Wahlrecht für Tiere?

Zoom machts möglich. Eben habe ich den Vortrag angehört, den der Philosoph Bernd Ladwig im Berliner Seminar Recht im Kontext über die Politische Philosophie der Tierrechte gehalten hat. Der Vortrag hat mich nicht einmal neugierig gemacht. Nun weiß ich jedenfalls, dass ich Ladwigs Buch[1] nicht lesen muss. Aber es ist so dick, dass ich es in meine Literaurhinweise aufnehme.

Ein zentrales Argument Ladwigs: Tiere haben schützenswerte Interessen, denn auch Menschen können kreatürlich, also wie Tiere, leiden. Tiere müssen unter der Zwangsordnung des Rechts leben. Der Rechtsphilosoph Dworkin habe erklärt, eine Zwangsordnung könne nur gerechtfertigt werden, wenn alle ihr Unterworfenen gleich behandelt würden. Also müssten Tiere, wenn es nicht gerade um Fragen der Religionsfreiheit gehe, wie Menschen geschützt werden. Ausbeuterische Nutztierhaltung ist damit passé. Tiere hätten Anspruch auf freie Entfaltung ihrer Tierpersönlichkeit und müssten auch politisch einbezogen werden. Ich ziehe daraus die Konsequenz: Wahlrecht für Tiere!

Der Vortrag gibt mir keinen Anlass, meinen Entwurf des Lehrbuchkapitels über Eigenrechte der Natur zu überarbeiten. Ich stelle den Entwurf nachfolgend ein. Einige Passagen werden den Lesern von Rsozblog bekannt vorkommen.

Eigene Rechte für die Natur?

Literatur: Heike Baranzke, Natur als Subjekt von Eigenrechten – eine sinnvolle Rede?, in: Gerald Hartung/Thomas Kirchhoff (Hg.), Welche Natur brauchen wir?, 2014, 439-460; Klaus Bosselmann, Wendezeit im Umweltrecht. Von der Verrechtlichung der Ökologie zur Ökologisierung  des Rechts, Kritische Justiz 1958, 345-361; ders., Eigene Rechte für die Natur?, Kritische Justiz 1986, 1-22; Sue Donaldson/Will Kymlicka, Zoopolis, A Political Theory of Animal Rights, 2011; William K. Frankena, Ethik und die Umwelt, in: Angelika Krebs (Hg.), Naturethik, 1997, 271-295; Malte-Christian Gruber, Rechtsschutz für nichtmenschliches Leben, 2006; Günter Hager, Das Tier in Ethik und Recht, 2015; Jens Kersten, Das Anthropozän-Konzept, Kontrakt, Komposition oder Konflikt, 2014; Christian Kummer, Pflanzenwürde: Zu einem Scheinargument in der Gentechnikdebatte, Stimmen der Zeit 138, 2013, 21-30; Bernd Ladwig, Politische Philosophie der Tierrechte, 2020; Jörg Luy, Welche Rechte haben Tiere?, Spektrum der Wissenschaft Heft 12/2010, 80-84;Tom Regan, The Case for Animal Rights, 1988; Michael Schlitt, Haben Tiere Rechte? ARSP 78, 1992, 225; Peter Singer, Animal Liberation, 1975; Tom Sparks, Protection of Animals through Human Rights. The Case-Law of the European Court of Human Rights, SSRN Journal, 2018 Katy Sowery, Sentient Beings and Tradable Products: The Curious Constitutional Status of Animals Under Union Law, Common Market Law Review 55, 2018, 55-99; Christopher D. Stone, Umwelt vor Gericht. Die Eigenrechte der Natur, 1987; Holger Zaborowski/Christof A. Stumpf, Menschenwürde versus Würde der Kreatur, RTh 36, 2005, 91-115; Wikipedia, Great Ape Project.

Heft 3/2016 der Zeitschrift »Rechtwissenschaft« ist als Themenheft »Tier und Recht« erschienen. Aus den Beiträgen lässt sich die ältere Literatur rückverfolgen.

Anfang 1988 kam es in der Nordsee zu einem massenhaften Robbensterben. Bilder von angeschwemmten Kadavern beunruhigten Zeitungsleser und Fernsehzuschauer. Umweltschutzverbände machten mit verschiedenen Aktionen auf die zunehmende Verschmutzung der Nordsee aufmerksam. Einige Verbände klagten »im Namen der Robben« – erfolglos – gegen die Einleitung von Schadstoffen in die Nordsee (VG Hamburg, JuS 1989, 240). Als Kuriosität berichtete die JuS auf der Umschlagseite XIII von Heft 6/1992 über einen unveröffentlichten Beschluss des OVG Hamburg, in dem das Gericht übereinstimmend mit der Vorinstanz die erstaunliche Feststellung getroffen hatte, dass die im Rubrum der Entscheidung als »Antragsteller zu I.« aufgeführten »Seehunde der Nordsee« nach dem für die Gerichte maßgeblichen geltenden Recht für ein verwaltungsgerichtliches Verfahren nach § 61 VwGO nicht beteiligungsfähig seien.

So kurios ist die Sache nicht mehr, seitdem die Tierschutzorganisation Peta – vergeblich – Urheberrechte für einen Affen geltend gemacht hat, indem sie in San Franzisko eine Klage im Namen des Affen Naruto von der indonesischen Insel Sulawesi einreichte, mit der für Naruto das Urheberrecht an einem Selfie geltend gemacht wurde. Der britische Fotograf David Slater hatte 2011 eine Serie von Tierbildern aufgenommen. In einem später veröffentlichten Buch fügte er zwei von Naruto aufgenommene Selbstporträts hinzu – die Bilder des grinsenden Affen gingen um die Welt. Slater argumentierte damals, er habe das Urheberrecht an den Fotos, weil er das Stativ aufgebaut habe und dann nur für wenige Minuten weggegangen sei. In dieser Zeit habe der Affe seine Kamera an sich gerissen. Nach Pressemeldungen vom Januar 2016 ist die Klage abgewiesen worden.

Mitte März 2017 meldete die Presse, das Parlament in Wellington/Neuseeland habe dem Whanganui River auf Wunsch der Maori Rechtspersönlichkeit verliehen und ihm einen Vertreter der Maori und einen Vertreter der Regierung als Treuhänder bestellt. Im gleichen Monat entschied der High Court des indischen Bundesstaates Uttarakhand, dass der Ganges und sein wichtigster Nebenfluss, der Yamuna, Rechtspersönlichkeit hätten. Ähnliche Entwicklungen gibt es in Kolumbien und Ekuador. Sie sind inspiriert und legitimiert durch Naturvorstellungen indigener Bevölkerungen, die unter Raubbau und Umweltzerstörung leiden. (Vgl. auchdie engl. Wikipedia-Seite Environmental Personhood.)

Nach geltendem Recht haben Tiere und Pflanzen und Flüsse in Deutschland keine Rechtspersönlichkeit und damit keine eigenen subjektiven Rechte. Sie sind aber durch das objektive Recht geschützt.

Nach § 90a BGB sind Tiere keine Sachen. Doch finden auf Tiere grundsätzlich weiterhin die für Sachen geltenden Vorschriften Anwendung. Nach Art. 141 der bayerischen Verfassung werden Tiere als »Lebewesen und Mitgeschöpfe geachtet und geschützt«. Ähnliche Bestimmungen finden sich auch in den Verfassungen von Berlin, Niedersachsen, Thüringen und des Saarlandes. Im Jahre 2002 wurde der Tierschutz in Art. 20a GG verankert. Bisher hält die Rechtstradition, die die Rechtspersönlichkeit für den Menschen und die von ihm geschaffenen Organisationen reserviert.

Eine breite Tierrechtsbewegung marschiert, um die normative Differenz zwischen Mensch und Tier einzuebnen. Sie erhielt Anschub durch das 1993 erschienene Buch »Menschenrechte für die Großen Menschenaffen – Das Great Ape Projekt« (Originaltitel: The Great Ape Project: Equality Beyond Humanity), das von den Philosophen Paola Cavalieri und Peter Singer herausgegeben wurde. Seither wird in der Diskussion um ein ökologisches Recht nachdrücklich, teilweise sogar militant, die Anerkennung der Rechtsfähigkeit für die Natur oder gar für einzelne Tiere und Pflanzen gefordert. Das wohl jüngste Argument beruft sich auf das Anthropozän-Konzept, das besagt, wir seien in ein Zeitalter eingetreten, in dem nicht länger die Natur, sondern die Menschen die Gestalt der Erde und das Leben auf ihr formten. Als Gegengewicht sollten Teilen der Natur, Tieren und Landschaften, eigene Rechte zugestanden werden.

Die ontologisch-deontologischen Argumentationen lassen sich auf die Frage nach Eigenwert, Würde oder moralischer Qualität, auf die kantische Frage nach dem »Zweck an sich selbst« zuspitzen. Frankena unterscheidet in diesem Zusammenhang acht Ethik-Typen mit weiteren Unterteilungen. Hier genügt es, die üblichen Antworten als »Zentrismen« zu sortieren:

Theozentrismus: Alle Lebewesen zählen kraft ihrer Beziehung zu Gott. Der Theozentrismus ist offen für eine Privilegierung des Menschen, indem er auf die Ebenbildlichkeit des Menschen zu Gott abstellt. Er kann aber auch die Geschöpflichkeit alles Lebendigen und damit die Ehrfurcht vor allem Lebenden betonen. In diesem Sinne ist in Art. 120 II der Schweizerischen Bundesverfassung von der »Würde der Kreatur« die Rede.

Ratiozentrismus und Logozentrismus machen die Frage, ob Wesen um ihrer selbst zählen, von ihrer (potentiellen) Vernunftfähigkeit und ihrem Sprachvermögen abhängig.

Pathozentrismus stellt auf die Empfindungsfähigkeit von Lebewesen ab. Sie zählen moralisch um ihrer selbst willen, wenn sie empfindungsfähig sind und etwas in irgendeiner Form als gut oder schlecht erfahren können.

Biozentrismus: Lebewesen sind moralisch um ihrer selbst zu berücksichtigen, weil sie leben.

Anthropozentrismus: Die Privilegierung des Menschen ist als Anthropozentrismus geläufig. Sie hat eine religiöse und eine ratiozentrische Begründungstradition, die im Begriff der Menschenwürde zusammenfinden.

Die Rechtsprechung nimmt bislang einen anthropozentrischen Standpunkt ein, so auch der EGMR (Spark).

Die Tierschutzorganisation PETA stellte für eine Werbeaktion gegen die Massentierhaltung Bilder aus Tierställen neben Bilder von toten oder lebenden Häftlingen in Konzentrationslagern. Nachdem Berliner Zivilgerichte die Werbeaktion untersagt hatten und Verfassungsbeschwerden erfolglos blieben, entschied auch der EGMR (43481/09) gegen PETA und ließ damit erkennen, dass Tierschutz letztlich ein menschliches Interesse ist.

Die Diskussion um Rechte für die Natur ist zu einem Machtdiskurs im Sinne Foucaults geworden, in dem nicht mehr Argumente, sondern Fußnoten zählen. An die Stelle von Argumenten tritt der Kampfbegriff des Speziezismus, der den Anthropozentrismus in die Nähe von Rassismus und Sexismus rückt. Wer sich äußert, äußert sich in der Regel im Sinne der Tierrechtsbewegung. Die Mehrheit bleibt stumm, bis sie eines Tages nicht mehr reden darf. Es ist daher an der Zeit, Farbe zu bekennen.

Es ist müßig, weiter über ontologische Differenzen zwischen Mensch und Tier zu streiten. Aus naturwissenschaftlicher Sicht ist der Mensch ein höheres Tier. Es lohnt sich auch kaum, darüber zu diskutieren, ob die traditionelle Auffassung, der Mensch unterscheide sich vom Tier durch seinen Vernunftgebrauch, haltbar ist. Dadurch verlagert sich der Streit nur auf den ohnehin problematischen Vernunftbegriff. Man kann Tieren weder Kognitionen noch Emotionen absprechen.

Kaum eine empirische Grenze ist so scharf, wie diejenige zwischen Mensch und Nichtmensch. Bisher ist jedenfalls kein Fall bekannt, indem die Eigenschaft eines Lebewesens als Mensch oder Nichtmensch zweifelhaft gewesen wäre. Die Artgrenze zwischen Mensch und Tier hat seit unvordenklicher Zeit gehalten. Aber auch sie ist grundsätzlich nicht evolutionsfest. Ganz gleich ob es eine fundamentale Grenze zwischen Mensch und Tier gibt, so kann man doch eine solche Grenze ziehen, wenn man der Ansicht ist, dass die Menschenwürde der oberste Wert bleiben soll. Die große Errungenschaft der Grund- und Menschenrechte verliert durch die Proliferation ins Tier- oder gar ins Pflanzenreich an Kraft. Solange Milliarden Menschen nicht in Frieden und Freiheit leben, solange sie hungern, leiden und Ungleichheit ertragen müssen, gilt es, die Grund- und Menschenrechte auf diese Menschen zu konzentrieren. Naturschutz und Tierschutz sind diesem Ziel untergeordnet.

Juristen könnten – besser noch als Theologen – wissen, dass sich nicht das dominium terrae der biblischen Schöpfungsgeschichte, sondern allenfalls eine bestimmte Auslegungstradition für die ökologische Krise der Welt verantwortlich machen lässt. Die Einordnung des gegenwärtigen Erdzeitalters als Anthropozän bestätigt das dominium terrae nicht als Imperativ, sondern als Faktum. Wenn darauf überhaupt noch eine Reaktion möglich, dann nur als solche von Menschen, die den Schaden, den sie sie angerichtet haben, zu begrenzen und vielleicht ein wenig zu reparieren suchen. Hier sind allein Menschen als Pflichtsubjekte gefordert. Deshalb sollten sie auch als Rechtsubjekte privilegiert bleiben. Das ist das Argument von der Rechte-Pflichten-Symmetrie (Baranzke S. 452).

Da hilft es nicht – etwa mit Hilfe des Ethnologen Philippe Descola (Jenseits von Natur und Kultur, 2011) – an animistische Stammesgesellschaften zu erinnern, für die Tiere und Pflanzen beseelt sind und über ein soziales Leben verfügen. Man kann dann die Weltsicht der von Descola beobachteten Jívora-Indianer mit dem Programm des Postmodernismus zu einer der modernen Weltsicht gleichberechtigten Wahrheit erklären. Das ändert den Lauf der Welt nicht mehr.

Solche Privilegierung des Menschen muss nicht deontologisch begründet werden. Wir ziehen einen bescheidenen Utilitarismus vor; bescheiden, weil es nicht um das größte Glück, sondern nur um die Ausräumung großen Unglücks geht. Allerdings ist der klassische Utilitarismus anthropozentrisch; Ausgangspunkt für die Beurteilung jeder Entscheidung ist das Wohl und Wehe der betroffenen Menschen. Deshalb müssen Naturschutz und Tierschutz nicht zurückstehen. Ein menschenzentrierter Utilitarismus bedenkt auch das Wohl der nachfolgenden Generationen und inkorporiert damit das Prinzip der Nachhaltigkeit, das ohne intensiven Tier- und Naturschutz nicht zu halten ist. Damit wird die Frage, welche Schmerzen, Leiden oder Schäden Tieren zugefügt werden und wann sie getötet werden dürfen, zu einer Frage der Verhältnismäßigkeit, bei deren Beantwortung das Wohl von Menschen ein deutliches Übergewicht erhält. Es wiegt so schwer, dass im Interesse menschlichen Wohlergehens selbst die Tötung von Tieren zulässig ist. Alles andere wäre Heuchelei.

Wollte man der Natur Würde im Rechtssinne zuerkennen, so wären die materiell-rechtlichen Konsequenzen begrenzt. Jede gewollte oder auch nur vermeidbare Schädigung von Tieren und Pflanzen wäre danach unmoralisch und müsste wohl auch rechtlich verboten sein. Die (indische) Religion des Jainismus verwirft jede Tötung von Tieren. So weit gehen nicht einmal westliche Vegetarier. Die Idee, dass man nicht bloß Tiere, sondern auch Pflanzen nicht mehr essen und aus ihnen keine Rohstoffe mehr gewinnen dürfe, bedeutete das Ende der Menschheit. Tierwürde und Pflanzenwürde könnten nie in dem Sinne absolut geschützt werden wie die Menschenwürde.

Die Allgemeine Rechtslehre kann zu dieser Auseinandersetzung dadurch beitragen, dass sie feststellt: Rechtstechnisch ist es überhaupt kein Problem, bestimmten Teilen der belebten oder unbelebten Natur Rechtsfähigkeit zu verleihen und ihnen in der Folge auch subjektive Rechte zuzuerkennen. Natürlich muss dann durch eine Vertretungsregelung die Handlungsfähigkeit der zur Rechtsperson erhobenen Gebilde hergestellt werden. Deshalb wären es im Ergebnis doch Menschen, die die »Rechte der Natur« wahrnehmen müssten. Auf Dauer schließt diese Sichtweise nicht aus, dass auch Tieren Rechte zugestanden werden. Es handelt sich, wie gesagt, um ein rechtstechnisches Problem. Wenn dem Menschen durch Tierrechte besser gedient wäre als ohne, sollte man sie einrichten. Aber es wären Rechte zweiter Klasse.

Ohnehin werden Tierrechte bald nur noch einen Nebenschauplatz bilden. Die neuen Möglichkeiten zu einer Genveränderung mittels CRISPR/Cas9 und die heraufziehende künstliche Intelligenz bilden die Zukunftsfront, an der es die Menschlichkeit zu verteidigen gilt und die erst recht einen anthropozentrischen Standpunkt fordert.


[1] Bernd Ladwig, Politische Philosophie der Tierrechte, 2020 (Suhrkamp).

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Recht muss anthropozentrisch bleiben – was sonst? Zu den Konnationen des Begriffs

Für einen Entwurf zum Eintrag vom 10. Januar 2017 hatte ich mir den Satz notiert: »Anthropozentrismus wird meistens theozentrisch oder ratiozentrisch begründet.« Ich habe ihn schnell wieder gelöscht, weil durch die Ansammlung von Zentrismen die Macht der Konnotationen augenfällig wurde. Anthropozentrismus ist eine schlechte Vokabel, weil sie mit pejorativen Konnotationen einhergeht. Sie sind erst jüngeren Datums, lassen sich aber nicht überhören.  Mehr oder weniger alle Ismen teilen dieses Schicksal. Den Anthropozentrismus trifft es besonders hart. Wenn er nicht mit dem Eurozentrismus in eine Ecke gestellt wird, so wird er über die Assoziation mit Speziezismus und schließlich Rassismus desavouiert. Das ist eine unterschwellige Wirkung des Tierrechtsdiskurses. Es hilft nicht, die Gegenbegriffe anzuführen (Biozentrismus, Physiozentrismus), denn die sind nicht geläufig. So haben alle, die sich gegen eine anthropozentrische Einstellung wenden, ein leichtes Spiel, weil sie von negativen Konnotationen unterstützt werden. Man müsste daher für die Sache einen neuen Begriff finden. Ein brauchbares Synonym fehlt. Humanismus ist schon besetzt und zudem selbst ein Ismus. Anthropophil wäre wohl besser als anthropozentrisch, ist aber auch nicht frei von negativen Konnotationen, denn die Liste der Philien hat eine deutliche Schlagseite zu sexuellen Vorlieben.

Anscheinend gibt es zum Anthropozentrismus keine sprachliche Alternative. So bleibt nur die Wahl, den Ausdruck offensiv zu verteidigen. Es geht, wie gesagt, schon längst nicht mehr (nur) um Argumente, sondern um einen Machtdiskurs, in dem die Pelz-Polizei zur Diskurspolizei zu werden droht. Zoophilie[1] ist keine Alternative zum Anthropozentrismus.

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[1] Und Kynophilie schon gar nicht. Schade eigentlich, dass die (satirische) Zeitschrift Kot und Köter nicht weiter macht.

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Recht muss anthropozentrisch bleiben – was sonst?

Der erste Eintrag des neuen Jahres enthält eine prononciert normative Äußerung, auf die ich sonst verzichte, wiewohl ein normativer Überschuss natürlich meist nicht zu vermeiden ist.

Die potenziell grenzenlose Ausdeutbarkeit von Grund- und Menschenrechten führt zu deren Verschleiß, wenn kein dauerhaftes soziales Einverständnis sie rechtlich und sozial fixiert. Dieses Einverständnis schien lange selbstverständlich zu sein. Menschenrechte sind eben Menschenrechte und keine Tierrechte und schon gar keine Pflanzenrechte. Aber eine breite Tierrechtsbewegung marschiert, um die normative Differenz zwischen Mensch und Tier einzuebnen, prominent vertreten etwa durch das Great Ape Project[1], dessen Protagonisten gewisse Menschenrechte auch für Hominiden fordern.

In dem Eintrag vom 30. April 2013 habe ich kritisch über eine rechtspolitische Diskussion über den Schutz der »Pflanzenwürde« berichtet. Seither ist die wissenschaftliche Literatur zum Thema weiter angewachsen.[2] Längst ist über Tier- und Pflanzenrechte so viel gesagt und geschrieben worden, dass kaum noch neue Argumente zu entdecken sind. Das wohl jüngste Argument beruft sich auf das Anthropozän-Konzept, das besagt, wir seien in ein Zeitalter eingetreten, in dem nicht länger die Natur, sondern die Menschen die Gestalt der Erde und das Leben auf ihr formten. Sozusagen als Gegengewicht sollen Teilen der Natur, Tieren und Landschaften, eigene Rechte zugestanden werden.[3]

Es ist müßig, weiter über ontologische Differenzen zwischen Mensch und Tier zu streiten. Aus naturwissenschaftlicher Sicht ist der Mensch ein höheres Tier. Es lohnt sich auch kaum, darüber zu diskutieren, ob die traditionelle Auffassung, der Mensch unterscheide sich vom Tier durch seinen Vernunftgebrauch, haltbar ist. Dadurch verlagert sich der Streit nur auf den ohnehin problematischen Vernunftbegriff. Man kann Tieren weder Kognitionen noch Emotionen absprechen.

Das ändert nichts daran, dass bisher kaum eine empirische Grenze so scharf ist, wie diejenige zwischen Mensch und Nichtmensch. Bisher ist jedenfalls kein Fall bekannt, indem die Eigenschaft eines Lebewesens als Mensch oder Nichtmensch zweifelhaft gewesen wäre. Insbesondere auch die Artgrenze zwischen Mensch und Tier hat seit unvordenklicher Zeit gehalten, wiewohl auch sie grundsätzlich nicht evolutionsfest ist.

Es bleibt verdienstvoll, in dieser Situation den »Anthropozentrismus des juristischen Personenbegriffs«[4] aufzuarbeiten. Gezeigt wird aber nur, was wir schon immer wussten: Rechtstechnisch ist es überhaupt kein Problem, bestimmten Teilen der belebten oder unbelebten Natur Rechtsfähigkeit zu verleihen und ihnen in der Folge auch subjektive Rechte zuzuerkennen.[5] Die Privilegierung des Menschen, die als Anthropozentrismus geläufig ist, hat eine religiöse und eine logozentrische Begründungtradition. Selbstverständlich wird diese Tradition heute, wie alles, was selbstverständlich erscheint, in Frage gestellt.

Die Diskussion um Rechte für die Natur ist nicht länger ein rationaler Diskurs im Sinne von Habermas, sondern ein Machtdiskurs im Sinne Foucaults, in dem nicht mehr Argumente, sondern Fußnoten zählen. Wer sich äußert, äußert sich in der Regel im Sinne der Tierrechtsbewegung. Die Mehrheit bleibt stumm, bis sie eines Tages nicht mehr reden darf. Es ist daher an der Zeit, Farbe zu bekennen.

Ganz gleich, ob es eine fundamentale Grenze zwischen Mensch und Tier gibt: Ich ziehe eine Grenze – oder vielmehr, ich folge all denen, die eine solche Grenze ziehen. Die große Errungenschaft der Grund- und Menschenrechte verliert durch die Proliferation ins Tier- oder gar ins Pflanzenreich an Kraft. Solange Milliarden Menschen nicht in Frieden und Freiheit leben, solange sie hungern, leiden und Ungleichheit ertragen müssen, gilt es, die Grund- und Menschenrechte auf diese Menschen zu konzentrieren. Naturschutz und Tierschutz sind diesem Ziel untergeordnet.

Solche Privilegierung des Menschen muss nicht unbedingt deontologisch begründet werden. Ich ziehe einen bescheidenen Utilitarismus vor. Bescheiden, weil es nicht um das größte Glück, sondern nur um die Ausräumung großen Unglücks geht. Deshalb müssen Naturschutz und Tierschutz nicht zurückstehen, Utilitarismus verlangt auch die Verringerung tierischen Leids. Ein menschenzentrierter Utilitarismus inkorporiert ferner das Prinzip der Nachhaltigkeit, das ohne intensiven Naturschutz nicht zu halten ist. Damit wird die Frage, welche Schmerzen, Leiden oder Schäden Tieren zugefügt werden und wann sie getötet werden dürfen, zu einer Frage der Verhältnismäßigkeit, bei deren Beantwortung das Wohl von Menschen ein deutliches Übergewicht erhält. Es wiegt so schwer, dass im Interesse menschlichen Wohlergehens selbst die Tötung von Tieren zulässig ist. Alles andere wäre Heuchelei.

Auf Dauer schließt diese Sichtweise nicht einmal aus, dass auch Tieren Rechte zugestanden werden. Es handelt sich, wie gesagt, um ein rechtstechnisches Problem. Wenn dem Menschen durch Tierrechte besser gedient wäre als ohne, sollte man sie einrichten.

Juristen könnten – besser noch als Theologen – wissen, dass sich nicht das dominium terrae der biblischen Schöpfungsgeschichte, sondern allenfalls eine bestimmte Auslegungstradition für die ökologische Krise der Welt verantwortlich machen lässt. Die Einordnung des gegenwärtigen Erdzeitalters als Anthropozän bestätigt das dominium terrae nicht als Imperativ, sondern als Faktum. Wenn darauf überhaupt noch eine Reaktion möglich, dann nur als solche von Menschen, die den Schaden, den sie angerichtet haben, zu begrenzen und vielleicht ein wenig zu reparieren suchen. Hier sind allein Menschen als Pflichtsubjekte gefordert. Deshalb sollten sie auch als Rechtsubjekte privilegiert bleiben.

Ohnehin werden Tierrechte bald nur noch einen Nebenschauplatz bilden. Die neuen Möglichkeiten zu einer Genveränderung mittels CRISPR/Cas9 und die heraufziehende künstliche Intelligenz bilden die Zukunftsfront, an der es die Menschlichkeit zu verteidigen gilt und die erst recht einen anthropozentrischen Standpunkt fordert.

Nachtrag: Die Argumente sind, wie gesagt, getauscht. Es wäre langweilig sie zu wiederholen. Aber ich will doch jedenfalls auf eine Darstellung verweisen, die ich mir gerne zu eigen mache: Heike Baranzke, Natur als Subjekt von Eigenrechten — eine sinnvolle Rede?, in: Gerald Hartung/Thomas Kirchhoff (Hg.), Welche Natur brauchen wir?, 2014, 439-460.

Und noch ein Nachtrag: Mitte März 2017 meldete die Presse, das Parlament in Wellington/Neuseeland habe dem Whanganui River auf Wunsch der Maori Rechtspersönlichkeit verliehen und ihm einen Vertreter der Maori und einen Verteter der Regierung als Treuhänder bestellt. Der für die Verhandlungen mit den Maori zuständige Minister wird mit den Worten zitiert: »Manche Leute werden das einigermaßen seltsam finden. Aber das ist auch nicht anders als bei einer Familienstiftung oder einer Firma.« Richtig. Juristische Personen sind Rechtspersonen zweiter Klasse. Das ist keine Frage der Rechtstheorie. Rechtstheorie, will sie nicht zum Naturrecht zurückkehren, kann auch den Menschen nur als juristische Person konstruieren. Aber der Mensch ist die einzige juristische Person erster Klasse. Das ist keine Theorie, sondern eine Wertentscheidung.

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[1] Es »geht zurück auf das 1993 erschienene Buch »Menschenrechte für die Großen Menschenaffen – Das Great Ape Projekt« (Originaltitel: The Great Ape Project: Equality Beyond Humanity), das von den Philosophen Paola Cavalieri und Peter Singer herausgegeben wurde. Es enthält Beiträge von 34 Autoren, darunter Jane Goodall, Jared Diamond und Richard Dawkins. Nach dem ersten Schwung in den 90er Jahren lösten sich zahlreiche Arbeitsgruppen zum GAP allmählich auf. Im Gefolge der Verleihung des Ethik-Preises 2011 der Giordano-Bruno-Stiftung an Paola Cavalieri und Peter Singer wurde das GAP in Deutschland neu gestartet. Der Relaunch wird koordiniert von dem Psychologen Colin Goldner, unterstützt von Wissenschaftlern wie Volker Sommer, Dieter Birnbacher oder Michael Schmidt-Salomon.« (Wikipedia, Great Ape Project).

[2] Heft 3/2016 der Zeitschrift »Rechtwissenschaft« ist als Themenheft »Tier und Recht« erschienen. Aus den Beiträgen lässt sich die ältere Literatur rückverfolgen.

[3] Kyniker werden sich mit Muslimen zusammenschließen, die die westliche Welt als Kynozän kritisieren, weil Menschen dort Hunde oft höher geschätzt werden als die Familie.

[4] Steffen Augsberg, Der Anthropozentrismus des juristischen Personenbegriffs – Ausdruck überkommener (religiöser) Traditionen, speziesistischer Engführung oder funktionaler Notwendigkeiten?, Rechtswissenschaft 7, 2016, 338-362.

[5] Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 3. Aufl. 2008, S. 463.

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