Inklusive und hierarchische Opposition

In dem Vortrag über »Gegenbegriffe, Dichotomien und Alternativen in der Jurisprudenz«, der nun schon länger zurückliegt, war ich kurz auf die Figur der »opposition hierarchique« von Louis Dumont[1] eingegangen, auf die Luhmann zur Stützung der These von der Asymmetrie der Unterscheidung verweist[2]. In meinem Manuskript stand dazu: Bei der hierarchischen Opposition geht es um eine Unterscheidung, in der die eine der beiden Seiten die andere einschließt, die nunmehr als Subsystem der anderen fungiert. Am Beispiel von Adam und Eva, dass Luhmann ausdrücklich lobt, geht das so: Gott schuf mit Adam den Prototyp des Menschen. In einem zweiten Schritt schuf er Eva aus einer Rippe Adams. Nun stehen sich beide gegenüber. Erst dadurch ist Adam zum Mann geworden. Aber weiterhin repräsentiert er den Menschen schlechthin. Das ergibt die hierarchische Opposition.

Logisch geht es hier um die Relation von Teilmenge und Grundmenge. Adam wird auf wunderliche Weise einmal als Teilmenge und einmal als Grundmenge behandelt. Im Ergebnis bringt es wenig, sich an solchen fundamental-philosophischen Fragen abzuarbeiten. Es bleibt doch bei der Tatsache, dass die soziale Praxis die gängigen Unterscheidungen nicht wertfrei verwendet. Begriffsbildungen werden nicht im luftleeren Raum vollzogen, sondern in der Psyche konkreter Menschen, und diese Menschen wiederum sind Teil der sie umgebenden Gesellschaft. Das hat zur Folge, dass Unterscheidungen im sozialen Raum sehr schnell asymmetrisch werden können. Dann wird Adam eben doch zum Menschen an sich. Aus dem Differenzieren wird ein Diskriminieren.

Ein Zeitungsartikel des Sprachwissenschaftlers Rüdiger Harnisch[3] weist mich darauf hin, dass ich an dieser Stelle (sicher auch an anderen) nicht tief genug eingedrungen bin. Im Kontext der Debatte um das generische Maskulinum erörtert Harnisch die Sprachfigur der inklusiven Opposition. Sein Beispiel:

»Wenn wir sagen, das sei ein Unterschied wie Tag und Nacht, ist mit ›Tag‹ semantisch nur die Zeit der Helligkeit gemeint, die der ›Nacht‹ als Zeit der Dunkelheit gegenübersteht. Wenn ich sage, dass ich drei Tage krank gewesen sei, umfasst ›Tag‹ auch die Zeit der Dunkelheit, denn über Nacht war ich ja jeweils nicht gesund.«

Harnisch erläutert, dahinter stehe ein im Sprachsystem fest verankertes Prinzip, dem alle »lexikalischen Gegensätze gehorchten:

»Man fragt, wie alt etwas sei – und es kann als Antwort alt oder jung herauskommen. Man misst, wie lang etwas ist, und es kann sich als lang oder kurz erweisen.«

Was hier »semantischer Gegensatz genannt wird, ist also nichts anderes als eine Dichotomie. Die inklusive Opposition erweist sich damit als Prinzip der Sprachökonomie. Sie setzt sich insofern über die Logik hinweg, als derselbe Ausdruck, der zunächst eine Teilmenge bezeichnet, auch zur Benennung der Grundmenge dient. Die inklusive Opposition ist also eine tief verankerte Sprachpraxis. Das ändert freilich nichts daran, dass sie im konkreten Gebrauch doch hierarchisch ausfallen kann. So geschieht es in den romanischen Sprachen, wo homme bzw. uomo auch gleichbedeutend mit Mensch. Das ist eine inklusive Opposition, die hier zugleich hierarchisch ausfällt. Das wird deutlich, wenn ein anderer Sprachwissenschaftler uns erklärt, in diesem Beispiel werde »Mann« als Prototyp des Menschen oder als »Mensch κατ’ ἐξοχήν« angeführt.[4]

Was folgt (für mich) daraus? Insofern lag ich falsch, als es hier nicht um eine fundamental-philosophische Frage geht, sondern schlichter um eine Frage der empirischen und vielleicht auch der strukturellen Semantik. Aber was mich mehr bewegt: Es ist kein Geheimnis, dass ich das sprachliche Gendering für verfehlt und kontraproduktiv halte und für diese Auffassung Unterstützung nicht zuletzt bei der Sprachwissenschaft suche. Dafür habe ich am 23. 10. 2020 einen Artikel von Peter Eisenberg[5] verbucht. Der Artikel von Harnisch eignet sich als Stütze aber nur begrenzt.[6] Er bestätigt einmal mehr, dass die generische Verwendung von Begriffen gute sprachliche Praxis ist. Aber, wie gesagt: Die inklusive Opposition funktioniert, kann jedoch im konkreten Fall hierarchisch werden.


[1] Louis Dumont, Homo Hierarchicus. The Caste System and Its Implications, 1970 [franz. Original 1966], S  239.

[2] Niklas Luhmann, Frauen, Männer und George Spencer Brown, Zeitschrift für Soziologie 17, 1988, 47-71, S. 51.

[3] Inklusiver Gegensatz. Logik und Sprachlogik: Das generische Genus Maskulinum ist nur Teil eines allumfassenden sprachökonomischen Prinzips, FAZ vom 28. 10. 2020.

[4] Peter Koch, Der Beitrag der Prototypentheorie zur Historischen Semantik, Romanistisches Jahrbuch 46, 2015, 27-46, S. 31f.

[5] Warum korrekte Grammatik keine Gendersternchen braucht, FAZ vom 23. 10. 2020.

[6] Den Artikel von Anatol Stefanowitsch, auf den sich Harnisch bezieht, habe ich nicht gefunden. Was Stefanowitsch sonst zum Gendering zu sagen hat, findet man auf der Internetseite Edition F.

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Eine neue Blüte gendergerechter Sprache

Stolpern wir auf die nächste Stufe gendergerechter Sprache? Die erste Stufe betraf das grammatikalische Geschlecht. Sie spaltet die Gesellschaft in die Fraktionen der Männer und der Frauen und hinterlässt für den Rest dazwischen einen Hiatus. Auf der zweiten Stufe geht es um die Semantik der Begriffe. Konkret wird uns vorgeschlagen, an Stelle von Paternalismus von Parentalismus zu sprechen.[1] Paternalismus soll nur noch verwendet werden, wenn eine Einstellung als Institutionalisierung männlicher Herrschaft gekennzeichnet werden soll, wenn es um patriarchalischen Paternalismus geht. Ich bin da sehr fortschrittlich. In meinem Essay über Bourdieus »Männliche Herrschaft« habe ich die Einordnung vormoderne Strukturen als kritikwürdige Herrschaft retrograden Maternalismus genannt, um sie als Erscheinungsform des normativen Rückschaufehlers zu kennzeichnen (S. 17). Aber was machen wir mit der Mutter als Gegenstück der Schraube? Alte Schrauben bleiben weiblich. Und was wird überhaupt aus der Herrschaftssoziologie? Mannschaften sind auch daneben.

Im Ernst: Mit der Sprache sollte man es halten wie Savigny mit dem Recht. Man sollte die Sprache schätzen, wie sie sich  selbsttätig aus dem »Volksgeist« entwickelt. Wenn das Ergebnis nicht gefällt, darf man meckern. Das ändert nichts, schafft aber jedenfalls Erleichterung. Auf das Herumdoktern an der Sprache, zumal auf der Grundlage einer politischen Agenda, sollte man dagegen verzichten. Die Ergebnisse sind unvorhersehbar und nicht selten kontraproduktiv.

Wenn man Maternalismus als Gegenbegriff zu Paternalismus einführt, dann wird alsbald das gesamte politische Spektrum als maskulin oder feminin eingeordnet. Wares Beispiele aus den USA: Republikaner gelten als maskulin, Demokraten als feminin. Freiheitsbeschränkende Schutzgesetze (protecting others by restricting their choices) gelten als männlich, sind aber vielleicht doch in Wahrheit weiblich, oder sind sie geschlechtslos?[2] Die Klassifizierung bietet viel Stoff für Master- und Mistress-Arbeiten.

Paternalismus ist wohl tatsächlich weithin negativ konnotiert[3], was aber kaum daher rührt, dass Väter immer noch Männer sind, sondern weil Paternalismus Bevormundung bedeutet. Maternalismus ist insofern nicht besser, ist er doch das Kennzeichen des Nanny-Staats. Aber auch Parentalismus dürfte sich nur vorläufig als genderneutraler Oberbegriff eignen, bis jemand bemerkt, dass Eltern für Heterosexualität stehen.

Möge die neue Blüte des politisch korrekten Akademiker-Opportunismus daher schnell verwelken.


[1] Stephen J. Ware, Paternalism or Gender-Neutrality? (April 1, 2019), ssrn.com/abstract=3368498.

[2] Ware S. 36.

[3] Ware S. 37.

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Drei Mal generisches Femininum

Die Anzeige[1] habe ich zunächst nur gelesen, weil ich mich immer noch ein bißchen als Kieler fühle. Aber dann hat mich die Kreativität der Nordstädter in der Praxis des sprachlichen Gendering gefangen genommen. Hier ist sie:

Persönlichkeit, Leitung, Planstelle – alle drei Benennungen für die angebotene Stelle sind weiblich. Um erst gar keinen Zweifel aufkommen zu lassen, das Bild einer Frau, die auf Sieg zeigt. Wenn ich Ingenieur im richtigen Alter wäre, ich würde mich bewerben. Immerhin steckt im Ingenieurbau doch ein bißchen Mann.

Die Forderung nach einer geschlechtergerechten Sprache in Universitäten und Medien, Behörden und Unternehmen ist in wissenschaftlicher Literatur, in Rechtsvorschriften und Leitfäden festgeschrieben und wird von einem Panoptikum aus Behörden, Beauftragten und Betroffenen überwacht. Das Bundesgleich­stellungsG bestimmt in § 4 III, dass die Gleichstellung von Frauen und Männern in Rechts- und Verwaltungsvorschriften des Bundes sowie im dienstlichen Schriftverkehr auch sprachlich zum Ausdruck gebracht werden soll. An dieser »Wahrheit« prallen alle Argumente ab. Darüber lässt sich nicht mehr diskutieren. Man kann sich nur noch positionieren. Ich nehme die Kieler Anzeige zum Anlass, meine Position zum sprachlichen Gendering mit einigen Stichworten explizit zu machen.

  • Jacob Grimm meinte, das genus habe sich historisch als Bezeichnungsform des sexus entwickelt. Damit stieß er schon bei Zeitgenossen auf Widerspruch. Aber darauf kommt es letztlich nicht an. Der Rhein ist nicht männlicher als die Donau. Niemand hält Mädchen oder Weiber für geschlechtslos.
  • Alle drei grammatischen Geschlechter werden generisch verwendet. Wenn von Personen oder Arbeitskräften die Rede ist, zweifelt niemand, dass auch Männer gemeint sind. Das Mitglied kann männlich oder weiblich sein.
  • Studien, die zeigen, dass das generische Maskulinum Frauen weniger sichtbar erscheinen lässt als Männer, reproduzieren nur den bisherigen Zustand der Gesellschaft. Tatsächlich waren Frauen in den Positionen, nach denen in diesen Studien gefragt wurde, bisher weniger repräsentiert als Männer. Bei medienaffinen Positionen wie z. B. Schauspieler oder Sportler versagt das generische Maskulinum immer schon. Diese Fehlerquellen kann auch die vielzitierte Studie von Stahlberg und Sczesny[2] nicht ausräumen.
  • Die Forderung nach einer durchgehenden Beidnennung der Geschlechter führt erst den Zustand herbei, den sie bekämpfen will, dass nämlich im Umkehrschluss Frauen als ausgeschlossen erscheinen, wo sie nicht ausdrücklich genannt werden.
  • Die Forderung wird nicht konsequent durchgehalten, denn sie gilt nur für positiv belegte Positionen. Die negativ belegten Rollen bleiben männlich.
  • Die Sprache selbst stürzt die Forderung nach geschlechtersensiblem Ausdruck in ein Dilemma, wenn die weiblichen Funktionsbezeichnungen mit Hilfe der Nachsilbe »in« von der männlichen Grundform abgeleitet werden. So erscheinen die Bürgerin, die Professorin oder die Ministerin letztlich doch als etwas Sekundäres.
  • Die Verdrängung des grammatischen Geschlechts zugunsten femininer Bezeichnungen befestigt –mit oder ohne Gendersternchen – die »heterosexuelle Matrix« und schafft damit neue Diskriminierungen für Personen, die sich einem dritten Geschlecht zurechnen.
  • Die Verwendung des Partizips für eine geschlechtsneutrale Benennung (»Studierende«) ist ein Missbrauch grammatischer Kategorien.
  • Der praktischen Umsetzung stehen nicht die Macht der Gewohnheit und sprachästhetische Gesichtspunkte (die ihrerseits wiederum durch Gewohnheit geprägt sind) entgegen. Ich will keine Sprache schreiben, die ich nicht sprechen kann und ich mag auch nicht hören, wie die »Innen« unter den Bürgern von Rednern verschluckt werden.
  • Das sprachliche Gendering bleibt in vielen Situationen eine Lachnummer und weckt unnötigen Widerstand.
  • Wo jemand seine Gesinnung zeigen will, hat es seine Opportunität.

Wo konkret Lebenschancen verteilt werden, etwa in Stellenanzeigen, ist das Gendering mit gutem Grund gesetzlich festgeschrieben. Bei der direkten Anrede ist die Nennung beider Geschlechter eine selbstverständliche Höflichkeit. Aber meine Ärztin würde sich wundern, wenn sie als Frau Doktorin angeredet würde. Die Professorin gehört aufs Türschild, aber nicht in die Anrede.

Die Wissenschaftssprache und mit ihr die Rechtssprache braucht auf das generische Maskulinum nicht zu verzichten. Im Gegenteil, sie sollte mit seiner Verwendung zum Vorreiter werden für das, was vermisst wird: »ein tatsächlich inkludierender Begriff«[3].

Nachtrag:  Die AG Gendersprache im Verein Deutsche Sprache e. V. sammelt Unterschriften für einen »Aufruf gegen den Gender Unfug«. Mir gefällt die Sprache dieses Aufrufs nicht, etwa wenn im Titel »Unfug« steht und wenn es im Text heißt, »die Gender-Lobby [werde] immer dreister«. Das ist allerdings noch längst nicht so schlimm wie ein Kommentar, den ich auf meinen Eintrag vom 3. März erhalten habe, in dem von »Sprachterrorismus« die Rede war (und den ich deshalb gelöscht habe). Trotzdem: Ich habe den Aufruf unterschrieben.

Nachtrag vom 5. März 2021: Das Beste aus juristischer Perspektive zum Thema hat bisher Philipp Kowalski geschrieben: Geschlechtergerechte Sprache im Spannungsfeld mit rechtswissenschaftlicher Methodik, NJW 2020, 229-2233. Im Gegensatz zu den Apostel*innen des sprachlichen Gendering argumentiert er dabei wirklich interdisziplinär.

Nachtrag vom 23. Juli2021: Einen Artikel von Peter Eisenberg der FAZ vom 9. 1. 2021 (Unter dem Muff von hundert Jahren), der darauf einging, dass nunmehr auch der Duden sprachliches Gendern unter Benutzung des Gendersterns vorschreibt, hatte ich auf Twitter kommentiert:

Vom Genderstern zum Dudenstern. Zugegeben: Ein schlechter Kalauer, aber besser als die Spaltung der Menschheit durch Gender-Kategorisierung.

Der Tweet zog eine Reihe missbilligender Kommentare auf sich. Ex post erhält der Tweet eine gewisse Rechtfertigung, wenn man aus einem weiteren Artikel des Sprachwissenschaftler Horst-Haider Munske (Zwangsbeglückung der Sprachgemeinschaft, FAZ vom 22. 7. 2021) erfährt, dass Juden und Jüdinnen empört sind, wenn ihnen per Gendering wieder ein Stern angeheftet wird.

 

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[1] Aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom 3. März 2019 S. 43.

[2] Dagmar Stahlberg/Sabine Sczesny, Effekte des generischen Maskulinums und alternativer Sprachformen auf den gedanklichen Einbezug von Frauen, Psychologische Rundschau 52, 2001, 131-140.

[3] Michael Grünberger, Das »generische Maskulinum« vor Gericht, JZ 2018, 719-727.

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