Ist die Analogie als juristische Methode überflüssig?

Man unterscheidet bekanntlich Gesetzesanalogie und Rechtsanalogie. Mit der Gesetzesanalogie werden bestimmte einzelne Regelungen auf einen ähnlichen Fall übertragen. Bei der Rechtsanalogie wird zunächst aus einer Mehrzahl vorhandener Vorschriften ein Prinzip herauspräpariert und dieses sodann auf den von den Ausgangsbestimmungen nicht erfassten Fall erstreckt. Paradebeispiel der Rechtsanalogie ist die Ableitung der allgemeinen Unterlassungsklage aus den §§ 12, 862, 1004 BGB. Es handelt sich dabei um eine normative Induktion. Das las man schon bei Enneccerus-Nipperdey.[1]

Eine deontische Logik scheitert bekanntlich nicht an Jörgensens Dilemma.[2] Die Subsumtion ist als Deduktion gültig, da sie als erste Prämisse einen Normsatz verwendet und damit einen Fehlschluss vom Sein aufs Sollen vermeidet. Entsprechendes – ich bin versucht zu sagen, Analoges – gilt auch für die normative Induktion, da hier aus singulären Normsätzen ein allgemeinerer Normsatz gefolgert wird. Die Rechtsanalogie läuft auf Rechtsgewinnung durch systematische Auslegung hinaus – und ist damit als spezifische juristische Methode überflüssig.

Die Gesetzesanalogie geht davon aus, dass zwei Fälle ungleich, aber ähnlich sind und deshalb die Rechtsfolgen von Fall A auf Fall B übertragen werden können oder müssen. Wie entdecken Juristen die Ähnlichkeit zwischen den vom Gesetz ungleich behandelten Fällen? Die Strukturmerkmale für die Feststellung der Ungleichheit sind im gesetzlichen Tatbestand »enkodiert«. Die Ähnlichkeit wird daraus erschlossen, dass die ungleichen Fälle jedenfalls in einigen Tatbestandsmerkmalen übereinstimmen oder dass mehrere Tatbestandsmerkmale phänomeno­logisch dem Vergleichsfall ähnlich sind. Die Rechtfertigung des Analogie­schlusses folgt dann aus dem allgemeinen Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 I GG. Als Vermittlungselement dienen der (Schutz-)Zweck des Gesetzes und als dessen Kehrseite die gleichartige Interessenlage.

Fall A: Fall B ≈ Schutzzweck: Interessenlage

In dem Vergleichszeichen ≈ steckt der Gleichheitssatz. Das ist Pseudologik, die nicht weiterhilft. Sie legt aber den Gedanken nahe, dass auch die Gesetzesanalogie als spezifische Methode überflüssig sei. An ihrer Stelle kann man direkt auf das allgemeine Gleichbehandlungsgebot zurückgreifen. Die Schwachstelle der Analogie, das heißt die Stelle, an der das entscheidende Werturteil gefällt werden muss, ist die Feststellung der (relevanten) Ähnlichkeit. Hier wird entschieden, dass die ungleichen Fälle in einem »höheren« Sinne gleich sind. Es wird ein Strukturmerkmal hinzugefügt, durch das die ungleichen Kandidaten in eine höhere Gattung aufrücken und insoweit gleich werden. Das BVerfG hat 1979 den nur für alleinstehende Frauen mit eigenem Haushalt gewährten Hausarbeitstag für unvereinbar mit Art. 3 II GG erklärt, weil die Regelung gegen die Gleichberechtigung von Mann und Frau verstieß.[3] Ohne die speziellen Vorschriften des Art. 3 II 1 und III hätte man auch mit einer Analogie arbeiten können, und tatsächlich argumentiert das Gericht, als ob die Gewährung eines Hausarbeitstages für Männer aus einer Analogie abzuleiten sei. Das zeigt: Für die Analogie ist mindestens dort kein Platz, wo spezielle Gleichbehandlungsregeln greifen.

Man zögert für einen Augenblick, die Gesetzesanalogie mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 I GG ganz abzulösen. Die Hürde kommt vermutlich daher, dass man den Gleichheitssatz in der Regel als Waffe gegen diskriminierende Beschränkungen von Individuen im Blick hat. Art. 3 GG steht im Grundrechtsteil der Verfassung und wird für die Durchsetzung von Grund- und Bürgerrechten in Anspruch genommen. Die Probleme, die mit der Gesetzesanalogie gelöst werden, sind jedoch meist sehr viel trivialer. Die Suche nach »Analogie« in der Rechtsprechungsdatenbank JURIS ergab am 10. 3. 2022 27.553 Treffer. Da geht es etwa um die Gewerbesteuerbefreiung ambulanter Pflegedienste oder um die Anrechnung ehrenamtlicher Tätigkeiten auf die Beitragszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung. Da beruft sich niemand auf Art. 3 GG. Doch die Anwendung des Gleichheitssatzes funktioniert genau wie eine Analogie. Stets geht es darum, Objekte, die an sich verschieden sind, unter einem bestimmten Gesichtspunkt als gleich oder ungleich zu vergleichen.[4] Man stellt also zunächst Ungleichheit fest und sucht dann nach Ähnlichkeiten, um am Ende die Ungleichheit durch Ähnlichkeit zu überwinden.

»Treating relevantly similar cases similarly is a fundamental aspect of rationality. Any application of a general principle or rule—whether in logic, morality, law, or administration—requires that we have a sense of which cases are relevantly similar and merit similar treatment.«[5]

Ein Zitat aus einer sprachwissenschaftlichen Arbeit zur Analogieforschung legt den Gedanken, nahe, dass die Analogie der große Gleichmacher sein könnte:

»Die sprachwissenschaftlichen Definitionen der Analogie stimmen darin überein, daß sie als Tendenz (Ausgleichungstrieb) zwischen zwei begrifflich assoziierten Wörtern (semantische A.) oder einander entsprechenden Wortformen (formale A.) wirksam sei und auf eine lautliche Annäherung (Uniformierung) abziele.«.[6]

Der Gedanke beruht zwar auf einem Kurzschluss, ausgelöst durch das Stichwort »Uniformierung«, lässt sich aber doch nicht einfach von der Hand weisen.

Die Analogie, wie sie hier erörtert wurde, ist anderes und mehr als Nachahmung, nämlich ein gedanklicher Prozess, an dessen Ende etwas Neues steht. Was Analogie als Nachahmung von der Analogie als produktivem Argument unterscheidet und was beide verbindet, wäre ein Thema für sich. Immerhin geht es in beiden Fällen um Ähnlichkeit, und de facto führt auch Nachahmung selten oder nie zu einer bloßen Kopie. Indessen führt das Zitat in die Irre, wenn man nicht bedenkt, dass die antiken Grammatiker ἀναλογία zusammen mit ἀνωμαλία als Gegenbegriff verwendeten, um so zu erklären, dass Wortbedeutung und sprachliche Formen oft uneinheitlich verwendet werden. So galt die korrekte Verwendung einer Vokabel oder einer Flexionsform als analog, die abweichende dagegen als anomal. In der Kontroverse der alten Grammatiker um Analogie und Anomalie[7] stand Analogie also für Uniformität im Sinne eines einheitlichen Sprachgebrauchs.

Der Gleichheitssatz des Art. 3 GG ruft jedermann auf, Ungleichheiten zu konstatieren, um sodann nach Ähnlichkeiten zu suchen, so dass im Ergebnis Ungleiches gleich behandelt werden kann. Wo  immer Menschen einen anderen als Träger von Rechten wahrnehmen, die ihnen selbst versagt sind, mögen die Rollen, an welche die Berechtigung geknüpft ist, noch so verschieden sein, lässt sich stets behaupten, dass die Beteiligten jedenfalls als Menschen gleich sind und die Situation mithin trotz unterschiedlicher Rollen so ähnlich ist, dass Gleichbehandlung geboten sei. Damit erweist sich die Analogie im Recht am Ende doch als Gleichmacher.

Was folgt aus alledem für die Jurisprudenz? Wenig, was man dort nicht schon wusste. Aber der Ausflug in die Interdisziplinarität war interessant, ähnlich wie ein Museumsbesuch.


[1] Ludwig Enneccerus/Hans Carl Nipperdey, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, 1. Band: Allgemeine Lehren, Personen, Rechtsobjekte, 14. Aufl., 1952, S. 210.

[2] Pavel Holländer, Rechtsnorm, Logik und Wahrheitswerte. Versuch einer kritischen Lösung des Jörgensenschen Dilemmas, 1993; Jörgen Jörgensen, Imperatives and Logic, Erkenntnis 7, 1937/38, 288-296.

[3] Beschluss vom 13. November 1979 1 BvR 631/78, BVerfGE 52, 369.

[4] Konrad Hesse, Der Gleichheitsgrundsatz im Staatsrecht, AöR NF 38 , 1951/52, 167-224, S. 172.

[5] Trudy Govier, A Practical Study of Argument, 7. Aufl. 2014, S. 320..

[6] So zitiert Karl-Heinz Best, Probleme der Analogieforschung, 1973, gleich eingangs (in kritischer Absicht) aus dem  Sprachwissenschaftlichen Wörterbuch von Johann Knobloch (1961ff, S. 111f).

[7] Vgl. Karl-Heinz Best, Probleme der Analogieforschung, 1973, S.  13ff.

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