Enzyklopädie zur Rechtsphilosophie (EzR)

Am 8. 4. 2011 wurde in Greifwald als Höhepunkt einer kleinen, aber feinen Tagung der Internetauftritt der Enzyklopädie zur Rechtsphilosophie gestartet, die im Auftrage der Deutschen Sektion der Internationalen Vereinigung für Rechts- und Sozialphilosophie (IVR) von Michael Anderheiden, Marietta Auer, Thomas Gutmann, Stephan Kirste, Frank Saliger und Lorenz Schulz herausgegeben wird. Großes Vorbild ist die Stanford Encyclopedia of Philosophy. Vorerst sind allerdings nur wenige Stichworte mit Artikeln ausgefüllt.
Der Legal McLuhanite hatte mit großen Erwartungen dem Vortrag von Thomas Vesting über »Das Medium Enzyklopädie [1]Ist die Enzyklopädie ein Medium? – Rechtliche Expertise unter Buchdruckbedingungen und in elektronischen Netzwerken« entgegengesehen. Er war am Ende ein wenig enttäuscht, denn Vesting sparte die Enzyklopädie im elektronischen Zeitalter aus. Stattdessen berichtete er aus seinem großen Projekt »Medien des Rechts« über die Veränderungen des Rechts unter dem Einfluss des Medienwandels. Dem Legal McLuhanite kam das alles, von der Derridaisierung einmal abgesehen, doch schon sehr bekannt vor. Es gab immerhin ein paar hübsche Literaturfunde und außerdem den Hinweis auf zwei neue Bücher des Redners, die soeben im Verlag Velbrück Wissenschaft erschienen sind. [2]»Die Medien des Rechts: Sprache« sowie »Die Medien des Rechts: Schrift«. Wer sich schnell einen Eindruck verschaffen will, findet von Vesting in Ancilla Juris 2010 den Aufsatz »Rechtstheorie als … Continue reading
Ich habe dem Vortrag die These entnommen, dass das Buch sich durch einen »Sinn für Abgeschlossenheit« auszeichnet, während der Computer zu fortgesetztem Überschreiben auffordert. »Enzyklopädischer Einheitswille« erzeuge die ontologische Illusion innerer Einheit des Rechts, die es in der operativen Wirklichkeit nie gegeben habe, die mindestens aber an den Nationalstaat gebunden gewesen sei. Mit der Computerkultur sei die »Zeit der Systeme« abgeschlossen. Es gebe immer nur vorübergehende Interpretationen von Wahrheit und Gerechtigkeit. Und natürlich brauchen wir dafür »eine adäquate Neugründung der Rechtstheorie«. Ich bin skeptisch. Ich halte den Computer, oder vielmehr das weltweite Netzwerk von Computern, für eine große Konvergenzmaschine. Mehr oder weniger alles wird verglichen, und Konsonanzen wirken verstärkend, bis sich die Spreu vom Weizen trennt.
Was den Ruf nach einer neuen Rechtstheorie betrifft, so tönt der nun schon seit dem Anbruch der Postmoderne. [3]Die Postmoderne dauert nun schon so lange, dass sie eigentlich vorüber sein müsste. Wie nennen wir denn unser gegenwärtiges Zeitalter? Bis mir etwas Besseres begegnet, spreche ich einmal von … Continue reading
Doch alle rufen und keiner liefert. Genauer: Geliefert wird nur Theorie aus der Beobachterperspektive, mit der die Akteure im System wenig anfangen können. Das zeigt sich besonders in der Methodenlehre, die mein Thema auf der Veranstaltung war. Sie ist nun seit über 50 Jahren, seit den Anfängen bei Viehweg und Esser, Gegenstand so heftiger und eigentlich vernichtender Kritik, dass sie in der Versenkung verschwunden sei müsste. Aber keiner der Kritiker liefert einen brauchbaren [4]Mancher wir hier auf das Werk von Friedrich Müller/Ralph Christensen (Juristische Methodik: Grundlegung für die Arbeitsmethoden der Rechtspraxis,) verweisen, dass 2009 in 10. Auflage erschienen … Continue reading Gegenentwurf. Das war noch einmal 50 Jahre früher anders. Da hatte jedenfalls Philipp Heck gezeigt, wie es gehen könnte. Aber heute gedeihen weiter die alten Blumen. Die Reihe von Lehr- und Lernbüchern zur Methodenlehre ist in den letzten Jahrzehnten ständig angewachsen ist. In anderen Werken, die vornehmlich für die juristische Ausbildung bestimmt sind, findet man selbständige Kapitel zur Methodenlehre [5]Zuletzt Heiko Sauer, Juristische Methodenlehre, in: Julian Krüper (Hg.), Grundlagen des Rechts, 2011, 168-186.. Sie decken das große Bedürfnis nach Reflexion und Vergewisserung für einen zentralen praxiszugewandten Bereich der juristischen Arbeit und zeigen zugleich Vertrauen in die Lehr- und Lernbarkeit der juristischen Methode.
Nachtrag vom 19. April 2011: Der »Kommentar« (unten) ist nur ein Verweis auf den Blog Viajura von Hans Jagow. Dort meint der Autor:

Sieht alles ganz nett aus, mich stört nur irgendwie die Joomla-Umsetzung, die mir eher in die Zeit um 2004 passt, als zu 2011. Vielleicht wird sie technisch noch überarbeitet, aber in der Wissenschaft zählt Webdesign ja nicht allzu viel.

Ich muss gestehen, dass ich diesen Kommentar nicht ganz unberechtigt finde. Wie man kreativ mit der WordPress-Blogsoftware ein ansehnliches Design für eine Internetenzyklopädie schaffen kann, zeigt das Beispiel der Internet Encyclopedia of Philosophy (IEP). Auch inhaltlich scheint mir diese Internetenzyklopädie, die anscheinend im Schatten von Stanford steht, beachtlich. Zur »Philosophy of Law« gibt es immerhin zehn Artikel, zur politischen Philosophie 35, darunter viele Personenartikel, die auch für die Rechtsphilosophie einschlägig sind. Unter den Herausgebern und den Verfassern der Artikel habe ich bisher keine Bekannten gefunden. Aber das muss kein Fehler sein.

Anmerkungen

Anmerkungen
1 Ist die Enzyklopädie ein Medium?
2 »Die Medien des Rechts: Sprache« sowie »Die Medien des Rechts: Schrift«. Wer sich schnell einen Eindruck verschaffen will, findet von Vesting in Ancilla Juris 2010 den Aufsatz »Rechtstheorie als Medientheorie (Supplement I) – Überlegungen zur Notwendigkeit der Verknüpfung von Sprachtheorie und Medientheorie«.
3 Die Postmoderne dauert nun schon so lange, dass sie eigentlich vorüber sein müsste. Wie nennen wir denn unser gegenwärtiges Zeitalter? Bis mir etwas Besseres begegnet, spreche ich einmal von Popomo (Postpostmoderne.)
4 Mancher wir hier auf das Werk von Friedrich Müller/Ralph Christensen (Juristische Methodik: Grundlegung für die Arbeitsmethoden der Rechtspraxis,) verweisen, dass 2009 in 10. Auflage erschienen ist. Beide Autoren haben sich als Kritiker der konventionellen Methodenlehre profiliert. Ich bewundere ihr großes Werk. Aber ich bezweifle, dass es praktisch brauchbar ist. Die Brauchbarkeit leidet schon durch die (nicht nur) wegen der ungewöhnlichen Zählweise ungenießbare Gliederung. Sie leidet weiter durch die Einführung neuer oder die Umdeutung alter Begriffe, die nicht zuletzt wegen der relativ alltagsnahen Wortwahl mehrdeutig bleiben. Und sie leidet unter Redundanz und Eigenlob. Für das letztlich doch konventionelle Ergebnis erscheint der enorme Aufwand überzogen. Für die »Rechtsarbeit« braucht man am Ende doch wieder, wenn auch mit manchen Caveats, die alten Methoden.
5 Zuletzt Heiko Sauer, Juristische Methodenlehre, in: Julian Krüper (Hg.), Grundlagen des Rechts, 2011, 168-186.

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