Erklärende, heuristische und praktische Analogien, Nachahmung als Analogie

Gleichheit oder Ähnlichkeit werden durch den Vergleich von Attributen oder Strukturmerkmalen ermittelt. Der Merkmalsvergleich ist ein gut nachvollziehbares Verfahren. Vorausgesetzt, die Vergleichsmerkmale sind hinreichend deutlich definiert, kann man sie in weiteren Objekten »entdecken«. So kann man beispielsweise durch Genanalysen feststellen, dass neu auftauchende Viren einer schon bekannten Art zugehören. Die planmäßige Suche nach übereinstimmenden Merkmalen mit dem Ziel der Zuordnung zu einer Gattung wird man kaum noch als Analogie einordnen.

Erklärende Analogie: Auf der Grundlage des Vergleichs von Attributen kann man definieren. Für eine Definition wird zunächst ein genus proximum benannt, das als bekannt vorausgesetzt wird, um dann eine differentia specifica hinzuzufügen, die einen Unterschied macht. Dieser Zusammenhang macht Analogien zu einem bewährten Werkzeug der Pädagogik.[1] Soll ein unbekanntes Objekt erklärt werden, wählt man ein bekanntes anderes, das ähnlich ist, weil es mit dem unbekannten ein genus proximum teilt. So erklärt man einem Kind vielleicht, was eine Quitte ist, indem man auf die Ähnlichkeit mit einem Apfel hinweist und dann die Unterschiede erläutert.

Heuristische Analogie: Stellt der Vergleich nicht unmittelbar auf die Attribute, sondern auf Relationen zwischen Attributen ab, so wird die Analogie zum heuristischen Modell. Berühmte Beispiele sind das Planetensystem als Modell für den Aufbau des Atoms und der Fluss als Modell für elektrischen Strom. Nicht weniger geläufig ist die Computer-Mind-Analogie, die auch in diesem Text bemüht wird.

Nachahmung und Analogie: Auch Nachahmung lässt sich als Analogie einordnen. Das ist sogar der Ursprung des Analogiebegriffs, denn es waren zuerst die antiken Grammatiker, die von ἀναλογία sprachen, um das Phänomen regelrechter Flexionen zu erfassen. Deutsche Beispiele wären

sprechen – sprach – gesprochen

brechen – brach – gebrochen.

Sprache gehorcht freilich ihren eigenen Regeln. So folgt auf

stinken – stank – gestunken

nicht

winken – wank – gewunken.

Aber jedermann ist in der Lage und geneigt, analoge Flexionsformen zu bilden und zu verwenden, bis er eines Besseren belehrt wird.

Nachahmung ist ein universelles biologisches, psychologisches, soziales und kulturelles Phänomen, wird heute aber selten im Zusammenhang mit der Analogie genannt.[2] Das liegt vermutlich daran, dass Nachahmung in der Regel ein nicht reflektiertes Verhalten darstellt, während der Analogiebegriff für Problemlösungen oder Schlussfolgerungen reserviert wird, die Ähnlichkeit als Lösungsstrategie nutzen. (Darauf werde ich in einem weiteren Eintrag (Analogie und »Matter in Question«) zurückkommen.) Doch auch für den engeren Analogiebegriff bleibt die Nachahmung als unbedachtes analoges Verhalten von Interesse, weil sie auf tiefer liegende psychische und soziale Universalien hinführen könnte.

Beim Stichwort Nachahmung denkt man sogleich an Gabriel de Tarde (1843-1904), der in der Imitation die universelle Triebfeder des Sozialen sah.[3] Bei dem Versuch, dem Zusammenhang von Nachahmung und Analogie nachzugehen, bin ich im Internet auf eine Kreuzworträtselhilfe zum Stichwort »Nachahmung« gestoßen, die 44 mehr oder weniger passende Synonyme aufzählt. Die Analogie ist nicht darunter. Trotzdem bekommt man einen Eindruck über die Verbreitung des Phänomens. Seriöser ist der (winzige) Artikel aus einem Lexikon der Biologie auf Spektrum.de. Hier erfahren wir etwa, dass es spezialisierte Nachahmung vor allem auf akustischem Gebiet bei verschiedenen Vogelarten gibt. So ist die grammatische Analogie wohl eine Spezialform der phonetischen Nachahmung. Von dort führt ein kurzer Weg zum Musiklexikon, das über Nachahmung als unmittelbare oder modulierte Veränderung melodischer Phrasen belehrt. Die Hinweise, dass Kinder durch Nachahmung lernen, sind Legion. Die Psychologie kennt eine Theorie des Beobachtungslernens. Nun wird es aber gleich wieder kompliziert, denn es handelt sich nicht um eine Theorie, sondern um einen ganzen Komplex zum Teil widerstreitender Theorien. Der naive Jurist sieht am Anfang die Fähigkeit zum Erkennen, Erinnern und Nachahmen von Mustern. Damit gibt sich die einschlägige Literatur jedoch kaum ab.[4] Man bekommt allenfalls den groben Hinweis, dass es nicht um angeborene Fähigkeiten gehe. Es soll insbesondere keine angeborene Neigung zur Imitation geben.[5] Also soll man das (Beobachtungs-)Lernen erst lernen. Dabei sollen maßgeblich Belohnungen eine Rolle spielen. Belohnung darf man in diesem Zusammenhang nicht als positive Sanktion verstehen. Belohnend wirkt der Umstand, dass analoges Verhalten praktisch als erfolgreich erlebt wird.

Aus juristischer Sicht kann man erklärende und heuristische Analogien aber auch die unbedachte Nachahmung als praktische Analogien einordnen. Diese Charakterisierung soll ausdrücken, dass es kein Richtig oder Falsch gibt, sondern nur ein mehr oder weniger Erfolgreich. Die praktische Bewährung und damit der Erfolg der Analogie sind nicht von normativen Gesichtspunkten abhängig, die als solche reflektiert werden. Soziale Anerkennung oder sozialer Druck wirken nur faktisch. Das ist anders als bei vollständigen und bei normativen Analogien, von denen im nächsten Abschnitt die Rede sein soll.

[Fortsetzung hier.]


[1] Werner Metzig/Martin Schuster, Lernen zu lernen, 9. Aufl. 2016, 131ff.

[2] Als Ausnahme vgl. Elena Esposito,Vom Modell zur Mode. Medien und Formen der Nachahmung, Soziale Systeme 9, 2003, 88-104.

[3] Les lois de l’imitation, 5. Aufl. 1907.

[4] Informativ immerhin Birgit Elsner, Theorien zu Imitation und Handlungsverständnis, in: Lieselotte Ahnert (Hg.), Theorien in der Entwicklungspsychologie, 2014, 310-329.

[5] »Imitation wurde dabei von verschiedenen Autoren als der soziale Basisprozeß verstanden, der die Bildung und Erhaltung von Gesellschaften erst ermöglichte und zur Erklärung aller sozialer Phänomene herangezogen wurde. Auf diese empirisch längst widerlegten Theorien wird im folgenden nicht weiter eingegangen.« Das schreibt z. B. Michael Kunzik, Die Theorie des Lernens durch Beobachtung: Ein Beitrag zur Analyse massenmedialer Wirkungen?, Communications 7, 1981, 47-56, S. 48.

Ähnliche Themen

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

You may use these HTML tags and attributes: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.