Schluss mit der Kritik der Rechte

In die Lektüre von Christoph Menkes »Kritik der Rechte«[1] bin ich vor drei Jahren durch ein Posting über Menkes Arbeiten zu »Recht und Gewalt« hineingestolpert.[2] Dort zitiere ich am Ende den Schluss der »Kritik der Rechte«:

»Das neue Recht gibt daher das bürgerliche Programm auf gegen die Gewalt – die Gewalt überhaupt – zu sichern. Aber gerade indem das neue Recht die Gewalt der Veränderung übt, bricht es den (›mythischen‹) Wiederholungszwang, dem alle Rechtsgewalt bisher unterliegt. Denn als verändernde dankt die Gewalt, jedes Mal wieder, mit dem Erreichen ihres Ziels ab. Das neue Recht ist daher das Recht, dessen Gewalt darin besteht, sich aufzulösen: die Gewalt, die mit ihrer Ausübung ›sofort […] beginnen wird abzusterben.‹[3] Die Gewalt des neuen Rechts ist die Gewalt der Befreiung.« (S. 406f)

Die »Kritik der Rechte« von 2015 hatte einen Vorläufer. In der Zeitschrift für Rechtssoziologie erschien 2008 der Aufsatz »Subjektive Rechte: Zur Paradoxie der Form«. Ich hatte ihn gelesen, aber nicht verstanden, obwohl ich versucht hatte, meine Paradoxien-Allergie vorübergehend zu unterdrücken. Das war schwierig genug, belässt Menke es doch nicht bei den einfachen Paradoxien der Systemtheorie Luhmanns, sondern arbeitet mit einem dreifachen reentry und der »Paradoxie der Paradoxie«. Nachdem ich das Buch zur Hand hatte, habe ich zuerst das S. 99 beginnende Kapitel »Ontologie: Der Materialismus der Form« auf Rsozblog eher ironisch kommentiert.[4] Es nahm einige Zeit in Anspruch, bis ich das Buch von Anfang bis Ende gelesen hatte. Danach habe ich auf Rsozblog festgehalten, wie ich das Buch verstand oder missverstand. Nach dem vierten Eintrag habe ich Kritik der Kritik allerdings abgebrochen, obwohl zwei Fortsetzungen schon fertig waren, weil den »Torsionen des Schlangenmenschen« nicht mehr folgen konnte und an das gewaltfreie Paradies, dass die Schlange am Ende verkündete, nicht mehr glauben wollte.

Seither ist die »Kritik der Rechte« zu einem eigenen wissenschaftlichen Genre mit Karl Marx als Ahnherrn geadelt worden.[5] Zu den Nachfahren werden neben Menke Sonja Buckel, Axel Honneth und Daniel Loick gezählt. Die Schar der Follower ist gewachsen. Vom 28. bis 20. Juni 2018 veranstalteten Benno Zabel und Eric Hilgendorf in Bonn eine Tagung »Die Idee der subjektiven Rechte«, bei der auch Menke auf dem Programm stand. Auch auf dem Kongress der deutschsprachigen Rechtssoziologie­vereinigungen, der vom 13. – 15. September in Basel stattfand, war ein Panel »Kritik der subjektiven Rechte« vorgesehen. Nun ist bei Mohr in Tübingen ein Sammelband erschienen, der sich als Auseinandersetzung mit Menkes »Kritik der Rechte« versteht.[6] Von dem neuen Sammelband habe ich nur Einleitung der Herausgeber gelesen. Die ist informativ, veranlasst mich aber nicht, nun alsbald das Buch zur Hand zu nehmen. Dem Buch von Menke hat ohnehin, so scheint mir, Denninger[7] den Rest gegeben. Ich nehme diese Themenkonjunktur zum Anlass, mich von dem Thema zu befreien, indem ich meine Postings mit den Fortsetzungen aus der Schublade zu einem PDF zusammenschnüre und in das Internet als Papierkorb werfe.

Nachzutragen ist eine einschlägige juristische Dissertation:

Isabelle M. Kutting, Die Normativitätsstruktur subjektiver Rechte. Eine rechtsdogmatische Untersuchung ausgehend von Menkes Kritik der Rechte, Berlin, Duncker & Humblot, 2021.

Das Buch ist schwer zu lesen. Ich habe ihm entnommen, dass die Verf. zwar grundsätzlich mit Menke einverstanden ist, jedoch kritisiert, dass subjektive Rechte keineswegs als bedingungslose Ermächtigung dees Eigenwillens angesehen werden könnten, denn das Recht beschränke den Eigenwillen durch die Ahndung individuellen und institutionellen Rechtsmissbrauchs. Das ersetzt indessen kaum die von Menke avisierte Sittlichkeit.

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[1] Christoph Menke, Kritik der Rechte, Suhrkamp, Berlin 2015, 485 S. 29,95 EUR.

[2] Rsozblog vom 2. Februar 2016: Mehr als postmodernes Gewaltgeraune eines Schlangenmenschen? Prolegomena zur Lektüre der »Kritik der Rechte« von Christoph Menke.

[3] Dieses Binnenzitat wird in einer Endnote auf Lenin zurückgeführt.

[4] Rsozblog vom 14. März 2016: Die Selbstreflexion der Musik hilft bei der Kritik der »Kritik der Rechte«.

[5] Von Christoph Möllers, Was das Recht nicht alles soll bewirken können. Rezension von Daniel Loick, Juridismus (2017), in FAZ Nr. 283 vom 6. 12. 2017 S. 12.

[6] Andreas Fischer-Lescano/Hannah Franzki/Johan Horst (Hg.), Gegenrechte. Recht jenseits des Subjekts, Mohr Siebeck, Tübingen 2018. Dieser Band hat Christian Geyer in der FAZ vom 13. 2. 2019 S. N3 zu einem Essay angeregt (»So subjektiv sind sie nicht«).

[7] Erhard Denninger, Ende der ›subjektiven Rechte‹?, Anmerkungen zu Christoph Menke, Kritik der Rechte, Kritische Justiz 51, 2018, 316-326.

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