Ich bin ein Legal McLuhanite

Die Medientheorie, auf die ich mich stütze, hat ihren Ursprung in der sog. Toronto-Schule (Innis, McLuhan, Havelock, Goody, Ong, Watt). Nach dem 2. Weltkrieg wurde die Frage nach der gesellschaftlichen Funktion der Medien – damals vor allem der Presse und des Rundfunks – zu einem zentralen Thema der Sozialwissenschaften. Innis und McLuhan wiesen ihr eine neue Richtung, indem sie zwischen manifesten und latenten Funktionen der Medien unterschieden und dazu die konkreten Inhalte, die die Medien transportieren, von der Materialisierung und Organisation ihrer Speicherung und Übermittlung trennten.

Von dem Ökonomen Harold Innis[1] stammt die These, dem jeweils dominierenden Kommunikationsmedium sei ein »bias«, eine Voreinstellung zugunsten bestimmter gesellschaftlicher Interessen und Organisationsformen, inhärent. Innis stellte dabei auf das materielle Substrat der Kommunikation − Stein oder Tontafeln, Pergament, Papyrus und Papier und schließlich Elektrizität − ab. Maßgebliche Eigenschaften von Stein und Tontafeln sind räumliche Bindung und Dauerhaftigkeit, die die Zeitdimension und damit Tradition und Hierarchie begünstigen sollen. Das leicht transportable Papier dagegen ermöglicht die Ausdehnung der Herrschaft in den Raum, der Druck durch preiswerte Vervielfältigung eine soziale Breitenwirkung und die Elektrizität schließlich durch ihre Geschwindigkeit den sozialen Wandel. Nach Marshall McLuhan[2] zeigt sich die »message«[3] eines neuen Mediums nicht auf der Ebene der transportierten Inhalte, sondern in einer Veränderung von Wahrnehmung und Bewusstsein. So verändert sich auch das Recht mit dem Übergang von der Oralität zur Literalität, vom Manuskript zum Buchdruck, vom Schreiben zur Textverarbeitung und von der Bibliothek zur Datenbank und zum Internet.

An die Vorstellung vom Medienwandel als Auslöser sozialer Veränderungen knüpften auch Eric A. Havelock[4], Jack Goody[5] und Walter J. Ong[6] an. Aber sie stellten nicht auf die materiell-technischen Qualitäten des Mediums ab, sondern auf dessen Code-Struktur. Unter diesem Aspekt haben sie sich mit dem Über­gang von der Oralität zur Literalität befasst und gezeigt, wie die Schrift mit ihren spezifischen semiotischen Qualitäten kognitive Prozesse im Allgemeinen und speziell logisches Denken gefördert und damit kulturprägende Wirkungen entfaltet hat.

Die Schrift befreite das Gedächtnis und machte so eine kriti­sche Auseinander­set­zung mit den Inhalten möglich. Schrift gestattete, die auf­geschriebenen Ge­danken wie etwas Fremdes zu behandeln. Diese Objekti­vie­rung der Information führte zur Frage nach dem Subjekt und damit zu den Anfängen eines re­flek­tierten Selbst­be­wusst­seins. Erst danach konnten die Philosophen beginnen, Wahrheiten und Meinungen zu trennen. Erst mit Hilfe der Schrift ent­wickel­ten sie Taxo­no­mien zur Ordnung des Wissensstoffes. Was Goody und Watt[7] strukturelle Amnesie genannt haben, näm­lich die stän­dige Trans­formation des erinnerten Wissens in Abhän­gig­keit von den Not­wen­dig­keiten und Zufälligkeiten der Praxis, wurde mit Hilfe der Schrift durch ein Wis­sens­ma­nagement er­setzt.

Die Verschriftung, so Goody, löst das Wissen aus seinem lokalen und damit sozialen Kontext, indem sie es von der Präsenzkommunikation unabhängig macht. Sie transformiert simultane Sinneseindrücke in konsekutive Informationen. Sie fördert die Elaborierung und Systematisierung der Wissensbestände und damit tendenziell Verallgemeinerung und Abstraktion. Solche Verallgemeinerung ist wiederum Voraussetzung bürokratischer Herrschaft, weil sie die Auswahl des mitherrschenden Verwaltungsstabes nach Kompetenz an Stelle von Status oder Verwandtschaftsbeziehungen möglich macht.

Von Anfang an hatte Innis die soziale Bedeutung des Medienwandels an Veränderungen der Herrschafts- und damit der Rechtsstruktur demonstriert. Der medientheoretische Ansatz wurde in den USA von Collins/Skover und Katsh[8] aufgenommen und diente ihnen als Grundlage für eine Reihe prägnanter Hypothesen über die Veränderung des Rechts unter dem Einfluss der elektronischen Medien. Es zeigte sich jetzt, dass man die Rechtsgeschichte der Antike von Hammurabbi bis zu Justinian auch als Folge der fortschreitenden Verschriftlichung interpretieren kann. Im Mittelalter hat sich die Ablösung der Oralität durch Literalität noch einmal wiederholt, und erneut hat dieser Wandel im Recht seine Spuren hinterlassen. Der Buchdruck ist schließlich zur Grundlage dessen geworden, was noch immer als modernes Recht angesehen wird. Dabei geht es um die Umstellung des Rechts von Tradition auf Entscheidung, um die Art und Weise, wie das Recht mit Konflikten umgeht, um die Identität und Kohärenz der Juristenprofession und nicht zuletzt auch um die Abstraktionshöhe juristischen Denkens. An die Erklärung verschiedener Wesenszüge des modernen Rechts schließt sich eine Prognose von Veränderungen an, die von der elektronischen Datenverarbeitung zu erwarten sind.

Die wichtigsten Thesen von Collins/Skover und Katsh sind folgende: Der Übergang von der Oralität zur Literalität und weiter zum Druck hat die Art des Umgangs mit Konflikten und Präjudizien geprägt. Gerichtsverfahren, Vermittlung und Schlichtung sind ebenso wie Tadel, Nachrede oder Ausgrenzung Wege zur Konfliktregelung, die sich überschneiden und ergänzen können. Soweit es vor der Zeit des Buchdrucks überhaupt formelle Gerichte gab, standen sie doch im Schatten informeller Streitregelungsmethoden. Die Verbreitung des Buchdrucks stützte die Anwendung förmlich niedergelegten Rechts und bot damit eine Basis für offizielle Gerichte. Gedruckte Rechtsbücher beschädigten die Autorität bloß mündlich überlieferten Rechts, das für die informelle Konfliktregelung wesentlich war. Der Buchdruck ermöglichte die dauerhafte Zusammenstellung von Rechtswissen, was wiederum Juristen veranlasste, nach Prinzipien zu suchen, mit deren Hilfe sich das Rechtswissen systematisieren ließ. Richter, die sich an gedruckten Rechtsquellen orientierten, beschränkten damit die Auswahl der für ihre Entscheidung relevanten Informationen. Der soziale und moralische Kontext des Falles, der in oralen Gesellschaften und auch zur Zeit der Handschriftlichkeit höchst wichtig war, verlor an Bedeutung, soweit er nicht unter die Tatbestandsmerkmale fixierter Regeln passte. Die Sammlung von Regeln in gedruckten Rechtsbüchern drängte die nicht fixierten Sitten und Gebräuche und die Wissensbestände lokaler Gemeinschaften in den Hintergrund und entzog damit der informellen Streitregelung ihre Grundlage.

Die elektronischen Medien, so der Blick in die Zukunft, werden diese Entwicklung bis zu einem gewissen Grade wieder umkehren. Dass die Bilder auch in die Rechtskommunikation eindringen, erscheint unvermeidlich. Dort unterlaufen sie die uniformierende Kraft des Buchdrucks, die zu Abstraktion und strenger Regelorientierung geführt hat. Durch Digitalisierung wird das Rechtswissen wieder flüssig. Es wird leichter verfügbar, kann ganz unsystematisch abgerufen und relativ einfach neu gemischt werden. Gleichzeitig findet man in demselben Medium, anders als in der klassischen Bibliothek, auch nichtjuristische Informationen aller Art. In einer neuen Kultur des Umgangs mit Informationen wird es normal, separate Wissensbestände zusammen zu bringen. In der Folge werden Juristen, die gelernt haben, mit den elektronischen Medien umzugehen, die klassischen Rechtsquellen mit anderen Wissensangeboten kombinieren und so die Grenze zwischen juristischem und außerjuristischem Wissen durchlässig machen. Damit geraten auch die Gerichte unter Druck, sich nicht länger allein auf Regeln zu stützen, um relevante von irrelevanten Informationen zu trennen. Die Digitalisierung des Informationsangebots, so die Prognose, habe einen Bias in Richtung auf außergerichtliche Streitregelung, die mehr an Kontextinformation verarbeitet. Die elektronischen Medien, die unterschiedslos Informationen aus allen Wissens- und Lebensgebieten vereinigten, seien auf Interdisziplinarität angelegt und würden das Recht wieder stärker für Einflüsse aus dem sozialen Kontext öffnen. Bei dieser Entwicklung, so betont insbesondere Katsh, sollen Bilder eine tragende Rolle spielen, denn Bilder sind interpretationsfähiger und damit kontextoffener als Schrift. Die Flexibilisierung der Wissensbestände durch die elektronischen Medien werde die kulturelle Wertschätzung des Rechts, dem das gedruckte Rechtsbuch zu einer Aura der Stabilität und Verlässlichkeit verholfen hatte, unterminieren.

Richard J. Ross hat in seiner Rezensionsabhandlung zu den Arbeiten, mit denen Collins, Skover und Kaths die Grundgedanken der Toronto-Schule für den Rechtsbereich rezipiert hatten, davor gewarnt, nach einfachen Kausalbeziehungen zu suchen.[9] Dennoch muss es gestattet sein, Prognosen, die sich aus dem Gerüst der Medientheorie der Toronto-Schule ableiten lassen, für heuristische Zwecke zu benutzen. Sinnvoll bleibt auf jeden Fall der Versuch, den zeitlichen Zusammenhang zwischen Medienwandel und Veränderungen von rechtlichen Inhalten und Verfahren zu beschreiben.

Was ist also aus den medientheoretisch inspirierten Prognosen der Rechtsentwicklung geworden? Welche weiteren Prognosen bieten sich an? Mit der Rolle der Bilder bei der Konstruktion und Vermittlung juristischen Wissens haben wir uns in dem Projekt »Visuelle Rechtskommunikation« befasst.[10] Über die Entwicklung der alternativen Konfliktregelung ist bereits viel gearbeitet worden. Ich habe mich auch selbst immer wieder damit beschäftigt[11], ohne allerdings bisher eine Verbindung zum Medienwandel herzustellen. Zentrales Thema für die Rechtssoziologie müsste eigentlich der Zusammenhang zwischen Medienwandel und organisierter Herrschaft sein. Innis’ These von der räumlichen Ausdehnung von Herrschaft mit Hilfe des Papiers fordert geradezu die These heraus, dass weltumspannende elektronische Kommunikation globale Herrschaftsstrukturen nach sich zieht. Es gibt zahllose Arbeiten über Organisation und Bürokratie, über Recht und Globalisierung und neuerdings auch über E-Government. Doch auch insoweit fehlt, wenn ich richtig sehe, eine Darstellung, die die Entwicklung durchgehend auf den Medienwandel bezieht. Ich kann hier zunächst nur auf ein Buch aufmerksam machen, das, wie ich finde, bisher nicht genügend beachtet worden ist und dringend fortgeschrieben werden müsste. Es handelt sich um den 1996 bei Harvard University Press erschienenen Band »The Control Revolution« von James R. Beniger. Etwas größere Aufmerksamkeit hat der Einfluss von Datenverarbeitung und Internet auf die interne Entwicklung der Wissenschaft im Allgemeinen und speziell auch auf die Jurisprudenz gefunden. Mit dieser Fragestellung hatte ich mich in der ersten Hälfte der 90er Jahre selbst dem Themenkomplex »Recht und Medienwandel« genähert. Ergebnis war 1996 ein Vortrag vor der Vereinigung für Rechtssoziologie, den ich nie veröffentlich habe, der aber hier noch als PdF zur Verfügung steht. Zu der Frage, wie sich die Verfügbarkeit von Präjudizien in Datenbanken auswirkt, drängt sich so sehr auf, dass es dazu längst entsprechende Untersuchungen geben müsste. Nicht ganz so naheliegend, aber kaum weniger plausibel ist die These, dass die größere Verfügbarkeit disziplinfremden Wissens im Internet die Interdisziplinarität befördert. Ich kenne aber keine Untersuchung, die dieser These nachgeht.

Seit einigen Monaten betätige ich mich nun als Blogger. Da bleibt es gar nicht aus, dass man sich etwas allgemeiner über Wissenschaftsblogs informiert, über die eigene Rolle in diesem Feld nachdenkt und dann natürlich auch wieder verallgemeinernd über mögliche oder tatsächliche Veränderungen des Rechts in der Blogosphäre spekuliert. Die große Versuchung durch das Weblog: Erst schreiben, dann forschen. Eine Zeitlang will ich dieser Versuchung noch widerstehen.


[1] Harold Adams Innis, Empire and Communications, 1950, Neudruck Dundurn, Toronto 2007; ders., Kreuzwege der Kommunikation, hrsg. von Karlheinz Barck, aus dem Englischen von Friederike von Schwerin-High, Springer Verlag, Wien/New York 1997.

[2] Die Gutenberg-Galaxis. Das Ende des Buchzeitalters, Econ-Verlag, Düsseldorf 1968 (The Gutenberg Galaxy. The Making of the Typographic Man, 1962); ders., Die magischen Kanäle, Econ-Verlag, Düsseldorf 1968 (Understanding Media. The Extensions of Man, 1964).

[3] Von McLuhan gibt es auch ein Buch mit dem Titel »The Medium is Massage«. Das berühmte Zitat »the medium is the message« stammt aus der Gutenberg-Galaxis.

[4] Preface to Plato, Cambridge, MA, 1963; ders., Schriftlichkeit. Das griechische Alphabet als kulturelle Revolution, (Original: The Literate Revolution in Greece and its Cultural Consequences, 1982), VHC, Acta Humaniora, Weinheim 1990.

[5] Jack Goody, Literacy in Traditional Societies, Cambridge University Press, 1968; dt. Erstausgabe unter dem Titel „Literalität in traditionalen Gesell­schaften”, Suhrkamp, Frankfurt a. M. 1981; ders., Die Logik der Schrift und die Organisation von Gesellschaft, Suhrkamp, Frankfurt a. M. 1990.

[6] Orality and Literacy. The Technologizing of the Written Word, Methuen, London 1982.

[7] Jack Goody/Jan Watt, Jan/Kathleen Gough (Hrsg.), Entstehung und Folgen der Schrift­kultur, Suhrkamp, Frankfurt a. M. 1986.

[8] Ronald K. L Collins./David M. Skover, Paratexts, Stanford Law Review 44, 1992, S. 509-552; M. Ethan Katsh, The Electronic Media and the Transformation of Law, Oxford University Press, New York und Oxford 1989; ders., Law in a Digital World, Oxford-University Press, New York und Oxford 1995.

[9] Communications Revolutions and Legal Culture: An Elusive Relationship, Law & Social Inquiry 27, 2002, 637-684.

[10] Das Forschungsprojekt »Visuelle Rechtskommunikation« wurde in den Jahren 2000-2002 mit Förderung der Stiftung Volkswagen am Lehrstuhl für Rechtssoziologie und Rechtsphilosophie der Ruhr-Universität bearbeitet. Es gab zwei Anschlussprojekte, nämlich das von der Ruhr-Universität geförderte Projekt »Recht anschaulich«, das sich mit den Visualisierungsmöglichkeiten in der Juristenausbildung befasste, sowie das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderte Projekt »Kultivierungseffekte des Gerichts- und Anwaltsfilms«. Über die Projekte und die daraus entstandenen Veröffentlichungen gibt die Internetseite http://www.ruhr-uni-bochum.de/rsozlog/ Auskunft.

[11] Zuerst »Alternativen zum Recht?« (zusammen mit S. Röhl), Deutsche Richterzeitung 1979, S. 33-38; zuletzt »Die obligatorische Streitschlichtung in der Praxis« (mit Matthias Weiß), 2005.

Ähnliche Themen

So wurde ich ein Legal McLuhanite

Medienwandel und Rechtsentwicklung ist ein großes Thema der Rechtssoziologie. Seit Ende der 60er Jahre habe ich die stürmische Entwicklung der EDV aus unterschiedlichen Perspektiven miterlebt. Als junger Landgerichtsrat hatte ich in Kiel die praktische Studienzeit für Studenten zu organisieren. Zum festen Programm gehörten Besuche in den wichtigsten Rechenzentren, die es damals in Kiel gab, nämlich im Statistischen Landesamt, bei der Landesbrandkasse und bei der (später von Siemens übernommenen) Firma des genialen Ingenieurs Rudolf Hell, der seit Ende der 20er Jahre mehr oder weniger alle Verfahren der elektronischen Bildübertragung erfunden hatte. Während meiner relativ kurzen Tätigkeit als Chefsyndikus der Brandkasse-Provinzial in Kiel ab 1972 wurden mir alsbald auch die Aufgaben des Hauptabteilungsleiters Allgemeines mit der Zuständigkeit u. a. für Betriebsorganisation und EDV übertragen. Damals kämpften wir mit Problemen, die aus heutiger Sicht lächerlich erscheinen, etwa mit der Einführung einer einheitlichen Kundennummer oder der Umstellung von Magnetbändern auf Festplatten. Ich weiß noch, wie unwohl mir war, als ich die Verträge über die Anschaffung einer neuen Generation von IBM-Rechnern unterschreiben musste, ohne wirklich zu verstehen, worum es eigentlich ging. Getreu dem Peter-Prinzip wechselte ich 1975 in die Universität und stellte so einen gehörigen Abstand zur EDV her.

In der Ruhr-Universität gab es wohl schon ein Rechenzentrum. Aber damit hatten wir Juristen nichts zu tun. In den 80er Jahren bahnte sich dann aber über die Rechtssoziologie eine Zusammenarbeit mit der Abteilung Rechtstatsachenforschung/Justizstatistik im Bundesjustizministerium an. Referatsleiter war Dieter Strempel, der sich zuvor bei der Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung in Birlinghoven (GMD) in die Geheimnisse von Systemanalyse, EDV- und Planungstechnik hatte einweihen lassen und danach im Ministerium am Aufbau des Juristischen Informationssystems (JURIS) mitarbeitete. Strempel entwickelte nach und nach den Forschungsschwerpunkt »Strukturanalyse der Rechtspflege« (SAR) und setzte dabei vor allem auf das gleichzeitig in der GMD entwickelte Justiz-Statistik-Informationssystem. Ich kann mich lebhaft daran erinnern, wie wir 1984 auf der Tagung »Rechtsmittel im Zivilprozeß«[1] zum ersten Mal eine Online-Verbindung von Bochum zur GMD nach Birlinghoven herstellen wollten, und wie der mühsam beschaffte große Monitor dunkel blieb. Im selben Jahr kaufte ich (für annähernd 8000 DM) meinen ersten eigenen PC, den legendären Kaypro IV mit einem Zilog Prozessor, 64 KB RAM und zwei Diskettenlaufwerken von 160 KB und durchlebte von nun an die Höhen und Tiefen der Textverarbeitung. Ich weiß gar nicht mehr, wann wir auch in der Universität einen PC anschaffen konnten. Aber jedenfalls war meiner der erste in der Fakultät. Um diese Zeit war ich auch Direktor des Zentralen Rechtswissenschaftlichen Seminars (ZRS) geworden. Nun kam die EDV aus einer anderen Richtung auf mich zu. Jetzt ging es um Bibliotheksverwaltung und Datenbankzugang. An amerikanischen Law Schools hatte ich erlebt, wie phantastisch dort längst elektronische Kataloge und Datenbankzugänge funktionierten. Aber in Bochum kämpfte das Rechenzentrum der Universität noch über Jahre mit der Programmierung des OPAC, und die Zusammenführung von Beschaffung und Katalogisierung erwies sich als unerhört schwierig. Ich saß im Beirat des Rechenzentrums und war schon wieder an der Grenze meiner Kompetenz. Immerhin konnte ich Drittmittel einwerben, um sehr früh das ZRS mit PC für die Benutzer und einem Juris-Zugang auszurüsten. Die Juristische Fakultät war in Bochum wohl auch die erste unter den geisteswissenschaftlichen, die rundum vernetzt wurde. Vorübergehend hatte ich dann allerdings ein bißchen den Anschluss verloren. Ich hatte so viele EDV-begeisterte studentische Hilfskräfte, darunter beinahe mehr Frauen als Männer, die vor allem die Betreuung des JURIS-Terminals übernahmen, die Einführungskurse für ihre Kommilitonen abhielten und sich so an die Computer drängten, dass ich mich, jedenfalls in der Universität, gar nicht mehr selbst an den Bildschirm zu setzen brauchte. Darüber habe ich dann zunächst die Umstellung von MS/DOS auf Windows und dann auch den Einstieg ins Internet verpasst.

Seit Beginn der 90er Jahre bewegte uns vor allem die Frage, ob Datenbanken im Laufe der Zeit juristische Experten überflüssig machen könnten. Martina Wegge und Michael Hartmann, damals Mitarbeiter an meinem Lehrstuhl, konnte ich zu einer Untersuchung über »Rechtsprechungsdatenbank und professionelle Zuständigkeit. Der Einfluß juristischer Datenbanken auf die Tätigkeit von Versicherungsangestellten mit und ohne juristische Ausbildung«[2] veranlassen. »Recht und Medien« wurde auf mein Betreiben das Generalthema der Jahrestagung der Vereinigung für Rechtssoziologie 1996. Damals hielt ich einen Vortrag »Über den Einfluß der elektronischen Medien auf das Recht und das juristische Denken«. Der Vortrag (hier unverändert als PdF) ist nicht veröffentlicht worden, weil sich mein Interesse sehr schnell auf einen Ausschnitt aus diesem Thema konzentrierte, nämlich auf die Visuelle Rechtskommunikation. Verursacht wurde der Blickwechsel u. a.. dadurch, dass meine Mitarbeiter Stefan Machura und Stefan Ulbrich sehr erfolgreich eine Idee umsetzten, die ich aus St. Louis von meinem dortigen Kollegen Francis M. Nevins mitgebracht hatte, nämlich ein Seminar zum Thema »Recht und Film«. Ab 1999 haben wir dann gemeinsam drei aufeinander folgende Projekte durchgeführt:

  • »Visuelle Rechtskommunikation«, gefördert von der Stiftung Volkswagen
  • »Recht anschaulich«, gefördert durch das Rektorat der Ruhr-Universität im »Innovationswettbewerb in der Lehre« 2001
  • »Kultivierungseffekte des Justiz- und Anwaltsfilms«, gefördert von der DFG.

Die Medientheorie, auf die wir uns stützten, hat ihren Ursprung in der sog. Toronto-Schule (Innis, McLuhan, Havelock, Goody, Ong, Watt). Und so wurde ich zum „Legal McLuhanite“[3]

Das rechtssoziologische Potential dieser Theorie ist noch längst nicht ausgeschöpft. In einem späteren Beitrag werde ich deshalb zunächst diesen Theorieansatz skizzieren.


[1]Daraus entstand der Tagungsband Gilles/Röhl/Schuster, Rechtsmittel im Zivilprozeß, 1985.

[2] Universitätsverlag Brockmeyer, Bochum 1993

[3]Begriff von Richard J. Ross, Communications Revolutions and Legal Culture: An Elusive Relationship, Law & Social Inquiry 27, S. 2002, 637-684, 646. Es handelt sich um eine Rezensionsabhandlung zu drei bahnbrechenden US-amerikanischen Arbeiten: Ronald K. L Collins./David M. Skover, Paratexts, Stanford Law Review 44, 1992, S. 509-552, und M. Ethan Katsh, The Electronic Media and the Transformation of Law, Oxford University Press, New York und Oxford 1989, sowie ders., Law in a Digital World, Oxford-University Press, New York und Oxford 1995.

Ähnliche Themen