Zwischenruf: Erfolgsaussicht prägt die Bereitschaft zum Klimaschutz

Am Wochenende konnte man in vielen Zeitungen den gleichen oder ähnliche Artikel lesen: So kann jeder 600 Kilo CO2 sparen. (Ich hätte da noch einige Ratschläge, mit denen man wohl auch 1000 kg Einsparung erreichen könne, z. B. auf Mineralwasser und Hunde verzichten, Diesel-PKW fahren, solange an den Ladestationen Kohlestrom verzapft wird, usw.). Aber wie bewegt man die Menschen zu tun, was sinnvoll und vernünftig wäre (und vielleicht eines nahen Tages vorgeschrieben wird)?

»Soziale Normen prägen Bereitschaft zum Klimaschutz.«

Mit dieser Schlagzeile wird eine Studie Bonner Verhaltensökonomen[1] vorgestellt. In der Zusammenfassung liest man:

»Menschen tragen wenig zum Klimaschutz bei, weil sie die Bereitschaft anderer unterschätzen, ebenfalls ihren Beitrag zu leisten.«

In einem Befragungsexperiment will man herausgefunden haben, dass Informationen über die tatsächlichen gesellschaftlichen Normen und Verhaltensweisen die Spendenbereitschaft für Klimamaßnahmen erhöhen. Das glaube ich gerne. Man tut lieber und leichter, was auch andere tun. Darin zeigt sich die normative Kraft des Faktischen. (So hat selbst dieser Zwischenruf einen Bezug zum Normalitätsthema.) Viel interessanter ist die Frage, was die Menschen von persönlichen Anstrengungen zum Klimaschutz abhält. Darauf antworte ich mit einer These, die auch ohne große Befragungsexperimente plausibel ist:

Die Bereitschaft zu persönlichen Anstrengungen für den Klimaschutz hängt von den Vorstellungen über die Erfolgsaussicht des CO2-Regimes ab.

»Klimaleugner«, also Menschen, die das Phänomen des Klimawandels und seinen anthropogenen Ursprung bestreiten, sind auf dem Rückzug. Es wächst jedoch die Zahl der Skeptiker, die bezweifeln, dass ein weltweites CO2-Regime den Klimawandel begrenzen wird. Das ist Klimaskepsis 3.0.

Zu solchen Zweifeln gibt es in der Tat allerhand Anlass. Die Zweifel beginnen schon, wenn die Emissionsquellen quantifiziert und die Umweltkosten der verschiedenen Aktivitäten geschätzt werden, z. B. wenn das Umweltbundesamt und die von ihm bestellten Wissenschaftler die Umweltkosten der Kernkraft »mit den höchsten Umweltkosten, in diesem Fall also Braunkohle« bewerten.[2] Sie wachsen mit der Frage, an welcher Stelle sich die Reduzierung der klimaschädlichen Emissionen am effizientesten bewirken ließe. Sie kumulieren bei der Frage, wie mit rechtlichen Mitteln Staaten, Organisationen und Individuen veranlasst werden können, die notwendigen Maßnahmen zu befolgen.

Noch wächst weltweit der Verbrauch von Kohle, Erdöl und Erdgas. Einsparungen bei der für Heizung notwendigen Energie werden durch den Aufwand für Klimatisierung aufgezehrt. Der Wirtschaftsminister muss einräumen, dass der Strombedarf unterschätzt worden ist. Die erneuerbaren Energien reichen noch nicht annähernd aus. Das Speicherproblem ist nicht gelöst. Die Kippmomente in Arktis, Antarktis und den Permafrostgebieten Sibiriens sind anscheinend nicht mehr aufzuhalten. Die Politik setzt Ziele und Termine und hofft auf viele kleine technologische Lösungen oder den großen Durchbruch. Die von der Klimaforschung für 2020 markierten Meilensteine[3] wurden verfehlt.

Wenn überhaupt, werden sich die Ziele der Klimapolitik nicht ohne fühlbare Einschränkungen in mehr oder weniger allen Bereichen des Lebens erreichen lassen. Die Bürger müssen solche Einschränkungen nicht nur akzeptieren, sondern aktiv mitwirken. Die dafür erforderliche Motivation hängt davon ab, dass man von der Erfolgsaussicht des CO2-Regimes überzeugt ist.

Wenn sich die Zweifel am Kohlendioxidregime im Publikum verbreiten, dürften sie Fatalismus zur Folge haben: Es hilft doch alles nichts; der Klimawandel kommt, auch wenn ich mein Auto stehenlasse und Uniper die Braunkohlenkraftwerke abschaltet. Warum soll ich mich dann einschränken? Wenn der Verzicht rechtlich eingefordert wird, kann sich gar massiver Widerstand regen, so wie bei der an sich sinnvollen Erhöhung des Dieselpreises in Frankreich.

Die Energiewende ist das ehrgeizigste und teuerste Projekt deutscher und internationaler Politik. Die Gesamtkosten allein für Deutschland werden 1 Billion EUR erreichen. Die deutsche Politik ist dabei in einen europäischen Rechtsrahmen eingebunden. Der besteht in der Hauptsache aus dem europäischen Emissionshandel (ETS), der EU-Lastenteilungsentscheidung (Effort Sharing Decision, ESD) sowie den Richtlinien über CO2-Grenzwerte für PKW und Endtermine für die Zulassung von Verbrenner*innen, über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden oder die Ökodesign-Richtlinie für energieeffiziente Produkte.

Heute will die EU neue Klimapläne verkünden. Der CO2-Ausstoß soll bis 2030 im Vergleich zu 1990 um 55 % sinken.[4] Der zentrale Bausteine im nationalen deutschen Recht sind das Energieeinsparungsgesetz, das Gesetz für den Ausbau erneuerbarer Energien (EEG), das auf das Stromeinspeisungsgesetz von 1991 zurückgeht und jetzt als EEG 2017 gilt, sowie das Gesetz zur Förderung Erneuerbarer Energien im Wärmebereich (EEWärmeG). Deutsche und europäische Gesetze sind wiederum in einschlägiges Völkerrecht eingebettet. Es ergibt sich aus den Beschlüssen der Welt-Klimakonferenzen, die nach der Rahmenkonvention der Vereinten Nationen über Klimaänderungen stattgefunden haben, zuletzt in Paris 2015, in Marrakesch 2016 und in Kattowitz. Dieser Rechtskomplex hat nicht weniger Evaluationsaufwand verdient als seinerzeit die Hartz-Gesetze. Wo bleibt die Rechtswirksamkeitsforschung zum Klimaschutz? Mit der Beobachtung von Klimaklagen ist es nicht getan.

Die Rechtssoziologie verkümmert, weil sie auf die falschen Themen setzt. Das zentrale Thema der Rechtssoziologie ist Ungleichheit und Diskriminierung. Das zentrale Thema der Welt ist die Bewahrung einer lebenswerten Umwelt, die aktuell wohl am stärksten durch Klimawandel, Plastikverseuchung und durch bewaffnete Konflikte gefährdet ist. Zum zentralen Thema der Gesellschaft werden künstliche Intelligenz und der digitalisierte Datenraum. Sind die großen Themen zu groß für die Rechtssoziologie?

Die Rechtssoziologie hat die Forschung zur Wirksamkeit (nicht nur) der Regelung der Energiewende und damit des Klimaschutzes den Ökonomen überlassen, die die bisherigen Maßnahmen der Politik als ineffektiv und ineffizient eingestuft.[5]

Vielleicht ist die Sache für die Rechtssoziologie wirklich zu groß. Auf eine Diskussion über die Erfolgsaussicht des CO2-Regimes können Rechtssoziologen sich kaum einlassen. Sie könnten sich aber vielleicht mit der Erwartungsbildung des Publikums über diese Aussichten befassen. Die Erwartungen des Publikums bestimmen die Wirksamkeit von Rechtsvorschriften zum Klimaschutz und prägen darüber hinaus die überobligationsmäßigen Anstrengungen zur Stützung des CO2-Regimes. Mindestens könnten Rechtssoziologen unter dem Titel der Rechtswirkungsforschung relevante Fragen stellen. Oder sind solche Frage nicht opportun, weil Rechtswirkungsforschung die Unwirksamkeit des Kohlendioxidregimes als Möglichkeit in Betracht ziehen müsste?


[1] Peter Andre/Teodora Boneva/Felix Chopra/Armin Falk, Fighting Climate Change: the Role of Norms, Preferences, and Moral Values.

[2] Umweltbundesamt, Methodenkonvention 3.0 zur Ermittlung von Umweltkosten: Kostensätze, 2018, S. 18 mit Verweis auf Umweltbundesamt, Methodenkonvention 3.0 zur Ermittlung von Umweltkosten: Methodische Grundlagen, 2018, S. 26.

[3] Christiana Figueres u. a., Three Years to Safeguard our Climate, 2017

[4] Dazu der Bericht von Hendrik Kafsack in der FAZ vom 13. 7. 2021.

[5] Manuel Frondel, Ineffektiv und ineffizient. Eine Bilanz der deutschen Klimapolitik, 2017.

 

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