Dorothea Jansen (1956-2017)

Erst jetzt erreicht mich die Nachricht vom Tod von Frau Professorin Dr. Dorothea Jansen am 12. Mai 2017. Schon vor fünf Jahren wurde sie von einer schleichenden Krankheit gepackt, so dass sie 2015 aus dem Dienst ausscheiden musste. Im Frühjahr dieses Jahres erlitt sie als Fußgängerin einen schweren Unfall, an dessen Folgen sie, gerade 60 Jahre alt, gestorben ist. Ich habe sie geschätzt und ihr viel zu verdanken, und ich will sie nicht vergessen. Der Nachruf der Universität Speyer hilft mir dabei nur beschränkt. Daher habe ich in ihren Arbeiten und in meinen Erinnerungen gesucht und mit einigen Kollegen gesprochen, die hier in Bochum mit ihr zusammen gearbeitet haben.

Publikationen und Lebenslauf sind weiterhin der Webseite von Frau Jansen zu entnehmen. Schon vor ihrem Diplom als Soziologin war Frau Jansen als studentische Hilfskraft im Forschungsprojekt »Bochumer Untersuchung im Rahmen der wissenschaftlichen Begleitung des Feldversuchs Bildschirmtext« tätig. Dies war ein Teilprojekt der umfassenden Projektbegleitung im Auftrag des Landes Nordrhein-Westfalen und der Deutschen Bundespost, für das Prof. Dr. Heiner Treinen und Prof. Dr. Helmut Kromrey verantwortlich waren. Nach dem Diplom 1982 übernahm sie als wissenschaftliche Angestellte die verantwortliche Projekt-bearbeitung. Aus dem Projekt entstanden zwei Abschlussberichte, die – nach einer Auskunft von Herrn Kromrey – im Wesentlichen von ihr formuliert wurden.[1]

Zum 1. März 1984 wechselte Frau Jansen an meinen Lehrstuhl in der Juristischen Fakultät, um dort die vom BMJ in Auftrag gegebene Begleitforschung zu der damals erneuerten Schiedsmannsordnung von Nordrhein-Westfalen zu betreuen.[2] Nachdem sie durch die Schule von Kromrey und Treinen gegangen war, verstand sie (nicht nur) etwas von Methoden. Damit gelang ihr eine vorbildliche empirische Untersuchung zu dem damals besonders aktuellen Thema der Justizalternativen.[3] Mit einem Teilthema aus diesem Projekt promovierte sie in der sozialwissenschaftlichen Fakultät.[4] Eine Kurzfassung der Dissertation erschien als Aufsatz in der Zeitschrift für Soziologie.[5] Auch in der Zeitschrift für Rechtssoziologie hat Frau Jansen zum Thema der Justizalternativen eine markante Spur hinterlassen.[6] Bemerkenswert, dass sie gegenüber der damals wie heute verbreiteten Euphorie der Informal-Justice-Bewegung eher distanziert blieb, etwa indem sie empirisch eine gewissen Voreingenommenheit der Schiedsleute durch den Erstkontakt mit dem »Antragsteller« aufzeigte und theoretisch den engen Blick auf personen-und rollenbezogene Konflikte zurechtrückte. Mit gutem Grund kritisch auch der Aufsatz über » Mediationsverfahren in der Umweltpolitik«.[7] Ohne ihre Vorarbeit wäre es nicht dazu gekommen, dass wir 2003/2004 nach der Einführung der obligatorischen Streitschlichtung durch § 15a EGZPO noch einmal eine größere Untersuchung zur außergerichtlichen Streitschlichtung durchführen konnten.[8] Ich muss gestehen, dass ich Frau Jansens ältere Aufsätze zur alternativen Streitregelung danach aus dem Blick verloren hatte, obwohl ich in den letzten Jahren Gelegenheit gehabt hätte, mich darauf zu berufen.

Es gab in den 1980er Jahren das Problem, dass ich als Mitglied der Juristischen Fakultät meinen nichtjuristischen Mitarbeitern keinen Einstieg in eine wissenschaftliche Karriere bieten konnte. So wechselte Frau Jansen Im Frühjahr 1988 für zwei Jahre als wissenschaftliche Mitarbeiterin an das Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung nach Köln, wo Renate Mayntz sie mit einem Thema betraute, aus dem ihre Habilitation erwuchs: Forschung und Forschungspolitik nach einem Durchbruch: Eine vergleichende Studie der Hochtemperatur-Supraleitungsforschung in der Bundesrepublik Deutschland und in Großbritannien.[9] Von 1990 bis 1995 war Frau Jansen dann wieder als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Ruhr-Universität Bochum am Lehrstuhl von Prof. Dr. Heiner Treinen tätig, wo sie ihre Habilitationsschrift fertig stellte. Das Verfahren wurde im Januar 1996 abgeschlossen. 1998 konnte ich Frau Jansen noch einmal für Artikel über »Methoden der empirischen Rechtssoziologie« und über »Statistische Auswertungsverfahren in der Rechtssoziologie« in dem Rechtsoziologieband des damals vom Luchterhand-Verlag veranstalteten »Ergänzbaren Lexikon des Rechts« gewinnen (das inzwischen wohl eingeschlafen ist). Und 1999 erschien ein Schwerpunktheft der Zeitschrift für Rechtssoziologie »Umwelt- und sozialverträgliches Wirtschaften im vereinten Europa«, das Frau Jansen zusammen mit Stefan Machura besorgt hatte.

Es ist kein Zufall, dass der Karriereweg von Frau Jansen schließlich auf einen Lehrstuhl an die Universität für Verwaltungswissenschaften nach Speyer geführt hat, also an eine im Kern von Juristen geprägte Institution, wo ihr das Deutsche Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung zusätzlich zu dem Lehrstuhl eine institutionelle Basis bot. Die Verbindung zur Rechtssoziologie hat Frau Jansen dort allerdings zu meinem Kummer nicht mehr intensiv gepflegt. Das hätte ich aber an ihrer Stelle sicher nicht anders gehandhabt. Ihre neuen Schwerpunkte waren der Organisationswandel im Wissenschaftssystem und die Theorie der Netzwerke.[10] Auch die Affinität zur Technik, die Frau Jansen mit ihren Untersuchungen zu BTX und zu den Supraleitungs-Forschungen gezeigt hatte, lebte in einem Projekt über » Diffusion von Energieeffizienz und Klimaschutzinnovationen im öffentlichen und privaten Sektor« wieder auf.[11] Das erstgenannte Thema, mit dem Frau Jansen die ihr von Renate Mayntz anvertraute Thematik in abstrakterer Weise wieder aufnahm, habe ich nicht weiter verfolgt. Die Theorie der Netzwerke dagegen war mir eine große Hilfe bei meinen Versuchen, mich mit den in der Rechtstheorie vagabundierenden Netzwerken auseinanderzusetzen.[12] Das Netzwerkthema hatte bei Frau Jansen einen höchst praktischen Hintergrund, nämlich Unternehmensnetzwerke im Ruhr-Gebiet. Dazu startete sie 1997 auf einer Bochumer Tagung über »Regionale Netzwerke – Realität oder Fiktion« mit einem Beitrag über »Theoretische Annäherungen an den Netzwerkbegriff«.[13] Aus diesem Hintergrund hat sich auch eine Arbeit entwickelt, die mir entgangen ist, die ich aber wegen der andauernden Aktualität des Themas bei nächster Gelegenheit einsehen will. Sie trägt den Titel »Zur Organisation des Gründungserfolgs. Eine organisationstheoretische Untersuchung des Erfolgs neu gegründeter Betriebe im Ruhrgebiet«[14].

Ich habe Frau Jansen als Person deutlich vor Augen, ohne dass dazu das Bild in ihrem Lebenslauf nachhelfen müsste. Aber die persönlichen Erinnerungen sind nach bald 30 Jahren ausgedünnt. In der Erinnerung sind eher Trivialitäten als die Hauptsache zurückgeblieben. 1985 waren wir zusammen zum Annual Meeting der Law and Society Association in San Diego. Der Dollarkurs lag damals mit etwa 3,40 DM so hoch, dass sich nicht alle deutschen Teilnehmer das wunderbare San Diego Hilton Hotel leisten konnten, sondern in ein billigeres Motel ziehen mussten. Ich sehe noch, wie Frau Jansen dennoch den Swimmingpool des Tagungshotels genoss. Das hinderte sie wiederum nicht, ihren Vortrag zu halten und die Tagung aufmerksam zu verfolgen. Darüber hat Frau Jansen, zusammen mit Konstanze Plett, in der Zeitschrift für Rechtssoziologie 6, 1985, 336-338, zeitnah und gehaltvoll berichtet, ebenso über die Tagung in Chicago 1986[15].

Frau Jansen ging der etwas undistanzierte kumpelhafte Charakter ab, den man in Bochum nicht ganz selten antrifft. Ernsthaft und zuverlässig, zielstrebig und bestimmt, planmäßig und effektiv, das sind wohl die Attribute, die am besten zu ihr passen. Soweit ich gehört habe, hat sie damit auch in Speyer viel bewegt. Ich hätte ihr gewünscht, sie wäre viel älter noch als ich geworden.

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[1] Veröffentlicht als Teil 1: H. Kromrey, D. Jansen: Bochumer Untersuchung … Ergebnisbericht der Gruppendiskussionen, Bochum, Jan. 1983 Teil 2: H. Kromrey, D. Jansen: Bochumer Untersuchung … Systematische Inhaltsanalyse der Gruppendiskussionen, Mai 1984. Zu den insgesamt aus dem Projekt entstandenen Veröffentlichungen vgl. die Webseite von Helmut Kromrey: http://www.hkromrey.de/html/forschung.html.

[2] Dorothea Jansen unter Mitarbeit von Gabriele Schwarz, Das Güteverfahren vor dem Schiedsmann – ein alternatives Vermittlungsverfahren in zivilrechtlichen Streitigkeiten?, in: Klaus F. Röhl (Hg.), Das Güteverfahren vor dem Schiedsmann. Soziologische und kommunikationswissenschaftliche Untersuchungen 1987, 1-397. (Die kommunikationswissenschaftlichen Untersuchungen liefen im Institut für Deutsche Sprache in Mannheim.

[3] Damals konnten wir uns den Luxus leisten, als Anhang zu der Textdarstellung auf 140 Seiten die gesamten Materialien (Fragebögen mit Auszählungen, Anschreiben, Diskussionsleitfäden abzudrucken (a.a.O. S. 390-540) abzudrucken. Sie vermitteln von dem Aufwand einer solchen Untersuchung.

[4] Die Dissertation ist veröffentlicht als Jansen, Dorothea, Ein entscheidungstheoretisches Modell zur Analyse von Vermittlungsverfahren. Eine empirische Untersuchung am Beispiel des Güteverfahrens vor dem Schiedsmann, 1987.

[5] Ein entscheidungstheoretisches Modell zur Analyse des Vermittlungsverfahrens vor dem Schiedsmann, Zeitschrift für Soziologie 17, 1988, 3-18. (Auf der Webseite wird fälschlich die Zeitschrift für Rechtssoziologie genannt.)

[6] Parallelen in Sozial- und Rechtspolitik. Ein Vergleich der Diskussion zur Selbsthilfe und zu Alternativen zum Recht, Zeitschrift für Rechtssoziologie 9, 1988, 1-35.

[7]Dorothea Jansen, Mediationsverfahren in der Umweltpolitik, PVS 38, 1997, 274-297.

[8] Klaus F. Röhl/Matthias Weiß, Die obligatorische Streitschlichtung in der Praxis, Münster 2005.

[9] Veröffentlicht als: Hochtemperatursupraleitung – Herausforderungen für Forschung, Wirtschaft und Politik Ein Vergleich Bundesrepublik Deutschland – Großbritannien, 1998.

[10] 1999 erschien die 1. Aufl. ihrer »Einführung in die Netzwerkanalyse« (3. Aufl. 2006). Vorläufer war 1998 der Beitrag »Theoretische Annäherungen an den Netzwerkbegriff« Ein Discussion Paper von 2004 »Networks, Social Capital, and Knowledge Production« hat noch 2017 Aufnahme in einen Sammelband gefunden (Betina Hollstein u. a. (Hg.), Networked Governance, S. 15-42). Ein anderes Discussion Paper »Theoriekonzepte in der Analyse sozialer Netzwerke« steht noch im Netz. Einen Beitrag über »Netzwerke als soziales Kapital« hat Frau Jansen 2011 zusammen mit Rainer Diaz-Bone in dem von Johannes Weyer hg. Band »Soziale Netzwerke« veröffentlicht.

[11] Ausführliche Hinweise bei GESIS.

[12] Die Rechtstheorie ist schlecht vernetzt, in: Aarnio Aulis u. a. (Hg.), Positivität, Normativität und Institutionalität des Rechts. Festschrift für Werner Krawietz zum 80. Geburtstag, Berlin 2013, S. 537-565; ferner: Rechtssoziologie-Online.de: § 56 Soziale Netzwerke.

[13] Die Tagungsbeiträge stehen hg. von Rolf G. Heinze und Heiner Minssen im Netz: https://www.sowi.rub.de/mam/content/fakultaet/diskuss/dp98-4.pdf.

[14] Dorothea Jansen/Mike Weber, Zur Organisation des Gründungserfolgs, Eine organisationstheoretische Untersuchung des Erfolgs neu gegründeter Betriebe im Ruhrgebiet, 2003. Mit diesem Buch hängt sicher auch das Discussion Paper »Supporting Newly Founded Firms – Personal and Professional Networks« von 2003 zusammen.

[15] Dorothea Jansen/Konstanze Plett, Bericht von der Jahrestagung der Law and Society Association in Chicago und von der National Conference on Peacemaking and Conflict Resolution (NCPCR) in Denver, Zeitschrift für Rechtsoziologie 7, 1986, 324-326.

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Franz von Benda-Beckmann (1941-2013)

Franz von Benda-Beckmann ist am 7. Januar in Amsterdam gestorben. Auf der Webseite des Max-Planck-Instituts für ethnologische Forschung in Halle, seit dem Jahre 2000 seine Wirkungsstätte, die er zusammen mit seiner Frau Keebet aufgebaut hatte, ist das nicht zu erkennen. Von seinem Tod erfuhr man nur durch eine Anzeige in der SZ und einen Nachruf der Commission on Legal Pluralism.

Legal Pluralism war das große Thema der beiden von Benda-Beckmanns, und damit sind ihre Arbeiten auch Teil der Rechtssoziologie. In früheren Jahren hat Franz von Benda-Beckmann auch in der Zeitschrift für Rechtssoziologie und im Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie publiziert. [1]Das rechtliche Verfahren in der Rechtsethnologie: Versuch zu einem interkulturell anwendbaren Bezugsrahmen, Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie Band 4, 1976, 357-376; Individualisierung … Continue reading Ich habe diese Titel noch einmal überflogen und fand die Lektüre der Mühe wert.

»Individualisierung und Kriminalität« von 1982 ist der Situation in den Entwicklungsländern gewidmet, wo traditionelle oder neotraditionelle Lebensformen durch die Modernisierung im Allgemeinen und die Urbanisierung im Besonderen zerstört werden. Vieles klingt heute selbstverständlich. Aber zwei Gedanken wirken immer noch frisch. Der eine besagt, dass die Geldwirtschaft (»Vergeldlichung«) die traditionellen Beziehungen auflöst. Was hier Ursache und was Wirkung ist, mag dahinstehen. Aber dass und wie die Lockerung sozialer Beziehungen mit der Verwendung von Geld einhergeht, wird in der Soziologie nicht hinreichend gewürdigt. Wohltuend, dass von Benda-Beckmann die Interpretation dieser Lockerung als Freiheitsgewinn nicht einfach zurückweist. Der zweite Gedanke, der mir immer noch wichtig erscheint, betont, dass »die Zersetzung der traditionalen Mechanismen vorbeugender sozialer Kontrolle« nicht bloß Kriminalität unter entwurzelten städtischen Jugendlichen freisetzt, sondern dass auch die politische Oberschicht aus ihren Bindungen befreit ist und diese Freiheit in einer Weise zum eigenen Vorteil nutzt, die sich aus moderner Sicht als Kriminalität darstellt.

1991 behandelt von Benda-Beckmann das Verhältnis von Rechtsanthropologie und Rechtssoziologie. [2]Unterwerfung oder Distanz: Rechtssoziologie, Rechtsanthropologie und Rechtspluralismus aus rechtsanthropologischer Sicht, Zeitschrift für Rechtssoziologie 12, 1991, 97-119. Er findet den entscheidenden Unterschied in »dem Ausmaß, in dem sich Forscher von der in der untersuchten Gesellschaft dominierenden Rechtsideologie distanzieren bzw. sich ihr unterwerfen« (S. 105). Natürlich kommt dabei die Rechtsanthropologie besser weg als die Rechtssoziologie. Beide Fächer haben zwar ihre besonderen Forschungstraditionen und ihre institutionellen und personellen Reservate. Bei Texten und Personen gibt es jedoch große Schnittmengen. Die Grenzen verschieben sich im Laufe der Zeit. Die Selbstzuordnung von Autoren ist nicht unbedingt definitiv. Hinsichtlich der Zuschreibungsprozesse, in denen die Texte dem einen oder anderen Fach zugeordnet werden, unterscheidet von Benda-Beckmann zwischen Genremischern und Grenzwächtern. Grenzwächter soll es in beiden Traditionen geben. Dingfest gemacht wird aber nur einer, nämlich ich selbst [3]Unter Verweis auf meine »Rechtssoziologie« von 1987, S. 33.: »Die Rechtssoziologen haben wohl die größere Truppenmacht und scheinen sich mehr Sorgen über die mögliche Verschmutzung ihres Faches durch Rechtsanthropologen zu machen, deren Arbeitsgebiet – die primitiven Gesellschaften – als Folge der Zivilisation untergegangen ist, und die nun um Asyl im Arbeitsbereich der Rechtssoziologie bitten, um dieses dann mit ihrem pluralistischen Rechtsbegriff zu verwässern.« (S. 102 f.) Heute haben sich die Verhältnisse umgekehrt. Die Rechtssoziologie kümmert institutionell dahin. Die Anthropologie ist allein in Halle doppelt vertreten [4]Im Max-Planck-Institut und im Seminar für Ethnologie am Institut für Ethnologie und Philosophie. Vgl. auch die ganz unvollständige Aufzählung im Posting vom 14. 7. 2012: Die Rolle des Rechts im … Continue reading. Die Rechtssoziologie weiß sich daher nur noch mit einem imperialistischen Begriff ihres Faches zu helfen, der alle empirisch orientierte Rechtsforschung einschließt.

Von Benda-Beckmann ging es nicht um solche strategischen Spielchen. Er sah die entscheidende Differenz zwischen den Fächern in unterschiedlichen Rechtsbegriffen, einem pluralistischen Rechtsbegriff in der Rechtsanthropologie und einem zentralistisch-etatistischen Rechtsbegriff in der Rechtssoziologie. Dieser letztere – das soll die bessere Einsicht der Rechtsanthropologie sein – ordne sich der dominanten Ideologie der untersuchten Gesellschaft unter. Als Beleg dient der in der Rechtssoziologie verbreitet gap-approach, der das offizielle Recht einschließlich seiner offiziösen Interpretation als gegeben hinnimmt und lediglich nach Abweichungen in der so genannten Rechtswirklichkeit fragt. Heute würde man von methodologischem Etatismus sprechen. Im Grunde, so von Benda-Beckmann, müsse man mit einem analytischen Rechtsbegriff arbeiten, der sich von der herrschenden Rechtsideologie distanziere. Und als solcher kommt dann natürlich nur ein pluralistischer in Betracht. Dazu gibt es einiges zu sagen, aber nicht hier und jetzt.

Jetzt sind zwei Punkte wichtig.

Erstens: Es gibt nicht nur einen Rechtspluralismus, sondern viele. Die verschiedenen Rechtsmassen können räumlich, zeitlich, gegenständlich, personal oder hierarchisch, national und transnational miteinander konkurrieren. In modernen Staaten ist ein zentralistisch geordneter oder geduldeter Rechtspluralismus Normalität. Nicht selten aber wird ein unspezifizierter Pluralismusbegriff kritisch gegen das zentralistische Rechtsmodell gewendet. Das ist seinerseits methodologischer Pluralismus. Deshalb ist es wohltuend, dass von Benda-Beckmann von einem »Pluralismus von Rechtspluralismus« spricht und ein »einseitig gegen das staatliche Recht gerichtetes anti-ideologisches Vorurteil« für möglich hält (S. 110). »Wie sich viele Rechtssoziologen der Ideologie ihres Staates und der professionellen Rechtswissenschaft unterwarfen und wenig Interesse für andere normative Systeme aufbringen konnten, so haben sich viele Rechtsanthropologen der Ideologie der durch sie erforschten Gewohnheitsrechte unterworfen und sich oft in übertriebener Weise von dem Recht des Staates distanziert. In beiden Fällen war die Affinität zum dominierenden Rechtsystem groß; meiner Meinung nach ein wichtiger Grund für die Marginalität der Rechtsoziologie bzw. -anthropologie innerhalb der allgemeinen Soziologie und Anthropologie« (S. 112)

Zweitens: Die Suche nach einem analytischen Rechtsbegriff von hinreichender Universalität ist vergeblich, was von Benda-Beckmann selbst wiederholt ausgesprochen hat. [5]Deshalb hat auch der Aufsatz im Jahrbuch von 1976, der eben dieses leisten sollte, keine Spuren hinterlassen. Die Konsequenz besteht darin, dass »ein scharfer Unterschied zwischen Rechtsanthropologie und –soziologie nicht haltbar« [6]So zitiert von Benda-Beckmann John Griffith (S. 101). ist.

Die Rezensionen, die von Benda-Beckmann für die Zeitschrift für Rechtssoziologie angefertigt hat, sind gehaltvoll und kritisch. Erfrischend die ausführliche Besprechung von Uwe Wesels »Frühformen des Rechts« von 1985. Wesel gilt heute als sakrosankt. Nach der Re-Lektüre von Benda-Beckmanns Rezension weiß ich wieder, warum ich Wesels Bücher nicht gelesen habe.

Hängen geblieben bin ich schließlich an einem Beitrag der beiden von Benda-Beckmanns zur Blankenburg-Festschrift 1998 [7]Keebet von Benda-Beckmann/Franz von Benda-Beckmann, Das Recht der Dinge: Verrechtlichung und Entrechtlichung im Verhältnis zwischen erster und dritter Welt, in: Jürgen Brand/Dieter Strempel (Hg.), … Continue reading. Darin lenken die beiden die Aufmerksamkeit auf das Phänomen, dass im Zuge der »Modernisierung« der Entwicklungsländer Eigentumsrechte im Sinne von Verfügungsrechten umgeschrieben und neu festgeschrieben werden, und zwar mit enormen Folgen für die betroffene Bevölkerung. Diese Folgen haben Hallenser Ethnologen als »Crude Domination« in den Blick genommen. [8]Andrea Behrends/Stephen P. Reyna/Günther Schlee (Hg.), Crude Domination, An Anthropology of Oil, New York 2011; dazu der Eintrag vom 4. November 2012 Wie Modernisierung auf Erdöl ausrutscht: … Continue reading

Anmerkungen

Anmerkungen
1 Das rechtliche Verfahren in der Rechtsethnologie: Versuch zu einem interkulturell anwendbaren Bezugsrahmen, Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie Band 4, 1976, 357-376; Individualisierung und Kriminalität – Eine rechtsethnologische Betrachtung. Zeitschrift für Rechtssoziologie 3, 1982, 14-30; Rezension von Cathy .J. Witty, Mediation and Society – Conflict Management in Lebanon, Zeitschrift für Rechtssoziologie 4, 1983, 114-120; Rezension von Uwe Wesel, Frühformen des Rechts in vorstaatlichen Gesellschaften. Zeitschrift für Rechtssoziologie 1987, 119-127; Unterwerfung oder Distanz: Rechtssoziologie, Rechtsanthropologie und Rechtspluralismus aus rechtsanthropologischer Sicht, Zeitschrift für Rechtssoziologie 12, 1991, 97-119.
2 Unterwerfung oder Distanz: Rechtssoziologie, Rechtsanthropologie und Rechtspluralismus aus rechtsanthropologischer Sicht, Zeitschrift für Rechtssoziologie 12, 1991, 97-119.
3 Unter Verweis auf meine »Rechtssoziologie« von 1987, S. 33.
4 Im Max-Planck-Institut und im Seminar für Ethnologie am Institut für Ethnologie und Philosophie. Vgl. auch die ganz unvollständige Aufzählung im Posting vom 14. 7. 2012: Die Rolle des Rechts im Prozess der nachholenden Modernisierung.
5 Deshalb hat auch der Aufsatz im Jahrbuch von 1976, der eben dieses leisten sollte, keine Spuren hinterlassen.
6 So zitiert von Benda-Beckmann John Griffith (S. 101).
7 Keebet von Benda-Beckmann/Franz von Benda-Beckmann, Das Recht der Dinge: Verrechtlichung und Entrechtlichung im Verhältnis zwischen erster und dritter Welt, in: Jürgen Brand/Dieter Strempel (Hg.), Soziologie des Rechts, Festschrift für Erhard Blankenburg zum 60. Geburtstag, Baden-Baden 1998, S. 343-354.
8 Andrea Behrends/Stephen P. Reyna/Günther Schlee (Hg.), Crude Domination, An Anthropology of Oil, New York 2011; dazu der Eintrag vom 4. November 2012 Wie Modernisierung auf Erdöl ausrutscht: »Crude Domination«. Von 2000-2005 gab es am MPI in Halle eine Forschergruppe »Besitz und Eigentum«, die sich ) hauptsächlich mit der Entstehung neuer ländlicher Eigentumssysteme in den ehemaligen sozialistischen Ländern befasste; vgl. Christopher Hann, Besitz und Eigentum: Offener Zugang zu Land, Wissen und Kultur? (Tätigkeitsbericht 2004).

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Genialer Wirrkopf: Friedrich Kittler

Zum Tode Friedrich Kittlers häufen sich die Nachrufe. Er hat sie verdient. Am besten finde ich den Nachruf von Maximilian Probst in der Zeit vom 20. 10 2011 »Medien sind die Kinder des Krieges«. Ich habe noch einmal Kittlers erstes großes Buch zur Hand genommen: »Aufschreibesysteme 1800-1900«. [1]1985, 3. Aufl. 1995. Mir ist es ergangen, wie beim ersten Mal. Ich kann das Buch nicht lesen. Das beginnt schon bei der furchtbaren Drucktype. [2]Es handelt sich wohl um eine Version von Arial. Vor allem aber finde ich den Faden nicht. Das ändert nichts an meiner Bewunderung für den Autor. Ich bewundere seine stupende literarische Bildung und sein Faible für die Computertechnik. Seine Liebe zum alten Griechenland macht ihn mir sympathisch. Ich schätze sein Werk, weil er die Thesen McLuhans in die Geisteswissenschaften importiert hat. Und ich finde es bemerkenswert, dass er, während alle Welt schon auf den Computer starrte, auch die altmodischen »Aufschreibesysteme« – Schreibmaschine, Grammophon und Film – ernst genommen hat. Aber, wie gesagt, seine Texte kann ich nicht lesen. Aber als er hier vor wenigen Jahren in Bochum einen Vortrag hielt, war das (für mich) ein Erlebnis.

Anmerkungen

Anmerkungen
1 1985, 3. Aufl. 1995.
2 Es handelt sich wohl um eine Version von Arial.

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Stefan Magen wird Nachfolger von Ralf Poscher in Bochum

Nun ist es amtlich: Der Dekan hat in der vergangenen Woche mitgeteilt, dass Privatdozent Dr. Stefan Magen den Ruf auf den Lehrstuhl Öffentliches Recht, Rechtssoziologie und Rechtsphilosophie in der Juristischen Fakultät der Ruhr-Universität (Nachfolge Professor Poscher) angenommen hat. Ich gratuliere und wünsche alles erdenklich Gute.
Herr Magen war schon einmal in Bochum, nämlich von 1992 als Hilfskraft und wissenschaftlicher Mitarbeiter an eben diesem Lehrstuhl. Nach einer Station als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Bundesverfassungsgericht von 1998 bis 2001 war Herr Magen am Max-Planck-Institut für Gemeinschaftsgüter in Bonn tätig, wo er sich mit einer Arbeit über »Gerechtigkeit als Proprium des Rechts. Eine deskriptive Theorie auf empirischer Grundlage« habilitiert hat. Den Arbeitsgebieten von Herrn Magen entsprechend lautet die Lehrstuhlbezeichnung künftig »Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Rechtsphilosophie und Rechtsökonomik«. Damit hat der Lehrstuhl also die Rechtssoziologie mindestens aus dem Namen verloren. Es bleibt aber zu hoffen, dass es über die Verhaltensökonomik eine Brücke zur Rechtssoziologie geben wird.

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»Anti-Court-Movement«

Unter dem Chief Justice Earl Warren war der US Supreme Court eine Speerspitze des Liberalismus. Inzwischen dominieren unter Rehnquist und nach dessen Tod seit 2005 unter John Roberts konservative Kräfte das Gericht, und sie kassieren Gesetze und Präjudizien, die nicht nach ihrem Geschmack sind. So jedenfalls sieht es eine wachsende Gruppe linksliberaler Rechtswissenschaftler in den USA, die deshalb auf unterschiedliche Weise die Macht des Verfassungsgerichts zurückdrängen wollen. Ihre Kritik richtet sich nicht speziell gegen die Entscheidung bestimmter einzelner Fälle, sondern sie machen geltend, dass Gericht zu viele Fälle an sich ziehe und zu wenig Entscheidungen der Politik überlasse. Anwälte und Gerichte behandelten Konflikte, die besser durch das Wahlvolk entschieden würden. In einer Rezensionsabhandlung in Law & Social Inquiry 33 (2008) 1071-1110 geht Josh Benson diesem »Anti-Court-Movement« nach. Dazu bespricht er Bücher von Larry D. Kramer (The People Themselves: Popular Constitutionalism and Judicial Review, 2004), Jeffrey Rosen (The Most Democratic Branch: How the Courts Serve America, 2006) Cass R. Sunstein (One Case at a Time: Judicial Minimalism and the Supreme Court, 1999) und Mark V. Tushnet (Taking the Constitution Away from the Courts, 1999). Diese Kritik, so Benson, habe in der politischen Öffentlichkeit eine enorme Wirkung. »Restraint« und »minimalism« seien zu neuen Leitideen geworden. Neben der ökonomischen Analyse des Rechts könnte das »Anti-Court-Movement« zum stärksten Impuls werden, der von der Wissenschaft in den letzten Jahrzehnten ausgegangen sei. In seinem lesenswerten Besprechungsaufsatz geht Benson den historischen Wurzeln und den aktuellen Ausprägungen dieser Gerichtskritik nach, nicht ohne auf die Dilemmata der liberalen Minimalisten hinzuweisen: Den judicial activism des Warren Court fanden sie gar nicht so schlecht. Und der Richter John Roberts, der sich 2005 bei seiner Anhörung im Parlament als Minimalist gab, scheint sich nun doch ganz anders entwickelt zu haben.
Benson endet:

In the 1930s, the first liberal Anti-Court Movement bloomed. Its history, though tumultuous, is at least familiar. The Anti-Court idea is one liberals habe embraced before, then turned against, then embraced again. As Mark Twain observed, the past does not repeat itself, but it rhymes.

Das schöne Twain Zitat ergibt den Titel von Bensons Essay.
Hier noch zwei Internetquellen zum Thema:
In einer ausführlichen Rezension des Buchs von Larry D. Kramer, The People Themselves, haben Larry Alexander und Lawrence B. Solum dem Konzept des Popular Constitutionalism Unklarheit und Widersprüchlichkeit vorgehalten: Popular? Constitutionalism?, Harvard Law Review 118 (2005) 1594-1640. Verfügbar bei SSRN: http://ssrn.com/abstract=692224.
Ob der »Roberts Court« tatsächlich als konservativ gelten muss, ist durchaus kontrovers. Dazu Jonathan H. Adler, Getting the Roberts Court Right: A Response to Chemerinsky (November 2008), verfügbar bei SSRN: http://ssrn.com/abstract=1307177. Aus dem Abstract:

Reviewing the Court’s decisions over the past three years, Dean Chemerinsky concludes that the Roberts Court is the “the most conservative Court since the mid-1930s.” This is a substantial overstatement. The Roberts Court appears moderately more “conservative” than its predecessors in some contexts, but is also quite “liberal” in others. Its decisions on enemy combatants, capital punishment, and standing, among other issues, could hardly be characterized as “conservative,” however this term is defined. Furthermore, any assessment of the Roberts Court at this point is necessarily tentative. The current roster of justices have sat together for less than three full terms, and the small size of the docket means any single term provides an unrepresentative picture of the Court’s jurisprudence. While the Roberts Court may eventually show itself to be a conservative court, there is no basis at present to claim the Court is the “most conservative” in over seventy years.

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Tamanaha über das problematische Erbe der Legal Realists

Brian Z. Tamanaha ist einer der aktivsten und interessantesten Autoren auf dem Gebiet der Rechtssoziologie und Rechtstheorie in den USA. Er versteht es immer wieder, lang eingefahrene Gedankengänge aus dem Gleis zu werfen. Im Social Science Research Network (SSRN) sind zurzeit fünf jüngere Arbeiten verfügbar. Die vollständigen bibliographischen Angaben kommen gleich ins Fundbüro. Hier nur die Titel und der Link:
A Concise Guide to the Rule of Law (2007)
The Dark Side of the Relationship between the Rule of Law and Liberalism, Januar (2008)
Law (Oxford International Encyclopedia of Legal History, 2008)
The Bogus Tale About the Legal Formalists (April 2008)
Understanding Legal Realism (Mai 2008)
The Distorting Slant of Quantitative Studies of Judging (November 2008).
In der letztgenannten Arbeit kritisiert Tamanaha die Politikwissenschaft, die sich bei ihren Untersuchungen über richterliches Entscheidungsverhalten von einem Mythos leiten lasse. Rechtssoziologie im 20. Jahrhundert wäre ohne die Legal Realists nicht denkbar. Aber sie haben ein problematisches Erbe hinterlassen, nämlich die Vorstellung, dass Juristen, Richter wie Wissenschaftler, tatsächlich selbst an das Lückenlosigkeitsdogma und das Subsumtionsdogma geglaubt hätten. Die Legal Realists haben aber nur explizit gemacht und auf die Spitze getrieben, was Juristen eigentlich immer schon wussten. Das hatte jedoch zur Folge, dass nunmehr die Vorstellung, Juristen hätten tatsächlich an die Möglichkeit einer mechanischen Jurisprudenz geglaubt, das 20. Jahrhundert beherrschte. Tamanaha spricht von einem »Bogus Tale about the Legal Formalists«. Darauf hat sich alsbald die Politikwissenschaft gestürzt, um nachzuweisen, dass im Gegenteil alles Recht politisch sei. In ihrer Fixierung auf einen Popanz habe sie dabei übersehen, dass die Wahrheit in der Mitte liege und dass eben doch juristische Entscheidungen mehr oder weniger durch Recht geleitet würden. Hier Tamanahas eigene Zusammenfassung:

One of the hottest areas of legal scholarship today involves quantitative studies of judging. This article will attempt to shift the current orientation of this work by making two basic points. The first point is that the field was born in a collection of false beliefs and misunderstandings about the formalists and the realists which has distorted how political scientists have modeled judging and how they have designed and interpreted their studies. Rather than conduct an open inquiry into the nature of judging, political scientists set out to debunk formalism by proving that judging is infused with politics, a mission that warped the development of the field.
The second point is that the results of their studies below the Supreme Court strongly confirm what judges have been saying for many decades – that their judicial decisions are substantially determined by the law. Political scientists have tended to repress this finding, however, by focusing on the wrong point: repeating time and again that their studies show that politics matters without also emphasizing that it matters very little. A balanced realism about judging accepts that – owing to the uncertainty of law and the inherent limitations of human decision makers – it is inevitable that there will be a certain (minimal) degree of political influence in judicial decision making, but this does not detract from the broader claim that judges can and usually do rule in accordance with the law.

Nachtrag vom 24. Mai 2010:
Die drei zuletzt genannten Manuskripte Tamanahas sind in sein in diesem Jahr bei Princeton University Press erschienenes Buch »Beyond the Formalist-Realist Divide« eingegangen. Auf die ersten beiden habe ich noch einmal in einem Posting vom 14. Mai 2010 Bezug genommen.

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In memoriam Rudolf Wassermann

Am 13. Juni 2008 ist Rudolf Wassermann gestorben. Das war der Todesanzeige der Familie in der FAZ vom 21. Juni zu entnehmen. Ein Beitrag der Redaktion wird hoffentlich folgen.

Als junger Richter – das war wohl 1968 oder 1969 – bin ich Wassermann in Kiel auf einer Veranstaltung des Deutschen Richterbundes begegnet und habe mich mit ihm heftig über seine These von der politischen Qualität des Rechts und der Rechtsprechung gestritten. Später habe ich versucht, durch die Tat Abbitte zu tun und mich an dem von ihm herausgegebenen Alternativkommentar zur ZPO beteiligt. Längst war er für mich ein leuchtendes Beispiel geworden, wie ein Einzelner durch furchtlose Leidenschaft die Dinge in Bewegung bringen kann. Mit schier unbegrenzter Arbeitskraft verband er in seiner Person die Rollen des Richters, des Rechtspolitikers und des Wissenschaftlers. Ich werde ihn in Erinnerung behalten als die personifizierte Interdisziplinarität.

Zu Würdigung Wassermanns ist das Notwendige zu Lebzeiten von anderen gesagt worden:

G. Bertram, Wassermann – Ein Urgestein der Justiz, Besprechungsaufsatz zu Rudolf Wassermann: Politik und Justiz im demokratischen Verfassungsstaat, Aus Reden und Schriften 1989-1999 – Berlin Spitz, 2000, in: Mitteilungen des Hamburgischen Richtervereins Nr. 2/2003
Artikel „Rudolf Wassermann“ in Wikipedia
Gerhard Mauz: Der umstrittenste Richter unter Richtern, Spiegel-Archiv (1971)

Die jüngste Stellungnahme von Wassermann selbst, die ich gefunden habe, richtet sich gegen den Vorschlag zur Einführung eines Kinderwahlrechts, veröffentlich 2004 im Humboldt Forum Recht.

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Mindmapping

Manche schwören auf Mindmapping, nicht zuletzt auch für juristische Zwecke, so z. B. Rechtsanwalt Markus J. Sauerwald (Mind Mapping in Jurastudium und Referendariat, 2006). Über Herrn Sauerwald, der damals als Lektor im Carl Heymanns Verlag meine Bücher betreut hat, haben wir 2002 im Zusammenhang mit unserem Projekt »Visuelle Rechtskommunikation« Aiman Khalil kennengelernt. Herr Khalil, heute [1]Das war 2008. Heute (Juni 2017) meldet sich Herr Khalil als Mitarbeiter eines Bundesministeriums mit der Bitte um den Hinweis, dss er nicht mehr Rechtsanwalt ist. Rechtsanwalt, war damals noch Student. Er hat uns eine Einführung in das Mindmapping gegeben, die pädagogisch und rhetorisch so gut war, dass ich mich noch heute lebhaft daran erinnern kann. Er hat es trotzdem nicht geschafft, uns für diese Methode so richtig zu begeistern (vgl. Recht anschaulich, S. 188 ff.).

Auf dem Internationalen Rechtsinformatik Symposium im Februar 2008 (IRIS, vgl. meinen Beitrag vom 22. April 2008) habe ich Herrn Khalil wieder getroffen. Er hat dort einen brillanten Überblick über die aktuelle Visualisierungs- und Mindmapping-Software gegeben. Bei dieser Gelegenheit habe ich auch erfahren, dass Herr Khalil die Firma Jura-Mindmaps in Nidderau bei Frankfurt betreibt. Ich hatte bisher keine Gelegenheit, seine Produkte kennen zu lernen. Ich hoffe, dass wir früher oder später dazu einen Beitrag veröffentlichen können. Bis dahin sei auf seine Webseite http://jura-mindmaps.com/ verwiesen. Ich finde diese Seite allerdings etwas überladen.

Proben von Mindmaps, die Herr Khalil angefertigt hat, findet man schneller unter
http://www.cfmueller-campus.de/content/campus/campusmindmap.html.

Die Rahmung des Titels im Zentrum (die wohl durch die Software Mindmanager vorgegeben ist) erinnert mich ein bißchen an eine Sardinenbüchse. Jenseits solcher ästhetischen Beckmessereien stellt sich das Grundproblem des Mindmapping aber wohl mit der Frage, ob diese Methode auch für diejenigen hilfreich ist, die die Maps nicht aktiv selbst entwerfen, sondern bloß vorgefertigte Mindmaps »lesen«.

Hier noch einige andere Internetadressen zum Mindmapping im Rechtsbereich:

Eine Seite Über Mindmapping für Juristen findet man bei JuraWiki (http://www.jurawiki.de/MindMapping). Das „Anwaltsportal für Münster“ (http://www.rechtsanwalt-in-muenster.de/) bietet auf einer besonderen Seite 83 Mindmaps von Rechtsanwalt Hans-Peter Sievert zu Zivilprozess und Zwangsvollstreckung, Strafrecht und Strafvollstreckung sowie zum Verwaltungsrecht an. Ein Design, das eher meinen Geschmack trifft, verwendet der Verlag Grüning für die von ihm so genannten Visual Cards:
http://www.verlag-gruening.de/visual_cards.htm. Dort gibt es auch kostenlose Beispiele.

Anmerkungen

Anmerkungen
1 Das war 2008. Heute (Juni 2017) meldet sich Herr Khalil als Mitarbeiter eines Bundesministeriums mit der Bitte um den Hinweis, dss er nicht mehr Rechtsanwalt ist.

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Juracomics und Juramangas

Wenn man mit Google nach »Juracomics« sucht, gibt es zwölf Treffer, davon drei brauchbare. Mit dem ersten Werbelink wird man auf die Amazon Seite verwiesen. Das ist insofern interessant, als man erfährt, dass im allgemeinen Sprachgebrauch Juracomic für bebilderte Witzbücher über Rechtsthemen steht. Der zweite Treffer führt auf die Startseite von JuraComic-JuraWiki.de. Dabei handelt sich um ein Projekt zur Entwicklung eines Comics im Manga-Stil, der von Julia Wehrendt gezeichnet wird. Der dritte Treffer ist die Webadresse dieses JuraManga: http://www.cecil-manga.de.vu. Die Zeichnerin (die natürlich auch über eine eigene Webseite verfügt. http://www.truthwork.de.vu/) ist anscheinend selbst keine Juristin. Die Verbindung zu JuraWiki ist wohl zustande gekommen, weil Frau Wehrendt sich an einem »Malwettbewerb« beteiligt hatte, in dem es darum ging, eine Justitia im Hawai-Look zu entwerfen. Die Arbeit von Frau Wehrendt ist nun auf der Startseite von Jurawiki.de zu bewundern.

Die Story, aus der sich jetzt der Comic entwickeln soll, ist die Geschichte von Cecil, die das Jurastudium beginnt und deren Erlebnisse bis zum Examen nun verfolgt werden sollen. Dabei sollen »am Rande« auch juristische Themen vorkommen. Frau Wehrendt hat dazu eine Reihe von Vorab-Skizzen und Typen entworfen, darunter natürlich die Protagonistin Cecil. Auf mich wirken die Bilder als ein Versuch, das Jurastudium mit Lifestyle aufzupeppen.

Das Projekt läuft wohl seit Anfang 2007. Studentinnen oder Studenten in Anfangssemestern wurden aufgefordert, Frau Wehrendt »mit Input zu versorgen, was inhaltlich am Anfang des Studiums so vorkommt«. Sehr erfolgreich war der Aufruf anscheinend nicht. Jedenfalls wurde er auf der Webseite LAWgical am 10. 4. 2008 wiederholt, und der JuraManga ist nach wie vor ein (mich) verwirrender Torso. Das alles läuft auf Unterhaltung hinaus. Aber wer darauf baut, mit Hilfe von Comics juristische Inhalte zu vermitteln, kann daraus vielleicht lernen.

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