Klimaschutz und der Wert des Lebens

»It staggers me that no one is focused on the exponential growth in the human population as the biggest threat to our environment. It seems to be taboo for our leaders to talk about.«

So zitiert TIME vom 3. 2. 2020 die Australierin Jade Hameister, die mit 16 Jahren auf ihren Skis Nordpol und Südpol erreicht und das Grönlandeis überquert hatte. Bald soll die Weltbevölkerung die Schwelle von 10 Milliarden Menschen erreichen. Mit der Zahl der Menschen wächst die Zahl der Rinder, Schweine und Hunde. Zwar sind nicht die Lebewesen als solche mit ihrem Grundumsatz für den Klimawandel verantwortlich. Es sind vielmehr die Ressourcen, die sie  für ihr modernes Leben verbrauchen. Aber mit einiger Sicherheit darf man annehmen, dass der Ressourcenverbrauch und damit der Klimawandel mit der Größe der Weltbevölkerung gewachsen sind. Nun gibt es die Prognose, dass gerade der Klimawandel die Bevölkerung jedenfalls in der Subsahara noch einmal anwachsen lassen könnte.[1]

Was tun? Die Modernisierung, die Technik, Wirtschaft und Konsum in einer Weise befeuert hat, dass der Ressourcenverbrauch so immens gestiegen ist, führt auf längere Sicht zu einem Rückgang der Geburtenrate.[2] Das ist die so genannte demographische Transformation. Sie kommt mit der Modernisierung von selbst, aber sie kommt zu spät.[a] Hameister sagt, wie man nachhelfen kann:

»The most sensible way to address our exploding population is by educating and empowering young women, ensuring the make their own decisions over how many children they have and when.«

Stattdessen starren alle auf die Demographie. Die Geburtenrate soll steigen. Bevölkerungsschwund ist von Übel. Ist da noch ein Residuum völkischen Denkens am Werk, Angst, »das Volk« könnte aussterben? Natürlich nicht. Es geht allein um die Arbeitskräfte, die auf Dauer fehlen. Die Babyboomer gehen jetzt in Rente. (Müsste es nicht heißen Boom Babys?) Zuwanderung ist angesagt. Sonst müssen wir demnächst selbst Erdbeeren pflücken.

Solche Ängste sind absurd. 80 sind die neuen 60. Wer halbwegs gesund ist, kann bis 80 arbeiten. Es kommt allein darauf an, die Arbeit richtig auszuwählen und zu dosieren. Mit schwerer körperlicher Arbeit ist bei 60 Schluss. Aber die Digitalisierung sollte es möglich machen, den Bedarf an schwerer körperlicher Arbeit zu reduzieren und auch in fortgeschrittenem Alter noch am Arbeitsleben teilzunehmen. Da fehlt es an Forschung[3], und die Politik unternimmt keine Anstrengungen, ältere Menschen in Arbeit zu halten oder gar zurückzubringen. Beschäftigung, richtig dosiert, hält jung und steigert die Qualität der Freizeit. Dazu darf man nicht auf die Bedürfnisse des Arbeitsmarkts blicken, sondern auf die Bedürfnisse der Menschen, für die eine sinnvolle Betätigung Teilnahme an der Gesellschaft bedeutet. Das ist ein Thema für sich, dass ich hier nicht weiter ausführen kann und stattdessen mit einem halbwegs ernst gemeinten Vorschlag abschließe: Wer noch gesund ist und volle Rente beziehen will, sollte zuvor ein Jahr als Pflegehelfer arbeiten müssen, um die dort tätigen Aktiven zu entlasten und gleichzeitig zu lernen, was er im Bedarfsfall einmal erwarten darf.

Das Szenario der Überbevölkerung der Erde fordert eine neue Einstellung zur Demographie und damit letztlich zum Leben. Helden setzen die Freiheit über das Leben. Für den gewöhnlichen Sterblichen gilt das Leben als der höchste irdische Wert. Und das soll es bleiben. Welches Leben? Doch nur das eigene und hoffentlich auch das aller anderen. Aber nicht das ungeborene Leben.

Zu den Konsequenzen einer neuen Einstellung zum Leben für die große Bevölkerungspolitik hier nur so viel: Chinas Ein-Kind-Politik war zu ihrer Zeit ein mutiger, aber doch problematischer Schritt. Sie hat sich selbst überflüssig gemacht. Wo die Modernisierung durchgreift, ist eine restriktive Bevölkerungspolitik nicht erforderlich. Wo es noch nicht so weit ist, darf jedenfalls Europa insoweit keine Ratschläge geben. Es sollte aber auf alle Maßnahmen zur Förderung der Geburtenrate verzichten und sich darauf konzentrieren, den geborenen Kindern optimale Bedingungen zu bieten.

Juristen werden immer wieder zur Interdisziplinarität und zur Kontextualisierung ihrer Entscheidungen aufgefordert. Hätte da nicht der BGH bei seinem Urteil vom 4. 12. 2019 weiter ausgreifen sollen? In diesem Urteil hat das Gericht die Verurteilung einer privaten Krankenkasse zur Zahlung von Kosten für reproduktionsmedizinische Behandlung (17.508,39 €) gebilligt. Wegen einer Kryptozoospermie des Mannes war eine Zeugung nur durch in Vitro-Befruchtung und anschließenden Embryo-Transfer möglich. Eine Besonderheit des Falles bestand darin, dass die Frau zum Zeitpunkt der Behandlung schon 45 Jahre alt war. Ob tatsächlich ein Kind geboren wurde, wird nicht mitgeteilt. Das Gericht hat hier eine medizinisch notwendige Heilbehandlung im Sinne der Versicherungsbedingungen angenommen. Dass mit Rücksicht auf das Alter der Frau die Chance auf die Geburt eines gesunden Kindes geringer sei, sei allein von den Eltern zu verantworten. Die Höhe der Kosten sei nicht ausschlaggebend. Mit Urteil vom 4. 12. 2019 hatte der BGH in einem ähnlichen Fall, in dem die Frau 42 Jahre alt war, die Krankenkasse verurteilt, da eine Erfolgswahrscheinlichkeit von 15-20 % noch ausreiche und angemerkt, im Regelfall sei aber mit 40 Schluss. Das Berufungsgericht hatte allerdings in dem neueren Fall die Erfolgswahrscheinlichkeit mit 15 % angenommen. Dennoch hätte es wohl Stellschrauben gegeben, die Klage abzuweisen, wenn man überhaupt im Blick auf den Wert zusätzlichen Lebens Sinn und Zweck der Reproduktionsmedizin in Zweifel gezogen hätte.

Das wagen heute anscheinend nicht einmal mehr die Versicherungen, obwohl sie die ihnen aus der Reproduktionsmedizin entstehende Kostenlast beklagen. Sie stellen sich insbesondere gegen die Bezahlung fruchtbarkeitserhaltender Maßnahmen bei Mädchen unter 18 Jahren. Im Mai 2019 ist ein Gesetz in Kraft getreten, das das Einfrieren von Eizellen, Spermien und Keimzellgewebe zur Kassenleistung macht. Diese sogenannte Kryokonservierung kostet bis zu 4.300 € für junge Frauen und etwa 500 € für junge Männer und musste bisher selbst getragen werden. Dazu kommen Lagerkosten von etwa 300 € pro Jahr. Für die Umsetzung des Gesetzes fehlt bislang die Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA). In der Pressemitteilung, mit der eine Konferenz zur Reproduktionsmedizin in der Universität Duisburg Essen angekündigt wurde, hieß es, unter den Schulanfängern 2019 sei durchschnittlich ein Kind pro Klasse, das mit reproduktionsmedizinischer Unterstützung entstanden sei, Tendenz steigend. Das ist keine Quantité négligable.

In einer Zeit, in der sich manche fragen, ob es überhaupt noch zu verantworten ist, Kinder in diese übervolle Welt zu setzen, sollte grundsätzlich jede staatliche Förderung der Reproduktionsmedizin entfallen. Auch der Solidargemeinschaft hinter den Krankenkassen, ganz gleich ob privat oder gesetzlich, darf man dann nicht länger zumuten, Bevölkerungszuwachs durch Reproduktionstechniken zu finanzieren. Es gibt kein Menschenrecht auf eigene Kinder. Es gilt allenfalls umgekehrt: Kinder haben ein Recht auf eigene Eltern.[4]

Nachträge: Für einen anderen Blick auf den Wert des Lebens: Uwe Volkmann, Das höchste Gut, FAZ vom 1. 4. 2020.

Neue Statistiken zur Reproduktionsmedizin bietet die Sonderausgabe des Jahrbuchs 2020 des Deutschen IVF-Registers (IVR = In Vitro Fertilisation).

Hir ein weitrführender Link: In-vitro-Gametogenese (IVG) und artifizieller Uterus (AU)  – Problemauslöser oder Problemlöser?

»Ein Kind weniger!« Diese Parole geht wohl auf einen Text von Seth Wynes und Kimberly A. Nicholas zurück: The Climate Mitigation Gap: Education and Government Recommendations Miss the Most Effective Individual Actions, Environ. Res. Lett. 12 , 2017, 74024. Für mich hat die Parole »Ein Hund weniger!« Vorrang.


[1] Michael Grimm, Rainfall Risk, Fertility and Development: Evidence from Farm Settlements during the American Demographic Transition, Journal of Economic Geography 104, 2019, 3701.

[2] Jürgen Dorbritz, Wo bleiben die Kinder? Der niedrigen Geburtenrate auf der Spur, Aus Politik und Zeitgeschichte 10-11/2011.

[a]Diese Anmerkung ist ein Nachtrag vom 3. 3. 2020: »The Population Bomb« war 1968 ein Bestseller aus der Feder des Stanford Biologen Paul R. Ehrlich. Ehrlich prophezeite darin weltweite Hungersnöte, verursacht durch Überbeölkerung der Erde und forderte große Anstrengungen zur Geburtenbeschränkung. Im Februar 2019 ist erschienen: Darrell Bricker/John Ibbitson, Empty Planet., The Shock of Global Population Decline, 2020. Darin wird prognostiziert, dass wir in etwa 30 Jahren mit einem dramatischen Rückgang der Bevölkerung zu rechnen haben.

[3] Zur Bereitschaft von Ruheständlern zur Rückkehr in den Arbeitsmarkt Dirk Hofäcker/ Marc André Kellert (GESIS), Rückkehr in den Arbeitsmarkt oder Verbleib im (vor-)Ruhestand? Empirische Analysen zu den Erwerbsabsichten von älteren Nicht-Erwerbstätigen, 2019.

[4] Christian Hillgruber, Gibt es ein Recht auf ein Kind?, JZ 75, 2020, 12-20.

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One comment on “Klimaschutz und der Wert des Lebens”

  • Tobias Krenn says:

    Der Westen nimmt den Überschuß aus der Dritten Welt auf, wird hierdurch heterogener, was zu weniger Solidarität und mehr Konflikten führt. Schon daß “völkisch” als per se und selbstverständlich von “Übel” angenommen wird, zeigt Voreingenommenheit des Verfassers.

    Die Erdbeeren können Einheimische pflücken; daß diese für solche Arbeiten nicht taugten, grenzt an Debilität, ist jedenfalls Lüge. Zuletzt hat Dan Crenshaw dies als Grund für die Notwendigkeit angeführt — Nick Fuentes hat dies gekonnt widerlegt.

    Wichtiger jedoch ist das Argument, das Vox Day in “Cuckservative” bringt: wenn nicht nur Waren sondern auch Arbeitskräfte bewegt werden — eine negative Konsequenz des Freihandels –, dann sinkt notwendigerweise der mittlere IQ der westlichen Staaten sukzessive und damit auch die Fähigkeit, einen Erste-Welt-Lebensstandard zu erhalten. Denn nun bekommen die Kinder jene Arbeitakräfte, die sub-85-IQs aufweisen; Vermischung tut ihr übriges (auch Richard Wagner wußte dies).

    Zudem ist Einwanderung Krieg und vice versa. Siehe hierzu den Essay des führenden Militärhistorikers Martin van Creveld “War and Migration” in “There Will Be War: Volume X”. Vox Day bereitete diese Erkenntnisse in Videoformat auf: Voxiversity “Immigration & War” 001.

    Zuletzt: der Wert des Lebens kann nur von Gott kommen, persönliche Einschätzungen sind irrelevant. Schließlich gibt es Leute, die ihr eigenes und das Leben an sich hassen, bis hin zu Mord und Selbstmord. Daß der Großteil dies nicht so sieht — auch wenn viele das Leben neutraler betrachten dürften als der durchschnittliche brünstige Zwanzigjährige — ist keine Basis für Moral; ist bloß Meinung. Moral muß objektiv sein.

    Nur weil 51% Herrn B. lynchen möchte, macht es dies nicht richtig — und wären’s 99%. Ich mag mein Leben auch nicht und hätte es schon in meiner Jugend beendet — doch als gläubiger Christ habe ich mich an die Moral Gottes zu halten. Wäre ich freilich Atheist, dann würden Sie dies nicht lesen, da ich wohl mit spätestens 19/20 meinem Leben ein Ende gesetzt hätte . So aber eben nicht (siehe Reinhold Schneiders “Über den Selbstmord” — er selbst hielt nur seines Glaubens wegen durch.)

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