Denkmalschutz für die Ehe

»Ehe nach Bedarf« ist ein Text von Antje Schrupp überschrieben, der bescheiden als Kommentar daherkommt. Ich kenne keinen Text, der die Situation von Ehe und Familie angesichts der Entkoppelung von Geschlecht, Sexualität und Generativität so luzide, kurz und knapp darstellt. Das gelingt durch eine Besinnung auf die historische Funktion der Ehe als einer Verantwortungsgemeinschaft für Kinder und rückwärts gewandt dann vielleicht auch für die Alten.

»Beim heutigen Stand von Geburtenkontrolle und Reproduktionstechnologie ist die Frage, wer mit wem schläft und wer wen liebt, tatsächlich Privatsache, die die Gesellschaft und den Staat nichts angeht. Mit der Frage, wer für wen sorgt und wer mit wem eine verantwortliche – auch ökonomische – Lebensgemeinschaft eingeht, hat sie nicht mehr notwendigerweise etwas zu tun.« (Schrupp S. 12)

Das ist sicher richtig. Keine Privatsache ist dagegen die Frage, wer Kinder in die Welt setzt, denn der Staat ist mindestens subsidiär dafür verantwortlich, dass die Kinder gedeihen.

Nun kann man schwerlich die Zeugung von Kindern genehmigungspflichtig machen. Aber der Staat kann durchaus Lebensgemeinschaften privilegieren, die sich für die Pflege und Erziehung der Kinder verantwortlich fühlen. Diese Lebens­gemeinschaft war bisher die Ehe. Schrupp weist auf die alternativen Formen hin, die sich als Sorgegemeinschaften für Kinder anbieten. Welche der Alternativen sich auf Dauer durchsetzen kann und welche als Milieublüte verwelkt, welche sich im Blick auf das Kindeswohl als hinreichend beständig und konfliktfrei erweist, ist allerdings noch offen. Wenn man der Auffassung ist, dass Kinder nicht in staatlichen Heimen, sondern in einer »verantwortlichen Lebens­gemeinschaft« aufwachsen sollten, hat die heterosexuelle Liebesehe die Vermutung der unvor­denklichen Bewährung für sich. Die Tauglichkeit der gleichgeschlechtlichen Ehe für die Kindererziehung bleibt umstritten. Das Thema ist so heikel, man auch empirischen Untersuchungen nicht traut.[1] Das Modell der alleinerziehenden Mutter schneidet, nach den zahlreichen Hilferufen zu urteilen, schlecht ab. Die anderen Modelle warten noch auf ihre empirisch überprüfte Bewährung.

Die Funktionstauglichkeit der Lebensgemeinschaft für Sorgezwecke ist freilich ein trauriges Kriterium. Art. 6 I GG stellt Ehe und Familie unter den besonderen Schutz des Staates. 1949 verstand man darunter die heterosexuelle Ehe und die daraus entspringenden Kinder. Alleinerziehende Mütter und nichteheliche Kinder wurden in Art. 6 IV und V besonders bedacht. Seither haben sich die Familienformen so sehr gewandelt, dass für eine subjektiv historische Auslegung des Grundgesetzes kein Raum mehr ist. Daher kommt ein anderer Gedanke ins Spiel. Die traditionelle Ehe ist ein immaterielles Kulturerbe. Dazu bedarf es keiner Anerkennung der UNESCO oder irgendjemandes sonst. Die Ehe ist zu groß, um sie mit dem Skatspiel und dem Narrengericht zu Grosselfingen in eine Liste aufzunehmen. Sie verdient mindestens so viel Pflege wie andere Kulturdenkmäler. Das Denkmal ist allerdings durch § 1353 I 1 BGB n. F. schon eingerissen. Den Originalzustand könnte auch das BVerfG nicht mehr wieder herstellen. Pflegen wir also jedenfalls den Rest, die lebenslange Liebesgemeinschaft, übrigens gar keine schlechte Voraussetzung für die Funktionalität als Verantwortungsgemeinschaft auch für eine Familie.

Nachtrag vom 9. 2. 2021: Zwei jüngere Veröffentlichungen machen sich für neue Familienmodelle stark:

Almut Peukert/Julia Teschlade/Christine Wimbauer/Mona Motakef/Elisabeth Holzleithner, Elternschaft und Familie jenseits von Heteronormativität und Zweigeschlechtlichkeit, 2020;

Christine Wimbauer, Co-Parenting und die Zukunft der Liebe. Über post-romantische Elternschaft, 2021.

Auf den ersten Blick habe ich den Eindruck von Interessentenwissenschaft. Da wären publication disclosure statements angebracht.

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[1] Das gilt für die Untersuchung von Mark Regnerus, How Different Are the Adult Children of Parents Who Have Same-Sex Relationships? Findings from the New Family Structures Study, Social Science Research 41, 2012, 752-770. Regnerus, der aus einem katholisch-christlichen Umfeld kommt und zunächst religionssoziologisch gearbeitet hat, hat mit der Studie von 2012 über die Entwicklung von Kindern, die bei gleichgeschlechtlichen Paaren aufwuchsen, heftige Kontroversen ausgelöst. Seither gilt er in LGBT-Kreisen als Anti-Gay-Researcher. Eine Nachuntersuchung der von Regnerus benutzten Daten durch Cheng und Powell kommt zu dem Ergebnis, dass die Unterschiede nur gering seien (Simon Cheng/Brian Powell, Measurement, Methods, and Divergent Patterns: Reassessing the Effects of Same-Sex Parents, Social Science Research 52, 2015, 615-626). Zum Thema Joachim-Müller Jung, Leben Kinder homosexueller Partner schlechter?, FAZ vom 22. 11. 2018.

 

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