Modernisierung durch Recht: Die klassische Modernisierungstheorie in neun Punkten III

Dieser Eintrag setzt die Postings vom 22. und vom 28. August fort, mit denen ich begonnen habe, die neun Punkte, in denen Samuel Huntington[1] die klassische Modernisierungstheorie zusammengefasst hat, zu repetieren und fortzuschreiben.

(6) Modernisierung vollzieht sich in Phasen. Alle Gesellschaften durchlaufen auf dem Weg zur Moderne unterscheidbare Stadien. … Das hat zur Folge, dass sich Gesellschaften danach vergleichen lassen, wie weit sie auf dem Wege der Modernisierung gekommen sind. Die Identifizierung von Phasen[2] ist heute nicht mehr wichtig, weil für das globale Monitoring Indikatoren entwickelt worden sind, die eine gleitende vergleichende Messung des Modernisierungsgrades gestatten. Wichtig bleibt aber, dass sich nach der klassischen Modernisierungstheorie keine Gesellschaft den Modernisierungsprozess entziehen kann. Allerdings müssen die Nachzügler nicht alle Phasen der Modernisierung ausführlich durchlaufen. In der Startphase werden Forschung und Entwicklung durch Nachahmung ersetzt. Technische Entwicklungen wie Flugzeug, Mobiltelefon und Satellitenkommunikation ersparen zum Teil den langwierigen Aufbau einer Infrastruktur. So haben die Tigerstaaten die Entwicklung von der Exportorientierung zum Massenkonsum im Eiltempo durchlaufen, und andere wie Vietnam, Malaysia und Indonesien machen es ihnen nach.

(7) Modernisierung ist ein Konvergenzprozess. Die traditionalen Gesellschaften sind so verschieden, dass manche sagen, sie hätten nicht mehr gemeinsam als dass sie nicht modern seien. Moderne Gesellschaften dagegen sind sich in vielerlei Hinsicht ähnlich. Modernisierung führt tendenziell zu Konvergenz. Die Konvergenzthese stützte sich zunächst auf einen ökonomischen Determinismus. Sie ging von der Annahme aus, dass Gesellschaften mit dem Übergang von der agrarischen zur industriellen Produktionsweise zunehmend komplexer werden, vergleichbaren Problemen gegenüberstehen und sich schließlich angleichen, indem sie für die auftauchenden Probleme ähnliche Lösungen wählen. Die Konvergenzthese ist das Kernstück der Modernisierungstheorie und sie ist besonders kontrovers. Deshalb muss sie bei Gelegenheit besonders behandelt werden.

(8) Modernisierung ist ein unumkehrbarer Prozess. Es mag vorübergehend Unterbrechungen und gelegentlich partielle Rückfälle geben. Aber als säkularer Trend ist die Modernisierung nicht aufzuhalten. … Das Tempo der Modernisierung ist von Gesellschaft zu Gesellschaft unterschiedlich. Aber die Richtung des Wandels ändert sich grundsätzlich nicht. Als Rückschritte auf dem Wege der Modernisierung gelten etwa das Pol Pot-Regime in Kambodscha oder Khomeinis Revolution im Iran. Die Nazidiktatur war sicher eine schlimme Rückentwicklung des politischen Systems, aber nach den Huntington-Kriterien war das System immer noch »modern«. Die Modernisierungstheorie kommt mit dem heimlichen Versprechen, dass solche »Rückfälle« nur temporär seien.



[1] Samuel P. Huntington, The Change to Change. Modernization, Development, and Politics, Comparative Politics 3, 1971, 283-322, S. 288ff. Daran orientiert sich auch Johannes Berger, Was behauptet die Modernisierungstheorie wirklich – und was wird ihr bloß unterstellt?, Leviathan 24, 1996, 45-62.

[2] Ein viel zitiertes Modell stammt von Walt W. Rostow (The Stages of Economic Growth, A Non-Communist Manifesto, 1960, hier zitiert nach der 3. Aufl., Cambridge [England], New York 1990). Es unterscheidet fünf Phasen: Die traditionelle Gesellschaft, eine Übergangsperiode, den Durchbruch zu andauerndem Wachstum, der in England in den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts stattfand, in Mitteleuropa und in den USA jedoch erst Jahrzehnte später. Es folgen eine Konsolidierungsperiode und schließlich das Zeitalter des Massenkonsums. Diese Phasen sind aber nicht auf die nachholende Modernisierung zugeschnitten.

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