Folgen des Brexit für Arbeits- und Wissenschaftssprachen in der EU

Natürlich bleibt Englisch auch nach dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU weiterhin Amtssprache und offizielle Arbeitsssprache, denn mit Irland und Malta gibt es weiterhin zwei englischsprachige Mitgliedsländer. Anders könnte es mit den inoffiziellen (organinternen) Arbeitssprachen aussehen. Als solche hat sich das Englische weitgehend durchgesetzt und besonders das bis zum Beitritt 1972 dominierende Französisch zurückgedrängt.[1] Das wird sich kaum rückläufig entwickeln, denn die englische Sprache wird ihre Bedeutung als Lingua Franca behalten. Aber Italiener, Spanier und Deutsche werden auf stärkere Berücksichtigung ihrer Sprachen drängen. Aus Deutschland wird es allerdings wie bisher bei Lippenbekenntnissen bleiben. Die Sprachloyalität der deutschen Eliten ist so schwach, dass sie lieber weiterhin ihre Englischkenntnisse vorzeigen.

Als interne Arbeitssprache der Kommission müsste das Englische wohl zurücktreten.[2] Auch als Gerichtssprache sollte es weniger selbstverständlich werden. Auf die Wissenschaftssprache dürfte der Brexit weniger Einfluss nehmen. Hier ist die Hegemonie der englischen Sprache zu fest verankert. Immerhin könne sich bei der Antragspraxis etwas ändern. Wer sich bisher an EU-Ausschreibungen beteiligen wollte, hat sich gehütet, in seiner Muttersprache zu schreiben, um sich nicht von vornherein als provinziell zu disqualifizieren (und nicht selten wegen der Sprachbarriere auf eine Beteiligung verzichtet). Nach Zeitungsberichten waren die Briten bei der Einwerbung von EU-Fördermitteln für die Wissenschaft besonders erfolgreich. Die bevorstehende Umverteilung wird interessant.

[1] Johannes Scherb, Amts- und Arbeitssprachen der EU. In: Bergmann (Hg.), Handlexikon der Europäischen Union. Baden-Baden 2012

[2] Ähnliches gilt wohl für den Ausschuss der Botschafter/innen der EU-Mitgliedstaaten der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik wird Englisch und Französisch und die Gremien der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik. Zu deren Sprachpraxis die Äußerung des Auswärtigen Amtes vom 5. 5. 2015.

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Berichtsforschung: Die Hegemonie der westlichen Sozialwissenschaft und der englischen Sprache

Heute habe ich einmal wieder einen neuen Bericht gefunden, nämlich den von der UNESCO und dem International Social Science Council herausgegebenen World Science Report 2010. Der Band trägt den Untertitel »Knowledge Divides«. Gemeint ist die Teilung der Welt in Länder mit mehr oder weniger entwickelter Sozialwissenschaft.

Social scientists produce work of outstanding quality and tremendous practical value, but, as this Report illustrates, social scientific knowledge is often the least developed in those parts of the world where it is most keenly needed – hence this publication’s title, ›Knowledge Divides‹.

Die Beiträge sind durchgehend sehr kurz (drei bis fünf Seiten) und entsprechend zahlreich. Ich habe mich zunächst auf die Kapitel vier (Uneven Internationalization) und fünf (Homogenizing or Pluralizing Social Sciences?) konzentriert und im Übrigen die 430 Seiten daraufhin durchgeblättert, was für die Rechtssoziologie von Interesse sein könnte. Heute will ich nur auf zwei Beiträge aus Kapitel 4 eingehen, nämlich auf

Yves Gingras/Sébastien Mosbah-Natanson, Where are Social Sciences Produced?(S. 149-153)
Ulrich Ammon, The Hegemony of English, S. 154-155.

Die Globalisierung der Kommunikation durch neue Technologien verlangt nach einer globalen Sprache. Als solche hat sich das Englische durchgesetzt. Durch den britischen Kolonialismus erhielt das Englische einen Startvorteil. Amerikanische Wirtschaftsmacht, zwei Weltkriege, in denen England und die USA dominierten, und schließlich der Zusammenbruch des Ostblocks haben die Expansion der englischen Sprache beschleunigt. Das Englische ist zur Sprache der internationalen Wirtschaft, der Wissenschaft, der Computerwelt, des Luftverkehrs und der Unterhaltungsindustrie geworden. Nicht zuletzt ist es auch die Sprache des internationalen Rechts. Es ist die Sprache der Globalisierung schlechthin. Das mittelalterliche Latein als die Lingua Franca seiner Zeit war insofern egalitär, als jeder es erst lernen musste. Das Englische dagegen ist »asymmetrisch« (Ammon). Es ist die Muttersprache nicht nur der Engländer und Amerikaner, sondern auch der meisten Australier und Neuseeländer, vieler Kanadier, Inder und anderer mehr. Sie haben damit einen Heimvorteil, der kaum aufzuholen ist. Es gilt das Prinzip der Vorteilsakkumulation (accumulated advantage; Matthäus-Prinzip).
94 % aller im Social Science Citation Index (SSCI) registrierten Artikel und 85 % der begutachteten sozialwissenschaftlichen Zeitschriften erscheinen in englischer Sprache, ebenso über 75 % der Publikationen, die in der International Bibliography of the Social Sciences verzeichnet sind (Gingras/Mosbah-Natanson S. 151). Die USA produzieren mit jährlich über 10.000 einschlägigen Arbeiten immer noch die Hälfte der sozialwissenschaftlichen Forschung. Dabei ist der relative Anteil der Amerikaner von 61 % im Zeitraum von 1988 bis 1997 auf 52,2 % im Zeitraum von 1998 bis 2007 zurückgegangen. Gestiegen ist aber vor allem der Anteil Europas, und zwar von 29, 1 auf 38 %. Das heißt, wer in den Schwellen- und Entwicklungsländern Sozialwissenschaften betreibt, ist weitgehend darauf angewiesen, für den Stand der Forschung »westliche«, vor allem amerikanische und europäische Literatur zu zitieren, und zwar Literatur in englischer Sprache. Der Informationsfluss der Wissensgesellschaft ist englisch gefärbt. Ammon spricht daher von der Hegemonie des Englischen.
[Fortsetzung folgt – vielleicht.]

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