Der Master of Sexeconomics besucht Deutschland

Vor Jahr und Tag hatte ich eine kleine Serie über Prostitution; erotisches Kapital und Frauenpower begonnen. Anlass war die damals aktuelle Diskussion über eine rechtliche Regelung der Prostitution. Ich hatte auf die schmale und zum Teil schiefe Grundlage der rechtspolitischen Diskussion hingewiesen und anschließend die Frage gestellt, ob das Phänomen der Prostitution nicht bloß Ausfluss der allgemeinen Marktlage im Geschlechterverhältnis sei, die durch einen männlichen Nachfrageüberhang gekennzeichnet werde. Im Folgebeitrag hatte ich aus dem damals noch aktuellen Buch von Catherine Hakim, Erotisches Kapital (2011), die These vom männlichen Sexdefizit übernommen, um weiter zu fragen, warum es Frauen im Laufe der Geschichte nicht gelungen sei, ihre überlegene Position auf dem Markt der sexuellen Beziehungen in Status und Macht umzusetzen.

Ich hatte zwar schon eine Fortsetzung präpariert, habe die Serie dann aber abgebrochen, weil ich mich dem Thema nicht gewachsen fühlte. Ein Grund dafür war die Arbeit von Roy F. Baumeister und Kathleen D. Vohs, Sexual Economics, Culture, Men, and Modern Sexual Trends, Society 49, 2012, 520-524. Nach der Lektüre war ich ratlos. Ich zögere nicht, zentrale Thesen von Baumeister und Vohs (BuV) skandalös zu nennen. Eine kritische Stellungnahme zu den Thesen von BuV konnte ich nicht finden. Zu einer fundierten eigenen Kritik sah ich mich nicht im Stande, zumal ich grundsätzlich die Ausgangsposition von BuV teile, nämlich die Annahme, dass die Geschlechterbeziehungen sich als Austauschverhältnis modellieren lassen und dass es daher auch möglich sein müsste, sie einer quasi-ökonomischen Analyse zu unterziehen. Nun lese ich, dass Roy F. Baumeister mit Hilfe eines großzügig dotierten Humboldt-Forschungspreises für einen längeren Forschungsaufenthalt nach Bamberg kommt. In der Ankündigung heißt es, er zähle zu den 30 einflussreichsten Psychologen aller Zeiten. Außerdem finde ich einen brandneuen Artikel von Catherine Hakim, The Male Sexual Deficit: A Social Fact of the 21st Century [1]International Sociology 30, 2015, 314–335. Da ist wohl doch noch eine Fortsetzung fällig.

Was zunächst den Artikel von Hakim betrifft, so verteidigt sie die These vom männlichen Sexdefizit gegen die feministische Kritik, es handle sich dabei um einen entlarvten Mythos. Viel Neues bietet Hakim nicht. Sie kann immerhin eine eindrucksvolle Menge sozialempirischer Untersuchungen heranziehen. Sie betont zwar, dass das Design der Untersuchungen für eine adäquate Metastudie zu unterschiedlich sei, meint aber doch, aus den vielen Primärstudien und manchen Zusammenfassungen entnehmen zu müssen, das männliche Sexdefizit sei eine kulturell universell anzutreffendes Phänomen. Mir erscheint Hakims Ergebnis auf Grund der mitgeteilten Daten einleuchtend. Ich kann aber nicht wirklich beurteilen, ob sie das Feld richtig bestellt hat.

Auch Roy F. Baumeister und Kathleen D. Vohs (BuV), die sich selbst als Erfinder der Sexualökonomik vorstellen, gehen, wie früher schon, von der Sexdefizit-These aus.

»In simple terms, we proposed that in sex, women are the suppliers and men constitute the demand (Baumeister and Vohs 2004) [2]Roy F. Baumeister/Kathleen D. Vohs, Sexual Economics: Sex as Female Resource for Social Exchange in Heterosexual Interactions. Personality and Social Psychology Review 8, 2004, 339–63.. Sexual marketplaces take the shape they do because nature has biologically built a disadvantage into men: a huge desire for sex that makes men dependent on women.«

Im Grunde haben sie auch Hakims These vom »erotischen Kapital« vorweggenommen:

»Women certainly desire sex too—but as long as most women desire it less than most men, women have a collective advantage, and social roles and interactions will follow scripts that give women greater power than men (Baumeister et al. 2001) [3]Baumeister, Roy F./ Kathleen R. Catanese/ Kathleen D. Vohs, Is There a Gender Difference in Strength of Sex Drive? Views, Conceptual Distinctions, and a Review of Relevant Evidence. Personality and … Continue reading

In dem Aufsatz von 2012 geht es auf den ersten Blick um die Interpretation einer Untersuchung von Regnerus und Uecker aus dem Vorjahr über vorehelichen Sex und die Einstellung zur Ehe in den USA. [4]Mark Regnerus/Jeremy Uecker, Premarital Sex in Amercia: How Young Americans Meet, Mate and Think about Marrying. New York: Oxford University Press, 2011. Ich habe das Buch nicht in der Hand gehabt. Unter der Hand wird daraus jedoch eine sexualökonomische Erklärung mehr oder weniger aller sozialen Beziehungen, die im Geschlechterverhältnis relevant sind, aus dem Marktungleichgewicht von Angebot und Nachfrage nach sexuellen Kontakten. Das meiste war schon in früheren Arbeiten zu lesen, doch nicht so bündig und plakativ. Ich kann mir schwer vorstellen, dass die Sache so einfach ist.

Wenn ich im Folgenden Thesen und Zitate von BuV anführe, so geschieht das nicht affirmativ, sondern in der Überzeugung, dass andere, die in diesem Diskursfeld besser zu Hause sind, sich damit ernsthaft auseinandersetzen sollten.

Im Mittelpunkt der Arbeit von BuV steht die These, die historisch über lange Zeit und in vielen Gesellschaften zu beobachtende kulturelle Unterdrückung weiblicher Sexualität sei mit Hilfe der Sexualökonomie besser zu erklären als mit den geläufigen evolutionspsychologischen oder feministisch-konstruktivistischen Theorien, denn Frauen hätten sich selbst Zurückhaltung im Umgang mit ihrer Sexualität auferlegt, um, ähnlich wie die OPEC beim Öl, durch Verknappung des Angebots den Marktwert zu steigern.

»Similar to how OPEC seeks to maintain a high price for oil on the world market by restricting the supply, women have often sought to maintain a high price for sex by restricting each other’s willingness to supply men with what men want.«

Die sexuelle Revolution der 1970er Jahre lasse sich als Marktkorrektur erklären. Mit wachsender Gleichberechtigung seien die Frauen nicht länger darauf angewiesen, den Preis für Sex in die Höhe zu treiben.

»Recent work has found that across a large sample of countries today, the economic and political liberation of women is positively correlated with greater availability of sex (Baumeister and Mendoza 2011 [5]Roy F. Baumeister/ Juan Pablo Mendoza, Cultural Variations in the Sexual Marketplace: Gender Equality Correlates with More Sexual Activity. The Journal of Social Psychology, 151, 2011, 350 – … Continue reading). Thus, men’s access to sex has turned out to be maximized not by keeping women in an economically disadvantaged and dependent condition, but instead by letting them have abundant access and opportunity.«

Für die Männer sei das schlimm, denn solange Sex knapp war, mussten sie Leistungen vorweisen, um eine Frau zu erringen, und wurden auf diese Weise zu nützlichen Mitgliedern der Gesellschaft.

»The man’s overarching goal of getting sex thus motivated him to become a respectable stakeholder contributing to society.«

Die Leistungen der Männer erschöpften sich aber nicht in individuellen Karrieren, sondern sie seien schlechthin die Basis für Fortschritt aller Art:

»That fact can explain most of the history of gender relations, in which the gender near equality of prehistorical societies was gradually replaced by progressive inequality – not because men banded together to oppress women, but because cultural progress arose from the men’s sphere with its large networks of shallow relationships, while the women’s sphere remained stagnant because its social structure emphasized intense one-to-one relationships to the near exclusion of all else (see Baumeister 2010). All over the world and throughout history (and prehistory), the contribution of large groups of women to cultural progress has been vanishingly small.«

Was nunmehr seit einem halben Jahrhundert als Erfolg der Frauenpolitik erscheint, sei nichts weiter als sein großer Handel, in dem die Geschlechter hergäben, was ihnen weniger teuer sei, um Wichtigeres einzutauschen.

»Women, meanwhile, want not only marriage but also access to careers and preferential treatment in the workplace.«

Warum Frauen mehr wollen als Heirat und Kinder, dafür bleiben BuV freilich eine Erklärung schuldig. Die Männer aber, so meinen sie, machent sich für Sex zum Narren, indem sie den Frauen Zugang und sogar Vorzugsbehandlung in Schulen und Universitäten, Wirtschaft und Politik konzedierten, wiewohl doch der Aufbau all dieser Organisationen eine Männerleistung gewesen sei.

»All of this is a bit ironic, in historical context. The large institutions have almost all been created by men. The notion that women were deliberately oppressed by being excluded from these institutions requires an artful, selective, and motivated way of looking at them. Even today, the women’s movement has been a story of women demanding places and preferential treatment in the organizational and institutional structures that men create, rather than women creating organizations and institutions themselves. Almost certainly, this reflects one of the basic motivational differences between men and women, which is that female sociality is focused heavily on one-to-one relationships, whereas male sociality extends to larger groups networks of shallower relationships (e.g., Baumeister and Sommer 1997; Baumeister 2010). Crudely put, women hardly ever create large organizations or social systems.«

Zum Beschluss ein Zitat, das mich vollends vom Hocker gestoßen hat:

»Because of women’s lesser motivation and ambition, they will likely never equal men in achievement, and their lesser attainment is politically taken as evidence of the need to continue and possibly increase preferential treatment for them.«

Viel Spaß in Bamberg!

Anmerkungen

Anmerkungen
1 International Sociology 30, 2015, 314–335
2 Roy F. Baumeister/Kathleen D. Vohs, Sexual Economics: Sex as Female Resource for Social Exchange in Heterosexual Interactions. Personality and Social Psychology Review 8, 2004, 339–63.
3 Baumeister, Roy F./ Kathleen R. Catanese/ Kathleen D. Vohs, Is There a Gender Difference in Strength of Sex Drive? Views, Conceptual Distinctions, and a Review of Relevant Evidence. Personality and Social Psychology Review 5, 2011, 242–73.
4 Mark Regnerus/Jeremy Uecker, Premarital Sex in Amercia: How Young Americans Meet, Mate and Think about Marrying. New York: Oxford University Press, 2011. Ich habe das Buch nicht in der Hand gehabt.
5 Roy F. Baumeister/ Juan Pablo Mendoza, Cultural Variations in the Sexual Marketplace: Gender Equality Correlates with More Sexual Activity. The Journal of Social Psychology, 151, 2011, 350 – 360.

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»Erotisches Kapital« und »Sexdefizit«: Auf dem Weg zur ökonomischen Analyse des Geschlechterverhältnisses

Wo bleibt die Frauenpower? Mit dieser Frage und der Ankündigung einer Fortsetzung endete der Eintrag vom 29. 12. 2013. Ich hatte zwar schon einige Literatur gesammelt und eine gewisse Vorstellung, wie es weitergehen könnte, hatte aber nicht bedacht, dass ich zunächst einigen Prämissen, die sich vielleicht als Vorurteile herausstellen könnten, gründlicher nachgehen müsste. Diese Arbeit will und kann ich nicht leisten. Deshalb begnüge ich mich damit, diese Prämissen hier offen zu legen.

1. Der sexnegative Feminismus, der in jedem Geschlechtsverkehr eine kleine Vergewaltigung erblickt, ist ein Eigentor.
2. Der Belohnungswert sexueller Befriedigung ist für Frauen an sich nicht geringer als für Männer.
3. Weil der Verkehr für Frauen andere Folgen haben kann als für Männer, hat die Evolution Frau und Mann mit einem unterschiedlichen Appetenzverhalten hinsichtlich sexueller Kontakte mit dem anderen Geschlecht ausgestattet.

Dies vorausgeschickt, lässt sich mit einiger Sicherheit sagen, dass die männliche Nachfrage nach Sexualität größer ist als das weibliche Angebot.

Hakim, die viele Quellen ausgewertet hat, kommt zu dem Ergebnis, »dass der männliche Bedarf an sexueller Betätigung und sexueller Vielfalt über das ganze Leben gesehen im Durchschnitt zwei bis zehnmal höher ist als das sexuelle Interesse von Frauen« [1]Catherine Hakim, Erotisches Kapital, 2011, S. 73. Ich will und kann die Quellen, auf die Hakim und andere sich stützen, nicht prüfen und diskutieren. [2]Zusätzlich habe ich nur noch Roy F. Baumeister/Kathleen R. Catanese/Kathleen D. Vohs, Is There a Gender Difference in Strength of Sex Drive? Views, Conceptual Distinctions, and a Review of Relevant … Continue reading Nur einen ganz kleinen Zweifel will ich anmelden. Wenn in den zitierten Untersuchungen immer wieder davon die Rede ist, Männer berichteten über zehnmal so viele Sexualpartner wie Frauen, dann stellt sich doch die Frage, wo diese Partner(innen) in der Statistik bleiben. Eine gewisse Bestätigung für den männlichen Nachfrageüberhang liefert immerhin die Tatsache, dass Prostitution ein weibliches Phänomen ist, mag es hier und da auch Strichjungen oder Callboys geben. Eine Nebenrolle spielen Männer, die das weibliche Geschlecht angenommen haben. Die Nachfrage kommt praktisch ausschließlich von der Männerseite.

Den männlichen Nachfrageüberhang bezeichnet Hakim als Sexdefizit. Frauen sind damit Anbieter eines knappen Gutes. Dieses Angebot hat Hakim auf den Begriff des erotischen Kapitals gebracht.

Wenn dem so ist – und davon gehe ich aus –, drängt sich die Frage auf, warum Frauen den Nachfrageüberhang auf der Männerseite oder umgekehrt ihr erotisches Kapital nicht in einen Machtgewinn umsetzen können. Wo also bleibt die Frauenpower? Selbstverständlich kommt es immer wieder vor, dass Frauen ihre sexuelle Attraktivität benutzen, um dadurch Vorteile jenseits einer bloß sexuellen Beziehung zu erlangen. Soziologisch geht es jedoch um die Frage, ob und wie der männliche Überhang an Nachfrage nach Sexualität strukturell auf das Geschlechterverhältnis einwirkt. Nach der Situationslogik des Tausches könnte man vermuten, dass sich die Sozialstruktur ganz allgemein im Sine eines Matriarchats und einer Diskriminierung der Männer entwickelt hätte. Aber soziale Institutionen entwickeln sich nicht ohne weiteres »logisch«. Vielleicht hilft die ökonomische Analyse des Geschlechterverhältnisses hier weiter.

Der Begriff der Sexualökonomie ist durch den Psychoanalytiker Wilhelm Reich vorgeprägt oder gar belastet. Reich gründete 1934 im dänischen Exil eine Zeitschrift für Politische Psychologie und Sexualökonomie, die vier Jahre Bestand hatte. [3]Wikipedia, Artkel »Zeitschrift für Politische Psychologie und Sexualökonomie« Das sollte aber kein Hindernis sein, diesen Begriff unbefangen für eine ökonomische Analyse der Sexualbeziehungen zu verwenden. Dabei sollte klar sein, dass es allenfalls am Rande wie bei der Prostitution um einen direkten Tausch von Sexualität gegen Geld oder andere materielle Werte geht, sondern viel allgemeiner um sozialen Tausch, bei dem Angebot und Nachfrage nach Sexualität im weitesten Sinne eine Rolle spielen.

Die ökonomische Analyse des Geschlechterverhältnisses nach dem Vorbild der Arbeiten von Gary Becker hat sich bisher auf die Partnerwahl und die Arbeitsverteilung innerhalb der Ehe konzentriert. Dabei wurden die sexuellen Beziehungen als solche nicht in Rechnung gestellt. Das beginnt sich jetzt zu ändern. Auf der einen Seite sind es Psychologen, die die weibliche Sexualität als Handlungsressource in den Blick nehmen. [4]Roy F. Baumeister/Kathleen D. Vohs, Sexual Economics: Sex as Female Resource for Social Exchange in Heterosexual Interactions, Personality and Social Psychology Review 8, 2004, 339-363; dies., Sexual … Continue reading Sie ordnen sich selbst nicht der ökonomischen Analyse, sondern der sozialen Austauschtheorie zu. Auf der anderen Seite sind es Soziologen, an ihrer Spitze Hakim [5]Catherine Hakim, Erotic Capital, European Sociological Review 26, 2010, 499-518., die analog zu den Begriffen Sozialkapital, Humankapital und kulturelles Kapital das Konzept des erotischen Kapitals entwickeln.

Den Begriff des sexuellen Kapitals hatte bereits Robert T. Michael als Erweiterung des Konzepts »Gesundheitskapital« zur Debatte gestellt. [6]Robert T. Michael, Sexual Capital: An Extension of Grossman’s Concept of Health Capital, Journal of Health Economics 23, 2004, 643-652. Michael definiert: »A person’s sexual capital will be defined as the present value of flow of benefits from sexual enjoyment over the remaining lifetime.«, um dann zu erklären, welchen Risiken dieses Kapital ausgesetzt ist – vor allem dem Risiko der Ansteckung mit HIV beim Geschlechtsverkehr – und mit welchen Kosten es erhalten werden muss. Die Definition erfasst deshalb auch nur den Gebrauchswert des Sexualkapitals, nicht seinen Tauschwert, um den es geht, wenn Angebot und Nachfrage zur Debatte stehen.

Hakims Konzept ist eine offene Analogie zu Bourdieus Trias von ökonomischem, kulturellem und sozialem Kapital [7]Pierre Bourdieu, Ökonomisches Kapital, kulturelles Kapital, soziales Kapital, in: Reinhard Kreckel (Hg.), Soziale Ungleichheiten, Göttingen 1983, S. 183-198.. Doch sie gibt dieser Analogie eine individualistische Färbung, mit der die Fragestellung, um die es mir geht, nicht zu beantworten ist. Mindestens die populäre oder gar populistische Ausschlachtung des Konzepts durch das nachfolgende Buch lässt sich aus gutem Grund kritisieren, denn sie läuft darauf hinaus, den Einzelkampf mit den »Waffen einer Frau« zu legitimieren. [8]Aus der feministischen Szene gab es wütende Kommentare, z. B. auf dem Blog »Another Angry Woman« Eine ernsthafte Rezension habe ich nicht gefunden. Immerhin war Hakim im WZB zu einer … Continue reading Ganz abgesehen davon, dass eine solche Aufwertung des (individuellen) erotischen Kapitals eine Mehrheit von Minderbemittelten zurücklässt, sind Paarbeziehungen und andere Begegnungen zwischen Frau und Mann sehr viel komplexer. Das ändert aber nichts daran, dass sich solche Beziehungen und Begegnungen mit den Instrumenten der Tauschtheorie und/oder der ökonomischen Analyse untersuchen lassen. Darüber will ich nach Möglichkeit in einem weiteren Beitrag berichten.

Anmerkungen

Anmerkungen
1 Catherine Hakim, Erotisches Kapital, 2011, S. 73.
2 Zusätzlich habe ich nur noch Roy F. Baumeister/Kathleen R. Catanese/Kathleen D. Vohs, Is There a Gender Difference in Strength of Sex Drive? Views, Conceptual Distinctions, and a Review of Relevant Evidence, Personality and Social Psychology Review 5, 2001, 242-273, herangezogen.
3 Wikipedia, Artkel »Zeitschrift für Politische Psychologie und Sexualökonomie«
4 Roy F. Baumeister/Kathleen D. Vohs, Sexual Economics: Sex as Female Resource for Social Exchange in Heterosexual Interactions, Personality and Social Psychology Review 8, 2004, 339-363; dies., Sexual Economics, Culture, Men, and Modern Sexual Trends, Society 49, 2012, 520-524; Kathleen D. Vohs/Jannine Lasaleta, Heterosexual Sexual Behavior Is Governed by Social Exchange and Basic Economic Principles: Sexual Economics Theory, Minnesota Journal of Law, Science & Technology 9, 2008, 785-802.
5 Catherine Hakim, Erotic Capital, European Sociological Review 26, 2010, 499-518.
6 Robert T. Michael, Sexual Capital: An Extension of Grossman’s Concept of Health Capital, Journal of Health Economics 23, 2004, 643-652.
7 Pierre Bourdieu, Ökonomisches Kapital, kulturelles Kapital, soziales Kapital, in: Reinhard Kreckel (Hg.), Soziale Ungleichheiten, Göttingen 1983, S. 183-198.
8 Aus der feministischen Szene gab es wütende Kommentare, z. B. auf dem Blog »Another Angry Woman« Eine ernsthafte Rezension habe ich nicht gefunden. Immerhin war Hakim im WZB zu einer Vortragsveranstaltung eingeladen, und auch die FAZ hielt das Buch für wichtig genug, um es kurz (von Thomas Karlauf am 8. 110. 2011) besprechen zu lassen.

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Prostitution und Frauenpower

Die aktuelle Debatte um die Kriminalisierung der Prostitution interessiert mich nicht wirklich. Und so habe ich auch nicht alle Zeitungsbeiträge und schon gar nicht das Buch von Alice Schwarzer gelesen. Gelesen habe ich aber, was Martha Nussbaum in der Stanford Encyclopedia of Philosophy über »Feminist Perspectives on Sex Markets« schreibt. Dem habe ich nichts hinzuzufügen. Für die Rechtssoziologie interessiert aber die empirische Basis der Diskussion. Interessanter noch wäre eine prinzipielle Verzerrung der Diskussion, die auf die Wahrnehmung des Geschlechterverhältnisses im Allgemeinen zurückwirken könnte. Eine solche Verzerrung könnte durch eine ökonomische Analyse der Sexualität zu Tage treten.
Gegenüber der Prostitution sind zwei gegensätzliche Positionen denkbar und werden vertreten, eine prohibitionistische und eine individualistisch-liberale. [1]Ausführlich und differenziert Joachim Renzikowski, Reglementierung von Prostitution: Ziele und Probleme – eine kritische Betrachtung des Prostitutionsgesetzes. Gutachten im Auftrag des BMFSFJ, o. … Continue reading Die eine sieht in der Bezahlung von sexuellen Diensten eine Form der Gewaltausübung gegen Frauen und eine unmoralische Kommodifizierung der Sexualität. Konsequenz ist die Ächtung der Prostitution und ihre Bekämpfung, insbesondere auch mit strafrechtlichen Mitteln. Diese Auffassung ist so weit verbreitet, dass von einem moralischen Kreuzzug gegen die Prostitution [2]Ronald Weitzer, Moral Crusade Against Prostitution, Society 43, 2006, 3-38. die Rede ist. Heimat vieler Kreuzritter ist Schweden, von wo aus sie das »Schwedische Modell« in Europa und darüber hinaus zu verbreiten suchen. Man staunt, dass sich auch DER SPIEGEL, der sich sonst viel auf seine Liberalität zugutehält, der Kriminalisierungskampagne angeschlossen hat. [3]Dazu erfrischend und voller Information die Stellungnahme des Frankfurter Huren-Unterstützungsvereins Doña Carmen vom 29. 5. 2013.
Die andere individualistische Auffassung betont die Autonomie der Frauen, und damit deren Recht, auch sexuelle Dienstleistungen anzubieten. Sie ist der Ansicht, dass eine Entkriminalisierung den betroffenen Frauen helfen würde. Selbstverständlich besteht Einigkeit, dass bestimmte Begleiterscheinungen der Prostitution kriminalisiert bleiben und bekämpft werden müssen. Das gilt vor allem für Frauenhandel. Aber schon bei der Frage nach zulässigen Organisationsformen der Prostitution (Bordell, Zuhälter) scheiden sich die Geister, und kaum weniger umstritten ist, wieweit rechtlich nicht verbotene Prostitution öffentlich sichtbar werden darf.
Die aktuelle Debatte stützt sich auf die These, dass die Legalisierung der Prostitution in Deutschland insofern einen perversen Effekt gehabt habe, als nicht nur allgemein der Sexmarkt gewachsen, sondern insbesondere auch die illegalen Begleiterscheinungen Frauenhandel und Zwangsprostitution zugenommen hätten. »Liberale Gesetzgebung scheint ›moderne Sklaverei‹ zu begünstigen«, so wird eine neuere Studie aus der London School of Economics [4]Seo-Young Cho /Axel Dreher/Eric Neumayer, Does Legalized Prostitution Increase Human Trafficking? World Development 41, 2012, 67-82. angepriesen [5]In einer Pressemeldung der Universität Heidelberg.. Henning und Walentowitz sind der Herkunft der von den Autoren verwendeten Daten nachgegangen mit dem Ergebnis »bei Licht betrachtet handelt es sich um Datenmüll – bestens geeignet allerdings, um politisch opportune Botschaften zu verbreiten«. [6]Juanita Henning/Gerhard Walentowitz, 10 Jahre Prostitutionsgesetz: Mehr Menschenhandel durch Legalisierung von Prostitution? Ein aktuelles Lehrstück über den Umgang von Wissenschaft mit dem Thema … Continue reading Nicht weniger kritisch äußert sich Tim Worstall in FORBES vom 15. 6. 2013. Sein Hauptargument lautet, da werde nicht sauber zwischen Frauenhandel und illegaler Immigration prostitutionswilliger Frauen unterschieden. Der Artikel endet:
»Finally, there’s simply the sheer implausibility of the claims that 30% of all prostitutes are trafficked (sex slavery). Prostitution is the ultimate in personal services: it really is one thing where the supplier and the customer have to meet in person. There’s a claim (not one this paper makes) for the UK that 25,000 such sex slaves are in such servitude in any one year. The idea that none of them ever indicate their plight to any of the hundreds of thousands of men who make up their clientele, or that if they do none of those men reports it to police, is simply fantastical. No one with any experience of real live human beings could possibly believe it.«
Auch sonst bleibt die empirische Basis der aktuellen Diskussion dürftig. Sie kann sich allenfalls auf Einzelfallberichte berufen. Eindrucksvoll ist ein Bericht von Martin Wittmann in der Heimlichen Juristenzeitung vom 11. 4. 2008 »Prostituierte aus Nigeria: Bestellt verraten und verkauft«. Die vom Bundesfamilienministerium in Auftrag gegebene Untersuchung über »Auswirkungen des Prostitutionsgesetzes« von 2005 [7]Cornelia Helfferich/Barbara Kavemann/Beate Leopold/Heike Rabe, Untersuchung zu den Auswirkungen des Prostitutionsgesetzes, hg. vom Bundesministerium für Familie usw., Berlin 2005, online: … Continue reading ist zu langweilig, um alle 309 Seiten gründlich zu lesen. Langweilig ist auch das APuZ-Themenheft »Prostitution« vom Februar 2013. Immerhin erfährt man da, dass es keine belastbaren Zahlen zum Menschenhandel gibt, ferner dass nach Befragungen von Sexarbeiterinnen aus Bulgarien und Rumänien der weitaus größte Teil von ihnen aus freier Entscheidung zum Erwerb des Lebensunterhaltes der Prostitution nachgeht. [8]Barbara Kavemann/Elfriede Steffan, Zehn Jahre Prostitutionsgesetz und die Kontroverse um die Auswirkungen, APuZ 63, 9/2013, S. 9ff, 14.
In Schweden ist die Prostitution seit 1999 durch eine Strafandrohung für Freier indirekt verboten. Außerdem ist Zuhälterei und die Vermietung von Räumen zu Prostitutionszwecken unter Strafe gestellt. Es hat wiederholt amtlich veranlasste Gesetzesevaluierungen gegeben, alle mit dem Ergebnis, dass Freier abgeschreckt würden, die Prostitution abgenommen habe, dass der Menschenhandel zu Prostitutionszwecken zurückgegangen sei und dass die Einstellung des Publikums im Sinne des Gesetzes verändert habe. Ich kann die schwedischen Veröffentlichungen nicht lesen und beziehe mich daher auf Susanne Dodillet und Petra Östergren, die ausführen, dass die vorliegenden Daten solche Erfolgsmeldungen nicht stützen. [9]Susanne Dodillet/Petra Östergren, The Swedish Sex Purchase Act: Claimed Success and Documented Effects, Manuskript, 2011. Zudem gebe es eine ganze Reihe für die eigentlich schutzbefohlenen Sexarbeiterinnen negative Effekte. Strafe und intensive Verfolgung vertreiben gerade die Freier, die Prostituierten am wenigsten belasten. Stattdessen wächst die Zahl der risikobereiten Kunden, die sich ohnehin in der Kriminalitätszone bewegen und daher kaum abzuschrecken sind. Die Preise verfallen und die Bereitschaft zu ungeschütztem Sex und zu problematischen Praktiken steigt.
Dürftig scheint die empirische Basis auch zu sein, wenn man das sprichwörtlich älteste Gewerbe der Welt allgemeiner als Marktgeschehen betrachtet. Da wird mit großen Zahlen herumgeworfen, deren Quelle ebenso unklar ist wie eine brauchbare Interpretation. Gerheim hält in der Einleitung seines Buches über »Die Produktion des Freiers« (2012) einleitend fest, es ist »lediglich eine einzige quantitative Studie … zu verzeichnen, die von einem Annäherungswert von 18 % dauerhaft aktiver Prostitutionskunden der geschlechtsreifen männlichen Bevölkerung« ausgehe. »Die spärlichen anderen Daten bezüglich des Prostitutionsfeldes, wie 1.200.000 Kunden pro Tag, 400.000 Sexarbeiterinnen, davon ca 60 % Migrantinnen, 14,5 Mrd. Euro Jahresumsatz« … entpuppten sich bei genauerer Betrachtung lediglich als Schätzwerte oder Hochrechnung, die zum Teil auf Daten aus den 80er Jahren basierten. Gerheim resümiert, »dass zur Zeit keine verlässlichen und abgesicherten quantitativen Primärdaten über das soziale Feld der Prostitution existieren.« (S. 7)
Die beste »Marktstudie« ist wohl noch immer eine Untersuchung von Steven D. Levitt und Sudhir Alladi Venkatesh aus Chicago von 2007 zu sein: An Empirical Analysis of Street-Level Prostitution. Ich habe sie nur als Manuskript im Internet gefunden, das sich selbst als vorläufig bezeichnet. Einige der provozierenden Ergebnisse lauten etwa:
Verbrechen haben Täter und Opfer. Der Täter sucht nach einem Opfer, während potentielle Opfer möglichst vermeiden, mit ihnen zusammenzutreffen. Bei der Prostitution gibt es diese Rollenverteilung nicht. Beide suchen den Kontakt, weil beide glauben, davon zu profitieren. Und deshalb funktioniert Prostitution eben wie andere Märkte auch. Was die Preisfindung betrifft, so gibt es gängige Tarife. Im Einzelfall wird aber auch ein bißchen gehandelt, und vor allem gibt es Diskriminierung: Unappetitliche Kunden und Kunden einer anderen Rasse müssen mehr zahlen.
Der Prostitutionsmarkt ist räumlich konzentrierter als der Markt für Drogen. Das liegt einerseits daran, dass Dealer viele Kunden kennen, während Prostituierte sich an unbekannte Kunden wenden. Und es liegt andererseits daran, dass Drogenhandel viel stärker verfolgt wird, so dass räumliche Konzentration auch die Polizei leichter auf die Spur bringen würde. Auf Stundenlohn umgerechnet verdienten Prostituierte etwa drei Mal so viel wie ungelernte Arbeitskräfte. Arbeiteten sie mit einem Zuhälter, war ihr Einkommen um annähernd 50 % höher. Auch die Kunden fahren besser mit einem Zuhälter, denn diese legen Wert auf guten Service, damit die Kunden wiederkommen. In Chicago, wo die Prostitution strafbar ist, kam es doch nur relativ selten zu Strafanzeigen. Viele Polizisten verzichten darauf, wenn sie dafür umsonst bedient werden.
Auch das ist aber nur von begrenztem Interesse. Interessanter ist schon die Frage, ob das Phänomen der Prostitution nicht bloß Ausfluss der allgemeinen Marktlage im Geschlechterverhältnis ist, die durch einen männlichen Nachfrageüberhang gekennzeichnet ist. Spannend wäre aber zu wissen, warum – im Falle einer bejahenden Antwort – die Frauen ihre überlegene Marktposition nicht besser nutzen können. Wo bleibt die Frauenpower? Vielleicht kann ich dieser Frage in einem späteren Eintrag nachgehen.

Fortsetzung: »Erotisches Kapital« und »Sexdefizit«: Auf dem Weg zur ökonomischen Analyse des Geschlechterverhältnisses.

Anmerkungen

Anmerkungen
1 Ausführlich und differenziert Joachim Renzikowski, Reglementierung von Prostitution: Ziele und Probleme – eine kritische Betrachtung des Prostitutionsgesetzes. Gutachten im Auftrag des BMFSFJ, o. J.
2 Ronald Weitzer, Moral Crusade Against Prostitution, Society 43, 2006, 3-38.
3 Dazu erfrischend und voller Information die Stellungnahme des Frankfurter Huren-Unterstützungsvereins Doña Carmen vom 29. 5. 2013.
4 Seo-Young Cho /Axel Dreher/Eric Neumayer, Does Legalized Prostitution Increase Human Trafficking? World Development 41, 2012, 67-82.
5 In einer Pressemeldung der Universität Heidelberg.
6 Juanita Henning/Gerhard Walentowitz, 10 Jahre Prostitutionsgesetz: Mehr Menschenhandel durch Legalisierung von Prostitution? Ein aktuelles Lehrstück über den Umgang von Wissenschaft mit dem Thema »Menschenhandel«, Kritische Justiz , 2012, 460-465.
7 Cornelia Helfferich/Barbara Kavemann/Beate Leopold/Heike Rabe, Untersuchung zu den Auswirkungen des Prostitutionsgesetzes, hg. vom Bundesministerium für Familie usw., Berlin 2005, online: www.bmfsfj.de/doku/Publikationen/prostitutionsgesetz/.
8 Barbara Kavemann/Elfriede Steffan, Zehn Jahre Prostitutionsgesetz und die Kontroverse um die Auswirkungen, APuZ 63, 9/2013, S. 9ff, 14.
9 Susanne Dodillet/Petra Östergren, The Swedish Sex Purchase Act: Claimed Success and Documented Effects, Manuskript, 2011.

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