Zur Hybridisierung der Kulturen

Als ich den Artikel über Homogenisierung und Hybridisierung der Kulturen schrieb, hatte ich kurz zuvor zwei wunderbare Musikveranstaltungen der Ruhrtriennale besucht, nämlich John Cages Europeras und ein Konzert ausschließlich mit Kompositionen von Charles Ives unter der Leitung von Kent Nagano. Die Musik beider Komponisten kann man als Hybridisierung oder Melange einordnen, Bei Europeras geht es um eine Melange aus 100 klassischen Opern, bei Charles Ives um einer Verbindung neuromantischen Kompositionsstils mit Kirchenliedern, Volksliedern und Schlagermelodien.

Im Autoradio gab es am 3. 9. eine Gratulation zum 70. Geburtstag des brasilianischen Sängers Caetano Veloso. So wurde er zitiert:

Wir wuchsen mit dem Bossa Nova auf. Aber dann kombinierten wir englischen Beat und amerikanischen Rock mit schwarzen Rhythmen. Wir mischten Musik mit Fahrradklingeln und Pop mit sakraler Musik. Wir hatten für nichts Respekt, nicht für die Familie, das Vaterland, nicht einmal für den Karneval. Wir liebten Antonio Carlos Jobim und Cool Jazz, und daraus entstand dieses merkwürdige Phänomen, das man Tropicalismo nennt.

Am 4. 9. folgte, gleichfalls im DLF, ein Bericht über ein neues Album der Sängerin Gabby Youngs. Der Bericht wurde eingeleitet mit den Sätzen:

Mit ihrem Debütalbum »We’re All In This Together« eroberte Gabby Young die englische Musikszene im Sturm. Die wilde Stilmischung, die verrückte Kleidung der Sängerin, ihre fantastische Stimme und der Sound der 7-köpfigen Big Band faszinierten Publikum wie Kritik.

Auf der XIII. documenta hatte der chinesische Künstler Yan Lei in einem Raum die Wände vollgehängt, ein Bild für jeden Tag, und zwar Bilder, die er nicht selbst geschaffen, sondern aus verschiedenen Quellen übernommen hatte. Auch das eine Rekomposition. Während des Soziologentages in Bochum habe ich einen auswärtigen Besucher genötigt, sich von mir durch die »Situation Kunst« führen zu lassen. Da gibt es einen Raum mit den Übermalungen von Arnulf Rainer (nicht mein Lieblingsraum).[1]

Wer auch nur einen Augenblick nachdenkt, wird diese Liste nach hinten und vorne beliebig verlängern können.

Irgendwie drängt sich der Eindruck auf, dass es nur noch durch Hybridisierung oder mit Hilfe eines Zufallsgenerators möglich ist, etwa Neues entstehen zu lassen. Nähern wir uns einem Zustand, in dem alle ästhetischen Ausdrucksformen schon einmal da gewesen sind?

 


[1] Zum Glück gibt es in der »Situation Kunst« auch noch einen Afrika-Raum, darin u. a. einige 2500 Jahre alte Figuren aus Nigeria. Und zum Glück gibt es dort Jan Schoohoven und Richard Serra.

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Kritik der Konvergenzthese II: Pfadabhängigkeit der Modernisierung

Das Konzept der Pfadabhängigkeit wendet sich nicht direkt gegen die Modernisierungstheorie, leistet aber eine gerne akzeptierte Differenzierung. Die Pfadabhängigkeit begründet einen gewissen Widerstand gegen die Konvergenz gesellschaftlichen Wandels. Sie bewirkt, dass Wirtschaftsverfassung und Demokratie, Rechts- und Sozialstaat, Familie und Kultur je nach den historischen und situativen Gegebenheiten unterschiedlichen »Pfaden« folgen und sich variantenreich entwickeln können.

Das Konzept der Pfadabängigkeit kommt aus der Wirtschaftswissenschaft, wo aufgefallenen war, dass sich von mehreren Alternativen nicht immer die effizientesten durchsetzen. Der Gedanke wurde populär, nachdem Paul A. David ihn dazu nutzte, um am Beispiel der Qwerty-Tastatur zu zeigen, warum eine Technologie auch dann noch langfristig überleben kann, wenn der für ihre Entwicklung verantwortliche Grund längst weggefallen ist, so dass sich eigentlich unter Effizienzgesichtspunkten eine verfügbare bessere Technologie durchsetzen müsste. Später machte Douglass North (1990) Pfadabhängigkeiten zur Grundlage für eine Theorie des institutionellen Wandels.

Grob gesprochen geht es bei der Pfadabhängigkeit darum, dass historisch gegebene Situationsbedingungen Einfluss darauf haben, wie sich aus einem neuen Impuls etwas entwickelt, kurz gesagt: Geschichte bleibt wichtig (»history matters«). Gemeint ist nicht nur die politische Geschichte, sondern Geschichte in einem umfassenderen Sinn, so dass man sagen muss, auch »culture matters« und religion matters«. Die Pfadabhängigkeit begründet einen gewissen Widerstand gegen Wandlungsprozesse überhaupt, so dass manchmal von einem »institutional lock-in« die Rede ist. Die Übernahme des Konzepts in die Soziologie hat wohl zu einer Pfadabhängigkeit im soziologischen Denken geführt derart, dass es die gesellschaftlichen Beharrungstendenzen im Allgemeinen überschätzt (Werle S. 129). olitische Geschichte, sondern Geschichte in einem umfassenderen Sinn, so dass man sagen muss, auch »culture matters« und religion matters«. Die Pfadabhängigkeit begründet einen gewissen Widerstand gegen Wandlungsprozesse überhaupt, so dass manchmal von einem »institutional lock-in« die Rede ist. Die Übernahme des Konzepts in die Soziologie hat wohl zu einer Pfadabhängigkeit im soziologischen Denken geführt derart, dass es die gesellschaftlichen Beharrungstendenzen im Allgemeinen überschätzt (Werle S. 129).

Literatur: Jürgen Beyer, Pfadabhängigkeit ist nicht gleich Pfadabhängigkeit, 34, 2005, 5–21; Paul A. David, Clio and the Economics of QWERTY, The American Economic Review 75, 1985, 332-337; Raymund Werle, Pfadabhängigkeit, in: Arthur Benz u. a. (Hg.), Handbuch Governance, Wiesbaden 2007, 119-131.

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Konvergenz der Ethnien und Rassen

Über Rassen redet man in Deutschland nicht mehr gerne. Aber es ist unübersehbar, dass es unterschiedliche Rassen gibt, und die Diskriminierung wegen der Zugehörigkeit zu einer Rasse ist ein großes Thema des Rechts und der Rechtssoziologie. Es ist nur daran zu erinnern, dass es in historischer Zeit Rechtsnormen gab, die eine Heirat oder auch nur den Geschlechtsverkehr zwischen Menschen unterschiedlicher Rassen untersagten. Das Verbot »rassischer Mischehen« durch die Nürnberger Gesetze von 1935 wird man nicht vergessen. In den Südstaaten der USA wurden Gesetze, die eine Verbindung zwischen Schwarz und Weiß verboten, erst 1967 endgültig aufgehoben. 2010 erhielt die Rechtshistorikerin Peggy Pascoe von der Law and Society Association den James Willard Hurst Prize in Legal History für ihr Buch »What Comes Naturally: Miscegenation Law and the Making of Race in America« (2009), in dem sie 300 Jahre Rechtsgeschichte daraufhin durchmustert, wie das Recht die Vorstellungen der Menschen darüber beeinflusst hat, was »natürlich« ist.

Es braucht keine Wissenschaft für die Vermutung, dass sich im Zuge der Globalisierung Ethnien und Rassen auch biologisch vermischen. Wieweit dieser Prozess schon vorangeschritten ist und wieweit er am Ende reichen wird, kann hier nicht erörtert werden. Als Beispiel sehe man sich die Zusammensetzung der Bevölkerung von Belize (des früheren Britsch-Honduras) an. Von den 313.000 Einwohnern (2010) sind fast die Häfte Mestizen und über 25 % Kreolen. Auch die 9 % Garifuna sind aus der Verschmelzung verschiedner Rassen entstanden.

Es fehlt handfeste Forschung zu der Frage, ob und wieweit die Globalisierung zu einer Konvergenz von Rassen und Ethnien führt. Die Fragestellung ist tabuisiert, weil mit ihr der Begriff des Schmelztiegels und damit Harmonievorstellungen assoziiert werden, von denen man befürchtet, dass sie soziale und kulturelle Heterogenität und damit verbundene Diskriminierungen auf eine biologische Ebene verdrängt.

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Modernisierung durch Recht: Konvergenz der Kulturen I

Inglehart und der World Value Survey

Mit der Modernisierung geht ein Wertewandel einher. Ronald Inglehart hat mit dem World Value Survey in Instrument zur global vergleichenden Messung kultureller Einstellungen entwickelt, das davon ausgeht, dass der Prozess der sozialen und ökonomischen Entwicklung, die als Modernisierung geläufig ist, zu einer kulturellen Konvergenz führt. Dazu ordnet er alle Länder in einer Vierfeldertafel, die auf der Hochachse unten traditionelle Werte und oben säkular-rationale Werte anzeigt, während auf der horizontalen Achse links Überlebenswerte (survival values) und rechts Selbstenfaltungsungswerte (self-expression-values notiert werden. Die Hochachse markiert den Übergang von der traditionellen zur modernen Gesellschaft, die Längsachse soll dem Übergang von der Industriegesellschaft zur postmodernen Gesellschaft Rechnung tragen, der durch die Verlagerung des Wertehorizonts von materialistischen zu postmaterialistischen Werten gekennzeichnet sei. Seit 1981 wurden für den World Value Survey bisher fünf Befragungswellen abgeschlossen.

Ronald Inglehart/Christian Welzel, Changing Mass Priorities: The Link Between Modernization and Democracy.  Perspectives on Politics 8, 2010, 554-56.

Pippa Norris und Ronald Inglehart sind in ihrem Buch »Cosmopolitan Communications. Cultural Diversity in a Globalized World« (das im Volltext im Internet zur Verfügung steht), der These nachgegangen, dass die Globalisierung der Massenkommunikation letztlich zur kulturellen Konvergenz führen werde. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass noch in vielen Regionen Gesellschaften verbleiben, die nicht über den vollen Zugang zu den Medien verfügen, und dass es auch auf individueller Ebene Barrieren gibt, aus den Medien neue Werte und Verhaltensweisen zu lernen. Die Bedrohung der kulturellen Diversität durch die Massenmedien werde daher oft übertrieben. Aber das würde bedeuten, dass auf lange Sicht eben doch eine weitere Konvergenz zu erwarten wäre.

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Modernisierung durch Recht: Die klassische Modernisierungstheorie in neun Punkten III

Dieser Eintrag setzt die Postings vom 22. und vom 28. August fort, mit denen ich begonnen habe, die neun Punkte, in denen Samuel Huntington[1] die klassische Modernisierungstheorie zusammengefasst hat, zu repetieren und fortzuschreiben.

(6) Modernisierung vollzieht sich in Phasen. Alle Gesellschaften durchlaufen auf dem Weg zur Moderne unterscheidbare Stadien. … Das hat zur Folge, dass sich Gesellschaften danach vergleichen lassen, wie weit sie auf dem Wege der Modernisierung gekommen sind. Die Identifizierung von Phasen[2] ist heute nicht mehr wichtig, weil für das globale Monitoring Indikatoren entwickelt worden sind, die eine gleitende vergleichende Messung des Modernisierungsgrades gestatten. Wichtig bleibt aber, dass sich nach der klassischen Modernisierungstheorie keine Gesellschaft den Modernisierungsprozess entziehen kann. Allerdings müssen die Nachzügler nicht alle Phasen der Modernisierung ausführlich durchlaufen. In der Startphase werden Forschung und Entwicklung durch Nachahmung ersetzt. Technische Entwicklungen wie Flugzeug, Mobiltelefon und Satellitenkommunikation ersparen zum Teil den langwierigen Aufbau einer Infrastruktur. So haben die Tigerstaaten die Entwicklung von der Exportorientierung zum Massenkonsum im Eiltempo durchlaufen, und andere wie Vietnam, Malaysia und Indonesien machen es ihnen nach.

(7) Modernisierung ist ein Konvergenzprozess. Die traditionalen Gesellschaften sind so verschieden, dass manche sagen, sie hätten nicht mehr gemeinsam als dass sie nicht modern seien. Moderne Gesellschaften dagegen sind sich in vielerlei Hinsicht ähnlich. Modernisierung führt tendenziell zu Konvergenz. Die Konvergenzthese stützte sich zunächst auf einen ökonomischen Determinismus. Sie ging von der Annahme aus, dass Gesellschaften mit dem Übergang von der agrarischen zur industriellen Produktionsweise zunehmend komplexer werden, vergleichbaren Problemen gegenüberstehen und sich schließlich angleichen, indem sie für die auftauchenden Probleme ähnliche Lösungen wählen. Die Konvergenzthese ist das Kernstück der Modernisierungstheorie und sie ist besonders kontrovers. Deshalb muss sie bei Gelegenheit besonders behandelt werden.

(8) Modernisierung ist ein unumkehrbarer Prozess. Es mag vorübergehend Unterbrechungen und gelegentlich partielle Rückfälle geben. Aber als säkularer Trend ist die Modernisierung nicht aufzuhalten. … Das Tempo der Modernisierung ist von Gesellschaft zu Gesellschaft unterschiedlich. Aber die Richtung des Wandels ändert sich grundsätzlich nicht. Als Rückschritte auf dem Wege der Modernisierung gelten etwa das Pol Pot-Regime in Kambodscha oder Khomeinis Revolution im Iran. Die Nazidiktatur war sicher eine schlimme Rückentwicklung des politischen Systems, aber nach den Huntington-Kriterien war das System immer noch »modern«. Die Modernisierungstheorie kommt mit dem heimlichen Versprechen, dass solche »Rückfälle« nur temporär seien.



[1] Samuel P. Huntington, The Change to Change. Modernization, Development, and Politics, Comparative Politics 3, 1971, 283-322, S. 288ff. Daran orientiert sich auch Johannes Berger, Was behauptet die Modernisierungstheorie wirklich – und was wird ihr bloß unterstellt?, Leviathan 24, 1996, 45-62.

[2] Ein viel zitiertes Modell stammt von Walt W. Rostow (The Stages of Economic Growth, A Non-Communist Manifesto, 1960, hier zitiert nach der 3. Aufl., Cambridge [England], New York 1990). Es unterscheidet fünf Phasen: Die traditionelle Gesellschaft, eine Übergangsperiode, den Durchbruch zu andauerndem Wachstum, der in England in den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts stattfand, in Mitteleuropa und in den USA jedoch erst Jahrzehnte später. Es folgen eine Konsolidierungsperiode und schließlich das Zeitalter des Massenkonsums. Diese Phasen sind aber nicht auf die nachholende Modernisierung zugeschnitten.

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