Das Recht ist keine Ware

Juristen, die in andere Fächer ausgreifen, zeigen eine deutliche Vorliebe für die Ökonomische Analyse des Rechts und neuerdings auch für Behavioral Economics. Ein schönes Beispiel dafür liefert, nicht zum ersten Mal, Eidenmüller mit einem Aufsatz über das »Recht als Produkt« in der Juristenzeitung 2009, 641-653. [1]Im Internet verfügbar unter www.jura.uni-muenchen.de/fakultaet/lehrstuehle/…/recht_als_produkt.pdf. Die heimliche Juristenzeitung hatte bereits im März eine gekürzte Fassung abgedruckt: … Continue reading Es geht darum, dass natürliche Personen und Unternehmen in so großem Umfang wählen können und tatsächlich wählen, welches Rechts für ihre Beziehungen anwendbar sein soll, dass von einem »Rechtsmarkt« die Rede ist, auf dem inzwischen sogar Staaten als Anbieter konkurrieren. Eidenmüller beschreibt das Phänomen und zitiert und referiert dazu allerhand Rechtstatsachenforschung. Er beurteilt den »Rechtsmarkt« als »Entdeckungsverfahren für das beste Recht«, im Text zurückhaltend, in der Zusammenfassung positiver, weist darauf hin, dass freie Rechtswahl insoweit problematisch ist, als unbeteiligte Dritte beteiligt sind, und versäumt auch nicht den Hinweis, dass Verbraucher hinsichtlich der AGB sich apathisch verhalten. Schließlich macht Eidenmüller sich Gedanken über die Zukunft des Europäischen »Rechtsmarktes«.
In und zwischen den Zeilen kann man dem Artikel ein ganzes Kapitel Rechtssoziologie entnehmen. In der Aufbruchszeit der Rechtssoziologie in den 1960ern wurde es schnell üblich, Probleme, die sich zu einer rechtlichen Austragung eignen, als Rechtsbedürfnisse (legal needs) zu bezeichnen. Die verschiedenen Institutionen, die auf diese Bedürfnisse antworten, und ebenso die Arbeit, die sie verrichten, wurden Rechtsdienste oder rechtliche Dienstleistungen (legal services) genannt. Die neue Ausdrucksweise und der damit verbundene Blickwechsel legten es nahe, die Rechtsbedürfnisse des Publikums wie andere Bedürfnisse auch, also nach Art der Marktforschung, zu untersuchen. Das ist in der Tat in großem Umfang geschehen, und es zeigten sich schnell die unterschiedlichen Rechtsbedürfnisse und die ungleichen Chancen, sie durch rechtliche Dienstleistungen zu befriedigen. So wurden die Rechtsbedürfnisse des Publikums und die Zugangs- und Erfolgsbarrieren auf dem Weg zum Recht in den 70er Jahren ein zentrales Thema der Rechtssoziologie. Damit verbunden war einerseits eine Kritik des Justizsystems als eines Dienstleistungsunternehmens für die Wirtschaft. Andererseits bot diese Sichtweise aber einen Ansatz für sozialreformerische Anstrengungen. Sie fielen mit dem Service-Delivery-Project zusammen, das 1964 durch Präsident Lyndon B. Johnsons War on Poverty ausgelöst wurde. [2]Band 11 Nr. 2 (1976) des Law and Society Review war ein Sonderheft mit Beiträgen zu Legal Services. Es ist die Ironie der Dialektik, dass erst die marxistische Sicht auf das Recht den Schlussstein in das Service-Delivery-Projekt setzte. Die Frage nach legal needs und legal services war in den 1930er Jahren als Marketinginstrument der Anwaltschaft eingeführt worden. Die marxistische Sicht bestritt nun – philosophisch gesprochen – dem Recht den Charakter eines Selbstzwecks oder – soziologisch gesehen – eine Autonomie gegenüber Kapital und Arbeit mit der Folge, dass auch die Gerichte in die Reihe der Dienstleister und das Recht in die Warenkategorie eingeordnet wurden.
Eidenmüllers Aufsatz lässt sich an eine weitere rechtssoziologische Diskussionslinie anschließen. Dort geht es um den Wettbewerb von Rechtsordnungen [3]Dazu Material auf der Webseite http://www.lawmadeingermany.de/., um legal transplants, legal imports und legal exports. Dazu zuletzt Peter Mankowski in seinem auch sonst lesenswerten Aufsatz »Rechtskultur« [4]Juristenzeitung 2009, 321-331. auf S. 329 f.
Warum ich daran erinnere? Weil ich darüber staune, wie selbstverständlich die instrumentale Sicht auf das Recht geworden ist. Ich habe mir deshalb vorgenommen, noch einmal in Brian Z. Tamanahas Buch »Law as a Means to an End« (2006) hineinzusehen. Der Untertitel lautete ja wohl »Threat to the Rule of Law«. Die Rede über Recht als Produkt täuscht darüber hinweg, dass das Recht nach wie vor kein Wirtschaftsgut ist. Deshalb gibt es auch keinen Rechtsmarkt (und deshalb habe ich dieses Wort im Text bisher in Anführungszeichen geschrieben). Zu einem Wirtschaftsgut gehört Knappheit. Aber das Recht ist nicht knapp, und zwar nicht wegen der Vielfalt des Rechtsangebots, sondern darum, weil das Recht ein öffentliches Gut ist. Jedermann kann davon Gebrauch machen, ohne etwas davon zu verbrauchen. Und deshalb hat das Recht auch keinen Preis. Das Allmendeproblem zeigt sich nur am Horizont. Wenn alle die Gerichte bemühen, wird es eng. Doch solange es nur um die Rechtswahl geht, ist kein Engpass zu befürchten. Es entstehen nur Transaktionskosten. Was heißt hier nur? Rechtsbedürfnisse sind Informationsbedürfnisse, rechtliche Dienstleistungen sind in erster Linie Informationsangebote, und die sind, im Gegensatz zu den Informationen als solchen, knapp und teuer. Genau genommen gibt es deshalb keinen Rechtsmarkt, sondern nur einen Markt für rechtliche Dienstleistungen, der rechtliche Transaktionen unterstützt. Ist das spitzfindig? Ich glaube nicht. Das Recht ist eben doch keine Ware. Aber Eidenmüller hat natürlich Recht, wenn er sagt, dass man (allein) mit einer nichtutilitaristischen Perspektive nicht durch die Welt kommt. Es kommt auf den Beobachterstandpunkt an, und davon gibt es mehrere.

Nachtrag vom 4. 3. 2015:
Zum »Wettbewerb der Rechtsordnungen« mit Nachweisen vgl. Moritz Renner, Zwingendes Recht, 2011, S. 67-69. Renner kommt zu dem Schluss:»

»Von einem vollständigen Regulierungswettbewerb zwischen den Nationalstaaten kann damit letztlich weder mit Blick auf die unterschiedlichen Rechtsordnungen noch mit Blick auf verschiedene Gerichtsstände die Rede sein. Zugleich zeigen aber die Konvergenzbewegungen etwa im europäischen Gesellschaftsrecht deutlich, dass die nationalen Gesetzgeber sich durchaus als Wettbewerber begreifen und auch als solche agieren. Es liegt damit die Vermutung nahe, dass hier zwar kein institutioneller Wettbewerb besteht, der unmittelbar mit dem Wettbewerb auf Produktmärkten analogisierbar wäre, wohl aber ein Ideen- und Reputationswettbewerb, der allerdings notwendigerweise mehr durch politische als durch ökonomische Ziele der Anbieter motiviert ist.« (S. 68 f.)

Anmerkungen

Anmerkungen
1 Im Internet verfügbar unter www.jura.uni-muenchen.de/fakultaet/lehrstuehle/…/recht_als_produkt.pdf. Die heimliche Juristenzeitung hatte bereits im März eine gekürzte Fassung abgedruckt: Kampf um die Ware Recht, FAZ Nr. 72 vom 26. 3. 2009, S. 8.
2 Band 11 Nr. 2 (1976) des Law and Society Review war ein Sonderheft mit Beiträgen zu Legal Services.
3 Dazu Material auf der Webseite http://www.lawmadeingermany.de/.
4 Juristenzeitung 2009, 321-331.

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One comment on “Das Recht ist keine Ware”

  • Lieber Herr Prof. Röhl,
    Ihre Ausführungen bestärken mich in meiner grundsätzlichen Skepsis gegenüber ‚Rechtstatsachenforschung‘. Deren (beabsichtigte) Theorielosigkeit und Ausrichtung am instrumentellen Rechtsdenken macht sie allzu leicht anfällig für ökonomische und politische Interessen jeder Art. Zur Kritik am instrumentellen Rechtsdenken s. auch TEUBNER, GUNTHER (1992) Regulatorisches Recht: Chronik eines angekündigten Todes, ARSP-Beiheft 54: 140 – 161 und ROTTLEUTHNER, HUBERT (1992) Grenzen rechtlicher Steuerung – und Grenzen von Theorien darüber, ARSP-Beiheft 54: 123 – 139.
    Michael Wrase

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