Use Disorder, Nat Rev Dis Primers 7, 17, 2021, https://doi.org/10.1038/s41572-021-00256-3).

Aus der Pressemitteilung des Universitätsklinikums München, wo die Mitautorin Eva Hoch tätig ist:

»Nach Angaben der Vereinten Nationen nutzen etwa 193 Millionen Menschen pro Jahr Cannabis, das aus der Hanfpflanze gewonnen wird. Und anderem mit diesen Konsequenzen: Neben dem kurzfristigen, berauschenden Gefühl verringert Cannabis die Aufmerksamkeit und schränkt die Psychomotorik ein, das Risiko für Arbeits- und Verkehrsunfälle steigt. Zudem kann bei genetischer Vorbelastung schon einmaliger Konsum eine Psychose auslösen, das Risiko für psychische Störungen ist ebenfalls erhöht.

Teenager, die Cannabis konsumieren, haben häufiger Schulprobleme, brechen ihre Ausbildung öfter ab. Einer von zehn Konsumenten entwickelt eine Cannabiskonsumstörung. Aber nicht jeder hat das gleiche Risiko dafür. ›Neben einer genetischen Vulnerabilität gibt es verschiedene psychische und soziale Risikofaktoren. Ob sich aus dem Cannabiskonsum eine Abhängigkeit entwickelt, hängt auch davon ab, wie intensiv man vor dem 16. Lebensjahr konsumiert‹, erklärt PD Dr. Hoch. ›Besonders in der Pubertät bis hin zum jungen Erwachsenenalter verändert Cannabis die Struktur und die Funktion des Gehirns.«

Seit den Hippie-Zeiten in den 1970er Jahren hat sich die Droge stark verändert. In den letzten zehn Jahren hat sich der psychoaktive Hauptwirkstoff in der Hanfpflanze, das Delta-9-Tetrahydrocannabinol (THC), durch spezielle Züchtungen fast verdoppelt. Das nicht-berauschende Cannabidiol (CBD), dem schützende Eigenschaften zugeschrieben werden, ist oftmals nicht mehr in der Droge vorhanden. Die Pflanze enthält nach heutigem Kenntnisstand mindestens 150 Cannabinoide, die wenigsten davon sind erforscht.«

Anmerkungen

Anmerkungen
1 Mark Lawrence Schrad, The Political Power of Bad Ideas. Networks, Institutions, and the Global Prohibition Wave, Oxford 2010. Das in diesem Zusammenhang wichtige Kapitel findet man auch unter dem Titel »The Transnational Temperance Community« in: Marie-Laure Djelic/Sigrid Quack (Hg.), Transnational Communities, Cambridge 2010, S. 255–281.
2 Adverse Health Effects of Non Medical Cannabis Use, The Lancet 374, 2009, 1383-1391.
3 Ich habe es nie probiert.
4 Ich wäre allerdings sehr vorsichtig, diese Argumentation auf die sog. Harten Drogen zu übertragen.
5 John Kaplan 1971, Marihuana: The New Prohibition, New York 1971.
6 Zahlen im Drogen- und Suchtbericht der Bundesregierung 2009.
7 Der Artikel ist Online nur für Abonnenten zugänglich.

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Gerechtigkeit breitgetreten?

Unter dem Namen »Justitia Amplificata« – er weckt bei mir die Assoziation an getretenen Quark [1]Im Lexikon (Stowasser) wird amplificare etwas freundlicher mit »vermehren, vergrößern, erweitern« übersetzt. – meldet sich eine neue »Kolleg-Forschergruppe« an der Universität Frankfurt a. M. Immerhin ist es ihr gelungen, zur Eröffnungsveranstaltung am 4. Mai Ronald Dworkin als Redner zu gewinnen (Thema: Political Justice and Human Rights).
Die Gruppe wird von Prof. Stefan Gosepath und Prof. Rainer Forst geleitet. Beide gehören zu dem Exzellenzcluster »Normative Orders«, von dem im letzten Posting die Rede war. Wenn ich mir ihre Publikationslisten ansehe, habe ich den Eindruck, dass mir da Einiges entgangen sein könnte. Anscheinend gibt es zwischen Rechtsphilosophie, Rechtssoziologie und der Politischen Wissenschaft (nur für mich?) doch eine Fächergrenze. So schnell kann ich da nicht nachsehen, denn außer dem Artikel »Equality« von Gosepath in der Stanford Encyclopedia of Philosophy sind im Internet anscheinend keine Texte der Genannten zugänglich.
Die Forschergruppe will ein internationales Forum der wissenschaftlichen Diskussion des Begriffs der Gerechtigkeit bieten. Hinzukommen sollen Fragen der Umsetzungsmöglichkeit von Gerechtigkeitstheorien in der Praxis und nach der Erweiterbarkeit dieser Theorien auf soziale und politische Kontexte jenseits des Staates. Die letztere Frage scheint mir die interessantere zu sein. Sie war unter der Überschrift »Drittwirkung der Grundrechte« ein großes Thema der Jurisprudenz, und sie ist unter dem Titel »Corporate Social Responsibility« ein heißes Thema der Rechtssoziologie.
Nachtrag vom 8. 5. 2010: In der FAZ vom 6. Mai S. 29 berichtet Patrick Bahners unter der Überschrift »Würdeschutz durch Zwang?« über den Vortrag von Ronald Dworkin, »des berühmtesten Rechtsphilosophen der Welt«. Bahners weist darauf hin, dass amplificatio ein Begriff aus der Rhetorik ist. Er bezeichnet »die Kunst, einen Gedanken, der schon ausgesprochen ist, im Licht neuer Gesichtspunkte oder Beispiele hin und her zu wenden, bis ihn mutmaßlich jeder verstanden hat«. Wer weitere Aufklärung sucht, findet sie im Handbuch der literarischen Rhetorik von Heinrich Lausberg, 3. Aufl. 1990, in § 259 und passim. Wenn die wissenschaftliche Rechts- und Staatphilosophie gelegentlich den Eindruck erwecke, ihr Schicksal sei das Breittreten, so bezeuge die Frankfurter Namenswahl immerhin einen »Sinn für die Ambivalenzen der reflexiven Modernisierung des Wissenschaftssystems oder, schmal gesagt: für Ironie«. Das nenne ich Metaironie. Zwischen den Zeilen lese ich: Den Vortrag muss man nicht gehört haben, es sei denn, um einen großen Rhetor zu bewundern.

Anmerkungen

Anmerkungen
1 Im Lexikon (Stowasser) wird amplificare etwas freundlicher mit »vermehren, vergrößern, erweitern« übersetzt.

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Legal Capital oder Kirchmanns späte Rache

Social capital, human capital und nun auch legal capital? Der Begriff »legal capital« ist eigentlich für das rechtlich vorgeschriebene Mindestkapital von Gesellschaften verbraucht [1]Vgl. Marcus Lutter, Hg., Legal Capital in Europe, 2006., und die Stadt Den Haag bezeichnet sich als »Legal Capital of the World«. Auf der schon mehrfach erwähnten Bremer Tagung hat Eidenmüller diesen Begriff aber beiläufig noch in einer anderen Bedeutung verwendet, nämlich in Analogie zu human capital und social capital. Konkret ging es darum, dass die Wahl effizienteren ausländischen Rechts durch die Akteure am transnationalen Rechtsmarkt Komplexe des abgewählten Rechts, die mit großem Aufwand erarbeitet wurden, entwerten könnte. Viel dramatischer erleben wir die Entwertung des Rechtskapitals in Europa, wo die Vereinheitlichung des Vertragsrechts lieb und teuer gewordene Bestände der Rechtsdogmatik zur Makulatur werden lässt. Der Begriff, so scheint es, hat Zukunft.

Anmerkungen

Anmerkungen
1 Vgl. Marcus Lutter, Hg., Legal Capital in Europe, 2006.

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Von Hartz IV zur Papier I

Elf Mal kommt in dem Urteil des BVerfG vom 9. Februar 2010 zu § 28 SGB II das Wort »empirisch« vor. Da müssten Rechtssoziologen jubeln. Aber dazu ist kein Anlass, denn die empirische Arbeit, die zu leisten ist, fällt kaum in ihr Arbeitsgebiet. Jubeln können oder trauern müssen –je nach Standpunkt – vielmehr Rechtstheoretiker. Das BVerfG betont zwar immer wieder den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers. Tatsächlich hat es den Gesetzgeber aber auf eine Verwaltungsbehörde zurückgestutzt, die ihre Ermessensentscheidung rechtfertigen muss. Viel Unterschied zwischen Recht und Politik bleibt da nicht mehr. Ferner muss die Rechtstheorie sich mit dem Begriff der Obliegenheit auseinandersetzen, den man bisher eigentlich nur aus dem Zivilrecht kannte. Der Kernsatz des Urteils lautet:

Zur Ermöglichung dieser verfassungsgerichtlichen Kontrolle besteht für den Gesetzgeber die Obliegenheit, die zur Bestimmung des Existenzminimums im Gesetzgebungsverfahren eingesetzten Methoden und Berechnungsschritte nachvollziehbar offenzulegen. Kommt er ihr nicht hinreichend nach, steht die Ermittlung des Existenzminimums bereits wegen dieser Mängel nicht mehr mit Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG in Einklang.

Für die Politik wird es eng. Vermutlich wird die Neufassung von § 28 SBG II, die wir zum Jahresende zu erwarten haben, nicht mehr unter Hartz IV, sondern unter Papier I firmieren.

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Outsourcing der Gesetzgebung

Heute nur ein schneller Link auf einen Artikel des gewöhnlich gut informierten Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung über die Kapitulation des Wirtschaftsministeriums vor der eigenständigen Erarbeitung von Gesetzentwürfen: http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/996/483443/text/
Nachtrag vom 12. 8. 2009
Der beginnende Wahlkampf macht die Sache zum Thema. Heute findet man in den Zeitungen die Nachricht, die Bundesjustizministerin (SPD) habe dem Wirtschaftsminister (CSU) Verschwendung von Steuergeldern vorgeworfen, weil er das Bankengesetz durch eine Anwaltskanzlei habe entwerfen lassen. Über diesen Streit kommt zur Sprache, dass es sich längst um eine nicht ganz ungewöhnliche Praxis handelt. Dazu auf faz.net der Artikel »Ein Fall für den Rechnungshof«.
Einige Details in den Antworten der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage zu Dienstleistungsaufträgen der Bundesregierung im Rahmen der Finanzmarktgesetzgebung Drucksache 16/12172 sowie auf eine schriftliche Frage des MdB Neskovic zur Beteiligung externer Mitarbeiter oberster Bundesbehörden in der 16. Legislaturperiode an der Erarbeitung von Gesetzentwürfen und gezahlte Honorare in Drucksache 16/12182 S. 17.
Und hier weiterer Artikel zum Thema aus der FAZ vom 14. 8., der mir wegen einer gelungenen Infografik gefällt: »Über Gesetze entscheiden Politiker selbst«.
Nachtrag vom 30. 11. 2009:
Im August habe ich die Dinge wohl doch zu arglos gesehen. Die ganze (?) Dimension wird jetzt deutlicher, nachdem die Whistleblower-Seite Wikileaks große Teile der Toll-Collect-Dokumente ins Netz gestellt hat. Ich habe sie nicht selbst durchgelesen, sondern nur einmal hineingesehen, sozusagen um auf den Geschmack zu kommen. Im Übrigen verlasse ich mich auf die Analyse in Heise-Online. Auf der Heise-Seite auch der noch interessantere Artikel von Detlef Borchers LKW-Maut: Warum sind die Maut-Verträge geheim? in c’t Magazin vom 26. 1. 2009. Hinzuweisen ist auch auf ein Buch von Kim Otto und Sascha Adamek: Der gekaufte Staat. Wie Konzernvertreter in deutschen Ministerien sich ihre Gesetze selbst schreiben, 2008.
Nachtrag vom 29. 9. 2010:
Dazu heute ein ganz informativer Artikel von Joachim Zahn in der heimlichen Juristenzeitung, allerdings wieder nur für Abonnenten zugänglich. Man erfährt unter anderem, dass es an der HU Berlin eine Tagung zum Gesetzgebungsoutsourcing gegeben hat.

Nachtrag vom 4. 3. 2015:
Literaturhinweis:
Martin Döhler, Gesetzgebung auf Honorarbasis?– Politik, Ministerialverwaltung und das Problem externer Beteiligung an der Gesetzgebung Rechtsetzungsprozessen, Politische Vierteljahresschrift 53 , 2012, 181-210.
Klaus Meßerschmidt, Private Gesetzgebungshelfer – Gesetzgebungsoutsourcing als privatisiertes Regulierungsmanagement in der Kanzlerdemokratie?, Der Staat 2012, Der Staat 2012, Vol. 51, No. 3: 387–415.

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Die Bilder der heimlichen Juristenzeitung

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) ist die heimliche Juristenzeitung. Seit eh und je gibt es mittwochs die Seite »Recht und Steuern«. Ziemlich neu ist die wöchentliche Seite »Staat und Recht«. Dafür verantwortlich ist Reinhard Müller. Auch sonst schreibt er über »alles, was Recht ist«. Die Seite »Die Gegenwart« bot am 8. 9. 2008 einen großen Aufsatz von Roman Herzog und Lüder Gerken über Kompetenzanmaßungen des EUGH, der eine rege Diskussion auslöste. Selbstverständlich, dass die Zeitung über wichtige rechtspolitische Entwicklungen und bemerkenswerte Gerichtsverfahren schreibt. Die Artikel von Friedrich Karl Fromme zu staats- und verfassungsrechtlichen Themen sind in guter Erinnerung. Heute sorgen Alexandra Kemmerer und Melanie Amann für zuverlässige und interessante Berichte. Für den Wirtschaftsteil hat Frau Amann die Anwaltschaft im Blick. Über die Rechtswelt in den USA berichtet zitierwürdig Katja Gelinsky. Im letzten Jahr ist der »Rechtsstab« noch um Hendrik Wieduwilt erweitert worden, der sich der Zeitung dem Vernehmen nach als Blogger [1]Mit Juratexter.de, wo besseres Deutsch für Juristen propagiert wurde. Die Seite wird nicht mehr gepflegt. Wieduwilt bloggt jetzt mit RechtReal über virtuelle Welten und Recht. empfohlen hatte. Auch die alte Tradition, über völkerrechtliche Fragen zu informieren, wird fortgeführt. Am 7. 1. gab es – zwar aus aktuellem Anlass, aber doch ganz abstrakt gehalten – gleich zwei Artikel zum Kriegsvölkerrecht [2]Thomas Speckmann, Sie mögen uns Rebellen nennen, und Reinhard Müller, Totaler Krieg verboten.. Früher war es vor allem Gerd Roellecke, der rechtsphilosophische Themen behandelte. Ihn hat mehr und mehr Michael Pawlik abgelöst. [3]Pawlik listet auf seiner Webseite 110 Rezensionen rechtsphilosophischer Bücher für die FAZ (seit 1991). Die Startseite seiner Internetpräsenz ziert Pawlik mit dem Titelkupfer des Leviathan. Ganze Debatten zwischen Richtern und Professoren werden in der FAZ ausgetragen. [4]An die Kontroverse zwischen Hirsch einerseits und Möllers und Rüthers andererseits knüpft Dieter Simon mit einem Vortrag an, den er am 3. 11. 2008 für den Berliner Arbeitskreis Rechtswirklichkeit … Continue reading
Es liegt beinahe in der Natur der Sache, dass eine anspruchsvolle Zeitung umfangreich über Themen berichtet, die im Fach unter »Law & Society« laufen. Miloš Vec sorgt dafür, dass Rechtssoziologie und Rechtsgeschichte gut vertreten sind. Der interdisziplinär orientierte Jurist findet in den Artikeln von Jürgen Kaube (der meine Skepsis gegenüber dem kulturwissenschaftlichen Staubsauger teilt) Information und Anregung. Über »Law and Economy« erfährt man, vor allem in den Buchbesprechungen des Wirtschaftsteils am Montag, allerhand. Am 5. 1. wurde Richard A. Posner von Patrick Bahners als »Sozialdarwinist auf der Richterbank« vorgestellt, und am 6. 1. erfuhr man aus der Feder von Hendrik Wieduwilt, dass sich die Rechtswissenschaft der Verhaltensforschung öffnet.
Für das Projekt »Recht anschaulich« verfolge ich am Rande auch, wie die Presse juristische Themen illustriert. Daraus war für die Münchener Rechtsvisualisierungstagung ein Diskussionsbeitrag über die »Ästhetisierung der Sachinformation« entstanden. Für das Blog ist er zu lang. Deshalb steht er hier zum Download zur Verfügung.
Hier folgt dazu noch ein Nachtrag: Am 5. 1. druckte die Zeitung in der Rubrik »Neue Sachbücher« unter dem Titel »Bloße Begriffsanalyse ist ausgereizt« eine Rezension von Michael Pawlik zu Brugger/Neumann/Kirste, Rechtsphilosophie im 21. Jahrhundert, 2008.
Die Rezension wird, für die Illustrationspraxis der FAZ eher ungewöhnlich, durch ein vermutlich billiges Agenturfoto angereichert, und zwar durch das Foto eines Doppelknotens aus dickem Tau, der auf einem hellen Bouclé-Teppichboden plaziert ist.
faz-knoten
Die Legende lautet: »Hält der Knoten, den die Rechtsphilosophie bindet?« Die Knotenmetapher könnte eigentlich ganz gut zu dem rechtsphilosophischen Thema passen. In der Interpretation durch die Legende beißt sie sich aber mit der Überschrift.
Die Illustration bleibt mit ihrer Qualität hinter dem sonst in der FAZ anzutreffenden Niveau zurück. Das Bild macht den Eindruck eines Amateurfotos. Als Bildquelle wird »BilderBox.com« angegeben. Dabei handelt es sich um eine Agentur aus Österreich. Die Bildagentur nennt zu dem Bild folgende Stichworte:

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So also werden Bilder verschlagwortet. Die Webseite fordert damit zu einer rechtsoziologischen Inhaltsanalyse heraus. Hier kann man sehen, welche Bilder und welche Wortwolken juristische Laien mit Rechtsbegriffen verbinden. Das Suchwort »Gericht« zeigt unter den 573 Treffern zuerst »Junge Frau mit Salat« an. Davon darf man sich nicht irritieren lassen. Aber bemerkenswert ist es doch, wenn die ersten zehn von insgesamt 27 Bildern, die auf das Suchwort »Richter« antworten, amerikanische Symbole nutzen, und zwar die ersten eine gavel über Euroscheinen (Legende: Eurogeldscheine und Richter-/ Auktionshammer) und die folgenden sieben eine grüne Spritze in Variationen mit oder ohne Union Jack (Legende: Giftspritze – lethal injection).

Anmerkungen

Anmerkungen
1 Mit Juratexter.de, wo besseres Deutsch für Juristen propagiert wurde. Die Seite wird nicht mehr gepflegt. Wieduwilt bloggt jetzt mit RechtReal über virtuelle Welten und Recht.
2 Thomas Speckmann, Sie mögen uns Rebellen nennen, und Reinhard Müller, Totaler Krieg verboten.
3 Pawlik listet auf seiner Webseite 110 Rezensionen rechtsphilosophischer Bücher für die FAZ (seit 1991). Die Startseite seiner Internetpräsenz ziert Pawlik mit dem Titelkupfer des Leviathan.
4 An die Kontroverse zwischen Hirsch einerseits und Möllers und Rüthers andererseits knüpft Dieter Simon mit einem Vortrag an, den er am 3. 11. 2008 für den Berliner Arbeitskreis Rechtswirklichkeit gehalten hat (Vom Rechtsstaat in den Richterstaat?, verfügbar auf der Webseite des BAR. Simon flüchtet sich, wie es heute üblich ist, in Paradoxievorstellungen, und plädiert am Ende für bessere Bezahlung, Fortbildung und mehr Respekt für die Richter.

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