Rechtssoziologie in einfacher Sprache: Lawrence M. Friedman, Impact. How Law Affects Behavior

Lawrence M. Friedman, inzwischen 87 Jahre alt, hat wieder ein Buch vorgelegt, indem er seine ganze Meisterschaft zeigt: Nicht neue große Theorie, sondern großer Überblick über die ungezählten kleinen Theorien, die die Substanz der Rechtssoziologie ausmachen: Impact. How Law Affects Behavior, Harvard University Press, September 2016, 336 S.

»This book will discuss, on a fairly general level, but with examples, the question of impact.« (S. 3)

Vor 50 Jahren gehörte Friedman mit Marc Galanter, Stewart Macaulay und David M. Trubek zur ersten Generation der Law and Society Bewegung[1], die von Madison/Wisconsin ihren Ausgang nahm. Den Anstoß hatte James Willard Hurst (1910-1997) gegeben, indem er die Rechtsgeschichte für die historische Institutionenökonomik öffnete.[2] In der Nachfolge von Hurst steht Friedmans »History of American Law«[3]. Zur Konsolidierung der Rechtssoziologie hat Friedman 1975 durch eine lehrbuchartige Darstellung, die 1981 auch auf Deutsch erschien, wesentlich beigetragen.[4] Noch breitenwirksamer war insoweit vielleicht der von Friedman zusammen mit Macaulay herausgegebene Reader »Law and the Behavioral Sciences« von 1969 mit seinen Nachfolgern.[5] Vor allen anderen hat Friedman den Begriff der Rechtskultur verwendet und populär gemacht[6], allerdings in anderer Bedeutung als er heute von den so genannten Kulturwissenschaften verwendet wird[7]. In vier Monographien hat Friedman aktuelle Trends der Rechtsentwicklung aufgegriffen und sichtbar gemacht.[8] Und natürlich hat er auch die Globalisierung nicht verschlafen.[9] Bemerkenswert für einen Amerikaner: Friedman hat auch deutsche Arbeiten ausgewertet.

Wenn nicht über 40 Jahre dazwischen lägen, so könnte man »Impact« als Neuauflage von »The Legal System« von 1975 ansehen. Wer sich schon länger mit der Rechtssoziologie befasst, erfährt aus Friedmans Buch nichts wirklich Neues. Aber er staunt, wie sich aus vielen Details ein Gesamteindruck ergibt. Es ist der Eindruck eines »giant jigsaw puzzle, with hundreds of pieces of different sizes and shapes. It is hard, and perhaps impossible, to put them together into a single picture« (S. 177). Als ich 1983 in Madison war – Friedman war da schon nach Stanford aufgebrochen –, gab es in der Universität eine Ausstellung von Quilts aus dem Privatbesitz von Bürgern aus Wisconsin. Diese gar nicht als Kunst gedachten, aus Flicken und Resten zusammengesetzten Decken hatten sich in den USA zu einer Volkskunst im besten Sinne entwickelt. Friedman legt die einzelnen Stücke der Rechtswirkungsforschung so nebeneinander, dass sie Muster und Rhythmus erhalten, eben, zu einem Quilt. Wenn das Recht rot wäre, wäre der Quilt von rot, rosa, purpur und lila durchschossen. Denn das ist wohl der Tenor des Buches: mehr oder weniger alles Verhalten wird durch Recht kanalisiert, gestaut, umgelenkt oder, um im Bilde zu bleiben, eingefärbt.

Muster und Rhythmus entstehen aus Sprache und Beispielen. Friedmans Markenzeichen ist eine einfache Sprache, die fast nur aus Hauptsätzen besteht. Hier eine Stilprobe, die zugleich andeuten soll, dass die kriminologischen Themen im Vordergrund stehen:

»What makes our burglar tick? Why does he do it? The job is risky; the payoff hardly seems worthwhile. Gottfredson and Hirschi would say the burglar has trouble with impulse control. Tlis might be true.The burglar, like the armed robber, might have a drug habit to support. Practically speaking, burglars usually have no other way to get the money they need. But the money is not just for living expenses; it is also for flash, for prestige, for show. To some burglars, the job is a thrill, a kind of high.« (S. 238)

So wie kein Quilt dem anderen gleicht, so kann man nie sicher sein, wie das Recht wirkt.

»The actual effect, or impact of legal commands can never be taken for granted; impact is always an empirical question« (S. 184).

Die Verallgemeinerung findet in den Überschriften statt. Der Text bietet zu allem Beispiele, die oft auf empirische Untersuchungen zurückgeführt werden, und fast immer auch Gegenbeispiele. Nichts reizt zum Widerspruch, denn die Vorbehalte sind immer schon eingebaut. Alles hat zwei Seiten. Anwälte und Steuerberater sind double agents. Sie helfen ebenso ihren Klienten, wie der Regierung. Dazu gibt es anschauliche Vergleiche:

»The tax system could hardly work without the help of tax specialists, chewing the text, digesting it, turning it into small, bite-size bits, and feeding these bits to the clients. It may not be too far fetched to compare them to the microorganisms inside the stomach of cows. Cows eat grass, but cannot digest it on their own. Microorganisms inside break down the grass, making food for themselves and for the cows.« (S. 36)

(Dieser schöne Doppelvergleich ist Anlass, darüber nachzudenken, ob man Juristen nicht auch noch als Wiederkäuer im bovinen Stoffwechsel unterbringen könnte. Dazu bietet sich der Neologismus ruminator an.)

Alles ist relevant, Abschreckung und Belohnung, die Peer-Group und die innere Einstellung, ein harter legalistischer Durchsetzungsstil oder ein responsiver. Aber wie sehr und in welche Richtung die Variablen wirken, das hängt immer von den Umständen ab.

»There is no general rule.« (S. 210)

Das Bild wird auch nicht schärfer, wenn die Variablen in drei große Gruppen geordnet werden: Abschreckung und Belohnung (rational choice), sozialer Druck (shame, peer group) und innere Einstellung oder Gewissen.[10] »Mixed motives« (S. 241) überall. Immerhin, wenn aus diesen drei Richtungen unterschiedliche Signale kommen, bleibt die innere Stimme meistens der Verlierer (S. 218ff). Aber auch dazu gibt es Gegenbeispiele, nämlich einen Verdrängungseffekt (crowding out), wenn Verhaltensweisen, die eigentlich durch Moral, Sitte, Anstand oder Rücksichtnahme gefordert sind, durch Belohnung oder Strafe ökonomisiert werden.[11] Im Alltag beobachten wir diesen Effekt, wenn Parkverstöße oder Geschwindigkeitsübertretungen mit moderaten Geldbußen belegt sind. Dann wird die Buße zum Preis.

Auch auf den Überlaufeffekt (spillover) ist kein Verlass. Offenkundig fehlende Rechtsdurchsetzung in einem Bereich lässt nicht ohne weiteres die Achtung vor dem Recht derart sinken, dass Recht nun generell unbeachtet bleibt. Auch umgekehrt gilt nicht unbedingt die Broken-Windows-Theorie, die besagt, dass die prompte Verfolgung von kleinen Rechtsbrüchen auf die Kriminalität insgesamt ausstrahlt.

Und natürlich: Rechtswirkung ist ein dynamischer Prozess. Alles ändert sich über die Zeit. Recht und sozialer Wandel ist ein altes Friedman-Thema.[12] Da überlagern sich ein kurzfristiges Auf und Ab und langfristiger Wandel. Interessant ist die Beobachtung, wie unterschiedlich der langfristige Wandel abläuft (S244): Die Aufhebung der Rassentrennung in der Schule durch Brown vs. Board of Education of Topeka (1954) ist in den USA heute selbstverständlich. Die Akzeptanz der Homosexualität bis hin zur Homo-Ehe ist mindestens überall sichtbar, aber immer noch Gegenstand von Kontroversen. Die Abtreibung blüht dagegen eher im Verborgenen und ist aber – in den USA – nach wie vor Gegenstand heftiger Auseinandersetzungen (S. 244). Es gibt durchschlagende Erfolge, so die Demoralisierung des Rauchens und die Pflicht zum Anlegen von Sicherheitsgurten. Aber mit Alkohol- und Rauschgiftkonsum will Vergleichbares nicht gelingen (S. 245) (und die Erziehung zu umweltgerechtem Verhalten ist allenfalls ein halber Erfolg).

Ist man mit dem Buch am Ende, so weiß man alles über die Wirkung von Recht und ist doch ratlos.

Auf den Rat von Stephan Magen habe ich »Evidence-Based Policy« von Nancy Cartwright und Jeremy Hardie zur Hand genommen.[13] Der Band lässt sich als eine indirekte Bestätigung für Friedmans »Impact« lesen. Nicht nur, weil er gleichfalls in einer einfachen und dazu ungewöhnlich plakativen Sprache gehalten ist. Sondern auch und vor allem, weil er zeigt, dass erfolgreiche Interventionen sich nicht einfach wiederholen lassen, weil die durch die Intervention gesetzte Ursache immer nur als Bestandteil eines ganzen Cocktails von Begleitumständen wirkt.

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[1] Lawrence M. Friedman, The Law and Society Movement, Stanford Law Review, 1986, 763-780; ders., Coming of Age: Law and Society Enters an Exclusive Club, Annual Review of Law and Social Science 1, 2005, 1-16.

[2] Dazu auf Rechtsoziologie-online § 63 Neuer Institutionalismus.

[3] 1973, 3. Aufl 2017, Simon & Schuster, New York,NY, jetzt Oxford University Press.

[4] The Legal System. A Social Science Perspective, 1975; deutsch: Das Recht im Blickfeld der Sozialwissenschaften, 1981.

[5] Vgl. den Eintrag Rechtssoziologie in Lehrdarstellungen und Readern bei Fn. 1.

[6] Lawrence M. Friedman, Legal Culture and Social Development, Law and Society Review 4, 1969, 29-44; ders., Transformations in American Legal Culture 1800-1985, ZfRSoz 6, 1985, 191-205.

[7] Vgl Rechtssoziologie-online § 15 Rechtssoziologie als Kulturwissenschaft? unter IV.

[8] Your Time Will Come, The Law of Age Discrimination and Mandatory Retirement, 1984; Total Justice, 1985, 2. Aufl. 1994; The Republic of Choice. Law, Authority, and Culture, 1990; American Law in the Twentieth Century, 2004.

[9] Borders: On the Emerging Sociology of Transnational Law, Stanford Journal of International Law 32, 1996, 65-90; Erewhon: The Coming Global Legal Order, Stanford Journal of International Law 37, 2001, 347-364.

[10] In diesem Sinne schon 1981 im »Rechtssystem« S. 14: »Die Behauptung [sc. Über die Wirkung von Recht] geht dahin, daß diese Wirkung von drei Gruppen von Faktoren bestimmt wird, nämlich von Sanktionen, von gesellschaftlichem Einfluß (peer group) und von inneren Wertvorstellungen (Gewissen, Legitimitätsvorstellungen aus.).«

[11] Uri Gneezy/Aldo Rustichini, A Fine is a Price, The Journal of Legal Studies 29 , 2000, 1-17.

[12] Lawrence M. Friedman/Jack Ladinsky, Social Change and the Law of Industrial Accidents, Columbia Law Review 67, 1967, 50-82; Friedmann, Recht und sozialer Wandel, 1969

[13] Nancy Cartwright/Jeremy Hardie, Evidence-Based Policy. A Practical Guide to Doing it Better, Oxford University Press 2012.

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